Gehalt offenlegen
„Ich sehe nur zwei Gründe, das Gehalt geheim zu halten“

Bei der Hamburger Digitalagentur Elbdudler weiß jeder, was die anderen verdienen. Gründer Julian Vester über seine Erfahrung mit Transparenz und die Frage, warum er nicht über sein eigenes Gehalt spricht.

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Julian Vester schaut seinen Mitarbeitern beim Thema Gehalt offen in die Augen – intern weiß jeder, wer wie entlohnt wird.
Julian Vester schaut seinen Mitarbeitern beim Thema Gehalt offen in die Augen – intern weiß jeder, wer wie entlohnt wird.
© Elbdudler

impulse: Herr Vester, bei Elbdudler weiß jeder, wie viel der andere verdient. Warum?

Julian Vester: Wir wollen, dass die Mitarbeiter hier Entscheidungen treffen. Das können sie nur, wenn sie auch alle Informationen haben. Bei uns sind alle Zahlen transparent, also auch das Gehalt. Ich sehe auch nur zwei Gründe dafür, das Gehalt geheim zu halten: entweder weil man seine Mitarbeiter für bescheuert hält oder weil man sich selbst unberechtigterweise zu viel in die Tasche steckt.

Wie muss ich mir das vorstellen? Haben Sie eines Tages gesagt: „Und jetzt sagen wir mal alle, was wir verdienen“?

Wir haben das von Beginn an gemacht, also mit dem Tag, an dem wir Elbdudler gegründet haben. Am Anfang hatten wir ein eher kommunistisches Modell, in dem jeder das gleiche Gehalt  bekommen hat. Wir haben aber schnell festgestellt, dass das nicht funktioniert:  Wir brauchten teurere Mitarbeiter vom Arbeitsmarkt und irgendwann wollte die erste Person eine Gehaltserhöhung – dann hätten wir aber allen mehr Geld geben müssen. Das war eine schwierige Situation, denn ein konventionelles Gehaltssystem wollten wir nicht einführen.

Wie haben Sie das Problem gelöst?

Ich habe zu den Mitarbeitern gesagt: „Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert, aber wollen wir uns zusammen ein funktionierendes und transparentes Gehaltssystem ausdenken?“ Die Mehrheit war dafür, auch wenn es fast ein Jahr gedauert hat, in dem wir uns immer wieder überlegt haben, wie unser System aussehen kann.

Und wie sah das System dann aus?

Zur Person
2009 gründete Julian Vester gemeinsam mit Jonas Wegener die Hamburger Digitalagentur Elbdudler. Heute ist Vester alleiniger Geschäftsführer. Die Agentur beschäftigt 120 Mitarbeiter.

Ein Mitarbeiter hat sich zwei bis fünf Kollegen ausgesucht und denen seinen Gehaltswunsch vorgetragen. Die Summe musste er dann begründen: entweder mit Leistung oder mit persönlichen Gründen, zum Beispiel damit, dass er gerade eine Familie gründet. Waren die Kollegen einverstanden, bekam der Mitarbeiter mehr Geld.

Man hat sich die Gesprächspartner selber ausgesucht? Hat da nicht jeder mit dem Lieblingskollegen verhandelt? 

Ja, aber so haben wir es fast drei Jahre gemacht. Dieses System war aber tatsächlich nicht transparent: Man wusste nicht, wer da zu fünft im Geheimen über die Gehaltserhöhung abstimmt. Natürlich haben sich dann einige Kollegen gefragt, ob das nicht ein „Best-Buddy-Business“ ist. Wir haben uns dann für ein anderes System entschieden.

Und wie wird das Gehalt nun bestimmt?

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Wir arbeiten mit einer Tariftabelle; unser Modell ist aber nicht ganz so starr wie das von Gewerkschaften. Aber es gibt uns eine Einordnung. Man kann dort pro Berufsgruppe und Erfahrung das Gehalt ablesen. Es gibt drei Erfahrungslevel – Junior, Intermediate und Senior – in die man eingestuft wird.

Die Geldbeträge sind also nicht verhandelbar?

Nein, die sind festgelegt. Möglicherweise wird nochmal über die Einstufung des Erfahrungslevels diskutiert, aber eigentlich wird das nach Berufsjahren bestimmt. Tatsächlich kann man das Gehalt einfach in der Tabelle ablesen.

Es kommt bei Elbdudler also inzwischen allein auf Beruf und Berufserfahrung an wie bei einem Haustarifvertrag.

