Veränderung trainieren
„Alle Unternehmen müssen Krisenszenarien vorbereiten“

Corona, Klima, Krieg – eine Krise jagt die andere. Unternehmer müssen dringend Veränderungsroutinen etablieren. Wie sie dabei die Skeptiker im Team mitnehmen, verrät Managementdenkerin Anne Schüller.

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Veränderung trainieren
© PM Images/Stone/Getty Images

impulse: Frau Schüller, was geht in Ihnen vor, wenn Sie den Satz hören: „Das haben wir aber schon immer so gemacht“?

Anne Schüller: Da muss ich lachen, denn das ist ein Klassiker, der viele Veränderungen begleitet. Dieser Satz ist ein Vorwand, doch dahinter verbergen sich viele Gründe, warum ihn jemand sagt. Der wichtigste ist die Angst vor Verlust. Das, was wir kennen, macht uns sicher. Nur: Was in der Vergangenheit richtig war, muss nicht für die Zukunft zutreffen.

Seit zweieinhalb Jahren befinden sich unsere Gesellschaft und damit auch viele Betriebe im Veränderungsmodus. Erst kam die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine. Wie haben die Unternehmen sich bisher geschlagen?

Vergessen Sie nicht den rasant fortschreitenden Klimawandel. Vor allem diese Veränderung trifft uns aber nicht überraschend, sie verläuft vielmehr exponentiell. Das gilt auch für die Digitalisierung, hier wurden während der Pandemie Versäumnisse in vielen Betrieben offenkundig. Auch, dass durch die globale Vernetzung von Märkten Probleme entstehen, wie etwa Lieferengpässe, muss man als Unternehmer einkalkulieren. Vergessen Sie nicht, dass wir auch vor einer Finanzkrise stehen. Viele Unternehmer dachten, dass es mit der Nullzins-Politik der Zentralbanken immer so weitergeht. Das war ein Fehler, und deswegen werden etliche Betriebe in eine finanziell existenzbedrohende Lage kommen. Leider muss ich konstatieren: Die meisten Unternehmen sind auf die Wucht der Veränderungen nicht vorbereitet.

Woran machen Sie das fest?

Weil jedes Unternehmen zu sehr im jeweiligen Tagesgeschäft gefangen war, die wenigsten nahmen sich die Zeit, über Zukunftsszenarien nachzudenken. Doch das funktioniert schon heute nicht mehr, und morgen erst recht nicht. Wir werden ständige Veränderungsmodi haben, die uns größtenteils aufgezwungen werden. Die Unternehmen müssen sich deswegen schleunigst auf alle möglichen Szenarien vorbereiten.

Kann man Veränderungen quasi trainieren, in kleinen Prozessen, damit alle Mitarbeiter agil bleiben?

Genau das ist die Strategie der Zukunft. Wir befinden uns in einer Zeit, in der immer mehr tiefgreifende Veränderungen auf uns einprasseln. Wenn ein Unternehmer mit dem Markt mithalten will, ist seine einzige Chance, dass er seine Beschäftigten fit hält, damit sie Veränderungen als etwas Normales anzusehen. Das kann damit beginnen, dass nach dem Motto „Kill a stupid rule“ die Mitarbeitenden regelmäßig dazu eingeladen werden, veraltete Prozesse aufzuspüren und durch bessere, schnellere, fortschrittlichere neue zu ersetzen.

Sie schreiben in Ihrem Buch „Bahn frei für Übermorgengestalter!“, dass es ausreicht, wenn ein Unternehmer in einem Change-Prozess nur zehn Prozent des Teams mitnimmt, um eine Sogwirkung zu erzeugen. Das dürften die zehn Prozent sein, die man ohnehin als High-Performer bezeichnet?

Richtig. Aber man kann sich auch auf zurückgenommene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen. Von einer Buchhalterin beispielsweise erwarte ich doch nicht, dass sie quirlig nach vorne geht und kreative Buchhaltung macht – sie soll nur routiniert ihre Aufgaben erledigen. Ich muss die Menschen auf die richtigen Positionen setzen. Der Quirlige muss immer dann zuerst losgeschickt werden, wenn es um die große Veränderung geht. Der zurückgenommene, eher ängstliche Typ, der aber organisiert und sehr detailliert arbeitet, ist dann für die Umsetzung, zuständig, weil der Quirlige in seinem Elan immer etwas vergisst.

