Gelassenheit trainieren
Wie kann ich lernen, unter Druck gelassen zu bleiben?

Unter Stress konfus zu reagieren, ist menschlich, aber selten sinnvoll. Doch kann man Gelassenheit lernen? Ja, sagt Gelassenheitscoach Christian Bremer. Im Interview verrät er simple Praxistipps, die wirklich funktionieren.

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Gelassenheit trainieren
© MirageC/Moment/Getty Images

Der beste Mitarbeiter hat gestern die Kündigung eingereicht, die Energiekosten gehen durch die Decke und dann ist im neuen Flyer auch noch ein Tippfehler – da möchte man als Unternehmer am liebsten ausflippen. Geht aber nicht, der Laden muss ja weiterlaufen. Wenn es nur einen Weg gäbe, gelassener mit Problemen umzugehen … Den gibt es, sagt Gelassenheitscoach Christian Bremer. Ein Interview über falsche Prioritäten, Inseln der Ruhe und die Abkürzung LMAA.

impulse: Herr Bremer, Sie sagen: Stress ist ein Geschenk. Wie meinen Sie das?

Christian Bremer: Er ist ein Geschenk, weil er uns an ein unerfülltes Bedürfnis erinnert. Sie haben das Stressgefühl Hunger? Dann brauchen Sie was zu essen. Sie haben das Stressgefühl Zeitnot? Dann brauchen Sie Prioritäten.

Und wir setzen oft die falschen Prioritäten?

Unternehmer stürzen sich auf Kundengewinnung, auf Mitarbeiterführung, auf die Steuer, und und und. Alles soll richtig laufen. Aber wer Zeit hat, 80 Stunden in der Woche zu arbeiten, sollte sich auch Zeit dafür nehmen, mal eine Stunde im Wald zu verbringen. Unternehmer müssen erkennen: „Ich habe die Freiheit, eine Pause zu machen.“ Sie müssen sich Pausen selbst erlauben.

Warum fällt das vielen so schwer?

Weil sie es nie gelernt haben. Wir lernen schon als Kinder: Pausen sind Zeitverschwendung. Deshalb denken wir jetzt: „Ich kann in meiner Pause fünf E-Mails beantworten und vielleicht noch einen Auftrag bekommen.“

Zur Person
Seit gut 30 Jahren beschäftigt sich Christian Bremer mit dem Thema Gelassenheit. Das Credo des Vortragsredners und Trainers: Erfolg braucht Gelassenheit. Bremer hat sechs Bücher geschrieben, darunter "Rein ins Leben, raus aus dem Stress" (Vahlen, 187 Seiten, 16,90 Euro).

Ein neuer Auftrag ist ja auch erst einmal nichts Schlechtes – der lässt mich nachts vielleicht besser schlafen …

Wenn aber der Chef im Kleinbetrieb irgendwann nicht mehr kann, hat die ganze Firma ein Riesenproblem. Deshalb ist es für Unternehmer besonders wichtig, nicht nur für ihre Firma zu sorgen und ihre Mitarbeiter, sondern auch für sich selbst. Dafür reicht es nicht aus, mal einen Achtsamkeitskurs zu besuchen – Gelassenheit muss ein Teil meines Alltags werden.

Und wie stelle ich das an?

Sie können mit folgender Übung anfangen – ich nenne sie „Meine Minute“: Setzen Sie sich dreimal täglich hin, schließen Sie die Augen, stellen Sie den Timer auf 60 Sekunden. Und nun: nichts tun außer Atmen und den Strom der Gedanken beobachten. Dabei bewerten Sie Ihre Gedanken nicht, Sie lassen sie einfach kommen und gehen.

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Das ist alles?

Die Übung ist bewusst niedrigschwellig, damit Ausreden keine Chance haben. Angenommen: Sie arbeiten zehn Stunden am Tag. In diesen 600 Minuten sind Sie für Kunden da, für Lieferanten, für Mitarbeiter, fürs Finanzamt. Sie können in einer Minute von diesen 600 Minuten für sich selbst sorgen und damit Stress vorbeugen. Da können Sie sich nicht rausquatschen mit „Keine Zeit“, „zu schwierig“, „zu esoterisch“.

