Kundenimpfung
Dumm gelaufen? So verzeihen Kunden leichter einen Fehler

Der Wirtschaftswissenschaftler Benjamin Quaiser sagt: Unternehmen sollten ehrlicher mit Fehlern umgehen - dann werden sie ihnen leichter verziehen. Helfen soll dabei eine Methode, die schon im Korea-Krieg zum Einsatz kam.

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Tut nur ganz kurz weh - und schützt vor Unzufriedenheit: Mit der Kundenimpfung bereiten Sie Ihre Kunden auf mögliche Fehler vor.
Tut nur ganz kurz weh - und schützt vor Unzufriedenheit: Mit der Kundenimpfung bereiten Sie Ihre Kunden auf mögliche Fehler vor.
© JurgaR / E+ / Getty Images

impulse: Herr Quaiser, Sie kritisieren, dass viele deutsche Unternehmen falsch mit Fehlern umgehen. Was läuft Ihrer Meinung nach schief?

Benjamin Quaiser: Fehler passieren nun mal. Wenn sich der Kunde dann beschwert, nehmen Unternehmen oft viel Geld in die Hand, um das Problem wieder auszubügeln. Das funktioniert mal besser, mal schlechter. Auf jeden Fall ist es teuer. Dabei kann man gerade mit Fehlern, die sich nicht verhindern lassen, anders umgehen – und es so schaffen, dass die Kunden am Ende weniger verärgert sind.

Diesen anderen Umgang nennen Sie Kundenimpfung. Was meinen Sie damit?

Wenn ein Produkt oder ein Service nicht das hält, was versprochen war, ist der Kunde unzufrieden. Daran lässt sich nicht rütteln – aber man kann den Kunden auf mögliche Fehler vorbereiten. Das funktioniert ähnlich wie die Spritze beim Arzt: Durch die Impfung lernt der Körper, mit einem Virus umzugehen und ihn zu bekämpfen. Bei der Kundenimpfung bekommt der Kunde quasi vorher eine kleine Dosis des Fehlers verabreicht – und kann ihn dann leichter verzeihen.

Sie haben diese Methode in einem Unternehmen getestet. Wie lief das ab?

Wir haben das bei einer Airline ausprobiert. In der Hochsaison konnte es an einem sehr nachgefragten Flughafen passieren, dass die Passagiere zweieinhalb Stunden lang auf ihr Gepäck warten mussten. Die  waren natürlich stinksauer. Eben weil Hochsaison war, ließ sich das Problem nicht so einfach beheben. Wir wollten herausfinden, ob man die Passagiere mithilfe der Kundenimpfung darauf vorbereiten kann.

Was genau haben Sie getan?

Zur Person
Dr. Benjamin Quaiser ist Seminarleiter und Direktor der Executive Development Programs der privaten Hochschule ESMT Berlin. Zuvor war er in mehreren Positionen bei einer deutschen Fluggesellschaft tätig. Zu seinen Schwerpunkten zählen Kundenorientierung, Kundenbindung und Dienstleistungsmarketing.

Wir haben sie per E-Mail informiert, dass es an dem Flughafen möglicherweise Probleme geben könnte. Wir haben die Gründe erläutert und geschrieben, dass wir alles dafür tun, damit das Problem nicht eintritt – aber dass wir es leider nicht ausschließen können. Die Mail wurde an 2000 Passagiere geschickt. Ungefähr 30 Prozent mussten dann tatsächlich länger warten. Im Anschluss haben wir ihre Zufriedenheit gemessen. Klar, sie waren viel unzufriedener mit der Airline als die, die nicht lange warten mussten. Aber wer vorher die Mail bekommen hatte, konnte mit dem Problem besser umgehen und war weitaus weniger unzufrieden. Und: Die Kunden fanden es sehr ehrlich und fair, dass sie im Vorfeld gewarnt wurden.

Und was war mit denen, die nicht warten mussten?

Auch das haben wir kontrolliert: Auf diejenigen, die den Fehler nicht erlebt haben, hatte die Kundenimpfung gar keinen Einfluss.

Lässt sich diese Strategie denn auch auf kleinere Unternehmen übertragen? Nehmen wir zum Beispiel einen Tischler, der Einbauschränke verkauft.

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Kleinere Unternehmen machen das oft schon intuitiv richtig. Angenommen, der Tischler würde Türen verbauen, bei denen es ab und zu Probleme mit den Scharnieren gibt. Natürlich wird der nicht zu seinem Kunden sagen: „Ich baue hier Türen ein, die nur zur Hälfte funktionieren.“ Dafür hätte niemand Verständnis. Anders ist es, wenn der Tischler sagt: „Die Türen werden auf Ihr Raumklima eingestellt und das können wir im Vorfeld nicht genau bestimmen. Wir müssen da ein bisschen warten. Wenn die Scharniere quietschen sollten, sagen Sie mir sofort Bescheid, dann tauschen wir sie aus.“ Das hilft enorm für das Verständnis. Wer im Vorfeld so offen und fair kommuniziert, steigert seine Glaubwürdigkeit und hat zufriedenere Kunden.

