Homeoffice streichen
Statt Homeoffice-Verbot: Das empfiehlt ein Experte

Viele Unternehmen beordern Angestellte zurück ins Büro, teilweise komplett. Warum dann Aufstand garantiert ist und welches Vorgehen besser wäre, erklärt Wirtschaftspsychologe Ingo Hamm im Interview.

18. November 2025, 14:25 Uhr, von Kathrin Halfwassen, Redakteurin

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Grafik einer Person an einem Laptop vor einem Fenster
Home, sweet home: Wer Mitarbeitenden Homeoffice-Optionen streicht, schwächt Motivation und provoziert Reaktanz.
© Amr Bo Shanab/Getty Images

impulse: Herr Hamm, in vielen Betrieben wird gerade diskutiert, wie viel Homeoffice es denn noch sein darf – und zwar oft sehr hitzig. Warum bringt das Thema die Gemüter so auf?
Ingo Hamm: Zum einen machen Chefs und Chefinnen ebenso wie die Angestellten häufig eine Entweder-oder-Diskussion daraus – und verkürzen so die Achse der Möglichkeiten unnötig. Jede Seite bildet sich ein, die andere wollte ihr schaden: Führungskräfte unterstellen Teammitgliedern, im Homeoffice weniger zu leisten; Angestellte denken, Führungskräfte wollten sie über die Rückkehr ins Büro nur mehr kontrollieren.

Zum anderen aber provoziert die Homeoffice-Thematik Reaktanz: ein psychologisches Phänomen, das die meisten Führungskräfte unterschätzen – und das jede Diskussion zuverlässig auflädt.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff?
Reaktanz bedeutet so viel wie Trotz oder Widerwille. Es beschreibt, wie wir reagieren, sobald jemand uns etwas wegnehmen will, das wir uns einmal ausgesucht haben.

Ein Beispiel: Die ­Inhaberin einer Werbeagentur hat während der Coronakrise Homeoffice zunächst angeordnet und den Mitarbeitenden später die Wahl gelassen, wo sie arbeiten wollen. Fünf Teammitglieder haben eine starke Präferenz für das Homeoffice entwickelt. Erklärt die Chefin nun: „Ab nächstem Monat treffen wir uns an vier Tagen der Woche alle wieder im Büro“, nimmt sie diesen Mitarbeitenden die angenehmen Rahmenbedingungen des Homeoffice, die Wahlfreiheit und die Präferenz.

Hier hitzig in den Widerspruch zu gehen, ist eine natürliche, evolutorisch abgesegnete und gesunde Reaktion auf das Beschneiden der Freiheit. Nur schwer depressive und tote Menschen würden keine Reaktanz zeigen.

Der Experte:
Ingo HammIngo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie und Autor des Buches „Kettensprenger“ (Vahlen Verlag, 2025). Darin erklärt er eindrücklich und unterhaltsam auf Basis der aktuellen Forschung, wieso die Home­office-Diskussion ­keine Ortsdebatte ist, sondern ein Ringen um gute Zusammenarbeit, Selbstwirksamkeit, Freiheit und Sinn in der Arbeit.

Heißt das: Einmal gewährtes, umfassendes Homeoffice muss ich ewig anbieten?
Nein, das wäre auch sehr unklug. Denn die Forschung zeigt: Hybridlösungen sind für Unternehmen und Mitarbeitende das Beste. Selbst für die ganz wenigen Angestellten, die erklären, ausschließlich daheim arbeiten zu wollen.

Besonders spannend finde ich eine Studie von Forschenden der London School of Economics, die sich mit den Arbeitsbedingungen der Polizei Manchester beschäftigt haben. Sie konnten zeigen: Bei einem Verhältnis von 70:30 von Homeoffice und Präsenzarbeit waren die Polizisten und Polizistinnen am produktivsten und zufriedensten.

Die Studie belegt, dass Angst vor Leistungsverlusten im Homeoffice unbegründet ist: Bei den administrativen Aufgaben, wie Anzeigen aufnehmen, Telefondienst und dem Schreiben von Berichten, lag die Produktivität beim Arbeiten von zu Hause aus um 12 Prozent höher. Verteilten dann noch die Führungskräfte die Aufgaben im Team, betrug der Produktivitätsgewinn 25 Prozent.

