Aussagekraft von Zeugnissen
Sind Arbeitszeugnisse sinnlos?

Wie viel sagt ein Arbeitszeugnis über einen Arbeitnehmer aus? Eine aktuelle Studie nimmt die Aussagekraft von Zeugnissen unter die Lupe - und kommt zu einer radikalen Forderung.

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"Zu unserer Zufriedenheit" entspricht der Note 4 - doch solche Verklausulierungen werden nicht von allen verstanden. Die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen halten Experten daher für gering.
"Zu unserer Zufriedenheit" entspricht der Note 4 - doch solche Verklausulierungen werden nicht von allen verstanden. Die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen halten Experten daher für gering.
© picture alliance / dpa

Endet ein Arbeitsverhältnis, wird es lästig für den Unternehmer: Nicht nur muss er die frei werdende Stelle nun neu besetzen. Er steht auch vor der Aufgabe, seinem ehemaligen Mitarbeiter ein Arbeitszeugnis zu schreiben. Der Inhalt des Zeugnisses soll auf der einen Seite der Wahrheit entsprechen, auf der anderen Seite aber auch wohlwollend formuliert sein.

Aber ausgerechnet bei der Vereinbarkeit dieser beiden Punkte sehen Steffi Grau und Prof. Dr. Klaus Watzka ein Problem. Die beiden Forscher am Fachbereich Betriebswirtschaft der Ernst-Abbe-Hochschule Jena haben im Rahmen einer Studie 200 Zeugnisaussteller und -auswerter aus Unternehmen aller Größen über die Nützlichkeit von Arbeitszeugnissen befragt. Ihr Ergebnis: „Die Anfertigung von Arbeitszeugnissen ist über weite Strecken zu einem relativ sinnfreien Ritual mutiert.“ Das Zeugnis fresse mehr Zeit und Kosten, als es Unternehmen dabei helfe, Entscheidungen bei der Personalauswahl zu treffen.

Das Ergebnis der Pflichtaufgabe: wenig aussagekräftig

Besteht ein Arbeitnehmer auf einem Arbeitszeugnis, ist sein Arbeitgeber in Deutschland rechtlich verpflichtet, eines auszustellen. Mit Aussagen über Leistung und Verhalten des Mitarbeiters wird aus dem einfachen Arbeitszeugnis sogar ein qualifiziertes. Doch aus der Umfrage ergab sich, dass nur 7,3 Prozent der ausgestellten Zeugnisse wirklich individuell angefertigt werden. Beachtliche 41,7 Prozent der Zeugnisaussteller greifen auf Hilfsmittel wie PC-gestützte Zeugnisgeneratoren zurück.

Ein Vorgespräch mit dem Vorgesetzten zur besseren Einschätzung des Mitarbeiters führt nur ein Drittel der an der Studie teilnehmenden Unternehmen. „Die wichtigste Quelle für eine valide Einschätzung von Leistung und Verhalten wird also nur unzureichend genutzt“, bemängeln die Studienleiter. Für die Unternehmen wird das Schreiben des Arbeitszeugnisses so zu einer Pflichtaufgabe – nur die Hälfte der Studienteilnehmer schätzt die Aussagekraft der von ihnen selbst erstellten Zeugnisse als „hoch“ oder „sehr hoch“ ein.

Das mag vielleicht auch daran liegen, dass die Zeugnisschreiber ihr Handwerk nicht sicher beherrschen: Knapp die Hälfte aller Zeugnisersteller habt nie eine Schulung für diese Aufgabe erhalten. In vielen Kleinunternehmen schreibt der Chef die Arbeitszeugnisse sogar selber – neben all seinen anderen Aufgaben.

