Dumpingpreise im Handwerk
„Wir müssen aufhören, uns selbst zu zerstören“

80-Stunden-Woche und trotzdem kaum Geld verdient? So geht es vielen Handwerkern - und daran sind die meisten selbst schuld, sagt Malermeister Alexander Baumer. Er hat seinem Ärger in einem Blogbeitrag Luft gemacht, der zum viralen Hit wurde.

, von

Kommentieren
Vor acht Jahren machte sich Alexander Baumer selbstständig. Heute sagt der Malermeister: Wir müssen aufhören mit den Dumpingpreisen im Handwerk.
Vor acht Jahren machte sich Alexander Baumer selbstständig. Heute sagt der Malermeister: Wir müssen aufhören mit den Dumpingpreisen im Handwerk.
© Alexander Baumer

impulse: Herr Baumer, Sie haben einen Blogbeitrag geschrieben, der im Netz für Furore gesorgt hat: Er wurde inzwischen mehr als 800.000 Mal gelesen und 700 Mal auf Facebook geteilt. Darin sagen Sie: Das Handwerk zerstört sich selbst. Was meinen Sie damit?

Alexander Baumer: Ich kenne viele Handwerker, vom Dachdecker über den Estrichbauer bis zum Fertighaushersteller. Und ich höre von jedem eigentlich dasselbe: Jeder jammert, dass er 60, 70, 80 Stunden pro Woche arbeiten muss – und trotzdem fast kein Geld verdient. Viele schaffen es nicht, trotz dieser enormen körperlichen und seelischen Belastung, am Ende eines Monats mit einem angemessenen Lohn nach Hause zu gehen. Das meine ich mit Selbstzerstörung.

Woran liegt das?

Viele Kollegen – auch etablierte Malermeister – arbeiten heute zu Dumpingpreisen. Ich kam neulich von einem Besichtigungstermin. Ein renommierter Professor aus Regensburg wollte seine Praxis gestrichen haben. Ich hatte mit ihm im Detail durchgesprochen, welche Arbeiten gemacht werden sollen. Bei der Verabschiedung sagte seine Sekretärin zu mir: „Bitte machen Sie uns einen guten Preis. Der Günstigste kriegt den Auftrag.“

Weil ich noch nachgebohrt habe, hat mir die Sekretärin das Angebot meines Mitbewerbers verraten: 1200 Euro netto! Für zwölf Zimmer! Alles möbliert und teilweise stark verschmutzt. Vereinzelt lagen auch Teppichböden, was das Abdecken erschwert und ein noch saubereres Arbeiten voraussetzt.

Wie viel hätte er bei Ihnen gezahlt?

Ich kam auf etwa 7000 bis 8000 Euro netto.  Das war natürlich ein extremer Unterschied. Aber das erleben wir fast wöchentlich. Diese Woche haben wir auch wieder eine Absage bekommen für eine Fassade, weil wir 50 Prozent teurer waren als ein anderer Betrieb.

Wie kann sich das für Ihre Konkurrenten rechnen?

Ich glaube, dass viele Handwerker einfach gar nicht kalkulieren. Viele wissen: Der Marktpreis liegt bei XY, für eine Fassade kann ich maximal 5000 Euro verlangen. Dann biete ich es mal für 4000 Euro an, vielleicht krieg‘ ich dann den Auftrag. So wie die Preise momentan am Markt sind, kann ich mir nicht vorstellen, dass viele sich wirklich hinsetzen und für einen Auftrag ihre Arbeitsstunden und den Materialverbrauch ausrechnen. Das ist ein großes Problem.

Glauben Sie, die Kunden würden mehr bezahlen?

Natürlich würden sie, aber sie müssen eben nicht.

In eigener Sache
Machen ist wie wollen, nur krasser
Machen ist wie wollen, nur krasser
Die impulse-Mitgliedschaft - Rückenwind für Unternehmerinnen und Unternehmer

Wie überleben Ihre Konkurrenten mit solchen Preisen?

Solche Angebote können sich nur lohnen, wenn man entweder einen sehr geringen Kostenapparat hat, keine Werkstatt, keine Angestellten. Und lieber eine Arztpraxis für 1200 Euro streicht, bevor man gar nicht arbeitet. Oder man spart an der Qualität und der Ausführung: Wir erleben immer wieder bei Ausschreibungen, dass beispielsweise zehn Positionen angeboten und am Ende nur fünf ausgeführt werden.

Das ist doch Betrug.

