Mass Customization
So funktioniert kundenindividuelle Massenproduktion

Sie wollen mit Mass Customization Geld verdienen? Wer mit individualisierten Massenprodukten Erfolg haben will, braucht drei grundlegende Fähigkeiten.

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Wer mit Mass Customization Erfolg haben will, muss sich schlau machen, welche individuellen Wünsche die Kunden haben. Einen Wunschzettel müssen sie deshalb aber nicht gleich schreiben ...
Wer mit Mass Customization Erfolg haben will, muss sich schlau machen, welche individuellen Wünsche die Kunden haben. Einen Wunschzettel müssen sie deshalb aber nicht gleich schreiben ...
© thingamajiggs / Fotolia.com

Mass Customization, also kundenindividuelle Massenproduktion – das ist ein Widerspruch in sich, das stellt Regeln auf den Kopf, die über Jahrzehnte den Markt bestimmt haben. Entweder man betreibt Massenproduktion, mit Skaleneffekten, hoher Automatisierung und kleinen Preisen für den Kunden. Oder man fertigt individuelle Produkte mit sehr individuellen, also sehr hohen Kosten. Wie aber soll beides gleichzeitig funktionieren?

Es geht. Die Computerfirma Dell verkauft sehr erfolgreich Rechner, die sich die Kunden selbst zusammengestellt haben. Jeder Käufer bekommt nur den Rechner, den er will und braucht, Dell verkauft davon Tausende am Tag. Aber ist das nicht ein Einzelfall? Ist Mass Customization nicht eher ein spezielles Geschäftsmodell, zugeschnitten auf wenige Akteure und für die breite Masse nicht praktikabel?

Frank Piller sagt Nein. Der BWL-Professor der RWTH Aachen hat Publikationen und Fallstudien der vergangenen zehn Jahre ausgewertet, vor allem aber greift er zurück auf die Befragung von 238 Unternehmen verschiedener Branchen aus den USA, Deutschland, Italien, Schweden, Finnland, Spanien, Österreich und Japan.

Piller kommt zu dem Schluss: Mass Customization kann sich für viele Unternehmen lohnen, unabhängig von Produkten und Sparten. Bei Firmen, die auf dem Gebiet bereits erfolgreich sind, hat der Autor drei grundlegende Stärken entdeckt:

  • die Fähigkeit, Wünsche und Bedürfnisse der Kunden zu erkennen
  • die Fähigkeit, Produktionsketten flexibel und möglichst störungsfrei anzupassen
  • die Fähigkeit, dem Kunden seine Kaufentscheidung möglichst einfach zu machen

Mass Customization und Kundenwünsche

Wer Kunden individuelle Wünsche erfüllen will, braucht deren Wunschzettel. Bislang galt in der Massenproduktion die Maßgabe: Finde den größten gemeinsamen Nenner, und los geht’s. Ist einen Sommer lang Lila in Mode, trifft man mit dieser Farbe den Geschmack der breiten Masse und kann in hohen Stückzahlen produzieren und verkaufen. Mass Customization funktioniert genau andersherum: Hier gilt es, die größten Unterschiede der Kundengeschmäcker zu finden und daraus Kapital zu schlagen. Denn vielleicht möchten zwar viele Kunden ein lilafarbenes T-Shirt. Doch die einen wollen einen weißen Kragen, die anderen gelbe Nähte, die nächsten einen seidenen Saum. Das gilt nicht nur für die Größen und Farben von T-Shirts, sondern auch für komplexe Designs und technische Fertigkeiten von Maschinen.

Marktforschung ist zwar ein bewährtes Mittel, Kunden näherzukommen, doch wer mit Mass Customization erfolgreich sein will, sollte mehr Tricks auf Lager haben. So wie Fiat. Schon vor der Markteinführung des Kleinwagens Fiat 500 aktivierte der Autobauer die Website fiat500.com. Dort hatte jeder Nutzer in einem virtuellen Labor die Möglichkeit, Optik und Ausstattung des Wagens zu beeinflussen, lange bevor der erste Wagen gebaut wurde. Insgesamt 160.000 Rückmeldungen erhielt Fiat. Und nicht nur das: Fiat ließ die Nutzer ihre Vorschläge auch gegenseitig bewerten.

Es entstand ein Innovationspool, der firmenintern nicht zu organisieren gewesen wäre. Fiat erfuhr so viel über seine Kunden wie selten zuvor, die Einführung des Fiat 500 wurde ein voller Erfolg. Überhaupt lässt sich von Co-Designern viel lernen: Wer sich seinen Schuh selbst gestaltet, verrät damit dem Unternehmen zugleich seine Vorlieben. Das gilt nicht nur für den Käufer eines Schuhs, sondern auch für Kunden, die ihren Kauf abgebrochen haben. An welcher Stelle wurde der Kaufprozess nicht fortgesetzt? Etwa weil es bei den Farben für die Laschen zu wenig Auswahl gab? Die technischen Voraussetzungen jedenfalls, um Kundenwünsche genau zu erkennen, werden immer besser.