Der Zeugniscode sorgt für Missverständnisse

Schwache Leistungen oder negatives Verhalten der Mitarbeiter werden in Zeugnissen oft hinter positiven Formulierungen versteckt oder erst gar nicht erwähnt. Damit wollen die Zeugnisschreiber die Zwickmühle zwischen Wahrheit und Wohlwollen umgehen: Mit den geschönten Formulierungen versucht der Arbeitgeber möglichen Auseinandersetzungen mit dem Mitarbeiter aus dem Weg zu gehen; auch soll das Arbeitszeugnis den Arbeitnehmer nicht in seinem beruflichen Fortkommen behindern. Die Folge: Für potenzielle neue Arbeitgeber ist es oft schwierig, die wahre Bedeutung des Geschriebenen zu erkennen. Häufig wird von einem „Zeugniscodes“ gesprochen, den der Leser erst einmal entschlüsseln muss. So konnte in einem Test nur einer von 88 Befragten typische Zeugnisformulierungen einer Viererskala richtig zuordnen.

Angesichts dieser Probleme ist es nicht verwunderlich, dass Unternehmen dem Arbeitszeugnis im Durchschnitt nur drei Minuten Aufmerksamkeit schenken, wenn sie Bewerbungsunterlagen auf den Tisch bekommen. Der potenzielle neue Arbeitgeber nutzt das Zeugnis überwiegend als kurze Übersicht über die bisherigen Tätigkeiten des Arbeitnehmers; in der Bewerbungsmappe ist es mit weitem Abstand erst das drittwichtigste Dokument nach Lebenslauf und Anschreiben.

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9,1 Prozent der Unternehmen nutzen Zeugnisse gar nicht

Sind Arbeitszeugnisse also noch sinnvoll?  Grau und Watzka sagen ganz klar: Nein, denn die Hälfte der Unternehmen nutzt Arbeitszeugnisse bei der Personalauswahl nur „wenig intensiv“, 9,1 Prozent sogar „kaum“ oder „gar nicht“. Bei der Abschaffung müsse nur sichergestellt sein, dass der Arbeitnehmer eine Bestätigung über seine ausgeübten Tätigkeiten und wahrgenommenen Funktionen erhält.

Auf wertende Aussagen, bei denen unklar ist, wie weit sie der Wahrheit entsprechen, könne man verzichten, da sind sich die Forscher einig. In den befragten Unternehmen sieht man das ähnlich. Und sollten Arbeitszeugnisse nicht ganz abgeschafft werden, so der Wunsch der Unternehmen, sollte man sich zumindest auf einfache Zeugnisse beschränken, eine einheitliche Zeugnissprache einführen und Standardkriterien zur Beurteilung der Mitarbeiter etablieren.