Was bringt mir diese Minute?

Sie schaffen sich eine Insel der Ruhe, der Erholung, der Entspannung. Die äußere Welt ändert sich dadurch nicht – aber Sie erleben sie ganz anders.

Wie oft sollte ich mir „Meine Minute“ nehmen?

Am besten einmal morgens vor der Arbeit, einmal mittags und einmal abends zwischen Arbeit und Schlafengehen.

Und wenn’s wirklich mal drunter und drüber geht?

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Sagen wir mal, Ihr Top-Kunde hat seine Ware nicht bekommen: Dann kümmern Sie sich natürlich erst einmal um das Problem und setzen sich nicht eine Minute hin und atmen.

Haben Sie für solche Stresssituationen auch einen Rat?

Wenn Sie in eine Situation geraten, die Sie aus der Fassung bringt, tun Sie erst einmal: nichts. Sie kriegen eine Mail, lesen die, denken sich „Unverschämtheit“ – und lehnen sich für einen Augenblick zurück. Und dann lächeln Sie. Nicht unnatürlich und übertrieben wie ein Honigkuchenpferd: Es geht einfach darum, dass sich die Mimik ein bisschen entspannt. Das allein bringt schon mehr Gelassenheit. Ich nenne diesen Trick: LMAA – lächle mehr als andere.

Bei Ihnen klingt das so einfach.

Anfangs fällt das schwer, aber nach einem Vierteljahr hat das jeder drauf. Schließlich gibt es täglich Gelegenheiten zu trainieren. Sie können alle Leute, die Sie nerven, als Sparringspartner betrachten: den Kunden, der eine dreiste E-Mail schreibt, den Falschparker, der Ihren Wagen zuparkt, oder den Mitarbeiter, der unvorbereitet zum Meeting kommt.

Und was mache ich nach dem LMAA?

Als Nächstes stellen Sie sich selbst eine Fokusfrage – zum Beispiel: Bin ich jetzt in Lebensgefahr? Das beruhigt total, wenn Sie einen Schub von Stress, Ärger, Sorge haben, und hilft Ihnen, sich zu sortieren. Anschließend beschäftigen Sie sich mit der Frage: Was ist das Beste, was ich jetzt tun kann?

Manche Probleme sind aber so groß, dass sie sich nicht wegatmen oder weglächeln lassen.

Gelassenheit ist für mich auch nicht die Lösung aller Probleme. Sie ist vielmehr die Brücke zwischen einem Problem und der Lösung für das Problem. Wenn ich am Mittwoch ein Problem habe und abends in den Yogakurs gehe, ist mein Problem am Donnerstag immer noch da. Aber ich kann es anders angehen und lösen – gelassen und nicht gestresst. Und es bestenfalls als Möglichkeit sehen, Erfolg zu haben.

Haben Sie zum Abschluss noch einen letzten Praxistipp für mehr Gelassenheit im Unternehmeralltag?

Fordern Sie von Ihren Mitarbeitern freundlich und bestimmt ein, was Sie erwarten. Ich nenne das: einen Pluspunkt setzen. Das Plus steht dabei für einen ehrlichen (!), positiven und aufwertenden Gesprächsauftakt wie beispielsweise: „Herr Müller, wir arbeiten seit fünf Jahren zusammen und Sie wissen, dass ich von Ihren Finanzkenntnissen wirklich begeistert bin.“ Punkt steht dafür, auf den Punkt zu bringen, was Sie benötigen, zum Beispiel: „An einer Stelle habe ich allerdings eine große Bitte an Sie: Überziehen Sie die vereinbarten Fristen nicht mehr, damit wir die Unterlagen fristgerecht einreichen können.“ Viele Menschen tun das nicht – oder viel zu spät.