Literatur zum Thema Mass Customization
Frank T. Piller: Mass Customization: A Strategy for Customer-Centric Enterprises - A Review of the Strategic Capabilities to Make Mass Customization Work (December 6, 2010). Working Paper Series, Social Science Research Network.

Mass Customization und Produktionsprozesse

So gut ein Unternehmer seine Kunden auch kennen mag, das nützt alles nichts, wenn der Produktionsprozess nicht flexibel genug ist. Das Problem liegt auf der Hand: Wie soll man bei der Herstellung von 200.000 lila T-Shirts plötzlich kostengünstig 20 Shirts einschieben, die gelbe Nähte haben? Doch Pillers Befragungen haben ergeben: Es geht. Maschinen und Roboter können sich heute deutlich flexibler auf Vorgaben einstellen als noch vor einigen Jahren. Positives Beispiel ist die Produktion der Mini-Modelle von BMW. Käufer eines Minis können sich diesen individuell zusammenstellen, sogar das Dach kann selbst gestaltet werden. Das funktioniert deshalb so gut, weil BMW es geschafft hat, die Produktion der Minis so zu optimieren, dass sich die Maschinen in kürzester Zeit auf neue Vorgaben einstellen können.

Eine Erfolgsgeschichte liefert auch das Unternehmen American Power Conversion (APC), ein Hersteller von Stromversorgungs- und Kühllösungen. Vor Jahren noch haben Kunden dort ihre gewünschten Produkte bestellt, diese wurden individuell gefertigt und irgendwann geliefert. Der gesamte Produktionsprozess war eher unflexibel. Inzwischen ist APC dazu übergegangen, die Basismaschinen in Asien bauen zu lassen, spezielle Kundenwünsche werden in kleineren Fabriken auf der ganzen Welt ergänzt. Die Lieferzeit hat sich von 400 Tagen auf wenige Wochen verkürzt, die Kosten wurden immens reduziert. Die Beispiele zeigen: Auch im Massengeschäft kann man sich auf individuelle Kundenwünsche einstellen.

Mass Customization und Kaufentscheidungen

Selbst wenn man weiß, was der Kunde will, und dies auch in Massen produzieren kann, darf man ihm dennoch die Entscheidung nicht zu schwer machen.

Wenn auf einer Internetseite 10.000 unterschiedliche, lilafarbene T-Shirts angeboten werden, wird der Kunde das nicht als Service, sondern als Zumutung empfinden. Man darf den Kunden mit seiner Freiheit also nicht überfordern, muss es ihm so leicht wie möglich machen. Ein erfolgreiches Modell hat der Uhrenanbieter 121time.com entwickelt. Hier bekommen Kunden ein Basismodell präsentiert, mit dem sie auf der Internetseite herumspielen können: welche Farbe, welches Armband, welches Ziffernblatt?

In eigener Sache
Machen ist wie wollen, nur krasser
Machen ist wie wollen, nur krasser
Die impulse-Mitgliedschaft - Rückenwind für Unternehmerinnen und Unternehmer

Selbst wenn der Kunde anfangs nicht sicher war, was für eine Uhr er haben wollte, findet er so spielerisch zu seinem Wunschergebnis. Und kauft.

Einen anderen Weg geht der Sportartikelhersteller Adidas. Das Unternehmen hat einen Laufschuh entwickelt, der mit einem Sensor ausgestattet ist.

Je nach Straßenbelag verändert sich die Dämpfung des Schuhs. Der Kunde muss sich also nicht mehr entscheiden, welches Produkt für ihn das beste ist. Das Produkt entscheidet selbst, wann es für den Kunden optimal ist.

Welche Probleme Unternehmen mit Mass Customization haben

Piller kommt zu dem Schluss: Je besser Unternehmen in den drei Kategorien aufgestellt sind, desto erfolgreicher sind sie im Bereich Mass Customization. Aber auch Piller muss einräumen: Selbst die Großen haben ihre Probleme, zum Beispiel beim dritten Punkt.

So muss Dell seine Kunden per Telefonberatung bei der Auswahl unterstützen, mit enormem finanziellem und personellem Aufwand. Firmen wie Levi’s und Procter & Gamble mussten ihre Mass-Customization- Projekte sogar ganz aufgeben.

Zudem sind die internen Widerstände in einem Unternehmen oft riesig. Mass Customization erfordert massive Umstellungen. Gängiges Marketing funktioniert nicht mehr, Kosten sind nicht mehr so leicht zu kalkulieren, auch Beziehungen zu Lieferanten müssen neu sortiert werden.

