Strategie
Die wechselvolle Geschichte des Betriebsübergangs

Jedes Jahr sind Hunderte Arbeitgeber von Betriebsübergängen betroffen. Immer wieder haben Gerichte die Regelungen über den Haufen geworfen. Die wichtigsten Urteile im Überblick.

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„Christel Schmidt“ und „Ayse Süzen“ (EuGH)

In der Vergangenheit musste das deutsche Bundesarbeitsgericht (BAG) seine Rechtsprechung zum Betriebsübergang schon zwei Mal überdenken. Die erste große Wende kam Mitte der 90er Jahre mit den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes in Sachen „Christel Schmidt“ und „Ayse Süzen“. Bis dahin hatte das BAG einen Betriebsübergang davon abhängig gemacht, ob materielle Betriebsmittel wie Maschinen und Büroeinrichtungen von dem neuen Eigentümer der Firma übernommen wurden.

Christel Schmidt hatte als Reinigungskraft in einem Unternehmen gearbeitet. Ihr Arbeitgeber wollte einen externen Dienstleister mit der Reinigung beauftragen. Mit dem Christel-Schmidt-Urteil (Az.: C 392/92) legte der EuGH 1994 fest, dass ein Betrieb auch dann auf ein anderes Unternehmen übergehen kann, wenn „mit der Übertragung keine Vermögensgegenstände übergegangen sind“ und die „Aufgaben vor der Übertragung von einer einzigen Arbeitnehmerin erledigt wurden“.

Ayse Süzen war auch Reinigungskraft, jedoch angestellt bei einem Gebäudereinigungsunternehmen. Sie war für die Reinigung in einer Schule zuständig. Nachdem die Schule ihrem Arbeitgeber den Auftrag gekündigt hat, wurde Süzen entlassen. Sie klagte, weil sie in den Betrieb des neuen Auftragnehmers übernommen werden wollte.

Der EuGH entschied 1997 zwar, der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber stelle keinen solchen Betriebsübergang dar (AZ: C-95/13). Doch die Richter wiederholten in ihrem Urteil noch einmal, dass es für einen Betriebsübergang in bestimmten Branchen nicht entscheidend sei, ob materielle oder immaterielle Betriebsmittel übertragen würden. Somit können die Arbeitnehmer selbst eine wirtschaftliche Einheit und damit einen Betrieb bilden.

„Uniklinik“ (BAG)

Dem folgte auch das BAG in einer späteren Entscheidung (BAG, Urteil vom 14. 8. 2007 – 8 AZR 1043/06). Der Kläger war für die Instandhaltung von technischen Anlagen, wie Klima-, Heizungs- und Elektroanlagen in einem Universitätsklinikum zuständig.

Das Klinikum entschloss sich, der bisherigen Gebäudeverwaltung zu kündigen und alle bislang an viele verschiedene Auftragnehmer vergebenen Facility-Leistungen zukünftig von einer einzigen Gesellschaft erbringen zu lassen. Hierfür gründete und beauftragte die Klinik ein Dienstleistungsunternehmen, an dem es selbst zu 51 Prozent beteiligt war.

Auch wenn ein Betrieb nur einen einzigen Auftrag habe, „stellt die Neuvergabe dieses Auftrags an ein anderes Unternehmen für sich genommen keinen Betriebsübergang dar“, befanden die Richter.

„Nurten Görres“ (EuGH)

Die zweite Wende kam mit dem EuGH-Urteil in Sachen Nurten Güney-Görres (Az: C-232/04 und C-233/04) und betrifft vor allem Dienstleistungsbetriebe. Nurten Güney-Görres arbeitete in der Fluggast- und Gepäckkontrolle auf dem Flughafen Düsseldorf.