Genau, private Gründe sind keine Argumente mehr für eine Gehaltserhöhung. Der Vorteil an diesem neuen System ist: Wir haben faktisch keinen Gender-Pay-Gap mehr – das ist ausgeschlossen. Der Nachteil ist, dass man nicht mehr individuell auf die Leute eingehen kann. Aber das ist der Preis, wenn man die Gehaltsbestimmung für alle transparent, nachvollziehbar und fair machen will.

Welche Rolle spielt Leistung bei der Gehaltserhöhung?

Darüber wird ein höherer Erfahrungslevel erreicht. Wer bessere Leistung bringt, wird schneller aufsteigen; fehlt die Leistung, wird darüber geredet, woran das liegt.

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Kann man die Gehaltstabelle einsehen?

Leider nicht mehr. Wir sind inzwischen so viele, dass ich nicht für jeden Kollegen entscheiden kann, das Gehalt nach außen offen zu legen. Einige wollen das nicht. Deswegen sind wir nur nach innen mit unseren Gehältern transparent.

Und was ist mit Ihrem Gehalt? Darüber könnten Sie doch sprechen.

Ich bin gar nicht in der Agentur, sondern in meiner Holding angestellt und werde deswegen nicht von der Agentur bezahlt. Deswegen ist es immer schwierig, über mein Gehalt zu sprechen.

Alle legen Ihr Gehalt offen – nur Sie nicht?

Intern liegt mein Gehalt genauso offen wie bei allen anderen. Aber nach extern macht es keinen Sinn, darüber zu sprechen, da mir auch die Gewinne zustehen.

Wann kann man denn mehr Geld verlangen oder vielmehr ein Erfahrungslevel aufsteigen?

Bei uns gibt es automatisch jedes Jahr eine Gehaltserhöhung. Dadurch garantieren wir, dass auch zurückhaltende Mitarbeiter über die Jahre eine Gehaltssteigerung bekommen. Wenn es aber darum geht, ein neues Erfahrungslevel zu erreichen, gibt es verschiedene Wege: Manchmal suchen die Mitarbeiter das Gespräch, manchmal die Führungskräfte. Es gibt keine festen Zeitpunkte.

Was passiert, wenn jemand in diesem System nicht mitziehen und sein Gehalt geheim halten will?

Bevor die Leute hier anfangen, informieren wir sie über unsere Haltung. Transparenz ist kein Selbstzweck, sondern Bestandteil unserer Firmenkultur – und auch unserer Arbeitsverträge. Hier ist das gelebte Praxis. Wer das nicht möchte, muss ja nicht bei uns arbeiten.

Und wie reagieren Mitarbeiter, wenn ihnen der Aufstieg verwehrt wird?

Ich bin gar nicht bei den Gesprächen dabei und kann das nicht beurteilen. Aber es gibt ja nicht mehr Geld, weil der Mitarbeiter den Wunsch hat, sondern das Können zählt. Und das wird eingestuft und die Entscheidung auch begründet. Dann kann die Person daran arbeiten, die Bedingung zu erfüllen, um auf eine höhere Gehaltsstufe zu gelangen. Man koppelt die Einstufung in ein Gehaltslevel also an das Können – und nicht an den Gehaltswunsch.

Was haben Sie durch die Einführung transparenter Gehälter eigentlich erreicht?

Wenn man die Gehälter von Kollegen nicht kennt, denkt man entweder, man ist besser oder schlechter bezahlt. Denn wenn alle gleich viel verdienen würden, bräuchte man die Gehälter nicht geheim halten. Im Zweifelsfall denkt jeder, dass er schlechter bezahlt wird als die Kollegen – das frustriert die meisten Mitarbeiter. Bei uns passiert das nicht.

Finden Sie das jetzige Gehaltssystem bei Elbdudler perfekt?

Wir versuchen das System immer zu verbessern. Ich überlege auch, ob man das Ganze nicht nochmal komplett anders macht und viel stärker leistungsbezogen bezahlt.

 Wollen Sie Ihre Mitarbeiter mit Geld motivieren?

Nein, die engagieren sich schon stark. Aber ich glaube, in vielen Unternehmungen ist das Problem, dass Leistung und Gehalt entkoppelt sind. Man merkt das, wenn man mit Freelancern zusammenarbeitet: Wenn die zu langsam sind oder keine gute Arbeit abliefern, dann reduziert sich natürlich deren Gehalt. Deswegen sind die immer darauf bedacht, gut und schnell zu arbeiten. Dieser Druck fehlt bei Angestellten oft. Gleichzeitig haben die aber auch keine Chance, mal ein bisschen mehr Gas zu geben und auch mehr zu verdienen, wenn sie das denn wollen. Ich finde die Idee gut, einen Hybrid aus diesen Modellen zu erarbeiten: Die Mitarbeiter wären fest angestellt und bekämen ein Fixgehalt, würden aber für bestimmte Arbeits- und Aufgabenpakete extra bezahlt.