Das Buch
In ihrem neuen Buch „Bahn Frei für Übermorgengestalter“ gibt die Managementdenkerin und Bestsellerautorin Anne M. Schüller „25 Quick Wins für Innovatoren und Zukunftsversteher“. Es geht um Herausforderungen wie Klimarettung, Change und Ideenmanagement. Anne M. Schüller will mit 100 Aktionsbeispielen Mut machen für kühnes Denken. Das Buch ist im Gabal Verlag erschienen und kostet 24,90 Euro.

Aber was macht der Unternehmer mit den 90 Prozent der Mitarbeiter, die nicht sofort mitziehen?

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Denen muss man zunächst die Angst nehmen und ihnen sagen: Ihr müsst an der Veränderung erstmal noch nicht teilnehmen. Stattdessen arbeite ich mit denen, die gerne etwas Neues ausprobieren, die sich etwa gerne mit Digitalisierung oder Umweltschutz beschäftigen. Das Neue muss ausprobiert, nichts darf am Anfang in Stein gemeißelt werden. Zum Beispiel führt man eine neue Serviceleistung testweise ein und fragt die Kunden, ob das für sie vorteilhaft ist und was noch weiter verbessert werden kann. Dafür nehme ich erst die Neugierigen als Pioniere, als Vorhut, mit. Die anderen sind zunächst nicht dabei. Damit sorgt der Unternehmer dafür, dass die Ängstlichen nicht das Betriebsklima verderben.

Solche Vorreiter können von ihren Kollegen aber auch als Streber oder als Günstlinge des Chefs verpönt werden.

Das ist ein sehr guter Punkt. Um das zu vermeiden, ist bei jeder Veränderung Transparenz das A und O. Es darf im Betrieb nie das Gefühl aufkommen, dass im stillen Eckchen irgendwas gegen den Rest der Belegschaft entschieden wird. Dazu kann man zum Beispiel Kanban-Boards im Betrieb installieren, die öffentlich zeigen, welche Veränderungen gerade in der Testphase sind und wer daran mitarbeitet.

Und wenn die Nörgler weiter nörgeln?

Solange wir nur von Skeptikern reden, die gute Ratschläge haben und den Unternehmer dazu bringen, nochmal nachzudenken, ist das alles kein Problem. Ein Skeptiker kann einen Prozess bereichern. Es ist auch nicht schlimm, wenn einige Mitarbeiter die Nachhut bilden und noch etwas Zeit in alten Prozessen verbringen. Aber irgendwann muss man sie fragen, ob es nicht für beide Seiten besser wäre, wenn sie sich etwas Neues suchen.

Das klingt aber hart. Gibt es keine Instrumente, mit denen man auch die größten Nörgler wieder ans Team ankoppeln kann?

Man kann niemanden zwingen. Wenn jemand partout nicht ins Neuland mitgehen will oder kann, ist eine andere, passendere Stelle auch für diese Person die bessere Wahl.

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Schwarzseher gelten komischerweise oft als scharfsichtig, als schlau, weil sie vermeintlich unsinnige Entscheidungen als solche entlarven. Wie erkenne ich solche Defätisten?

Der konstruktive Skeptiker bietet immer alternative Lösungen an. Der Schwarzseher, Nörgler und Boykottierer ist einfach nur dagegen.

Was ist bei einem Betrieb mit zehn Beschäftigten? Ein oder zwei Nörgler können dort doch schon zuviel sein.

Wenn in einem Zehnpersonenbetrieb auch nur einer permanent meckert, kann das nachhaltig die Stimmung verhageln. Ein toxisches Klima zieht die Arbeitsleistung aller nach unten. Das kann niemand wollen. Ein guter Chef schützt deshalb die neun Konstruktiven.

Und wie geht der Unternehmer mit dem Dauermeckerfritzen um?

Von solchen Mitarbeitern sollte man sich so früh wie möglich trennen.

Ist die reflexhafte Ablehnung von Neuem bei uns stark ausgeprägt?

Oh ja, extrem, vor allem bei Menschen in der DACH-Region. Denn Deutschland, Österreich und die Schweiz sind vergleichsweise reiche Länder, und deswegen ist dort die Angst vor Verlust stärker ausgeprägt als in ärmeren Ländern. Die meisten Deutschen fürchten, dass das Neue mehr Gefahr birgt, als es Verbesserungen bringt. Das ist grundsätzlich ein guter neurochemischer Prozess, eine genetische Mitgift, denn andernfalls würden wir uns ja ständig in Todesgefahr begeben. Aber dieser Mechanismus muss überwunden werden, und hierbei sind die Menschen unterschiedlich gut.