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Das Bundesinnenministerium kündigte den Vertrag mit ihrem Arbeitgeber und beauftragte eine andere Firma. Güney-Görres flog raus. Das BAG verneinte einen Betriebsübergang, weil die Gepäckprüfanlage und die Durchleuchtungsgeräte vom Innenministerium gestellt und von der neuen Firma weitergenutzt wurden. Darauf kommt es aber nicht an, entschied der EuGH.

Der Gerichtshof legte in dem Urteil fest, dass der Übergang von Betriebsmitteln nicht davon abhängt, ob der Auftraggeber dem Auftragnehmer die „Betriebsmittel zur eigenwirtschaftlichen Nutzung“ überlässt. Das BAG hatte zuvor eine andere Sichtweise: Es machte den Übergang von Betriebsmitteln von der eigenwirtschaftlichen Nutzung abhängig und verneinte deshalb einen Betriebsübergang. Frau Güney-Görres musste weiterbeschäftigt werden.

„Forschungsschiff“ (BAG)

Nach dem Güney-Görres Urteil des EuGH folgte die Reaktion des BAG jedoch prompt: Anfang 2006 hatte das oberste deutsche Arbeitsgericht zu beurteilen, ob ein Betriebsübergang vorliegt, wenn ein Forschungsschiff von einer anderer Reederei besetzt wird.

Das Gericht vollzog einen Kurswechsel: Im Gegensatz zu früheren Kriterien, so die Richter, komme es nun darauf an, ob die zum Einsatz kommenden Betriebsmittel den „eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs“ ausmachten („Forschungsschiff als wirtschaftliche Einheit“ BAG, Urteil vom 2. 3. 2006 – 8 AZR 147/05).

Dass die neu beauftragte Reederei nicht Eigentümerin der Forschungsausrüstung war, spielte für die Beurteilung keine Rolle. Denn laut Gericht seien Betriebsmittel einem Betrieb auch dann zuzurechnen, wenn sie auf Grund einer Vereinbarung dazu eingesetzt werden, die Betriebszwecke zu erfüllen. Das BAG bejahte einen Betriebsübergang.

„Bistrowagen“ (BAG)

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Das Kriterium der Identitätswahrung präzisierte das BAG in der Bistrowagen-Entscheidung (BAG, Urteil vom 6. 4. 2006 – 8 AZR 249/04): Die Deutsche Bahn wollte die Bistrobewirtschaftung in ihren Zügen wieder selbst durchführen – statt wie bisher ein Franchise-Unternehmen zu Hilfe zu ziehen.

Zwar übernahm die Bahn dadurch alle wesentlichen Betriebsmittel, ein Betriebsübergang lag nach Auffassung der Richter jedoch nicht vor: Da die Bewirtschaftung organisatorisch in das allgemeine Bewirtungssystem der Deutschen Bahn eingegliedert wurde, war kein abgrenzbarer Betrieb mehr vorhanden, die Identität des Betriebes somit nicht gewahrt.

„Klarenberg“ (EuGH)

In dem Fall wurde ein Betriebsteil der Elektronikfirma ET an das Unternehmen Ferrotron verkauft. Das BAG hatte bisher mehrfach entschieden, dass ein Betriebsübergang nur dann vorliegt, wenn der übertragene Betriebsteil beim Erwerber seine organisatorische Identität bewahrt. Im Fall des Dietmar Klarenberg waren aber nur die Softwarerechte, Patent-Know und vier Mitarbeiter bei Ferrotron gelandet. Nach den Kriterien des BAG also kein Betriebsübergang.

Dietmar Klarenberg, ein Ingenieur, der nicht von Ferrotron übernommen wurde, klagte vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Das legte den Fall dem EuGH vor (EuGH vom 12.2.09; Az.: C 466/07). Der entschied, dass ein Betriebsteilübergang nach europäischem Recht und damit auch für das nationale Recht auch dann vorliegen kann, wenn die organisatorische Einheit des übergegangenen Unternehmens zerschlagen wird: also neue Abteilungsleiter benannt und neue Teams zusammengesetzt werden. Der vorerst letzte Paukenschlag des EuGH. Das BAG muss nun wieder seine Rechtsprechung anpassen.