Hier gibt es weitere Informationen zum Thema Neue Gehaltsmodelle.

impulse: Herr Vester, bei Elbdudler weiß jeder, wie viel der andere verdient. Warum? Julian Vester: Wir wollen, dass die Mitarbeiter hier Entscheidungen treffen. Das können sie nur, wenn sie auch alle Informationen haben. Bei uns sind alle Zahlen transparent, also auch das Gehalt. Ich sehe auch nur zwei Gründe dafür, das Gehalt geheim zu halten: entweder weil man seine Mitarbeiter für bescheuert hält oder weil man sich selbst unberechtigterweise zu viel in die Tasche steckt. Wie muss ich mir das vorstellen? Haben Sie eines Tages gesagt: „Und jetzt sagen wir mal alle, was wir verdienen"? Wir haben das von Beginn an gemacht, also mit dem Tag, an dem wir Elbdudler gegründet haben. Am Anfang hatten wir ein eher kommunistisches Modell, in dem jeder das gleiche Gehalt  bekommen hat. Wir haben aber schnell festgestellt, dass das nicht funktioniert:  Wir brauchten teurere Mitarbeiter vom Arbeitsmarkt und irgendwann wollte die erste Person eine Gehaltserhöhung – dann hätten wir aber allen mehr Geld geben müssen. Das war eine schwierige Situation, denn ein konventionelles Gehaltssystem wollten wir nicht einführen. Wie haben Sie das Problem gelöst? Ich habe zu den Mitarbeitern gesagt: „Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert, aber wollen wir uns zusammen ein funktionierendes und transparentes Gehaltssystem ausdenken?“ Die Mehrheit war dafür, auch wenn es fast ein Jahr gedauert hat, in dem wir uns immer wieder überlegt haben, wie unser System aussehen kann. Und wie sah das System dann aus? Ein Mitarbeiter hat sich zwei bis fünf Kollegen ausgesucht und denen seinen Gehaltswunsch vorgetragen. Die Summe musste er dann begründen: entweder mit Leistung oder mit persönlichen Gründen, zum Beispiel damit, dass er gerade eine Familie gründet. Waren die Kollegen einverstanden, bekam der Mitarbeiter mehr Geld. Man hat sich die Gesprächspartner selber ausgesucht? Hat da nicht jeder mit dem Lieblingskollegen verhandelt?  Ja, aber so haben wir es fast drei Jahre gemacht. Dieses System war aber tatsächlich nicht transparent: Man wusste nicht, wer da zu fünft im Geheimen über die Gehaltserhöhung abstimmt. Natürlich haben sich dann einige Kollegen gefragt, ob das nicht ein „Best-Buddy-Business“ ist. Wir haben uns dann für ein anderes System entschieden. Und wie wird das Gehalt nun bestimmt? Wir arbeiten mit einer Tariftabelle; unser Modell ist aber nicht ganz so starr wie das von Gewerkschaften. Aber es gibt uns eine Einordnung. Man kann dort pro Berufsgruppe und Erfahrung das Gehalt ablesen. Es gibt drei Erfahrungslevel – Junior, Intermediate und Senior – in die man eingestuft wird. Die Geldbeträge sind also nicht verhandelbar? Nein, die sind festgelegt. Möglicherweise wird nochmal über die Einstufung des Erfahrungslevels diskutiert, aber eigentlich wird das nach Berufsjahren bestimmt. Tatsächlich kann man das Gehalt einfach in der Tabelle ablesen. Es kommt bei Elbdudler also inzwischen allein auf Beruf und Berufserfahrung an – wie bei einem Haustarifvertrag. Genau, private Gründe sind keine Argumente mehr für eine Gehaltserhöhung. Der Vorteil an diesem neuen System ist: Wir haben faktisch keinen Gender-Pay-Gap mehr – das ist ausgeschlossen. Der Nachteil ist, dass man nicht mehr individuell auf die Leute eingehen kann. Aber das ist der Preis, wenn man die Gehaltsbestimmung für alle transparent, nachvollziehbar und fair machen will. Welche Rolle spielt Leistung bei der Gehaltserhöhung? Darüber wird ein höherer Erfahrungslevel erreicht. Wer bessere Leistung bringt, wird schneller aufsteigen; fehlt die Leistung, wird darüber