Stressfrei pendeln
„Pendeln ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“

Kaum Alltag mit den Liebsten, Dauermüdigkeit und häufiger Zeitdruck: Pendeln kann nerven und sogar ernsthaft krankmachen. Wie ungesund Pendeln wirklich ist - und was hilft, um den Arbeitsweg erträglicher zu gestalten.

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Dauernd unterwegs? Dann sollten Sie das Pendeln so stressfrei wie möglich gestalten.
Dauernd unterwegs? Dann sollten Sie das Pendeln so stressfrei wie möglich gestalten.
© alien185 / iStock / Getty Images Plus / Getty Images

Knapp 30 Prozent der Deutschen brauchen für Hin- und Rückweg zur Arbeit über eine Stunde. Den Stress überfüllter Bahnen oder stockenden Verkehrs stecken manche schlechter weg als andere. Wer die Überlastung nicht alleine in den Griff bekommt, den therapiert Steffen Häfner, Chefarzt der MediClin Baar Klinik, einer Fachklinik für Psychosomatik und Verhaltensmedizin. Er ist außerdem selbst jahrelang gependelt und weiß, wo die größten Fallstricke liegen.

impulse: Herr Häfner, der eine Pendler rastet beim kleinsten Stau sofort aus, der andere bleibt gelassen. Wie kommt‘s?

Steffen Häfner: Wenn sich jemand zu sehr fremdbestimmt erlebt, gerät er unter Druck – egal, ob im Auto oder der Bahn. Wie gelassen jemand mit einer solchen Situation umgeht, kommt auf das Temperament an. Manchen Menschen macht das Pendeln zwanzig, dreißig Jahre lang Spaß bis zur Rente. Anderen eben nicht.

Welche Beschwerden treten dann auf?

Die meisten kommen mit Schlafstörungen zu mir. Das ist gut nachvollziehbar, weil Pendler in der Regel früh aufstehen müssen, um rechtzeitig am Arbeitsort zu sein. Oft besteht die Hoffnung, den Schlaf am Wochenende aufzuholen. Das gelingt aber nicht immer. Pendler ermüden im Verlauf eines Tages rascher bei der Arbeit, sind unkonzentrierter oder leichter reizbar.

Pendeln schadet also der Gesundheit?

Pendeln bedeutet Stress – und darauf kann der Körper heftig reagieren. Typisch sind ein erhöhter Blutdruck, ungesundes Essverhalten und damit verbunden: Übergewicht. Gerade Autopendler greifen gerne mal zu Fast Food. Gesund einkaufen und kochen kostet Zeit – und davon haben Pendler zu wenig. Deshalb gehen sie auch viel zu selten zum Arzt und machen Vorsorgeuntersuchungen. Es passiert recht schnell, dass solche Pendler Raubbau mit ihrem Körper und ihrer Psyche betreiben.

Zur Person
Steffen Häfner ist Chefarzt der MediClin Baar Klinik, einer Fachklinik für Psychosomatik und Verhaltensmedizin. Er therapiert Berufspendler.

Wie leidet denn die Psyche?

Angst, die Bahn zu verpassen, Angst, zu spät zur Arbeit zu kommen, bei Angestellten auch noch Angst vorm Chef: Da kommt einiges zusammen. Gerade die unkalkulierbaren Verkehrsverhältnisse in Bus und Bahn oder Glatteis im Winter sind belastend. Es fehlt die Kontrolle über das Vorankommen.

Was sind schlimmstenfalls die Folgen?

Manche meiner Patienten haben durch den Dauerstress Angsterkrankungen. Die Überlastungserscheinungen können bis zum Burnout führen. Leidet zum Beispiel jemand ohnehin unter einer schwierigen Situation an der Arbeit oder in der Familie, dann ist Pendeln der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

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Burnout durch Pendeln, wie häufig kommt das vor?

Ich bin seit 30 Jahren in der psychosomatischen Medizin im stationären Bereich. Und ich sehe zunehmend Menschen, für die das Pendeln eine echte psychische Belastung darstellt. Sie klappen zusammen und landen bei uns in der Reha.

Wie helfen Sie überlasteten Pendlern?

Wir überdenken gemeinsam die Situation: Muss ich überhaupt pendeln? Pendle ich, damit ich näher bei der Familie bin oder um Karrierechancen besser wahrnehmen zu können? Und ganz wichtig bei Langzeitpendlern: Ist das Pendeln immer noch die beste Lösung für meine aktuelle Lebenslage oder möchte ich etwas daran ändern?

Wer entscheidet sich denn besonders oft zu pendeln?

Oft sind Pendler leistungsgetriebene, karriereorientierte Typen. Generell pendeln Männer öfter als Frauen. Das liegt unter anderem an traditionellen Rollenmustern, die immer noch präsent sind: Kinder abholen oder einkaufen lassen sich schwer mit Pendeln vereinbaren.

Wie kann man sich selbst helfen, wenn man merkt: Es ist zu viel?