Was haben denn klare Ansagen mit Gelassenheit zu tun?

Auch gestandene Unternehmer haben Angst zu sagen, was sie brauchen, das erlebe ich immer wieder. Dahinter stecken Glaubenssätze aus unserer Kindheit: „Sei artig.“ „Sei freundlich.“ „Fall anderen nicht zur Last.“ Eine solche Haltung macht uns vielleicht erfolgreich, weil wir uns um andere kümmern. Bei uns selbst kann sie aber schnell zu Stress führen. Denn wenn man nicht sagt, was man braucht, wird man es sehr wahrscheinlich auch nicht bekommen.

Nur weil ich anderen sage, was ich will und brauche, heißt das noch lange nicht, dass ich es auch bekomme.

Kann sein, dass Sie ein „Nein“ zu hören bekommen. Das wissen Sie aber erst dann, wenn Sie es probiert haben – und diesen Schritt gehen die meisten nicht. Ich sage gern: Glauben Sie nicht alles, was Sie denken. Vor allem nicht unter Stress – denn Stress macht dumm.

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Aber wer Zeit hat, 80 Stunden in der Woche zu arbeiten, sollte sich auch Zeit dafür nehmen, mal eine Stunde im Wald zu verbringen. Unternehmer müssen erkennen: „Ich habe die Freiheit, eine Pause zu machen.“ Sie müssen sich Pausen selbst erlauben. Warum fällt das vielen so schwer? Weil sie es nie gelernt haben. Wir lernen schon als Kinder: Pausen sind Zeitverschwendung. Deshalb denken wir jetzt: „Ich kann in meiner Pause fünf E-Mails beantworten und vielleicht noch einen Auftrag bekommen.“ Ein neuer Auftrag ist ja auch erst einmal nichts Schlechtes – der lässt mich nachts vielleicht besser schlafen ... Wenn aber der Chef im Kleinbetrieb irgendwann nicht mehr kann, hat die ganze Firma ein Riesenproblem. Deshalb ist es für Unternehmer besonders wichtig, nicht nur für ihre Firma zu sorgen und ihre Mitarbeiter, sondern auch für sich selbst. Dafür reicht es nicht aus, mal einen Achtsamkeitskurs zu besuchen - Gelassenheit muss ein Teil meines Alltags werden. Und wie stelle ich das an? Sie können mit folgender Übung anfangen – ich nenne sie „Meine Minute“: Setzen Sie sich dreimal täglich hin, schließen Sie die Augen, stellen Sie den Timer auf 60 Sekunden. Und nun: nichts tun außer Atmen und den Strom der Gedanken beobachten. Dabei bewerten Sie Ihre Gedanken nicht, Sie lassen sie einfach kommen und gehen. Das ist alles? Die Übung ist bewusst niedrigschwellig, damit Ausreden keine Chance haben. Angenommen: Sie arbeiten zehn Stunden am Tag. In diesen 600 Minuten sind Sie für Kunden da, für Lieferanten, für Mitarbeiter, fürs Finanzamt. Sie können in einer Minute von diesen 600 Minuten für sich selbst sorgen und damit Stress vorbeugen. Da können Sie sich nicht rausquatschen mit „Keine Zeit“, „zu schwierig“, „zu esoterisch“. Was bringt mir diese Minute? Sie schaffen sich eine Insel der Ruhe, der Erholung, der Entspannung. Die äußere Welt ändert sich dadurch nicht – aber Sie erleben sie ganz anders. Wie oft sollte ich mir „Meine Minute“ nehmen? Am besten einmal morgens vor der Arbeit, einmal mittags und einmal abends zwischen Arbeit und Schlafengehen. Und wenn's wirklich mal drunter und drüber geht? Sagen wir mal, Ihr Top-Kunde hat seine Ware nicht bekommen: Dann kümmern Sie sich natürlich erst einmal um das Problem und setzen sich nicht eine Minute hin und atmen. Haben Sie für solche Stresssituationen auch einen Rat? Wenn Sie in eine Situation geraten, die