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„Christel Schmidt“ und „Ayse Süzen“ (EuGH)In der Vergangenheit musste das deutsche Bundesarbeitsgericht (BAG) seine Rechtsprechung zum Betriebsübergang schon zwei Mal überdenken. Die erste große Wende kam Mitte der 90er Jahre mit den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes in Sachen „Christel Schmidt“ und „Ayse Süzen“. Bis dahin hatte das BAG einen Betriebsübergang davon abhängig gemacht, ob materielle Betriebsmittel wie Maschinen und Büroeinrichtungen von dem neuen Eigentümer der Firma übernommen wurden.Christel Schmidt hatte als Reinigungskraft in einem Unternehmen gearbeitet. Ihr Arbeitgeber wollte einen externen Dienstleister mit der Reinigung beauftragen. Mit dem Christel-Schmidt-Urteil (Az.: C 392/92) legte der EuGH 1994 fest, dass ein Betrieb auch dann auf ein anderes Unternehmen übergehen kann, wenn „mit der Übertragung keine Vermögensgegenstände übergegangen sind“ und die „Aufgaben vor der Übertragung von einer einzigen Arbeitnehmerin erledigt wurden“.Ayse Süzen war auch Reinigungskraft, jedoch angestellt bei einem Gebäudereinigungsunternehmen. Sie war für die Reinigung in einer Schule zuständig. Nachdem die Schule ihrem Arbeitgeber den Auftrag gekündigt hat, wurde Süzen entlassen. Sie klagte, weil sie in den Betrieb des neuen Auftragnehmers übernommen werden wollte. Der EuGH entschied 1997 zwar, der bloße Verlust eines Auftrags an einen Mitbewerber stelle keinen solchen Betriebsübergang dar (AZ: C-95/13). Doch die Richter wiederholten in ihrem Urteil noch einmal, dass es für einen Betriebsübergang in bestimmten Branchen nicht entscheidend sei, ob materielle oder immaterielle Betriebsmittel übertragen würden. Somit können die Arbeitnehmer selbst eine wirtschaftliche Einheit und damit einen Betrieb bilden.„Uniklinik“ (BAG)Dem folgte auch das BAG in einer späteren Entscheidung (BAG, Urteil vom 14. 8. 2007 - 8 AZR 1043/06). Der Kläger war für die Instandhaltung von technischen Anlagen, wie Klima-, Heizungs- und Elektroanlagen in einem Universitätsklinikum zuständig. Das Klinikum entschloss sich, der bisherigen Gebäudeverwaltung zu kündigen und alle bislang an viele verschiedene Auftragnehmer vergebenen Facility-Leistungen zukünftig von einer einzigen Gesellschaft erbringen zu lassen. Hierfür gründete und beauftragte die Klinik ein Dienstleistungsunternehmen, an dem es selbst zu 51 Prozent beteiligt war. Auch wenn ein Betrieb nur einen einzigen Auftrag habe, „stellt die Neuvergabe dieses Auftrags an ein anderes Unternehmen für sich genommen keinen Betriebsübergang dar“, befanden die Richter. „Nurten Görres“ (EuGH)Die zweite Wende kam mit dem EuGH-Urteil in Sachen Nurten Güney-Görres (Az: C-232/04 und C-233/04) und betrifft vor allem Dienstleistungsbetriebe. Nurten Güney-Görres arbeitete in der Fluggast- und Gepäckkontrolle auf dem Flughafen Düsseldorf. Das Bundesinnenministerium kündigte den Vertrag mit ihrem Arbeitgeber und beauftragte eine andere Firma. Güney-Görres flog raus. Das BAG verneinte einen Betriebsübergang, weil die Gepäckprüfanlage und die Durchleuchtungsgeräte vom Innenministerium gestellt und von der neuen Firma weitergenutzt wurden. Darauf