Welche Erklärung gibt es dafür?
Unser Gehirn ist nicht für die Reizüberflutung in einem Großraumbüro geschaffen. Es braucht Fokus, die Möglichkeit, tief in eine Aufgabe einzutauchen. Gibt es zusätzlich erfahrene Führungskräfte, die Teammitglieder in ihren Stärken und individuellen Besonderheiten einschätzen und passende Aufgaben zuweisen können, profitieren beide Seiten von Homeoffice enorm.

70:30 passt doch aber nicht für jede Firma …
Natürlich nicht! Stehen freie, kreative Teamarbeiten oder komplexe Problemlösungen im Zen­trum, kann die optimale Balance ganz anders aussehen. Da muss jedes Unternehmen seine eigene Symphonie des hybriden Arbeitens komponieren.

Die Grundprinzipien, die für Hybridmodelle ­sprechen, sind aber immer gleich. Alle Menschen sehnen sich nach Autonomie, danach, so zu ­arbeiten, wie sie wollen: Homeoffice ermöglicht diese Freiheit. Zugleich wollen sie sich als kompetent erleben – die fokussierte Arbeit im heimischen Büro erlaubt dies. Zusätzlich haben Menschen ein Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit, wollen eingebunden sein: Dafür braucht es das Büro als sozialen Sammelpunkt.

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Viele Chefs und Chefinnen, die Angestellte jetzt zurück ins Büro beordern, haben all das intuitiv erkannt. Doch die allermeisten tappen in eine Falle: Sie erklären nur die Vorteile und Notwendigkeiten der Return-to-Office-Regelungen.

Warum sollte es falsch sein, das zu erklären?
Es ist nicht falsch, es reicht nur nicht. Denn damit ignorieren sie das bereits erwähnte Phänomen der Reaktanz. Noch einmal: Die Vorteile können noch so groß sein – wer Homeoffice-Optionen zurücknimmt, beschneidet die Freiheit der Menschen.

Beim Thema Gehalt etwa weiß das jede Führungskraft. Niemand würde doch sagen: „Leute, wir haben eine existenzbedrohende ­Absatzkrise, es ist eine absolute Notwendigkeit, euch ab morgen 200 Euro weniger im Monat zu zahlen.“ Weil klar ist: Alle würden auf die Barrikaden gehen. Homeoffice dagegen betrachten viele immer noch als Dreingabe, als Luxus und Benefit – und damit als etwas, das sich streichen lässt.

Wie mache ich es besser?
Wirklich anerkennen, wie sehr Homeoffice hilft, ein gutes Leben zu führen. Es befreit von den Restriktionen des Firmenarbeitsplatzes und ermöglicht Besinnung auf die eigentliche Arbeit. Im Homeoffice können Menschen hoch konzentriert arbeiten, ohne dass ein Chef mit seinen kreativen Ergüssen nervt, alle fünf Minuten Kollegin Müller laut telefoniert oder Herr Maier zum Quatschen kommt.

Dazu befreit uns das Homeoffice von lästigen Rahmenbedingungen der Arbeit – vom Stau auf dem Arbeitsweg, vom Druck, abends zur Post zu hetzen, um ein Paket abzuholen, von der Notwendigkeit, länger als eh nötig auf einen Facharzttermin zu warten, weil man nur den am späten Nachmittag annehmen kann. Diese Annehmlichkeiten kennen die meisten Führungskräfte selbst ja auch.

Und wenn ich mir das klargemacht habe?
Dann gilt es, offen anzusprechen, dass diese Vorteile durch Return-to-Office-Vorgaben zumindest teilweise eingeschränkt werden. Eine Führungskraft könnte etwa sagen: „Ich weiß, im Home­office kann die Freiheit grenzenlos sein. Geht mir auch so.“ Das allein genügt schon, um Reaktanz zu reduzieren.

