Eigenverantwortliches Arbeiten
„Je mehr Freiheiten ich gebe, desto mehr Regeln brauchen wir“

Dienst nach Vorschrift? Für Unternehmerin Anabel Ternès ein Gräuel: Sie setzt auf eigenverantwortliches Arbeiten und lässt ihren Mitarbeitern Freiheiten – und doch wünschen die sich klare Regeln.

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Eigenverantwortliches Arbeiten
© thomas-bethge/i-Stock/Getty Images Plus/Getty Images

„Wir wollen, dass du uns sagst, wo es langgeht“ – diesen Satz habe ich öfter von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehört, als ich mein Unternehmen gegründet hatte. Mein Team erwartete von mir, dass ich klare Arbeitsanweisungen gebe, Aufgaben verteile, Entscheidungen treffe. Schließlich, so ihre Meinung, war ich die Unternehmerin, hatte die Gesamtvision, trug die Verantwortung.

Alles genau vorgeben? Nicht mit mir

Ich fand das nicht gut. Ich wollte nicht, dass alle nur auf mein Kommando hören. Ich habe meinen Teammitgliedern immer gesagt, dass ich mir wünsche, dass sie ihre eigenen Erfahrungen und Kenntnisse einbringen. Aber sie scheuten sich oder wünschten sich sogar, dass ich alle Entscheidungen treffe.

Das war besonders in der Anfangszeit so. Über die Jahre habe ich den Mitarbeitenden viele Weiterbildungsangebote gemacht und wir hatten regelmäßig Workshops, um stärker Teamwork, agiles Arbeiten und gerade auch Selbstverantwortung zu lernen. Bei den neuen Kollegen schauten wir schon bei der Auswahl darauf, Personen an Bord zu holen, die sich stärker einbringen. Die nicht nur auf Zuruf Aufgaben erledigen, sondern selbstständig Dinge anpacken und sich auch trauen, Entscheidungen zu treffen.

Freie Entscheidungen über Arbeitsort und -zeit

Mir ist es wichtig, meinem Team viele Freiheiten zu lassen. Zum Beispiel bin ich selbst viel unterwegs und arbeite von verschiedenen Orten aus – warum sollten meine Mitarbeitenden nicht die gleiche Möglichkeit haben? Wir haben schon vor der Pandemie überwiegend virtuell zusammengearbeitet. Wir haben zwar ein Büro, aber jedem steht der Arbeitsort frei. Auch die Arbeitszeit gebe ich nicht streng vor – je nachdem, ob jemand nach außen hin erreichbar sein muss oder wenn es Deadlines gibt, gibt es feste Zeiten für die Erreichbarkeit. Ansonsten arbeiten bei uns alle mit Vertrauensarbeitszeit.

Solche Freiheiten zu geben, erleichtert mir die Arbeit, weil ich richtig gute Leute habe und mich auf sie verlassen kann. Und die Teammitglieder melden mir zurück, dass es sie motiviert, eigenverantwortlich arbeiten zu können.

Mitarbeiter fordern Regeln ein

Und doch mussten wir feststellen: Ohne Regeln geht es nicht. Tatsächlich ist es sogar so: Je mehr Freiheiten ich gebe, desto mehr Regeln brauchen wir, damit das Zusammenarbeiten funktioniert.

Ein Beispiel: Einer meiner Mitarbeitenden ist sehr viel gereist und hat von verschiedenen Orten überall auf der Welt gearbeitet. Das war schließlich auch erlaubt, solange er seine Arbeit erledigt. Aber weil es keine Regeln gab, wie wir auf Reisen arbeiten, hat das häufig nicht funktioniert: Er hat draußen gearbeitet, dann war es beim Telefonieren oder in Videomeetings windig und man konnte ihn kaum verstehen. Oder er hat während eines Telefonats Freunde gegrüßt, war abgelenkt. Oder die Internetverbindung war schlecht.

Zur Person
Anabel TernésAnabel Ternès gründete mehrere Start-ups im Tech-, Gesundheits- und Sozialbereich. Sie ist geschäftsführende Gesellschafterin und Gründerin der GetYourWings gGmbH, die sich für Digitale Kompetenz einsetzt. Sie ist außerdem Autorin zahlreicher Fachbücher und Fachartikel.

Die Lösung: konkrete Bestimmungen für konkrete Situationen

Das Problem mit dem reisenden Kollegen zeigte uns als Team: Wir finden es zwar alle toll, von überall aus arbeiten zu können. Aber wir brauchten feste Übereinkünfte dazu, wie so etwas vonstattengehen sollte.

Wir haben uns dann zusammengesetzt. Ich habe gefragt, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich wünschen, was genau sie für eine reibungslosere Zusammenarbeit brauchen. Und dann haben wir gemeinsam ein Regelwerk erarbeitet.