Ja, im Endeffekt wird der Kunde von vornherein verarscht. Viele bieten Leistungen an, die sie am Ende nicht ausführen. Dann rechnet sich der Preis für den Maler wieder. Dass es jemanden gibt, der es ein bisschen günstiger anbietet, ist normal. Aber alles, was mehr als 10 Prozent günstiger ist, ist unseriös. Dann muss zwangsläufig an der Qualität oder den Leistungen gespart werden.

Kann man als einzelner Unternehmer etwas gegen das Preisdumping tun?

Das zu ändern, ist brutal schwierig. Aber nichts zu tun, ist auch keine Lösung: So wie es momentan läuft, ist es eine Katastrophe.

Sie selbst sagen, dass Sie bei dem Preisdumping nicht mehr mitmachen. Wie geht das?

In eigener Sache
Heben Sie sich bereits von Ihrer Konkurrenz ab?
Online-Workshop für Unternehmer
Heben Sie sich bereits von Ihrer Konkurrenz ab?
Im Online Workshop "Zukunft sichern: So entwickeln Sie Ihr Geschäftsmodell weiter" gehen Sie dieses Ziel an.

Eins vorweg: Es ist wahnsinnig schwer, Nein zu sagen – auch für mich. Wenn Kunden anfragen, möchte man natürlich gerne den Auftrag an Land ziehen. Man braucht Selbstbewusstsein, um zu sagen: „Wir haben unsere Preisschiene. Wer nicht bereit ist, in Qualität zu investieren, der passt als Kunde eben nicht zu uns.“

Viele können das nicht, weil sie Angst haben, nächste Woche nichts zu tun zu haben.

Das hat auch bei uns sehr lange gedauert, bis wir an diesem Punkt waren. Und es ist immer noch nicht so, wie ich es mir vorstelle.

Gab es bei Ihnen einen Aha-Moment, in dem Sie gedacht haben: Ich muss jetzt selbst etwas ändern?

Ja, vor drei Jahren. Wir hatten damals für Hausverwalter und Architekten gearbeitet – und kaum direkt für Privatkunden. Und wir hatten zwei Zahlungsausfälle, bei denen es um 80.000 Euro ging. Zwei Kunden hatten wegen irgendwelcher dubiosen Mängel, die eigentlich keine waren, nicht gezahlt. Damals wusste ich nicht, ob ich überhaupt weitermachen kann. Das war für mich der Punkt, an dem ich gesagt habe: Entweder höre ich auf oder ich mache etwas anders.

Was haben Sie gemacht?

Wir haben uns komplett neu aufgestellt. Denn ich wusste: In dem Massengeschäft „Weiße Wände streichen“ wird man dem Preiskampf nie entgehen. Denn da sind die für den Kunden sichtbaren Qualitätsunterschiede so gering, dass es am Ende immer nur um den Preis geht. Daher habe ich die Firma wieder fast auf null runtergefahren, mich von nahezu allen Mitarbeitern getrennt. Das war eine harte Zeit und ich hatte einige schlaflose Nächte. Gemeinsam mit einem Mitarbeiter habe ich dann alles neu aufgebaut und mich auf den Exklusivbereich spezialisiert.

Was bieten Sie jetzt an?

Wir sind immer noch ein Malerbetrieb und führen Malerarbeiten aus. Aber wir planen inzwischen auch die Inneneinrichtung, gemeinsam mit einem exklusiven Möbelhaus und angesehenen Architekten. Wir haben eine eigene Marke für dekorative Baustoffe entwickelt. Nur so geht es. In dem Bereich hat man nicht so viel Konkurrenz. Und man kann sich durch Qualität deutlicher abheben.

Und auch höhere Preise verlangen?

Definitiv. Wenn ein Kunde eine Wand in Sichtbeton gespachtelt haben möchte und er dann sagt: „Dann streichen Sie doch gleich die anderen drei Wände und die Decke mit“, können wir dafür einen anderen Preis verlangen. Wenn er weiß: Die Sichtbetonwand kostet 4000 Euro, dann ist das Streichen eines Wohnzimmers für 1000 Euro auf einmal günstig. Etwa 60 Prozent unseres Umsatzes machen wir inzwischen mit exklusiven Leistungen, der Rest sind immer noch Standardarbeiten – für einen vernünftigen Preis. Man muss davon wegkommen, nur über den Preis zu verkaufen, und hin zu einer Leistung, die der Kunde einfach haben will.

Geht Ihre Strategie auf?