kommt es aber nicht an, entschied der EuGH. Der Gerichtshof legte in dem Urteil fest, dass der Übergang von Betriebsmitteln nicht davon abhängt, ob der Auftraggeber dem Auftragnehmer die „Betriebsmittel zur eigenwirtschaftlichen Nutzung“ überlässt. Das BAG hatte zuvor eine andere Sichtweise: Es machte den Übergang von Betriebsmitteln von der eigenwirtschaftlichen Nutzung abhängig und verneinte deshalb einen Betriebsübergang. Frau Güney-Görres musste weiterbeschäftigt werden.„Forschungsschiff“ (BAG)Nach dem Güney-Görres Urteil des EuGH folgte die Reaktion des BAG jedoch prompt: Anfang 2006 hatte das oberste deutsche Arbeitsgericht zu beurteilen, ob ein Betriebsübergang vorliegt, wenn ein Forschungsschiff von einer anderer Reederei besetzt wird. Das Gericht vollzog einen Kurswechsel: Im Gegensatz zu früheren Kriterien, so die Richter, komme es nun darauf an, ob die zum Einsatz kommenden Betriebsmittel den „eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs“ ausmachten („Forschungsschiff als wirtschaftliche Einheit“ BAG, Urteil vom 2. 3. 2006 - 8 AZR 147/05). Dass die neu beauftragte Reederei nicht Eigentümerin der Forschungsausrüstung war, spielte für die Beurteilung keine Rolle. Denn laut Gericht seien Betriebsmittel einem Betrieb auch dann zuzurechnen, wenn sie auf Grund einer Vereinbarung dazu eingesetzt werden, die Betriebszwecke zu erfüllen. Das BAG bejahte einen Betriebsübergang.„Bistrowagen“ (BAG)Das Kriterium der Identitätswahrung präzisierte das BAG in der Bistrowagen-Entscheidung (BAG, Urteil vom 6. 4. 2006 - 8 AZR 249/04): Die Deutsche Bahn wollte die Bistrobewirtschaftung in ihren Zügen wieder selbst durchführen – statt wie bisher ein Franchise-Unternehmen zu Hilfe zu ziehen. Zwar übernahm die Bahn dadurch alle wesentlichen Betriebsmittel, ein Betriebsübergang lag nach Auffassung der Richter jedoch nicht vor: Da die Bewirtschaftung organisatorisch in das allgemeine Bewirtungssystem der Deutschen Bahn eingegliedert wurde, war kein abgrenzbarer Betrieb mehr vorhanden, die Identität des Betriebes somit nicht gewahrt.„Klarenberg“ (EuGH)In dem Fall wurde ein Betriebsteil der Elektronikfirma ET an das Unternehmen Ferrotron verkauft. Das BAG hatte bisher mehrfach entschieden, dass ein Betriebsübergang nur dann vorliegt, wenn der übertragene Betriebsteil beim Erwerber seine organisatorische Identität bewahrt. Im Fall des Dietmar Klarenberg waren aber nur die Softwarerechte, Patent-Know und vier Mitarbeiter bei Ferrotron gelandet. Nach den Kriterien des BAG also kein Betriebsübergang. Dietmar Klarenberg, ein Ingenieur, der nicht von Ferrotron übernommen wurde, klagte vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Das legte den Fall dem EuGH vor (EuGH vom 12.2.09; Az.: C 466/07). Der entschied, dass ein Betriebsteilübergang nach europäischem Recht und damit auch für das nationale Recht auch dann vorliegen kann, wenn die organisatorische Einheit des übergegangenen Unternehmens zerschlagen wird: also neue Abteilungsleiter benannt und neue Teams zusammengesetzt werden. Der vorerst letzte Paukenschlag des EuGH. Das BAG muss nun wieder seine Rechtsprechung anpassen.
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