Etwas Neues muss nicht immer gut für Einzelne sein. Es gibt ja auch berechtigte Ängste von Mitarbeitern, etwa vor Mehrbelastung, Überforderung, Bedeutungsverlust – oder auch Jobverlust.

Man darf ruhig etwas Bammel haben vor einer Veränderung, Bammel ist eine Vorstufe von Angst und macht wachsam. Eine egoistische Haltung hingegen, etwa vor dem Verlust von Vergünstigungen oder Gewohnheiten, ist nicht tolerabel. Bei Veränderungen geht es darum, was das Unternehmen gewinnt, wie es zukunftsfit bleibt oder wird – und wie der Anteil jedes Mitarbeiters daran ist. Alle müssen verstehen, dass letztlich der Kunde über den Erfolg des Betriebes entscheidet. Wenn dieser moderne Produkte, schnellere Prozesse und bessere Services verlangt, aber nicht bekommt, wird er ruckzuck den Anbieter wechseln.

Sie raten davon ab, den Veränderungsprozess von Beratungsunternehmen steuern zu lassen, die auf „Anordnung von oben“ handeln. Warum?

Weil solche Konzepte meist scheitern. Klassische Beratungsunternehmen verkaufen ihre Standardwerkzeuge, mehr oder weniger egal, ob die zu allen Abteilungen in einem Unternehmen passen oder nicht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mögen es aber nicht, wenn sie etwas übergestülpt oder verordnet bekommen. Sie fühlen sich dadurch ohnmächtig.

Also auf Berater verzichten?

Nein, nein, sie sind nicht generell schlecht, doch sie sollten zum Beispiel Workshops leiten mit einer hohen Teilnahmequote. Jeder Mitarbeiter soll dazu beitragen, dass die geplante Veränderung auch wirklich passt und funktioniert. Es kommt darauf an, dass die Mitarbeiter die notwendigen Prozesse mitgestalten. Eine Veränderung lebt von möglichst vielen Ideen, nicht nur von der des Unternehmers.

Gibt es für Sie Beispiele für gelungene Veränderungen? Der Otto-Konzern hat vor einigen Jahren das allgemeine Du eingeführt. Hat das dem Unternehmen geholfen?

Otto ist ein hervorragendes Beispiel. Veränderungsfreudigkeit gehört zu deren Unternehmenskultur. Wenn der Vorstandschef sich ganz unaufgeregt in der Kantine in die Schlange einreiht und einen „einfachen“ Mitarbeiter spontan zu einem Gespräch in sein Büro einlädt, dann zeigt das, dass hier auf Augenhöhe miteinander gearbeitet wird. Es ist kein Zufall, dass Otto es geschafft hat, von einem erfolgreichen deutschen Versandhandelsunternehmen zu einem der wenigen deutschen Onlinehändler zu werden, die mit Amazon oder Zalando mithalten können.