Anschließend sollten Chefs und Chefinnen mit allen Teammitgliedern einzeln ins Gespräch kommen. Und fragen: Was ist dir am Homeoffice das Wichtigste? Was das Zweitwichtigste? Wenn dir am Homeoffice XY und Z so wichtig ist – wie könnten wir diese Elemente stärker in deine Arbeit im Firmenbüro integrieren?“

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Klingt sehr aufwendig …
Sicher. Aber nur so lässt sich ein Arbeitsmodell finden, das Motive und Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigt, am Ende für alle so gut passt, wie es eben geht – und mitgetragen wird.

Was ist noch wichtig in der Kommunikation?
Führungskräfte sollten genau erklären, für welche Arbeiten sie die Leute im Büro haben wollen – und warum. Etwa so: „Ich möchte, dass wir dienstags und mittwochs immer zusammenkommen. Als Werbeagentur sind wir kreativ tätig. Ich brauche euch als Team, um Ideen zu entwickeln, an der Strategie zu arbeiten, neue Produkte zu entwickeln. Und zu überlegen, welche Kunden wir noch gewinnen könnten – und wie.“

Es gilt, die Story zu Ende zu erzählen und zu verdeutlichen, was bei rein digitaler Zusammenarbeit nach­gewiesenermaßen verloren geht: Kreativität, Vertrauen, Resilienz, Zusammengehörigkeit – Dinge, die wir brauchen, um gut arbeiten zu können.

Aber selbst, wenn ich all das mache – es gibt immer Leute, die im Homeoffice faulenzen …
Meiner Erfahrung nach nehmen sich etwa 5 Prozent der Homeoffice-Fans Freiheiten, die mit keiner Arbeitsmoral vereinbar sind – sehr viel weniger, als die meisten Chefs und Chefinnen denken. Viele wissen, wer in diese Gruppe gehört. Denn Faulenzer fallen gerade in der digitalen Zusammenarbeit schnell auf: Sie sind schwer erreichbar, können kaum Arbeitsergebnisse vorweisen.

Oft aber scheuen Führungskräfte das Gespräch mit ihnen. Damit belohnen sie Faulenzer und frustrieren Leistungsträger im Team. Daher rate ich dazu, ein „Ich sehe dich“-Gespräch zu führen, strenge Regelungen aufzusetzen, etwa zur Erreichbarkeit in der Kernarbeitszeit – und diese mit eigenen Anrufen zu kontrollieren.

Und wenn das nicht reicht
Steht die arbeitsrechtliche Betrachtung an, mit Abmahnung und Kündigung. Klingt trivial, wird aber ebenfalls selten praktiziert. Eine weitere Option ist die „wohlwollende Karriereförderung“ anstelle der Kündigung. Warum nicht ehrlich ­sagen: „Ich fühle mich unwohl mit deiner Leistung, du fühlst dich unwohl mit deinem Job. Fürs ­Unternehmen ist das ein dauerhafter Nachteil, für dich auch. Wie kann ich dir helfen, einen ­besseren Job zu bekommen?“

So etwas erfordert zwar Größe, ist aber glasklar in der Kommunikation und verhindert, dass Verweigerer weiter das Team sabotieren. Außerdem entbindet es Chefs und Chefinnen davon, Verfehlungen der Verweigerer stichhaltig dokumentieren zu müssen – für den Fall einer Kündigungsschutzklage.

Was ist Ihr letzter Tipp?
Bei alldem beachten: Alle Menschen wollen arbeiten, etwas leisten. Sich dies immer wieder vor Augen zu führen, hilft, das Ringen um Hybrid­lösungen als die Chance zu betrachten, die es ist.

Denn viel häufiger als Faulenzer haben Chefs und Chefinnen etwa Jongleure im Team: Leute, die privat und im Job zehn Bälle gleichzeitig in der Luft halten müssen – ohne dass die Führungskraft das mitbekommt. In individuellen Gesprächen zu Homeoffice-Regelungen erfährt man, was bei den Menschen los ist. Und erkennt: ­Remote arbeiten zu können, ist kein Luxus. Sondern ermöglicht es vielen erst, die oft unglaublich große Vielfalt an Anforderungen zu meistern. Wer ihnen über hybride Lösungen hilft, ein gutes Leben zu führen, wird die glücklichsten – und produktivsten – Mitarbeitenden haben.

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