BAG zur Lohngerechtigkeit
Urteil stärkt Anspruch von Frauen auf gleiche Bezahlung. Was das für die Praxis bedeutet

Das Urteil gilt als Meilenstein für gleiche Löhne von Frauen und Männern. Was bedeutet das für Gehaltsverhandlungen? Was müssen Arbeitgeber jetzt beachten? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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BAG-Urteil zur Lohngerechtigkeit
© ayagiz / iStock / Getty Images

Was hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?

Ein Unternehmen aus Sachsen muss einer Außendienstmitarbeiterin 14.500 Euro Lohn plus Zinsen nachzahlen und zusätzlich eine Entschädigung von 2000 Euro, weil die Frau jahrelang weniger verdient hatte als ein Kollege mit einer vergleichbaren Position.

In den vorherigen Instanzen war die Klägerin noch gescheitert. Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden: Dass die Frau für die gleiche Arbeit weniger bekommt als ihr männlicher Kollege, begründe die Vermutung, „dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist“, heißt es in der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts.

Der Arbeitgeber hatte die Gehaltsunterschiede damit begründet, dass der Mann besser verhandelt habe. Das Gericht beschied jedoch: Verhandlungsgeschick ist kein objektiver Grund für ein höheres Gehalt und rechtfertigt somit den Gehaltsunterschied nicht.

Schon 2021 hatte das Bundesarbeitsgericht die Darlegungs- und Beweislast in einem Urteil an die Arbeitgeber übertragen. Seit diesem Urteil müssen Arbeitgeber nachweisen können, dass sie nicht aufgrund des Geschlechts diskriminieren. „Beide Urteile zusammen weisen in eine Richtung“, sagt Kathrin Bürger, Partnerin der Kanzlei Advant Beiten in München und Mitglied der Praxisgruppe Arbeitsrecht. Arbeitgebern fordert das mehr Sorgfalt dabei ab, ungleiche Gehälter zwischen den Geschlechtern zu vermeiden.

Die Expertin
Dr. Kathrin Bürger ist Partnerin bei Advant Beiten in München und Mitglied der Praxisgruppe Arbeitsrecht. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Universität Würzburg und machte in New York ihren Master. Seit 2021 wird die Arbeitsrechtlerin in der weltweiten Datenbank "Best Lawyers" geführt.

Der konkrete Fall

Die Arbeitnehmerin hatte ihren Arbeitgeber verklagt, rückwirkend für 21 Monate den gleichen Lohn wie ein Kollege zu bekommen, der wenige Monate vor ihr im Außendienst angefangen hatte.

Die Klägerin hatte im März 2017 als Außendienstlerin bei dem Unternehmen angefangen, zum Grundgehalt von 3500 Euro brutto, das ihr angeboten worden war. Dass ein Kollege im Außendienst im Januar dasselbe Angebot abgelehnt und einen höheren Lohn ausgehandelt hatte, wusste sie zunächst nicht. Mit ihm hatte sich das Unternehmen auf einen Kompromiss geeinigt: Der Mann bekam für ein Jahr die geforderten 4500 Euro – also 1000 Euro mehr als seine Kollegin. Danach sank sein Lohn auf 3500 Euro.

Jedoch bekamen der Mann und ein weiterer Außendienst-Kollege im Sommer 2018 eine Gehaltserhöhung von 500 Euro. Die spätere Klägerin ging leer aus.

Im August 2018 überführte das Unternehmen den Außendienst in einen Haustarifvertrag mit einem neuen Eingruppierungssystem. Zuerst wurde die Frau im Außendienst niedriger eingruppiert als ihre Kollegen, was das Unternehmen nach ihrer Beschwerde korrigierte.

In derselben Entgeltgruppe hätten sowohl der Frau als auch dem Mann 4140 Euro zugestanden. Eine Deckelungsregelung im Haustarifvertrag begrenzte die Höhe der Anpassungen allerdings auf nicht mehr als 120 Euro brutto in den Jahren 2018 bis 2020. Dementsprechend stiegt das Grundgehalt der Frau auf 3620 Euro brutto und das des Mannes, der zwei Monate zuvor die 500 Euro Gehaltserhöhung bekommen hatte, auf 4120 Euro. Daraufhin klagte die Arbeitnehmerin.

Warum ist das Urteil auch für kleine Unternehmen wichtig?