impulse: Frau Schüller, was geht in Ihnen vor, wenn Sie den Satz hören: „Das haben wir aber schon immer so gemacht“? Anne Schüller: Da muss ich lachen, denn das ist ein Klassiker, der viele Veränderungen begleitet. Dieser Satz ist ein Vorwand, doch dahinter verbergen sich viele Gründe, warum ihn jemand sagt. Der wichtigste ist die Angst vor Verlust. Das, was wir kennen, macht uns sicher. Nur: Was in der Vergangenheit richtig war, muss nicht für die Zukunft zutreffen. Seit zweieinhalb Jahren befinden sich unsere Gesellschaft und damit auch viele Betriebe im Veränderungsmodus. Erst kam die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine. Wie haben die Unternehmen sich bisher geschlagen? Vergessen Sie nicht den rasant fortschreitenden Klimawandel. Vor allem diese Veränderung trifft uns aber nicht überraschend, sie verläuft vielmehr exponentiell. Das gilt auch für die Digitalisierung, hier wurden während der Pandemie Versäumnisse in vielen Betrieben offenkundig. Auch, dass durch die globale Vernetzung von Märkten Probleme entstehen, wie etwa Lieferengpässe, muss man als Unternehmer einkalkulieren. Vergessen Sie nicht, dass wir auch vor einer Finanzkrise stehen. Viele Unternehmer dachten, dass es mit der Nullzins-Politik der Zentralbanken immer so weitergeht. Das war ein Fehler, und deswegen werden etliche Betriebe in eine finanziell existenzbedrohende Lage kommen. Leider muss ich konstatieren: Die meisten Unternehmen sind auf die Wucht der Veränderungen nicht vorbereitet. Woran machen Sie das fest? Weil jedes Unternehmen zu sehr im jeweiligen Tagesgeschäft gefangen war, die wenigsten nahmen sich die Zeit, über Zukunftsszenarien nachzudenken. Doch das funktioniert schon heute nicht mehr, und morgen erst recht nicht. Wir werden ständige Veränderungsmodi haben, die uns größtenteils aufgezwungen werden. Die Unternehmen müssen sich deswegen schleunigst auf alle möglichen Szenarien vorbereiten. Kann man Veränderungen quasi trainieren, in kleinen Prozessen, damit alle Mitarbeiter agil bleiben? Genau das ist die Strategie der Zukunft. Wir befinden uns in einer Zeit, in der immer mehr tiefgreifende Veränderungen auf uns einprasseln. Wenn ein Unternehmer mit dem Markt mithalten will, ist seine einzige Chance, dass er seine Beschäftigten fit hält, damit sie Veränderungen als etwas Normales anzusehen. Das kann damit beginnen, dass nach dem Motto „Kill a stupid rule“ die Mitarbeitenden regelmäßig dazu eingeladen werden, veraltete Prozesse aufzuspüren und durch bessere, schnellere, fortschrittlichere neue zu ersetzen. Sie schreiben in Ihrem Buch „Bahn frei für Übermorgengestalter!“, dass es ausreicht, wenn ein Unternehmer in einem Change-Prozess nur zehn Prozent des Teams mitnimmt, um eine Sogwirkung zu erzeugen. Das dürften die zehn Prozent sein, die man ohnehin als High-Performer bezeichnet? Richtig. Aber man kann sich auch auf zurückgenommene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen. Von einer Buchhalterin beispielsweise erwarte ich doch nicht, dass sie quirlig nach vorne geht und kreative Buchhaltung macht – sie soll nur routiniert ihre Aufgaben erledigen. Ich muss die Menschen auf die richtigen Positionen setzen. Der Quirlige muss immer dann zuerst losgeschickt werden, wenn es um die große Veränderung geht. Der zurückgenommene, eher ängstliche Typ, der aber organisiert und sehr detailliert arbeitet, ist dann für die Umsetzung, zuständig, weil der Quirlige in seinem Elan immer etwas vergisst. [zur-person] Aber was macht der Unternehmer mit den 90 Prozent der Mitarbeiter, die nicht sofort mitziehen? Denen muss man zunächst die Angst nehmen und ihnen sagen: Ihr müsst an der Veränderung erstmal noch nicht teilnehmen. Stattdessen arbeite ich mit denen, die gerne etwas Neues ausprobieren, die sich etwa gerne mit Digitalisierung oder Umweltschutz beschäftigen. Das Neue muss ausprobiert, nichts darf am Anfang in Stein gemeißelt werden. Zum Beispiel führt man eine neue Serviceleistung testweise ein und fragt die Kunden, ob das für sie vorteilhaft ist und was noch weiter verbessert werden kann. Dafür nehme ich erst die Neugierigen als Pioniere, als Vorhut, mit. Die anderen sind zunächst nicht dabei. Damit sorgt der Unternehmer dafür, dass die Ängstlichen nicht das Betriebsklima verderben. Solche Vorreiter können von ihren Kollegen aber auch als Streber oder als Günstlinge des Chefs verpönt werden. Das ist ein sehr guter Punkt. Um das zu vermeiden, ist bei jeder Veränderung Transparenz das A und O. Es darf im Betrieb nie das Gefühl aufkommen, dass im stillen Eckchen irgendwas gegen den Rest der Belegschaft entschieden wird. Dazu kann man zum Beispiel Kanban-Boards im Betrieb installieren, die öffentlich