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Man muss kurzfristig Entlastung schaffen. Dafür ist es sinnvoll, ein oder mehrere Entspannungsverfahren zu lernen. Ich empfehle autogenes Training oder progressive Muskelentspannung. Gerade letztere hilft auch, Rückenverspannungen zu lösen, unter denen Pendler durch das viele Sitzen häufig leiden. Wer mag, kann es auch mit Yoga, Qigong oder Tai Chi versuchen.

Pendler haben ohnehin wenig Zeit. Wie sollen sie auch noch solche Übungen in den Tagesablauf integrieren?

Eine Pause mit autogenem Training und progressiver Muskelentspannung kann man zum Beispiel auf dem Arbeitsweg im Sitzen einlegen. In öffentlichen Verkehrsmitteln ist das einfach möglich. Aber auch wer Auto fährt, kann zum Beispiel auf einen Parkplatz fahren und dort kurz üben.

Wo liegt das größte Problem von Pendlern?

Sie nutzen ihre Freizeit nicht zum Abschalten. Mein Tipp: Versuchen Sie nicht, durch das Pendeln verlorene Zeit krampfhaft nachzuholen, indem Sie Ihre Freizeit mit Aktivitäten überfrachten. Dazu lassen sich Wochenendpendler und Tagespendler gleichermaßen verleiten.

Was sollte man stattdessen in seiner Freizeit tun?

Als Ausgleich empfehlen sich Bewegung und Sport. Dann haben Sie auch gleich etwas für das Gewicht getan und Sport entspannt. Wer Sport mit einer Entspannungsübung kombiniert, ist besser gewappnet für die Strecke, die er immer wieder zurücklegen muss.

Sie selbst sind jahrelang gependelt. Was sind Ihre Tipps?

Nehmen Sie Pausen wahr, anstatt eine Strecke komplett durchzufahren. Autofahrer können auch eine Fahrgemeinschaft gründen und sich beim Fahren abwechseln. Wenn sich Stau anbahnt, umfahren Sie diesen, auch wenn es zehn Minuten länger dauert. Wir alle fühlen uns wohler, wenn wir vorankommen.

Und wenn ich mit der Bahn zur Arbeit fahre?

Nehmen Sie eine Verbindung, bei der Sie nicht umsteigen müssen. Die Sorge um den Anschluss und den Kampf um einen neuen Sitzplatz kann man sich dann sparen. Wer sitzen bleibt, kann sich besser entspannen. Wer möchte, kann auch radfahren und das Rad notfalls in die Bahn mitnehmen. Das ist ein prima Herz-Kreislauf-Training.

Was tun, damit die Liebsten nicht zu kurz kommen?

Wer pendelt, muss beim Alltag Abstriche machen. Das gemeinsame Essen zum Beispiel fällt in Pendlerfamilien oft weg. Planen Sie darum die Wochenenden und Urlaube rechtzeitig und auch die Zeit mit dem sozialen Umfeld. Spätestens nach fünf Jahren Pendeln sollten Sie sich außerdem hinsetzen und fragen: Will ich weitermachen? Das gilt insbesondere für Langzeitpendler, die täglich eine Gesamtfahrzeit von über 90 Minuten haben. Sie leiden besonders unter der Dauerbelastung; nur ein Viertel verkraftet das wirklich gut. Manchen Patienten half nur ein Umzug näher zum Arbeitsplatz.

Umziehen ist nicht für jeden die Lösung. Kann man sich anders arrangieren?

Man sollte bei Angestellten nicht unterschätzen, wie sehr Arbeitgeber helfen können. Chefs können Mitarbeitern Homeoffice einräumen. Wer nur vier Tage die Woche pendeln muss statt fünf, hat schon einiges gewonnen.

