Christian Lindner übers Scheitern
„Es hieß schnell: ‚Die waren unfähig‘.“

Vor 16 Jahren musste FDP-Chef Christian Lindner mit seinem Start-up Insolvenz anmelden. Noch heute schlägt ihm deswegen Häme ins Gesicht. Er fordert eine neue Fehlerkultur: "Es gibt Menschen, die nehmen das Scheitern der anderen, um zu entschuldigen, selbst nichts probiert zu haben."

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Es ist 16 Jahre her, dass Christian Lindner mit einer Geschäftsidee scheiterte. Es nervt den FDP-Chef, dass ihm das heute noch vorgehalten wird. Es sei Zeit für eine neue Fehlerkultur.
Es ist 16 Jahre her, dass Christian Lindner mit einer Geschäftsidee scheiterte. Es nervt den FDP-Chef, dass ihm das heute noch vorgehalten wird. Es sei Zeit für eine neue Fehlerkultur.
© picture alliance /dpa

impulse: Herr Lindner, 2001 mussten Sie mit Ihrem Unternehmen Moomax Insolvenz anmelden. Was haben Sie daraus gelernt?

Christian Lindner: Die wesentlichen Gründe für unser Scheitern lagen im Marktumfeld, das wir unterschätzt hatten und auf das wir nicht flexibel reagiert haben. Und bezogen auf die eigene Aufstellung habe ich etwas zur Team-Aufstellung gelernt. Wir hatten ein softwaregetriebenes Geschäftsmodell, aber zu wenig eigene Software-Expertise im Team. Das würde ich anderen nicht empfehlen.

Weitere Erkenntnisse?

Uns ging es damals wie Hunderten anderen Start-up-Unternehmen, die mit dem Platzen der New-Economy-Blase gescheitert sind. Eine Lehre, die wohl alle gezogen haben: Das Scheitern ist in Deutschland noch ein Stigma. Selbst 16 Jahre danach, sonst würden auch wir jetzt nicht darüber reden.

Und das ärgert Sie.

Natürlich, wir brauchen einen Mentalitätswandel. Ein Start-up-Unternehmen ist ein ökonomisches Experiment. Wenn es scheitert, dann hat das nicht immer etwas mit individuellen Fehlern des Managements zu tun.

Womit dann?

Manchmal ist zum Beispiel einfach das Timing falsch. Es gibt Technologien oder Geschäftsmodelle, die zu einem Zeitpunkt nicht funktionieren, die aber trotzdem einmal erprobt werden müssen. Denn dadurch wird Wissen für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt generiert. Deswegen sage ich offensiv: Gründet, probiert es, auch wenn ihr scheitert. Und wenn ihr scheitert, lernen wir alle etwas daraus.

Wie haben Sie die Pleite damals emotional erlebt?

Ich war sieben Jahre – parallel zu dem knappen Jahr im Start-up-Umfeld – als Unternehmer tätig. Mit 18 hatte ich bereits eine Werbeagentur gegründet, die regional im Markt erfolgreich war. Bei mir ist also eines von zwei Projekten gescheitert. Deswegen hat mich die Situation nicht umgeworfen. Aber natürlich war ich enttäuscht, weil ich viel Enthusiasmus und Lebensenergie in dieses Projekt investiert hatte.

Heute reden Sie offensiv über das Scheitern Ihres Start-ups. Haben Sie sich damals geschämt?

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Nein, Unabhängigkeit und ein gewisses Selbstbewusstsein habe ich ja aus meinen erfolgreichen Projekten gezogen. Ich habe mich eher später geärgert, als Jahre danach in der Politik Unterstellungen und Legendenbildung begannen. Mein Wikipedia-Eintrag ist seit dieser Zeit ein Trümmerfeld.

Welche Legenden meinen Sie?

Es hieß schnell: ‚Die waren unfähig‘. Oder: ‚Da sind öffentliche Gelder verbrannt worden‘. Es hätte noch gefehlt: ‚Da sind die Hände zu nah an der Kasse gewesen‘. Dabei ist das Insolvenzverfahren ohne Beanstandung abgeschlossen worden. Und unser Unternehmen hat nie direkt öffentliches Kapital bekommen – es war unser Risikokapitalgeber, der sich über die KfW ganz marktüblich refinanziert hat. Und der macht das auch 16 Jahre später noch, weil hier alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

Und dann fuhren Sie auch noch einen Porsche.

