Abschied von Scrum
„Der Prozess wurde unglaublich träge“

Viele Unternehmen wollen agiler werden - und setzen dafür auf Scrum. Das Unternehmen von Björn Waide hat sich gerade bewusst von dieser Projektmanagement-Methode verabschiedet. Und alle fühlen sich befreit.

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Bringt uns das agile Arbeiten mit Scrum wirklich schneller ans Ziel  - oder lähmen uns die starren Prozesse?
Bringt uns das agile Arbeiten mit Scrum wirklich schneller ans Ziel - oder lähmen uns die starren Prozesse?
© Marie Maerz / photocase.de

Während die meisten Unternehmen noch davon reden, sich durch Scrum agiler und schlanker aufzustellen, haben wir die Methode bei smartsteuer vor wenigen Wochen abgeschafft. Unser Fazit nach fünf Jahren: Das Projektmanagement nach der Scrum-Methode ist zu starr und spiegelt die unternehmenseigenen Anforderungen nicht (mehr) wider.

Scrum eignet sich wunderbar, um die Entwicklung von Produkten durch striktes Management in geregelte Bahnen zu leiten. Die Methode hilft dabei, wesentliche von unwesentlichen Features zu trennen, die Aufgaben entsprechend in sogenannten Backlogs zu priorisieren und so dafür zu sorgen, dass Ressourcen effektiv und effizient eingesetzt werden. Soweit die Theorie. Auch bei smartsteuer sollte Scrum genau dafür sorgen: die Planung und Entwicklung von Software-Features besser zu gestalten.

Wir hatten keine Lust mehr auf Verrenkungen

In der Praxis aber hat sich in den Jahren seit der Einführung von Scrum immer öfter das Gefühl im smartsteuer-Team breitgemacht, dass die Methode zu starr ist. Am besten lässt sich das wohl vergleichen mit Stützrädern, die helfen sollen, Fahrradfahren zu lernen: Am Anfang sind sie unabdingbar, um Sicherheit auf dem Sattel zu gewinnen und nicht gleich tausendmal zu stürzen; aber irgendwann stören sie dabei, das Gelernte auszureizen, scharfe Kurven zu fahren oder zu beschleunigen.

Oft war es so, dass die Kolleg*innen sich fachlich verrenken mussten, um die für die einzelnen Entwicklungszyklen gesteckten Ziele einzuhalten. Sie haben die Aufgaben dann nicht immer nach dem Prinzip “Wer kann was am besten” erledigt, sondern nach dem Prinzip “Wer kann das irgendwie umsetzen”. Dadurch hat das Team Projekte zwar qualitativ nicht schlechter umgesetzt; der Prozess wurde aber unglaublich träge.

So hat sich immer öfter der Gedanke eingeschlichen, dass das System nur noch um seiner selbst willen existiert. Im Zuge einer Re-Organisation unseres Unternehmens, bei der Hierarchien abgebaut und althergebrachte Jobprofile ganz bewusst aufgebrochen wurden, hat sich unser Entwickler*innenteam dazu entschieden, fortan nicht mehr mit Scrum zu arbeiten.

Unser neues Modell muss sich noch beweisen

Und nicht nur das: Auch das “Entwickler*innenteam” gibt es in dem Sinne nicht mehr. Unser neues Modell, das sich selbst noch als “work in progress” beweisen muss, sieht vor, dass wir je nach Anforderung an eine Aufgabe ein Team zusammensetzen aus unterschiedlichsten Mitarbeitern, die verschiedene Fähigkeiten mitbringen. Das haben wir schon eine Weile lang immer wieder so getestet und mit der Re-Organisation endlich zum Standard erklärt.

Wenn heute also ein Produktfeature gebraucht wird, arbeiten nicht nur Entwickler*innen daran, sondern auch Marketing- oder Steuer-Expert*innen. Die Teams, die sich immer wieder neu zusammenfinden und crossfunktional arbeiten, haben ohne Scrum mehr Freiraum, weil etwa die täglichen Status-Meetings entfallen.

Die Entscheidungsfreiheit ist für manche herausfordernd

Was für viele ungewohnt ist: Jeder einzelne muss seine Aufgaben jetzt selbst priorisieren. Wo früher Direktiven von Vorgesetzten und dann das demokratische Voting in Scrum für Orientierung gesorgt haben, muss jeder nun für sich entscheiden, welche Tasks wann zu erledigen sind, um ein Projekt zum Erfolg zu führen.

Tatsächlich ist das Trainieren des Entscheidungsmuskels ein wesentlicher Aspekt unserer Re-Organisation und des neuen Unternehmensmodells. Da “ohne Hierarchie” aber nicht “ohne Hilfe” oder gar “ohne Plan” bedeutet, fangen die Kolleg*innen einander bei Bedarf auf, zudem stimmen wir uns mindestens monatlich im gesamten (!) Team ab.