Das ist ein steiniger Weg. Dadurch, dass wir uns so klar positionieren, bekommen wir inzwischen nur noch sehr wenig Standardanfragen. Und man muss sich in dem Exklusivbereich natürlich erst mal einen Namen machen. Das geht nicht von heute auf morgen. Hinzu kommt: Alles, was wir momentan an Geld verdienen, investiere ich in eine neue Firmenausstattung, damit alles hochwertiger und eleganter ist. 2018 soll ein Showroom entstehen, damit wir unsere Kunden noch besser beraten können. Das kostet alles Geld. Deswegen kann ich momentan noch nicht sagen, dass es sich rechnet. Aber es ist für mich der einzig richtige Weg, das zeigt auch das positive Feedback unserer Kunden. Und ich habe auf jeden Fall weniger Stress.

In eigener Sache
Heben Sie sich bereits von Ihrer Konkurrenz ab?
Online-Workshop für Unternehmer
Heben Sie sich bereits von Ihrer Konkurrenz ab?
Im Online Workshop "Zukunft sichern: So entwickeln Sie Ihr Geschäftsmodell weiter" gehen Sie dieses Ziel an.
impulse: Herr Baumer, Sie haben einen Blogbeitrag geschrieben, der im Netz für Furore gesorgt hat: Er wurde inzwischen mehr als 800.000 Mal gelesen und 700 Mal auf Facebook geteilt. Darin sagen Sie: Das Handwerk zerstört sich selbst. Was meinen Sie damit? Alexander Baumer: Ich kenne viele Handwerker, vom Dachdecker über den Estrichbauer bis zum Fertighaushersteller. Und ich höre von jedem eigentlich dasselbe: Jeder jammert, dass er 60, 70, 80 Stunden pro Woche arbeiten muss – und trotzdem fast kein Geld verdient. Viele schaffen es nicht, trotz dieser enormen körperlichen und seelischen Belastung, am Ende eines Monats mit einem angemessenen Lohn nach Hause zu gehen. Das meine ich mit Selbstzerstörung. Woran liegt das? Viele Kollegen – auch etablierte Malermeister – arbeiten heute zu Dumpingpreisen. Ich kam neulich von einem Besichtigungstermin. Ein renommierter Professor aus Regensburg wollte seine Praxis gestrichen haben. Ich hatte mit ihm im Detail durchgesprochen, welche Arbeiten gemacht werden sollen. Bei der Verabschiedung sagte seine Sekretärin zu mir: „Bitte machen Sie uns einen guten Preis. Der Günstigste kriegt den Auftrag.“ Weil ich noch nachgebohrt habe, hat mir die Sekretärin das Angebot meines Mitbewerbers verraten: 1200 Euro netto! Für zwölf Zimmer! Alles möbliert und teilweise stark verschmutzt. Vereinzelt lagen auch Teppichböden, was das Abdecken erschwert und ein noch saubereres Arbeiten voraussetzt. Wie viel hätte er bei Ihnen gezahlt? Ich kam auf etwa 7000 bis 8000 Euro netto.  Das war natürlich ein extremer Unterschied. Aber das erleben wir fast wöchentlich. Diese Woche haben wir auch wieder eine Absage bekommen für eine Fassade, weil wir 50 Prozent teurer waren als ein anderer Betrieb. Wie kann sich das für Ihre Konkurrenten rechnen? Ich glaube, dass viele Handwerker einfach gar nicht kalkulieren. Viele wissen: Der Marktpreis liegt bei XY, für eine Fassade kann ich maximal 5000 Euro verlangen. Dann biete ich es mal für 4000 Euro an, vielleicht krieg' ich dann den Auftrag. So wie die Preise momentan am Markt sind, kann ich mir nicht vorstellen, dass viele sich wirklich hinsetzen und für einen Auftrag ihre Arbeitsstunden und den Materialverbrauch ausrechnen. Das ist ein großes Problem. Glauben Sie, die Kunden würden mehr bezahlen? Natürlich würden sie, aber sie müssen eben nicht. Wie überleben Ihre Konkurrenten mit solchen Preisen? Solche Angebote können sich nur lohnen, wenn man entweder einen sehr geringen Kostenapparat hat, keine Werkstatt, keine Angestellten. Und lieber eine Arztpraxis für 1200 Euro streicht, bevor man gar nicht arbeitet. Oder man spart an der Qualität und der Ausführung: Wir erleben immer wieder bei Ausschreibungen, dass beispielsweise zehn Positionen angeboten und am Ende nur fünf ausgeführt werden. Das ist doch Betrug. Ja, im Endeffekt wird der Kunde von vornherein verarscht. Viele bieten Leistungen an, die sie am Ende nicht ausführen. Dann rechnet sich der Preis für den Maler wieder. Dass