Klar, aber eben nicht bezahlt von dem Start-up, sondern aus der eigenen Tasche.

Würden Sie nach dieser Erfahrung nochmal gründen?

Selbstverständlich. Ich habe ein sehr positives Bild von Unternehmertum – Risiko gehört dazu. In meinem Fall ist das aber Theorie, denn Parteivorsitzender der FDP und Abgeordneter sind meine Traumjobs.

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Vor einigen Monaten sind Sie in Frankfurt bei den „FuckUp Nights“ aufgetreten, wo gescheiterte Unternehmer erzählen, warum sie auf die Nase gefallen sind. Tut sich in Sachen Fehlerkultur etwas in Deutschland?

Total. Da gibt es einen Mentalitätswandel. Junge Unternehmer wollen sich so eine Häme, wie sie mir entgegengeschlagen ist, nicht mehr bieten lassen. Sie fordern eine Kultur der zweiten Chance. Doch die Gesellschaft ist in zwei Lager gespalten.

Wie meinen Sie das?

Auf der einen Seite gibt es die Aktiven, die Selbstbestimmten, die Zukunftsgewandten, Weltoffenen. Aber auf der anderen Seite gibt es auch die, die Angst vor neuer Technologie haben, denen die Globalisierung Angst macht, die sich abschotten wollen, die risikoscheu sind. Bei diesen Menschen hat man als Unternehmer kaum eine Chance: Ist man erfolgreich, dann löst das Neid aus. Scheitert man, dann verspotten sie einen. Ich denke, Menschen, die sich am Scheitern anderer ergötzen, tun dies auch, weil sie unzufrieden mit der eigenen Bewegungslosigkeit sind. Sie nehmen das Scheitern der anderen, um zu entschuldigen, selbst nichts probiert zu haben.

Als Politiker ist man ja quasi Profi im Spott-Einstecken: Niemand sonst wird so aggressiv attackiert wie Politiker. Haben Sie Tipps, wie man hämische Kritik abprallen lässt?

Man sollte sich vorstellen, wer da nachts einsam vor seinem Computer sitzt und seiner schlechte Laune anonym freien Lauf lässt. Ich ärgere mich mehr über Leitartikel, wenn ich meine, ungerecht behandelt worden zu sein. Vor allem, wenn einfach schlecht recherchiert worden ist. Im Umgang mit Wutbürgern habe ich mich verändert.

Inwiefern?

Vor Jahren habe ich noch jeden Facebook-Nutzer zu überzeugen versucht, der auf meiner Seite seine Hassnachrichten hinterlässt. Ich habe gelernt: Es gibt Leute, die wollen nicht überzeugt werden. Die wollen nur Frust ablassen. Man muss sich auf die kritischen, aber unverändert für Argumente offenen Leute konzentrieren – und bei den anderen sagen: so what? Diese Erkenntnis war damals für mich eine Befreiung.