Kann diese Offenheit nicht dazu führen, dass der Kunde ganz besonders kritisch hinguckt – und auf Fehler stößt, die er sonst nie bemerkt hätte?

Auf kleine Fehler, die vermutlich niemandem auffallen, würde ich nicht hinweisen. Aber wenn es etwas ist, das stören könnte, schon. Ich halte es für sehr gefährlich, wenn ein Unternehmer sein Produkt oder seinen Service als fehlerlos anpreist, auch wenn er weiß, dass ein Fehler auftreten könnte. Über kurz oder lang kriegen die Kunden das raus.

Trotzdem denken viele: Ich kann doch nichts Schlechtes über mein Unternehmen erzählen. Das schadet meinem Image.

Gerade der Vertrieb hat oft große Angst, mit negativen Nachrichten auf Kunden zuzugehen. Aber es geht ja nicht darum, etwas Schlechtes zu erzählen. Sondern zu kommunizieren, dass man als Unternehmen nicht fehlerlos ist. Und dass man mit diesen Fehlern offen umgeht.

Wer macht das Ihrer Meinung nach denn schon gut?

Da fallen mir nur Beispiele von kleineren Start-ups und Dienstleistern im Internet ein. Die warten gar nicht so lange, bis alles perfekt ist. Sie gehen mit einem einigermaßen marktfähigen Produkt oder Service raus – wohl wissend, dass da noch viele Schwierigkeiten lauern. Und dann setzen sie darauf, mithilfe der Kunden immer besser zu werden. Da ist eine ganz andere Fehlerkultur etabliert. So eine Form der Zusammenarbeit erreicht man nur, wenn man transparent ist und die Kunden einem vertrauen.

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Die Kundenimpfung basiert auf einer Methode aus dem Korea-Krieg. Was hatte man damals herausgefunden?

Die Forschung dazu begann in den 1950er Jahren. Man hat gemerkt, dass Soldaten, die im Korea-Krieg in Gefangenschaft waren, nach ihrer Rückkehr in die USA oft den Glauben an das amerikanische System verloren hatten. Dabei waren sie einmal überzeugte Patrioten gewesen. Also hat das Militär überlegt, mit welcher Strategie man den Glauben an die USA noch stabiler in den Köpfen der Soldaten verankern könnte. Die Erkenntnis war: Wenn man den Soldaten vorher erklärte, dass zuhause nicht alles perfekt ist, hatte die Gehirnwäsche der Koreaner weniger Chancen auf Erfolg.

Warum funktioniert das?

Dahinter steckt ein psychologisches Prinzip: Wir Menschen fühlen uns wohler, wenn wir nicht ständig unsere Überzeugungen ändern müssen. Wenn Sie glauben, dass ich ein netter Mensch bin, dann wollen Sie bei dieser Meinung bleiben, auch wenn ich vielleicht mal etwas Doofes sage. Genauso ist das bei einem Unternehmen, mit dem Sie zufrieden sind. Sie wollen weiter daran glauben, dass es ein gutes Unternehmen ist – auch wenn es mal Mist baut. Die Kundenimpfung macht es Ihnen leichter, bei Ihrer Überzeugung zu bleiben.