Das Besondere an dem Urteil: Das nun im Prozess unterlegene Unternehmen hat weniger als 200 Mitarbeiter und zählt somit zu den Firmen, die das Entgelttransparenzgesetz von 2018 ausklammert. Laut diesem Gesetz müssen Arbeitgeber mit mindestens 201 Beschäftigten ihren Angestellten auf Nachfrage Auskunft darüber geben, nach welchen Kriterien sich ihr Gehalt oder das von Kolleginnen und Kollegen mit vergleichbarer Tätigkeit zusammensetzt – und was diese Kolleginnen und Kollegen im Mittelwert verdienen. Zur Ermittlung wird der Median-Wert genutzt. Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern galten bisher in Unternehmen mit bis zu 200 Mitarbeitern nicht als rechtliches Risiko. Diese Bewertung wankt nun mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023.

Müssen sich Arbeitgeber auf ähnliche Klagen einstellen?

Das Urteil werde bei Arbeitnehmerinnen viel Aufmerksamkeit erzeugen, vermutet die Arbeitsrechtlerin Kathrin Bürger. Die Klägerin habe schließlich nicht nur eine Lohnnachzahlung zugesprochen bekommen, sondern auch eine Entschädigung. „Das ist auch etwas Neues. So funktioniert unser Rechtssystem eigentlich nicht“, sagt Bürger. „Sowas geht komplett einmal durch die Medien und Arbeitnehmer tauschen sich natürlich darüber aus. Für Arbeitgeber resultiert tatsächlich ein reales Risiko daraus.“

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Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es in vielen Unternehmen. Der sogenannte Gender-Pay-Gap, der angibt wie viel Frauen im gesamtdeutschen Durchschnitt pro Stunde weniger verdienen als Männer, lag 2022 bei 18 Prozent. Selbst bereinigt um Faktoren wie Teilzeitarbeit erreicht er immer noch 7 Prozent.

Welche Arbeitgeber haben nun ein Problem?

Vor allem Unternehmen ohne Vergütungssystem sollten das Urteil beachten. Schließlich stellen gerade kleine Unternehmen nach Bedarf ein. Eine Position wird vakant, Ersatz muss schnell her und mit dem Druck steigt die Bereitschaft, einem Kandidaten mehr zu zahlen als vergleichbare Kolleginnen bekommen. „Damit kommen Unternehmen in Situationen, wie sie das Urteil beschreibt“, warnt Bürger.

Können Arbeitgeber jetzt keine individuellen Gehälter mehr zahlen?

Das Urteil bedeutet nicht, dass Unternehmen nun alle Beschäftigten gleich bezahlen müssen. Gehaltsunterschiede sind weiterhin möglich. „Arbeitgeber müssen nicht alle Angestellten gleichbehandeln, wenn sie eine sachlich gerechtfertigten Grund haben“, sagt Bürger.

Mit dem Urteilsspruch hat das Bundesarbeitsgericht jedoch klargestellt: Verhandlungsgeschick ist kein objektiv gerechtfertigter Grund. Begründungen wie eine längere Betriebszugehörigkeit, Berufserfahrung oder eine höhere Qualifikation, beispielsweise durch höhere Bildungsabschlüsse oder Zusatzausbildungen, gelten jedoch weiterhin.

Weniger klar ist nun, inwieweit Marktanforderungen weiterhin ein objektives Kriterium sein können, um Gehaltsunterschiede zu rechtfertigen. Beispielsweise wenn ein Unternehmen dringend eine Stelle in Mangelberufen besetzen müssen oder Mitarbeiter mit höheren Gehälter von Konkurrenzunternehmen locken wollen – und deswegen einer später mehr verdient als andere.

In der Urteilsbegründung, die noch nicht vorliegt, muss das Bundesarbeitsgericht aus Bürgers Sicht noch klären, was in der Begründung des Arbeitgebers fehlte. Konnte das Unternehmen nicht ausreichend begründen, dass der Mann nur zum von ihn geforderten Gehalt zur Zusage bereit war und die Frau andersherum das angebotene Gehalt widerspruchslos angenommen hat – oder weist das Gericht die gesamte Argumentation als nicht ausreichende Begründung zurück? „Dann bräuchten Arbeitgeber immer ein anderes objektiv differenzierendes Kriterium, um Gehaltsunterschiede zu rechtfertigen“, so Bürger.

Wie weit zurück können Nachzahlungen gefordert werden?