Da steht zum Beispiel drin: Wir dürfen uns den Arbeitsort frei aussuchen, aber es muss dort vernünftiges WLAN geben. Und man muss drinnen arbeiten. In Ausnahmefällen ist auch Arbeiten im Freien erlaubt – aber nur, wenn es dort ruhig ist.

Sogar Kleidungsvorschriften wurden gefordert

Wir haben auch das Thema Kleidung reglementiert. Ich habe damals zwar erst gesagt: „Leute, ich kann doch nicht vorschreiben, wie sich jemand anzieht“. Aber mein Team meinte: „Doch, das musst du! Wenn jemand im Minirock bei Kunden auftaucht, das geht gar nicht.“

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Der Hintergrund war, dass Einzelne aus dem Homeoffice in Flip Flops und kurzer Hose oder Rock zu Kundenterminen gefahren waren. Wir haben teilweise sehr konservative Kooperationspartner, die sich dann über die Kleidung beschwert haben. Wir haben deshalb festgelegt, was adäquate Kleidung für Kundentermine ist: zum Beispiel geschlossenes Schuhwerk und Hosen oder Röcke, die übers Knie reichen.

Eine Regel haben wir wieder geändert

Weil ich nicht in jede noch so kleine Entscheidung einbezogen werden wollte, hatte ich dem Team lange auch eine gewisse Freiheit in Sachen Budget gewährt: Einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten über Ausgaben von bis zu 5000 Euro selbstständig entscheiden.

Diese Regel aber haben wir dann wieder gestrichen. Heute müssen Mitarbeitende Entscheidungen über Ausgaben doch wieder mit mir oder meiner Stellvertreterin absprechen. Nicht, weil sie plötzlich unverantwortlich mit dem Firmengeld umgegangen wären. Sondern weil sie beispielsweise bei einem normalen Versand bestellten – es die gleiche Qualität für einen ähnlichen Preis aber bei einem Ökoversand gegeben hätte. Das entspricht nicht unseren Unternehmenswerten – wir achten an und für sich in allen Bereichen auf Nachhaltigkeit. Und weil es häufiger vorkam, habe ich wieder eingeführt, dass man mich oder andere Verantwortliche in Budget-Entscheidungen einbeziehen muss. Das schafft Sicherheit für alle Beteiligten.

Regeln sind für alle einsehbar

Wir haben die Regeln unserer Zusammenarbeit verschriftlicht. Wenn jemand neu bei uns anfängt, bekommt er oder sie als Erstes ein Welcome-Package, und da gehören auch die Regeln dazu. Wir sprechen auch darüber und ermutigen unsere Starter dazu, es anzusprechen, wenn sie Regeln komisch finden, etwas anders machen würden oder Vorschläge für Ergänzungen haben. Es ist schließlich nichts in Stein gemeißelt. Und oft hilft der Blick von außen, um unser Miteinander zu verbessern.