Einmal im Monat kommen alle zum Thesenbasar

Dieses Meeting, bei dem wirklich alle dabei sind, nennen wir bei smartsteuer “Thesenbasar”. Dort kann jede*r Mitarbeiter*in ein Thema vorschlagen, an dem er oder sie gern arbeiten möchte. Die einzige Bedingung dabei ist, dass das Thema auf unsere Vision einzahlen beziehungsweise uns helfen soll, unsere strategischen Ziele zu erreichen.

Wird eine Idee in den Raum gestellt, gibt es zwei Feedback-Runden: In der ersten Runde sagt reihum jede*r im Team, warum diese Idee nicht funktionieren kann, welche Risiken sie birgt und was gegen die Umsetzung spricht. In der zweiten Runde sagt reihum jede*r, wie aus dieser Idee eine noch viel, viel bessere Idee werden kann. Der/die Ideengeber*in nimmt das kritische wie bestärkende Feedback mit, überarbeitet ihren oder seinen Vorschlag und stellt ihn – in angepasster, weiterentwickelter Form – beim nächsten Thesenbasar wieder vor.

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Jeder bekommt die Chance, gute Ideen in die Tat umzusetzen

Nun wird mit den Füßen statt mit Post-Its abgestimmt: Wer das Thema in den kommenden Wochen und Monaten bearbeiten will, stellt sich auf die Seite des/der Ideengebers*in. Kommen genügend Leute zusammen, kann das Projekt in Angriff genommen werden. Bewusst lassen wir hier nicht – wie etwa bei Scrum-basiertem Projektmanagement – demokratisch über jede Idee abstimmen. Warum? Weil die besten Ideen oft nicht die sind, die spontan und initial die meisten Stimmen bekommen.

Gute Ideen hinterfragen Bewährtes und bringen Lösungsansätze mit, die noch nicht erprobt sind. Das löst oft Zurückhaltung aus oder gar Ablehnung (“Das kann nicht funktionieren!”). Demokratische Verfahren führen daher oft zu “Durchschnittslösungen”, nicht zu echter Innovation. Bei manchen Unternehmen werden solche guten, aber gewagten Ideen einfach von oben durchgesetzt. Das widerstrebt unserer Philosophie, weswegen jede*r die Chance bekommt, gute Ideen in die Tat umzusetzen. Beweisen müssen sie sich am dann Markt.

Der Thesenbasar ist für uns bei smartsteuer ein wesentliches Instrument geworden, das das starre Gerüst von Scrum überflüssig macht. Wir wissen: Dies muss noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein – und bleiben offen für neue Methoden und Impulse.

Wie gehen Sie in Ihrem Unternehmen mit agilen Methoden wie Scrum um? Welche Limits spüren Sie?