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Endet ein Arbeitsverhältnis, wird es lästig für den Unternehmer: Nicht nur muss er die frei werdende Stelle nun neu besetzen. Er steht auch vor der Aufgabe, seinem ehemaligen Mitarbeiter ein Arbeitszeugnis zu schreiben. Der Inhalt des Zeugnisses soll auf der einen Seite der Wahrheit entsprechen, auf der anderen Seite aber auch wohlwollend formuliert sein. Aber ausgerechnet bei der Vereinbarkeit dieser beiden Punkte sehen Steffi Grau und Prof. Dr. Klaus Watzka ein Problem. Die beiden Forscher am Fachbereich Betriebswirtschaft der Ernst-Abbe-Hochschule Jena haben im Rahmen einer Studie 200 Zeugnisaussteller und -auswerter aus Unternehmen aller Größen über die Nützlichkeit von Arbeitszeugnissen befragt. Ihr Ergebnis: "Die Anfertigung von Arbeitszeugnissen ist über weite Strecken zu einem relativ sinnfreien Ritual mutiert." Das Zeugnis fresse mehr Zeit und Kosten, als es Unternehmen dabei helfe, Entscheidungen bei der Personalauswahl zu treffen. Das Ergebnis der Pflichtaufgabe: wenig aussagekräftig Besteht ein Arbeitnehmer auf einem Arbeitszeugnis, ist sein Arbeitgeber in Deutschland rechtlich verpflichtet, eines auszustellen. Mit Aussagen über Leistung und Verhalten des Mitarbeiters wird aus dem einfachen Arbeitszeugnis sogar ein qualifiziertes. Doch aus der Umfrage ergab sich, dass nur 7,3 Prozent der ausgestellten Zeugnisse wirklich individuell angefertigt werden. Beachtliche 41,7 Prozent der Zeugnisaussteller greifen auf Hilfsmittel wie PC-gestützte Zeugnisgeneratoren zurück. Ein Vorgespräch mit dem Vorgesetzten zur besseren Einschätzung des Mitarbeiters führt nur ein Drittel der an der Studie teilnehmenden Unternehmen. "Die wichtigste Quelle für eine valide Einschätzung von Leistung und Verhalten wird also nur unzureichend genutzt", bemängeln die Studienleiter. Für die Unternehmen wird das Schreiben des Arbeitszeugnisses so zu einer Pflichtaufgabe - nur die Hälfte der Studienteilnehmer schätzt die Aussagekraft der von ihnen selbst erstellten Zeugnisse als "hoch" oder "sehr hoch" ein. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass die Zeugnisschreiber ihr Handwerk nicht sicher beherrschen: Knapp die Hälfte aller Zeugnisersteller habt nie eine Schulung für diese Aufgabe erhalten. In vielen Kleinunternehmen schreibt der Chef die Arbeitszeugnisse sogar selber - neben all seinen anderen Aufgaben. Der Zeugniscode sorgt für Missverständnisse Schwache Leistungen oder negatives Verhalten der Mitarbeiter werden in Zeugnissen oft hinter positiven Formulierungen versteckt oder erst gar nicht erwähnt. Damit wollen die Zeugnisschreiber die Zwickmühle zwischen Wahrheit und Wohlwollen umgehen: Mit den geschönten Formulierungen versucht der Arbeitgeber möglichen Auseinandersetzungen mit dem Mitarbeiter aus dem Weg zu gehen; auch soll das Arbeitszeugnis den Arbeitnehmer nicht in seinem beruflichen Fortkommen behindern. Die Folge: Für potenzielle neue Arbeitgeber ist es oft schwierig, die wahre Bedeutung des Geschriebenen zu erkennen. Häufig wird von einem "Zeugniscodes" gesprochen, den der Leser erst einmal entschlüsseln muss. So konnte in einem Test nur einer von 88 Befragten typische Zeugnisformulierungen einer Viererskala richtig zuordnen. Angesichts dieser Probleme ist es nicht verwunderlich, dass Unternehmen dem Arbeitszeugnis im Durchschnitt nur drei Minuten Aufmerksamkeit schenken, wenn sie Bewerbungsunterlagen auf den Tisch bekommen. Der potenzielle neue Arbeitgeber nutzt das Zeugnis überwiegend als kurze Übersicht über die bisherigen Tätigkeiten des Arbeitnehmers; in der Bewerbungsmappe ist es mit weitem Abstand erst das drittwichtigste Dokument nach Lebenslauf und Anschreiben. 9,1 Prozent der Unternehmen nutzen Zeugnisse gar nicht Sind Arbeitszeugnisse also noch sinnvoll?  Grau und Watzka sagen ganz klar: Nein, denn die Hälfte der Unternehmen nutzt Arbeitszeugnisse bei der Personalauswahl nur "wenig intensiv", 9,1 Prozent sogar "kaum" oder "gar nicht". Bei der Abschaffung müsse nur sichergestellt sein, dass der Arbeitnehmer eine Bestätigung über seine ausgeübten Tätigkeiten und wahrgenommenen Funktionen erhält. Auf wertende Aussagen, bei denen unklar ist, wie weit sie der Wahrheit entsprechen, könne man verzichten, da sind sich die Forscher einig. In den befragten Unternehmen sieht man das ähnlich. Und sollten Arbeitszeugnisse nicht ganz abgeschafft werden, so der Wunsch der Unternehmen, sollte man sich zumindest auf einfache Zeugnisse beschränken, eine einheitliche Zeugnissprache einführen und Standardkriterien zur Beurteilung der Mitarbeiter etablieren. Sie müssen ein Zeugnis für einen Praktikanten erstellen? Antworten auf alle wichtigen Fragen zum Praktikumszeugnis. Ein Mitarbeiter fragt nach einem Zwischenzeugnis? Hier lesen Sie Antworten auf alle wichtigen Fragen zum Zwischenzeugnis.
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