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Das ist gut nachvollziehbar, weil Pendler in der Regel früh aufstehen müssen, um rechtzeitig am Arbeitsort zu sein. Oft besteht die Hoffnung, den Schlaf am Wochenende aufzuholen. Das gelingt aber nicht immer. Pendler ermüden im Verlauf eines Tages rascher bei der Arbeit, sind unkonzentrierter oder leichter reizbar. Pendeln schadet also der Gesundheit? Pendeln bedeutet Stress – und darauf kann der Körper heftig reagieren. Typisch sind ein erhöhter Blutdruck, ungesundes Essverhalten und damit verbunden: Übergewicht. Gerade Autopendler greifen gerne mal zu Fast Food. Gesund einkaufen und kochen kostet Zeit – und davon haben Pendler zu wenig. Deshalb gehen sie auch viel zu selten zum Arzt und machen Vorsorgeuntersuchungen. Es passiert recht schnell, dass solche Pendler Raubbau mit ihrem Körper und ihrer Psyche betreiben. Wie leidet denn die Psyche? Angst, die Bahn zu verpassen, Angst, zu spät zur Arbeit zu kommen, bei Angestellten auch noch Angst vorm Chef: Da kommt einiges zusammen. Gerade die unkalkulierbaren Verkehrsverhältnisse in Bus und Bahn oder Glatteis im Winter sind belastend. Es fehlt die Kontrolle über das Vorankommen. Was sind schlimmstenfalls die Folgen? Manche meiner Patienten haben durch den Dauerstress Angsterkrankungen. Die Überlastungserscheinungen können bis zum Burnout führen. Leidet zum Beispiel jemand ohnehin unter einer schwierigen Situation an der Arbeit oder in der Familie, dann ist Pendeln der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Burnout durch Pendeln, wie häufig kommt das vor? Ich bin seit 30 Jahren in der psychosomatischen Medizin im stationären Bereich. Und ich sehe zunehmend Menschen, für die das Pendeln eine echte psychische Belastung darstellt. Sie klappen zusammen und landen bei uns in der Reha. Wie helfen Sie überlasteten Pendlern? Wir überdenken gemeinsam die Situation: Muss ich überhaupt pendeln? Pendle ich, damit ich näher bei der Familie bin oder um Karrierechancen besser wahrnehmen zu können? Und ganz wichtig bei Langzeitpendlern: Ist das Pendeln immer noch die beste Lösung für meine aktuelle Lebenslage oder möchte ich etwas daran ändern? Wer entscheidet sich denn besonders oft zu pendeln? Oft sind Pendler leistungsgetriebene, karriereorientierte Typen. Generell pendeln Männer öfter als Frauen. Das liegt unter anderem an traditionellen Rollenmustern, die immer noch präsent sind: Kinder abholen oder einkaufen lassen sich schwer mit Pendeln vereinbaren. Wie kann man sich selbst helfen, wenn man merkt: Es ist zu viel? Man muss kurzfristig Entlastung schaffen. Dafür ist es sinnvoll, ein oder mehrere Entspannungsverfahren zu lernen. Ich empfehle autogenes Training oder progressive Muskelentspannung. Gerade letztere hilft auch, Rückenverspannungen zu lösen, unter denen Pendler durch das viele Sitzen häufig leiden. Wer mag, kann es auch mit Yoga, Qigong oder Tai Chi versuchen. Pendler haben ohnehin wenig Zeit. Wie sollen sie auch noch solche Übungen in den Tagesablauf integrieren? Eine Pause mit autogenem Training und progressiver Muskelentspannung kann man zum Beispiel auf dem Arbeitsweg im Sitzen einlegen. In öffentlichen Verkehrsmitteln ist das einfach möglich. Aber auch wer Auto fährt, kann zum Beispiel auf einen Parkplatz fahren und dort kurz üben. Wo liegt das größte Problem von Pendlern? Sie nutzen ihre Freizeit nicht zum Abschalten. Mein Tipp: Versuchen Sie nicht, durch das Pendeln verlorene Zeit krampfhaft nachzuholen, indem Sie Ihre Freizeit mit Aktivitäten überfrachten. Dazu lassen sich Wochenendpendler und Tagespendler gleichermaßen verleiten. Was sollte man stattdessen in seiner Freizeit tun? Als Ausgleich empfehlen sich Bewegung und Sport. Dann haben Sie auch gleich etwas für das Gewicht getan und Sport entspannt. Wer Sport mit einer Entspannungsübung kombiniert, ist besser gewappnet für die Strecke, die er immer wieder zurücklegen muss. Sie selbst sind jahrelang gependelt. Was sind Ihre Tipps? Nehmen Sie Pausen wahr, anstatt eine Strecke komplett durchzufahren. Autofahrer können auch eine Fahrgemeinschaft gründen und sich beim Fahren abwechseln. Wenn sich Stau anbahnt, umfahren Sie diesen, auch wenn es zehn Minuten länger dauert. Wir alle fühlen uns wohler, wenn wir vorankommen. Und wenn ich mit der Bahn zur Arbeit fahre? Nehmen Sie eine Verbindung, bei der Sie nicht umsteigen müssen. Die Sorge um den Anschluss und den Kampf um einen neuen Sitzplatz kann man sich dann sparen. Wer sitzen bleibt, kann sich besser entspannen. Wer möchte, kann auch radfahren und das Rad notfalls in die Bahn mitnehmen. Das ist ein prima Herz-Kreislauf-Training. Was tun, damit die Liebsten nicht zu kurz kommen? Wer pendelt, muss beim Alltag Abstriche machen. Das gemeinsame Essen zum Beispiel fällt in Pendlerfamilien oft weg. Planen Sie darum die Wochenenden und Urlaube rechtzeitig und auch die Zeit mit dem sozialen Umfeld. Spätestens nach fünf Jahren Pendeln sollten Sie sich außerdem hinsetzen und fragen: Will ich weitermachen? Das gilt insbesondere für Langzeitpendler, die täglich eine Gesamtfahrzeit von über 90 Minuten haben. Sie leiden besonders unter der Dauerbelastung; nur ein Viertel verkraftet das wirklich gut. Manchen Patienten half nur ein Umzug näher zum Arbeitsplatz. Umziehen ist nicht für jeden die Lösung. Kann man sich anders arrangieren? Man sollte bei Angestellten nicht unterschätzen, wie sehr Arbeitgeber helfen können. Chefs können Mitarbeitern Homeoffice einräumen. Wer nur vier Tage die Woche pendeln muss statt fünf, hat schon einiges gewonnen.