geredet, woran das liegt. Kann man die Gehaltstabelle einsehen? Leider nicht mehr. Wir sind inzwischen so viele, dass ich nicht für jeden Kollegen entscheiden kann, das Gehalt nach außen offen zu legen. Einige wollen das nicht. Deswegen sind wir nur nach innen mit unseren Gehältern transparent. Und was ist mit Ihrem Gehalt? Darüber könnten Sie doch sprechen. Ich bin gar nicht in der Agentur, sondern in meiner Holding angestellt und werde deswegen nicht von der Agentur bezahlt. Deswegen ist es immer schwierig, über mein Gehalt zu sprechen. Alle legen Ihr Gehalt offen – nur Sie nicht? Intern liegt mein Gehalt genauso offen wie bei allen anderen. Aber nach extern macht es keinen Sinn, darüber zu sprechen, da mir auch die Gewinne zustehen. Wann kann man denn mehr Geld verlangen oder vielmehr ein Erfahrungslevel aufsteigen? Bei uns gibt es automatisch jedes Jahr eine Gehaltserhöhung. Dadurch garantieren wir, dass auch zurückhaltende Mitarbeiter über die Jahre eine Gehaltssteigerung bekommen. Wenn es aber darum geht, ein neues Erfahrungslevel zu erreichen, gibt es verschiedene Wege: Manchmal suchen die Mitarbeiter das Gespräch, manchmal die Führungskräfte. Es gibt keine festen Zeitpunkte. Was passiert, wenn jemand in diesem System nicht mitziehen und sein Gehalt geheim halten will? Bevor die Leute hier anfangen, informieren wir sie über unsere Haltung. Transparenz ist kein Selbstzweck, sondern Bestandteil unserer Firmenkultur – und auch unserer Arbeitsverträge. Hier ist das gelebte Praxis. Wer das nicht möchte, muss ja nicht bei uns arbeiten. Und wie reagieren Mitarbeiter, wenn ihnen der Aufstieg verwehrt wird? Ich bin gar nicht bei den Gesprächen dabei und kann das nicht beurteilen. Aber es gibt ja nicht mehr Geld, weil der Mitarbeiter den Wunsch hat, sondern das Können zählt. Und das wird eingestuft und die Entscheidung auch begründet. Dann kann die Person daran arbeiten, die Bedingung zu erfüllen, um auf eine höhere Gehaltsstufe zu gelangen. Man koppelt die Einstufung in ein Gehaltslevel also an das Können - und nicht an den Gehaltswunsch. Was haben Sie durch die Einführung transparenter Gehälter eigentlich erreicht? Wenn man die Gehälter von Kollegen nicht kennt, denkt man entweder, man ist besser oder schlechter bezahlt. Denn wenn alle gleich viel verdienen würden, bräuchte man die Gehälter nicht geheim halten. Im Zweifelsfall denkt jeder, dass er schlechter bezahlt wird als die Kollegen – das frustriert die meisten Mitarbeiter. Bei uns passiert das nicht. Finden Sie das jetzige Gehaltssystem bei Elbdudler perfekt? Wir versuchen das System immer zu verbessern. Ich überlege auch, ob man das Ganze nicht nochmal komplett anders macht und viel stärker leistungsbezogen bezahlt.  Wollen Sie Ihre Mitarbeiter mit Geld motivieren? Nein, die engagieren sich schon stark. Aber ich glaube, in vielen Unternehmungen ist das Problem, dass Leistung und Gehalt entkoppelt sind. Man merkt das, wenn man mit Freelancern zusammenarbeitet: Wenn die zu langsam sind oder keine gute Arbeit abliefern, dann reduziert sich natürlich deren Gehalt. Deswegen sind die immer darauf bedacht, gut und schnell zu arbeiten. Dieser Druck fehlt bei Angestellten oft. Gleichzeitig haben die aber auch keine Chance, mal ein bisschen mehr Gas zu geben und auch mehr zu verdienen, wenn sie das denn wollen. Ich finde die Idee gut, einen Hybrid aus diesen Modellen zu erarbeiten: Die Mitarbeiter wären fest angestellt und bekämen ein Fixgehalt, würden aber für bestimmte Arbeits- und Aufgabenpakete extra bezahlt. Hier gibt es weitere Informationen zum Thema Neue Gehaltsmodelle.
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