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„Wir wollen, dass du uns sagst, wo es langgeht“ – diesen Satz habe ich öfter von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehört, als ich mein Unternehmen gegründet hatte. Mein Team erwartete von mir, dass ich klare Arbeitsanweisungen gebe, Aufgaben verteile, Entscheidungen treffe. Schließlich, so ihre Meinung, war ich die Unternehmerin, hatte die Gesamtvision, trug die Verantwortung. Alles genau vorgeben? Nicht mit mir Ich fand das nicht gut. Ich wollte nicht, dass alle nur auf mein Kommando hören. Ich habe meinen Teammitgliedern immer gesagt, dass ich mir wünsche, dass sie ihre eigenen Erfahrungen und Kenntnisse einbringen. Aber sie scheuten sich oder wünschten sich sogar, dass ich alle Entscheidungen treffe. Das war besonders in der Anfangszeit so. Über die Jahre habe ich den Mitarbeitenden viele Weiterbildungsangebote gemacht und wir hatten regelmäßig Workshops, um stärker Teamwork, agiles Arbeiten und gerade auch Selbstverantwortung zu lernen. Bei den neuen Kollegen schauten wir schon bei der Auswahl darauf, Personen an Bord zu holen, die sich stärker einbringen. Die nicht nur auf Zuruf Aufgaben erledigen, sondern selbstständig Dinge anpacken und sich auch trauen, Entscheidungen zu treffen. Freie Entscheidungen über Arbeitsort und -zeit Mir ist es wichtig, meinem Team viele Freiheiten zu lassen. Zum Beispiel bin ich selbst viel unterwegs und arbeite von verschiedenen Orten aus – warum sollten meine Mitarbeitenden nicht die gleiche Möglichkeit haben? Wir haben schon vor der Pandemie überwiegend virtuell zusammengearbeitet. Wir haben zwar ein Büro, aber jedem steht der Arbeitsort frei. Auch die Arbeitszeit gebe ich nicht streng vor – je nachdem, ob jemand nach außen hin erreichbar sein muss oder wenn es Deadlines gibt, gibt es feste Zeiten für die Erreichbarkeit. Ansonsten arbeiten bei uns alle mit Vertrauensarbeitszeit. Solche Freiheiten zu geben, erleichtert mir die Arbeit, weil ich richtig gute Leute habe und mich auf sie verlassen kann. Und die Teammitglieder melden mir zurück, dass es sie motiviert, eigenverantwortlich arbeiten zu können. Mitarbeiter fordern Regeln ein Und doch mussten wir feststellen: Ohne Regeln geht es nicht. Tatsächlich ist es sogar so: Je mehr Freiheiten ich gebe, desto mehr Regeln brauchen wir, damit das Zusammenarbeiten funktioniert. Ein Beispiel: Einer meiner Mitarbeitenden ist sehr viel gereist und hat von verschiedenen Orten überall auf der Welt gearbeitet. Das war schließlich auch erlaubt, solange er seine Arbeit erledigt. Aber weil es keine Regeln gab, wie wir auf Reisen arbeiten, hat das häufig nicht funktioniert: Er hat draußen gearbeitet, dann war es beim Telefonieren oder in Videomeetings windig und man konnte ihn kaum verstehen. Oder er hat während eines Telefonats Freunde gegrüßt, war abgelenkt. Oder die Internetverbindung war schlecht. Die Lösung: konkrete Bestimmungen für konkrete Situationen Das Problem mit dem reisenden Kollegen zeigte uns als Team: Wir finden es zwar alle toll, von überall aus arbeiten zu können. Aber wir brauchten feste Übereinkünfte dazu, wie so etwas vonstattengehen sollte. Wir haben uns dann zusammengesetzt. Ich habe gefragt, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich wünschen, was genau sie für eine reibungslosere Zusammenarbeit brauchen. Und dann haben wir gemeinsam ein Regelwerk erarbeitet. Da steht zum Beispiel drin: Wir dürfen uns den Arbeitsort frei aussuchen, aber es muss dort vernünftiges WLAN geben. Und man muss drinnen arbeiten. In Ausnahmefällen ist auch Arbeiten im Freien erlaubt – aber nur, wenn es dort ruhig ist. Sogar Kleidungsvorschriften wurden gefordert Wir haben auch das Thema Kleidung reglementiert. Ich habe damals zwar erst gesagt: „Leute, ich kann doch nicht vorschreiben, wie sich jemand anzieht“. Aber mein Team meinte: „Doch, das musst du! Wenn jemand im Minirock bei Kunden auftaucht, das geht gar nicht.“ Der Hintergrund war, dass Einzelne aus dem Homeoffice in Flip Flops und kurzer Hose oder Rock zu Kundenterminen gefahren waren. Wir haben teilweise sehr konservative Kooperationspartner, die sich dann über die Kleidung beschwert haben. Wir haben deshalb festgelegt, was adäquate Kleidung für Kundentermine ist: zum Beispiel geschlossenes Schuhwerk und Hosen oder Röcke, die übers Knie reichen. Eine Regel haben wir wieder geändert Weil ich nicht in jede noch so kleine Entscheidung einbezogen werden wollte, hatte ich dem Team lange auch eine gewisse Freiheit in Sachen Budget gewährt: Einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten über Ausgaben von bis zu 5000 Euro selbstständig entscheiden. Diese Regel aber haben wir dann wieder gestrichen. Heute müssen Mitarbeitende Entscheidungen über Ausgaben doch wieder mit mir oder meiner Stellvertreterin absprechen. Nicht, weil sie plötzlich unverantwortlich mit dem Firmengeld umgegangen wären. Sondern weil sie beispielsweise bei einem normalen Versand bestellten – es die gleiche Qualität für einen ähnlichen Preis aber bei einem Ökoversand gegeben hätte. Das entspricht nicht unseren Unternehmenswerten – wir achten an und für sich in allen Bereichen auf Nachhaltigkeit. Und weil es häufiger vorkam, habe ich wieder eingeführt, dass man mich oder andere Verantwortliche in Budget-Entscheidungen einbeziehen muss. Das schafft Sicherheit für alle Beteiligten. Regeln sind für alle einsehbar Wir haben die Regeln unserer Zusammenarbeit verschriftlicht. Wenn jemand neu bei uns anfängt, bekommt er oder sie als Erstes ein Welcome-Package, und da gehören auch die Regeln dazu. Wir sprechen auch darüber und ermutigen unsere Starter dazu, es anzusprechen, wenn sie Regeln komisch finden, etwas anders machen würden oder Vorschläge für Ergänzungen haben. Es ist schließlich nichts in Stein gemeißelt. Und oft hilft der Blick von außen, um unser Miteinander zu verbessern.
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