zeigen, welche Veränderungen gerade in der Testphase sind und wer daran mitarbeitet. Und wenn die Nörgler weiter nörgeln? Solange wir nur von Skeptikern reden, die gute Ratschläge haben und den Unternehmer dazu bringen, nochmal nachzudenken, ist das alles kein Problem. Ein Skeptiker kann einen Prozess bereichern. Es ist auch nicht schlimm, wenn einige Mitarbeiter die Nachhut bilden und noch etwas Zeit in alten Prozessen verbringen. Aber irgendwann muss man sie fragen, ob es nicht für beide Seiten besser wäre, wenn sie sich etwas Neues suchen. Das klingt aber hart. Gibt es keine Instrumente, mit denen man auch die größten Nörgler wieder ans Team ankoppeln kann? Man kann niemanden zwingen. Wenn jemand partout nicht ins Neuland mitgehen will oder kann, ist eine andere, passendere Stelle auch für diese Person die bessere Wahl. Schwarzseher gelten komischerweise oft als scharfsichtig, als schlau, weil sie vermeintlich unsinnige Entscheidungen als solche entlarven. Wie erkenne ich solche Defätisten? Der konstruktive Skeptiker bietet immer alternative Lösungen an. Der Schwarzseher, Nörgler und Boykottierer ist einfach nur dagegen. Was ist bei einem Betrieb mit zehn Beschäftigten? Ein oder zwei Nörgler können dort doch schon zuviel sein. Wenn in einem Zehnpersonenbetrieb auch nur einer permanent meckert, kann das nachhaltig die Stimmung verhageln. Ein toxisches Klima zieht die Arbeitsleistung aller nach unten. Das kann niemand wollen. Ein guter Chef schützt deshalb die neun Konstruktiven. Und wie geht der Unternehmer mit dem Dauermeckerfritzen um? Von solchen Mitarbeitern sollte man sich so früh wie möglich trennen. Ist die reflexhafte Ablehnung von Neuem bei uns stark ausgeprägt? Oh ja, extrem, vor allem bei Menschen in der DACH-Region. Denn Deutschland, Österreich und die Schweiz sind vergleichsweise reiche Länder, und deswegen ist dort die Angst vor Verlust stärker ausgeprägt als in ärmeren Ländern. Die meisten Deutschen fürchten, dass das Neue mehr Gefahr birgt, als es Verbesserungen bringt. Das ist grundsätzlich ein guter neurochemischer Prozess, eine genetische Mitgift, denn andernfalls würden wir uns ja ständig in Todesgefahr begeben. Aber dieser Mechanismus muss überwunden werden, und hierbei sind die Menschen unterschiedlich gut. Etwas Neues muss nicht immer gut für Einzelne sein. Es gibt ja auch berechtigte Ängste von Mitarbeitern, etwa vor Mehrbelastung, Überforderung, Bedeutungsverlust – oder auch Jobverlust. Man darf ruhig etwas Bammel haben vor einer Veränderung, Bammel ist eine Vorstufe von Angst und macht wachsam. Eine egoistische Haltung hingegen, etwa vor dem Verlust von Vergünstigungen oder Gewohnheiten, ist nicht tolerabel. Bei Veränderungen geht es darum, was das Unternehmen gewinnt, wie es zukunftsfit bleibt oder wird – und wie der Anteil jedes Mitarbeiters daran ist. Alle müssen verstehen, dass letztlich der Kunde über den Erfolg des Betriebes entscheidet. Wenn dieser moderne Produkte, schnellere Prozesse und bessere Services verlangt, aber nicht bekommt, wird er ruckzuck den Anbieter wechseln. Sie raten davon ab, den Veränderungsprozess von Beratungsunternehmen steuern zu lassen, die auf „Anordnung von oben“ handeln. Warum? Weil solche Konzepte meist scheitern. Klassische Beratungsunternehmen verkaufen ihre Standardwerkzeuge, mehr oder weniger egal, ob die zu allen Abteilungen in einem Unternehmen passen oder nicht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mögen es aber nicht, wenn sie etwas übergestülpt oder verordnet bekommen. Sie fühlen sich dadurch ohnmächtig. Also auf Berater verzichten? Nein, nein, sie sind nicht generell schlecht, doch sie sollten zum Beispiel Workshops leiten mit einer hohen Teilnahmequote. Jeder Mitarbeiter soll dazu beitragen, dass die geplante Veränderung auch wirklich passt und funktioniert. Es kommt darauf an, dass die Mitarbeiter die notwendigen Prozesse mitgestalten. Eine Veränderung lebt von möglichst vielen Ideen, nicht nur von der des Unternehmers. Gibt es für Sie Beispiele für gelungene Veränderungen? Der Otto-Konzern hat vor einigen Jahren das allgemeine Du eingeführt. Hat das dem Unternehmen geholfen? Otto ist ein hervorragendes Beispiel. Veränderungsfreudigkeit gehört zu deren Unternehmenskultur. Wenn der Vorstandschef sich ganz unaufgeregt in der Kantine in die Schlange einreiht und einen „einfachen“ Mitarbeiter spontan zu einem Gespräch in sein Büro einlädt, dann zeigt das, dass hier auf Augenhöhe miteinander gearbeitet wird. Es ist kein Zufall, dass Otto es geschafft hat, von einem erfolgreichen deutschen Versandhandelsunternehmen zu einem der wenigen deutschen Onlinehändler zu werden, die mit Amazon oder Zalando mithalten können.