Laut Piller gibt es deshalb nicht den einen Weg. Mass Customization ist demnach vor allem ein unternehmerisches Bemühen, dem Kunden näherzukommen. Wer dabei andere Projekte nur kopiere, werde scheitern, jedes Unternehmen müsse eigene Konzepte für Mass Customization entwickeln. Begreife ein Unternehmer Mass Customization nicht als reines Ziel, sondern als Prozess, sich den Wünschen der Kunden zu nähern, könne dies einen massiven Wettbewerbsvorteil bedeuten.

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Mass Customization, also kundenindividuelle Massenproduktion - das ist ein Widerspruch in sich, das stellt Regeln auf den Kopf, die über Jahrzehnte den Markt bestimmt haben. Entweder man betreibt Massenproduktion, mit Skaleneffekten, hoher Automatisierung und kleinen Preisen für den Kunden. Oder man fertigt individuelle Produkte mit sehr individuellen, also sehr hohen Kosten. Wie aber soll beides gleichzeitig funktionieren? Es geht. Die Computerfirma Dell verkauft sehr erfolgreich Rechner, die sich die Kunden selbst zusammengestellt haben. Jeder Käufer bekommt nur den Rechner, den er will und braucht, Dell verkauft davon Tausende am Tag. Aber ist das nicht ein Einzelfall? Ist Mass Customization nicht eher ein spezielles Geschäftsmodell, zugeschnitten auf wenige Akteure und für die breite Masse nicht praktikabel? Frank Piller sagt Nein. Der BWL-Professor der RWTH Aachen hat Publikationen und Fallstudien der vergangenen zehn Jahre ausgewertet, vor allem aber greift er zurück auf die Befragung von 238 Unternehmen verschiedener Branchen aus den USA, Deutschland, Italien, Schweden, Finnland, Spanien, Österreich und Japan. Piller kommt zu dem Schluss: Mass Customization kann sich für viele Unternehmen lohnen, unabhängig von Produkten und Sparten. Bei Firmen, die auf dem Gebiet bereits erfolgreich sind, hat der Autor drei grundlegende Stärken entdeckt: die Fähigkeit, Wünsche und Bedürfnisse der Kunden zu erkennen die Fähigkeit, Produktionsketten flexibel und möglichst störungsfrei anzupassen die Fähigkeit, dem Kunden seine Kaufentscheidung möglichst einfach zu machen Mass Customization und Kundenwünsche Wer Kunden individuelle Wünsche erfüllen will, braucht deren Wunschzettel. Bislang galt in der Massenproduktion die Maßgabe: Finde den größten gemeinsamen Nenner, und los geht's. Ist einen Sommer lang Lila in Mode, trifft man mit dieser Farbe den Geschmack der breiten Masse und kann in hohen Stückzahlen produzieren und verkaufen. Mass Customization funktioniert genau andersherum: Hier gilt es, die größten Unterschiede der Kundengeschmäcker zu finden und daraus Kapital zu schlagen. Denn vielleicht möchten zwar viele Kunden ein lilafarbenes T-Shirt. Doch die einen wollen einen weißen Kragen, die anderen gelbe Nähte, die nächsten einen seidenen Saum. Das gilt nicht nur für die Größen und Farben von T-Shirts, sondern auch für komplexe Designs und technische Fertigkeiten von Maschinen. Marktforschung ist zwar ein bewährtes Mittel, Kunden näherzukommen, doch wer mit Mass Customization erfolgreich sein will, sollte mehr Tricks auf Lager haben. So wie Fiat. Schon vor der Markteinführung des Kleinwagens Fiat 500 aktivierte der Autobauer die Website fiat500.com. Dort hatte jeder Nutzer in einem virtuellen Labor die Möglichkeit, Optik und Ausstattung des Wagens zu beeinflussen, lange bevor der erste Wagen gebaut wurde. Insgesamt 160.000 Rückmeldungen erhielt Fiat. Und nicht nur das: Fiat ließ die Nutzer ihre Vorschläge auch gegenseitig bewerten. Es entstand ein Innovationspool, der firmenintern nicht zu organisieren gewesen wäre. Fiat erfuhr so viel über seine Kunden wie selten zuvor, die Einführung des Fiat 500 wurde ein voller Erfolg. Überhaupt lässt sich von Co-Designern viel lernen: Wer sich seinen Schuh selbst gestaltet, verrät damit dem Unternehmen zugleich seine Vorlieben. Das gilt nicht nur für den Käufer eines Schuhs, sondern auch für Kunden, die ihren Kauf abgebrochen haben. An welcher Stelle wurde der Kaufprozess nicht fortgesetzt? Etwa weil es bei den Farben für die Laschen zu wenig Auswahl gab? Die technischen Voraussetzungen jedenfalls, um