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Bei der Kundenimpfung bekommt der Kunde quasi vorher eine kleine Dosis des Fehlers verabreicht - und kann ihn dann leichter verzeihen. Sie haben diese Methode in einem Unternehmen getestet. Wie lief das ab? Wir haben das bei einer Airline ausprobiert. In der Hochsaison konnte es an einem sehr nachgefragten Flughafen passieren, dass die Passagiere zweieinhalb Stunden lang auf ihr Gepäck warten mussten. Die  waren natürlich stinksauer. Eben weil Hochsaison war, ließ sich das Problem nicht so einfach beheben. Wir wollten herausfinden, ob man die Passagiere mithilfe der Kundenimpfung darauf vorbereiten kann. Was genau haben Sie getan? Wir haben sie per E-Mail informiert, dass es an dem Flughafen möglicherweise Probleme geben könnte. Wir haben die Gründe erläutert und geschrieben, dass wir alles dafür tun, damit das Problem nicht eintritt - aber dass wir es leider nicht ausschließen können. Die Mail wurde an 2000 Passagiere geschickt. Ungefähr 30 Prozent mussten dann tatsächlich länger warten. Im Anschluss haben wir ihre Zufriedenheit gemessen. Klar, sie waren viel unzufriedener mit der Airline als die, die nicht lange warten mussten. Aber wer vorher die Mail bekommen hatte, konnte mit dem Problem besser umgehen und war weitaus weniger unzufrieden. Und: Die Kunden fanden es sehr ehrlich und fair, dass sie im Vorfeld gewarnt wurden. Und was war mit denen, die nicht warten mussten? Auch das haben wir kontrolliert: Auf diejenigen, die den Fehler nicht erlebt haben, hatte die Kundenimpfung gar keinen Einfluss. Lässt sich diese Strategie denn auch auf kleinere Unternehmen übertragen? Nehmen wir zum Beispiel einen Tischler, der Einbauschränke verkauft. Kleinere Unternehmen machen das oft schon intuitiv richtig. Angenommen, der Tischler würde Türen verbauen, bei denen es ab und zu Probleme mit den Scharnieren gibt. Natürlich wird der nicht zu seinem Kunden sagen: "Ich baue hier Türen ein, die nur zur Hälfte funktionieren." Dafür hätte niemand Verständnis. Anders ist es, wenn der Tischler sagt: "Die Türen werden auf Ihr Raumklima eingestellt und das können wir im Vorfeld nicht genau bestimmen. Wir müssen da ein bisschen warten. Wenn die Scharniere quietschen sollten, sagen Sie mir sofort Bescheid, dann tauschen wir sie aus." Das hilft enorm für das Verständnis. Wer im Vorfeld so offen und fair kommuniziert, steigert seine Glaubwürdigkeit und hat zufriedenere Kunden. Kann diese Offenheit nicht dazu führen, dass der Kunde ganz besonders kritisch hinguckt - und auf Fehler stößt, die er sonst nie bemerkt hätte? Auf kleine Fehler, die vermutlich niemandem auffallen, würde ich nicht hinweisen. Aber wenn es etwas ist, das stören könnte, schon. Ich halte es für sehr gefährlich, wenn ein Unternehmer sein Produkt oder seinen Service als fehlerlos anpreist, auch wenn er weiß, dass ein Fehler auftreten könnte. Über kurz oder lang kriegen die Kunden das raus. Trotzdem denken viele: Ich kann doch nichts Schlechtes über mein Unternehmen erzählen. Das schadet meinem Image. Gerade der Vertrieb hat oft große Angst, mit negativen Nachrichten auf Kunden zuzugehen. Aber es geht ja nicht darum, etwas Schlechtes zu erzählen. Sondern zu kommunizieren, dass man als Unternehmen nicht fehlerlos ist. Und dass man mit diesen Fehlern offen umgeht. Wer macht das Ihrer Meinung nach denn schon gut? Da fallen mir nur Beispiele von kleineren Start-ups und Dienstleistern im Internet ein. Die warten gar nicht so lange, bis alles perfekt ist. Sie gehen mit einem einigermaßen marktfähigen Produkt oder Service raus - wohl wissend, dass da noch viele Schwierigkeiten lauern. Und dann setzen sie darauf, mithilfe der Kunden immer besser zu werden. Da ist eine ganz andere Fehlerkultur etabliert. So eine Form der Zusammenarbeit erreicht man nur, wenn man transparent ist und die Kunden einem vertrauen. Die Kundenimpfung basiert auf einer Methode aus dem Korea-Krieg. Was hatte man damals herausgefunden? Die Forschung dazu begann in den 1950er Jahren. Man hat gemerkt, dass Soldaten, die im Korea-Krieg in Gefangenschaft waren, nach ihrer Rückkehr in die USA oft den Glauben an das amerikanische System verloren hatten. Dabei waren sie einmal überzeugte Patrioten gewesen. Also hat das Militär überlegt, mit welcher Strategie man den Glauben an die USA noch stabiler in den Köpfen der Soldaten verankern könnte. Die Erkenntnis war: Wenn man den Soldaten vorher erklärte, dass zuhause nicht alles perfekt ist, hatte die Gehirnwäsche der Koreaner weniger Chancen auf Erfolg. Warum funktioniert das? Dahinter steckt ein psychologisches Prinzip: Wir Menschen fühlen uns wohler, wenn wir nicht ständig unsere Überzeugungen ändern müssen. Wenn Sie glauben, dass ich ein netter Mensch bin, dann wollen Sie bei dieser Meinung bleiben, auch wenn ich vielleicht mal etwas Doofes sage. Genauso ist das bei einem Unternehmen, mit dem Sie zufrieden sind. Sie wollen weiter daran glauben, dass es ein gutes Unternehmen ist - auch wenn es mal Mist baut. Die Kundenimpfung macht es Ihnen leichter, bei Ihrer Überzeugung zu bleiben.