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Wenn es scheitert, dann hat das nicht immer etwas mit individuellen Fehlern des Managements zu tun. Womit dann? Manchmal ist zum Beispiel einfach das Timing falsch. Es gibt Technologien oder Geschäftsmodelle, die zu einem Zeitpunkt nicht funktionieren, die aber trotzdem einmal erprobt werden müssen. Denn dadurch wird Wissen für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt generiert. Deswegen sage ich offensiv: Gründet, probiert es, auch wenn ihr scheitert. Und wenn ihr scheitert, lernen wir alle etwas daraus. Wie haben Sie die Pleite damals emotional erlebt? Ich war sieben Jahre – parallel zu dem knappen Jahr im Start-up-Umfeld - als Unternehmer tätig. Mit 18 hatte ich bereits eine Werbeagentur gegründet, die regional im Markt erfolgreich war. Bei mir ist also eines von zwei Projekten gescheitert. Deswegen hat mich die Situation nicht umgeworfen. Aber natürlich war ich enttäuscht, weil ich viel Enthusiasmus und Lebensenergie in dieses Projekt investiert hatte. Heute reden Sie offensiv über das Scheitern Ihres Start-ups. Haben Sie sich damals geschämt? Nein, Unabhängigkeit und ein gewisses Selbstbewusstsein habe ich ja aus meinen erfolgreichen Projekten gezogen. Ich habe mich eher später geärgert, als Jahre danach in der Politik Unterstellungen und Legendenbildung begannen. Mein Wikipedia-Eintrag ist seit dieser Zeit ein Trümmerfeld. Welche Legenden meinen Sie? Es hieß schnell: ‚Die waren unfähig‘. Oder: ‚Da sind öffentliche Gelder verbrannt worden‘. Es hätte noch gefehlt: ‚Da sind die Hände zu nah an der Kasse gewesen‘. Dabei ist das Insolvenzverfahren ohne Beanstandung abgeschlossen worden. Und unser Unternehmen hat nie direkt öffentliches Kapital bekommen – es war unser Risikokapitalgeber, der sich über die KfW ganz marktüblich refinanziert hat. Und der macht das auch 16 Jahre später noch, weil hier alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Und dann fuhren Sie auch noch einen Porsche. Klar, aber eben nicht bezahlt von dem Start-up, sondern aus der eigenen Tasche. Würden Sie nach dieser Erfahrung nochmal gründen? Selbstverständlich. Ich habe ein sehr positives Bild von Unternehmertum - Risiko gehört dazu. In meinem Fall ist das aber Theorie, denn Parteivorsitzender der FDP und Abgeordneter sind meine Traumjobs. Vor einigen Monaten sind Sie in Frankfurt bei den „FuckUp Nights“ aufgetreten, wo gescheiterte Unternehmer erzählen, warum sie auf die Nase gefallen sind. Tut sich in Sachen Fehlerkultur etwas in Deutschland? Total. Da gibt es einen Mentalitätswandel. Junge Unternehmer wollen sich so eine Häme, wie sie mir entgegengeschlagen ist, nicht mehr bieten lassen. Sie fordern eine Kultur der zweiten Chance. Doch die Gesellschaft ist in zwei Lager gespalten. Wie meinen Sie das? Auf der einen Seite gibt es die Aktiven, die Selbstbestimmten, die Zukunftsgewandten, Weltoffenen. Aber auf der anderen Seite gibt es auch die, die Angst vor neuer Technologie haben, denen die Globalisierung Angst macht, die sich abschotten wollen, die risikoscheu sind. Bei diesen Menschen hat man als Unternehmer kaum eine Chance: Ist man erfolgreich, dann löst das Neid aus. Scheitert man, dann verspotten sie einen. Ich denke, Menschen, die sich am Scheitern anderer ergötzen, tun dies auch, weil sie unzufrieden mit der eigenen Bewegungslosigkeit sind. Sie nehmen das Scheitern der anderen, um zu entschuldigen, selbst nichts probiert zu haben. Als Politiker ist man ja quasi Profi im Spott-Einstecken: Niemand sonst wird so aggressiv attackiert wie Politiker. Haben Sie Tipps, wie man hämische Kritik abprallen lässt? Man sollte sich vorstellen, wer da nachts einsam vor seinem Computer sitzt und seiner schlechte Laune anonym freien Lauf lässt. Ich ärgere mich mehr über Leitartikel, wenn ich meine, ungerecht behandelt worden zu sein. Vor allem, wenn einfach schlecht recherchiert worden ist. Im Umgang mit Wutbürgern habe ich mich verändert. Inwiefern? Vor Jahren habe ich noch jeden Facebook-Nutzer zu überzeugen versucht, der auf meiner Seite seine Hassnachrichten hinterlässt. Ich habe gelernt: Es gibt Leute, die wollen nicht überzeugt werden. Die wollen nur Frust ablassen. Man muss sich auf die kritischen, aber unverändert für Argumente offenen Leute konzentrieren – und bei den anderen sagen: so what? Diese Erkenntnis war damals für mich eine Befreiung.
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