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Während die meisten Unternehmen noch davon reden, sich durch Scrum agiler und schlanker aufzustellen, haben wir die Methode bei smartsteuer vor wenigen Wochen abgeschafft. Unser Fazit nach fünf Jahren: Das Projektmanagement nach der Scrum-Methode ist zu starr und spiegelt die unternehmenseigenen Anforderungen nicht (mehr) wider. Scrum eignet sich wunderbar, um die Entwicklung von Produkten durch striktes Management in geregelte Bahnen zu leiten. Die Methode hilft dabei, wesentliche von unwesentlichen Features zu trennen, die Aufgaben entsprechend in sogenannten Backlogs zu priorisieren und so dafür zu sorgen, dass Ressourcen effektiv und effizient eingesetzt werden. Soweit die Theorie. Auch bei smartsteuer sollte Scrum genau dafür sorgen: die Planung und Entwicklung von Software-Features besser zu gestalten. Wir hatten keine Lust mehr auf Verrenkungen In der Praxis aber hat sich in den Jahren seit der Einführung von Scrum immer öfter das Gefühl im smartsteuer-Team breitgemacht, dass die Methode zu starr ist. Am besten lässt sich das wohl vergleichen mit Stützrädern, die helfen sollen, Fahrradfahren zu lernen: Am Anfang sind sie unabdingbar, um Sicherheit auf dem Sattel zu gewinnen und nicht gleich tausendmal zu stürzen; aber irgendwann stören sie dabei, das Gelernte auszureizen, scharfe Kurven zu fahren oder zu beschleunigen. Oft war es so, dass die Kolleg*innen sich fachlich verrenken mussten, um die für die einzelnen Entwicklungszyklen gesteckten Ziele einzuhalten. Sie haben die Aufgaben dann nicht immer nach dem Prinzip “Wer kann was am besten” erledigt, sondern nach dem Prinzip “Wer kann das irgendwie umsetzen”. Dadurch hat das Team Projekte zwar qualitativ nicht schlechter umgesetzt; der Prozess wurde aber unglaublich träge. So hat sich immer öfter der Gedanke eingeschlichen, dass das System nur noch um seiner selbst willen existiert. Im Zuge einer Re-Organisation unseres Unternehmens, bei der Hierarchien abgebaut und althergebrachte Jobprofile ganz bewusst aufgebrochen wurden, hat sich unser Entwickler*innenteam dazu entschieden, fortan nicht mehr mit Scrum zu arbeiten. Unser neues Modell muss sich noch beweisen Und nicht nur das: Auch das “Entwickler*innenteam” gibt es in dem Sinne nicht mehr. Unser neues Modell, das sich selbst noch als “work in progress” beweisen muss, sieht vor, dass wir je nach Anforderung an eine Aufgabe ein Team zusammensetzen aus unterschiedlichsten Mitarbeitern, die verschiedene Fähigkeiten mitbringen. Das haben wir schon eine Weile lang immer wieder so getestet und mit der Re-Organisation endlich zum Standard erklärt. Wenn heute also ein Produktfeature gebraucht wird, arbeiten nicht nur Entwickler*innen daran, sondern auch Marketing- oder Steuer-Expert*innen. Die Teams, die sich immer wieder neu zusammenfinden und crossfunktional arbeiten, haben ohne Scrum mehr Freiraum, weil etwa die täglichen Status-Meetings entfallen. Die Entscheidungsfreiheit ist für manche herausfordernd Was für viele ungewohnt ist: Jeder einzelne muss seine Aufgaben jetzt selbst priorisieren. Wo früher Direktiven von Vorgesetzten und dann das demokratische Voting in Scrum für Orientierung gesorgt haben, muss jeder nun für sich entscheiden, welche Tasks wann zu erledigen sind, um ein Projekt zum Erfolg zu führen. Tatsächlich ist das Trainieren des Entscheidungsmuskels ein wesentlicher Aspekt unserer Re-Organisation und des neuen Unternehmensmodells. Da “ohne Hierarchie” aber nicht “ohne Hilfe” oder gar “ohne Plan” bedeutet, fangen die Kolleg*innen einander bei Bedarf auf, zudem stimmen wir uns mindestens monatlich im gesamten (!) Team ab. Einmal im Monat kommen alle zum Thesenbasar Dieses Meeting, bei dem wirklich alle dabei sind, nennen wir bei smartsteuer “Thesenbasar”. Dort kann jede*r Mitarbeiter*in ein Thema vorschlagen, an dem er oder sie gern arbeiten möchte. Die einzige Bedingung dabei ist, dass das Thema auf unsere Vision einzahlen beziehungsweise uns helfen soll, unsere strategischen Ziele zu erreichen. Wird eine Idee in den Raum gestellt, gibt es zwei Feedback-Runden: In der ersten Runde sagt reihum jede*r im Team, warum diese Idee nicht funktionieren kann, welche Risiken sie birgt und was gegen die Umsetzung spricht. In der zweiten Runde sagt reihum jede*r, wie aus dieser Idee eine noch viel, viel bessere Idee werden kann. Der/die Ideengeber*in nimmt das kritische wie bestärkende Feedback mit, überarbeitet ihren oder seinen Vorschlag und stellt ihn – in angepasster, weiterentwickelter Form – beim nächsten Thesenbasar wieder vor. Jeder bekommt die Chance, gute Ideen in die Tat umzusetzen Nun wird mit den Füßen statt mit Post-Its abgestimmt: Wer das Thema in den kommenden Wochen und Monaten bearbeiten will, stellt sich auf die Seite des/der Ideengebers*in. Kommen genügend Leute zusammen, kann das Projekt in Angriff genommen werden. Bewusst lassen wir hier nicht – wie etwa bei Scrum-basiertem Projektmanagement – demokratisch über jede Idee abstimmen. Warum? Weil die besten Ideen oft nicht die sind, die spontan und initial die meisten Stimmen bekommen. Gute Ideen hinterfragen Bewährtes und bringen Lösungsansätze mit, die noch nicht erprobt sind. Das löst oft Zurückhaltung aus oder gar Ablehnung (“Das kann nicht funktionieren!”). Demokratische Verfahren führen daher oft zu “Durchschnittslösungen”, nicht zu echter Innovation. Bei manchen Unternehmen werden solche guten, aber gewagten Ideen einfach von oben durchgesetzt. Das widerstrebt unserer Philosophie, weswegen jede*r die Chance bekommt, gute Ideen in die Tat umzusetzen. Beweisen müssen sie sich am dann Markt. Der Thesenbasar ist für uns bei smartsteuer ein wesentliches Instrument geworden, das das starre Gerüst von Scrum überflüssig macht. Wir wissen: Dies muss noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein – und bleiben offen für neue Methoden und Impulse. Wie gehen Sie in Ihrem Unternehmen mit agilen Methoden wie Scrum um? Welche Limits spüren Sie?
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