Sie aus der Fassung bringt, tun Sie erst einmal: nichts. Sie kriegen eine Mail, lesen die, denken sich „Unverschämtheit“ - und lehnen sich für einen Augenblick zurück. Und dann lächeln Sie. Nicht unnatürlich und übertrieben wie ein Honigkuchenpferd: Es geht einfach darum, dass sich die Mimik ein bisschen entspannt. Das allein bringt schon mehr Gelassenheit. Ich nenne diesen Trick: LMAA – lächle mehr als andere. Bei Ihnen klingt das so einfach. Anfangs fällt das schwer, aber nach einem Vierteljahr hat das jeder drauf. Schließlich gibt es täglich Gelegenheiten zu trainieren. Sie können alle Leute, die Sie nerven, als Sparringspartner betrachten: den Kunden, der eine dreiste E-Mail schreibt, den Falschparker, der Ihren Wagen zuparkt, oder den Mitarbeiter, der unvorbereitet zum Meeting kommt. Und was mache ich nach dem LMAA? Als Nächstes stellen Sie sich selbst eine Fokusfrage – zum Beispiel: Bin ich jetzt in Lebensgefahr? Das beruhigt total, wenn Sie einen Schub von Stress, Ärger, Sorge haben, und hilft Ihnen, sich zu sortieren. Anschließend beschäftigen Sie sich mit der Frage: Was ist das Beste, was ich jetzt tun kann? Manche Probleme sind aber so groß, dass sie sich nicht wegatmen oder weglächeln lassen. Gelassenheit ist für mich auch nicht die Lösung aller Probleme. Sie ist vielmehr die Brücke zwischen einem Problem und der Lösung für das Problem. Wenn ich am Mittwoch ein Problem habe und abends in den Yogakurs gehe, ist mein Problem am Donnerstag immer noch da. Aber ich kann es anders angehen und lösen – gelassen und nicht gestresst. Und es bestenfalls als Möglichkeit sehen, Erfolg zu haben. Haben Sie zum Abschluss noch einen letzten Praxistipp für mehr Gelassenheit im Unternehmeralltag? Fordern Sie von Ihren Mitarbeitern freundlich und bestimmt ein, was Sie erwarten. Ich nenne das: einen Pluspunkt setzen. Das Plus steht dabei für einen ehrlichen (!), positiven und aufwertenden Gesprächsauftakt wie beispielsweise: „Herr Müller, wir arbeiten seit fünf Jahren zusammen und Sie wissen, dass ich von Ihren Finanzkenntnissen wirklich begeistert bin." Punkt steht dafür, auf den Punkt zu bringen, was Sie benötigen, zum Beispiel: „An einer Stelle habe ich allerdings eine große Bitte an Sie: Überziehen Sie die vereinbarten Fristen nicht mehr, damit wir die Unterlagen fristgerecht einreichen können.“ Viele Menschen tun das nicht – oder viel zu spät. Was haben denn klare Ansagen mit Gelassenheit zu tun? Auch gestandene Unternehmer haben Angst zu sagen, was sie brauchen, das erlebe ich immer wieder. Dahinter stecken Glaubenssätze aus unserer Kindheit: „Sei artig.“ „Sei freundlich.“ „Fall anderen nicht zur Last.“ Eine solche Haltung macht uns vielleicht erfolgreich, weil wir uns um andere kümmern. Bei uns selbst kann sie aber schnell zu Stress führen. Denn wenn man nicht sagt, was man braucht, wird man es sehr wahrscheinlich auch nicht bekommen. Nur weil ich anderen sage, was ich will und brauche, heißt das noch lange nicht, dass ich es auch bekomme. Kann sein, dass Sie ein "Nein" zu hören bekommen. Das wissen Sie aber erst dann, wenn Sie es probiert haben – und diesen Schritt gehen die meisten nicht. Ich sage gern: Glauben Sie nicht alles, was Sie denken. Vor allem nicht unter Stress – denn Stress macht dumm.
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