es jemanden gibt, der es ein bisschen günstiger anbietet, ist normal. Aber alles, was mehr als 10 Prozent günstiger ist, ist unseriös. Dann muss zwangsläufig an der Qualität oder den Leistungen gespart werden. Kann man als einzelner Unternehmer etwas gegen das Preisdumping tun? Das zu ändern, ist brutal schwierig. Aber nichts zu tun, ist auch keine Lösung: So wie es momentan läuft, ist es eine Katastrophe. Sie selbst sagen, dass Sie bei dem Preisdumping nicht mehr mitmachen. Wie geht das? Eins vorweg: Es ist wahnsinnig schwer, Nein zu sagen – auch für mich. Wenn Kunden anfragen, möchte man natürlich gerne den Auftrag an Land ziehen. Man braucht Selbstbewusstsein, um zu sagen: „Wir haben unsere Preisschiene. Wer nicht bereit ist, in Qualität zu investieren, der passt als Kunde eben nicht zu uns.“ Viele können das nicht, weil sie Angst haben, nächste Woche nichts zu tun zu haben. Das hat auch bei uns sehr lange gedauert, bis wir an diesem Punkt waren. Und es ist immer noch nicht so, wie ich es mir vorstelle. Gab es bei Ihnen einen Aha-Moment, in dem Sie gedacht haben: Ich muss jetzt selbst etwas ändern? Ja, vor drei Jahren. Wir hatten damals für Hausverwalter und Architekten gearbeitet – und kaum direkt für Privatkunden. Und wir hatten zwei Zahlungsausfälle, bei denen es um 80.000 Euro ging. Zwei Kunden hatten wegen irgendwelcher dubiosen Mängel, die eigentlich keine waren, nicht gezahlt. Damals wusste ich nicht, ob ich überhaupt weitermachen kann. Das war für mich der Punkt, an dem ich gesagt habe: Entweder höre ich auf oder ich mache etwas anders. Was haben Sie gemacht? Wir haben uns komplett neu aufgestellt. Denn ich wusste: In dem Massengeschäft „Weiße Wände streichen“ wird man dem Preiskampf nie entgehen. Denn da sind die für den Kunden sichtbaren Qualitätsunterschiede so gering, dass es am Ende immer nur um den Preis geht. Daher habe ich die Firma wieder fast auf null runtergefahren, mich von nahezu allen Mitarbeitern getrennt. Das war eine harte Zeit und ich hatte einige schlaflose Nächte. Gemeinsam mit einem Mitarbeiter habe ich dann alles neu aufgebaut und mich auf den Exklusivbereich spezialisiert. Was bieten Sie jetzt an? Wir sind immer noch ein Malerbetrieb und führen Malerarbeiten aus. Aber wir planen inzwischen auch die Inneneinrichtung, gemeinsam mit einem exklusiven Möbelhaus und angesehenen Architekten. Wir haben eine eigene Marke für dekorative Baustoffe entwickelt. Nur so geht es. In dem Bereich hat man nicht so viel Konkurrenz. Und man kann sich durch Qualität deutlicher abheben. Und auch höhere Preise verlangen? Definitiv. Wenn ein Kunde eine Wand in Sichtbeton gespachtelt haben möchte und er dann sagt: „Dann streichen Sie doch gleich die anderen drei Wände und die Decke mit“, können wir dafür einen anderen Preis verlangen. Wenn er weiß: Die Sichtbetonwand kostet 4000 Euro, dann ist das Streichen eines Wohnzimmers für 1000 Euro auf einmal günstig. Etwa 60 Prozent unseres Umsatzes machen wir inzwischen mit exklusiven Leistungen, der Rest sind immer noch Standardarbeiten – für einen vernünftigen Preis. Man muss davon wegkommen, nur über den Preis zu verkaufen, und hin zu einer Leistung, die der Kunde einfach haben will. Geht Ihre Strategie auf? Das ist ein steiniger Weg. Dadurch, dass wir uns so klar positionieren, bekommen wir inzwischen nur noch sehr wenig Standardanfragen. Und man muss sich in dem Exklusivbereich natürlich erst mal einen Namen machen. Das geht nicht von heute auf morgen. Hinzu kommt: Alles, was wir momentan an Geld verdienen, investiere ich in eine neue Firmenausstattung, damit alles hochwertiger und eleganter ist. 2018 soll ein Showroom entstehen, damit wir unsere Kunden noch besser beraten können. Das kostet alles Geld. Deswegen kann ich momentan noch nicht sagen, dass es sich rechnet. Aber es ist für mich der einzig richtige Weg, das zeigt auch das positive Feedback unserer Kunden. Und ich habe auf jeden Fall weniger Stress.
Mehr lesen über