Kundenwünsche genau zu erkennen, werden immer besser. Mass Customization und Produktionsprozesse So gut ein Unternehmer seine Kunden auch kennen mag, das nützt alles nichts, wenn der Produktionsprozess nicht flexibel genug ist. Das Problem liegt auf der Hand: Wie soll man bei der Herstellung von 200.000 lila T-Shirts plötzlich kostengünstig 20 Shirts einschieben, die gelbe Nähte haben? Doch Pillers Befragungen haben ergeben: Es geht. Maschinen und Roboter können sich heute deutlich flexibler auf Vorgaben einstellen als noch vor einigen Jahren. Positives Beispiel ist die Produktion der Mini-Modelle von BMW. Käufer eines Minis können sich diesen individuell zusammenstellen, sogar das Dach kann selbst gestaltet werden. Das funktioniert deshalb so gut, weil BMW es geschafft hat, die Produktion der Minis so zu optimieren, dass sich die Maschinen in kürzester Zeit auf neue Vorgaben einstellen können. Eine Erfolgsgeschichte liefert auch das Unternehmen American Power Conversion (APC), ein Hersteller von Stromversorgungs- und Kühllösungen. Vor Jahren noch haben Kunden dort ihre gewünschten Produkte bestellt, diese wurden individuell gefertigt und irgendwann geliefert. Der gesamte Produktionsprozess war eher unflexibel. Inzwischen ist APC dazu übergegangen, die Basismaschinen in Asien bauen zu lassen, spezielle Kundenwünsche werden in kleineren Fabriken auf der ganzen Welt ergänzt. Die Lieferzeit hat sich von 400 Tagen auf wenige Wochen verkürzt, die Kosten wurden immens reduziert. Die Beispiele zeigen: Auch im Massengeschäft kann man sich auf individuelle Kundenwünsche einstellen. Mass Customization und Kaufentscheidungen Selbst wenn man weiß, was der Kunde will, und dies auch in Massen produzieren kann, darf man ihm dennoch die Entscheidung nicht zu schwer machen. Wenn auf einer Internetseite 10.000 unterschiedliche, lilafarbene T-Shirts angeboten werden, wird der Kunde das nicht als Service, sondern als Zumutung empfinden. Man darf den Kunden mit seiner Freiheit also nicht überfordern, muss es ihm so leicht wie möglich machen. Ein erfolgreiches Modell hat der Uhrenanbieter 121time.com entwickelt. Hier bekommen Kunden ein Basismodell präsentiert, mit dem sie auf der Internetseite herumspielen können: welche Farbe, welches Armband, welches Ziffernblatt? Selbst wenn der Kunde anfangs nicht sicher war, was für eine Uhr er haben wollte, findet er so spielerisch zu seinem Wunschergebnis. Und kauft. Einen anderen Weg geht der Sportartikelhersteller Adidas. Das Unternehmen hat einen Laufschuh entwickelt, der mit einem Sensor ausgestattet ist. Je nach Straßenbelag verändert sich die Dämpfung des Schuhs. Der Kunde muss sich also nicht mehr entscheiden, welches Produkt für ihn das beste ist. Das Produkt entscheidet selbst, wann es für den Kunden optimal ist. Welche Probleme Unternehmen mit Mass Customization haben Piller kommt zu dem Schluss: Je besser Unternehmen in den drei Kategorien aufgestellt sind, desto erfolgreicher sind sie im Bereich Mass Customization. Aber auch Piller muss einräumen: Selbst die Großen haben ihre Probleme, zum Beispiel beim dritten Punkt. So muss Dell seine Kunden per Telefonberatung bei der Auswahl unterstützen, mit enormem finanziellem und personellem Aufwand. Firmen wie Levi's und Procter & Gamble mussten ihre Mass-Customization- Projekte sogar ganz aufgeben. Zudem sind die internen Widerstände in einem Unternehmen oft riesig. Mass Customization erfordert massive Umstellungen. Gängiges Marketing funktioniert nicht mehr, Kosten sind nicht mehr so leicht zu kalkulieren, auch Beziehungen zu Lieferanten müssen neu sortiert werden. Laut Piller gibt es deshalb nicht den einen Weg. Mass Customization ist demnach vor allem ein unternehmerisches Bemühen, dem Kunden näherzukommen. Wer dabei andere Projekte nur kopiere, werde scheitern, jedes Unternehmen müsse eigene Konzepte für Mass Customization entwickeln. Begreife ein Unternehmer Mass Customization nicht als reines Ziel, sondern als Prozess, sich den Wünschen der Kunden zu nähern, könne dies einen massiven Wettbewerbsvorteil bedeuten.
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