Im aktuellen Fall muss das Unternehmen der Mitarbeiterin 14.500 Euro Lohn nachzahlen, der ihr durch die Ungleichbehandlung gegenüber ihrem Kollegen seit ihrer Einstellung im März 2017 entgangen war.

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Das Arbeitsrecht sieht eine dreijährige Verjährungsfrist für Klagen gegen Arbeitsverträge vor – jedoch erst ab Ende des Jahres, in dem Betroffene von ihrer Ungleichbehandlung erfahren haben. Arbeitgeber müssten – den schlimmsten Fall angenommen – deswegen auch mit Rückforderungen für die letzten Jahre rechnen.

Sollten Unternehmen nun proaktiv einzelne Gehälter anpassen?

Stellen Unternehmerinnen und Unternehmer fest, dass sie Teammitglieder ohne objektiven Grund schlechter bezahlen als vergleichbare Kollegen, stehen sie vor einer schwierigen Abwägung.

„In laufenden Arbeitsverhältnissen ist die Hemmschwelle für Arbeitnehmer hoch, ihren Arbeitgeber zu verklagen“, sagt Bürger. Und wer einzelnen Teammitgliedern das Gehalt erhöht, muss sich darauf einstellen, dass andere mit Forderungen nachziehen.

Gleichzeitig könne man sich nicht drauf verlassen, dass die betreffenden Angestellten stillhalten. Denn kein Arbeitgeber kann wirksam unterbinden, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihre Gehälter sprechen – auch wenn Arbeitsverträge oft entsprechende Klauseln enthalten.

Was sollten Unternehmen tun?

Wer keinen Überblick über die Gehaltsstruktur in seinem Unternehmen hat, sollte diese dringend analysieren. „Man denkt oft, das wird schon passen im Großen und Ganzen, weil sich bisher niemand beschwert hat“, sagt Bürger. Doch das Urteil unterstreicht, dass Gehaltsunterschiede rechtliche Risiken bergen, wenn Arbeitgeber sie nicht mit objektiven Kriterien belegen können. Arbeitgeber sollten einen objektiven Kriterienkatalog für Gehaltsstufen haben. „Ich muss mir als Arbeitgeber im Klaren sein, wie meine Strukturen aussehen, was ich wofür bezahle und welche Kriterien dafür ausschlaggebend sind“, so die Rechtsanwältin. „Ob dieser Kriterienkatalog mit einer Gewerkschaft oder einem Betriebsrat abgestimmt wird, ist erstmal nachrangig.“

Lesen Sie dazu: Gehaltsmodell anpassen: So dürfen Arbeitgeber Gehaltsmodelle ändern

Wie können Arbeitgeber drohenden Schaden begrenzen?

Der sicherste Weg ist aus Bürgers Sicht ein nachvollziehbares Entgeltsystem. „Damit wäre allen geholfen“, sagt die Rechtsanwältin.

Die Etablierung eines solchen Systems braucht natürlich Zeit. Zur schnelleren Schadensbegrenzung sollten Arbeitsverträge Ausschlussklauseln enthalten. Mit denen können Arbeitgeber festschreiben, dass Ansprüche nur für die letzten drei Monate geltend gemacht werden können. Neue Verträge sollten standardmäßig eine solche Klausel enthalten. Alte Verträge können um Klauseln ergänzt werden – Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen dem jedoch zustimmen. Das kann beispielsweise durch die Verknüpfung mit einer Gehaltserhöhung im Zuge einer Lohnrunde gelingen. „Wenn ich als Arbeitgeber etwas gebe, sollte ich versuchen etwas dafür zu bekommen“, sagt Bürger – zum Beispiel die Einwilligung zu einer Ausschlussklausel.

Bürger warnt jedoch: „Ausschlussklauseln müssen gültig sein.“ Denn Ausschlussklauseln in vielen Arbeitsverträgen sind unwirksam, die nach der Einführung des allgemeinen Mindestlohns 2014 mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz geschlossen wurden. Seit dessen Inkrafttreten müssen wirksame Ausschlussklauseln den Hinweis enthalten, dass der Anspruch auf Mindestlohn von der Verfallsfrist ausgeschlossen ist. Fehlt der Hinweis, verliert die ganze Klausel ihre Gültigkeit und die gesetzlich festgelegte Verjährungsfrist von drei Jahren gilt.

Lesen Sie dazu: Kluge Arbeitsverträge: 8 Tipps für Arbeitsverträge, die Ihnen Ärger ersparen können

Verlieren Arbeitgeber damit die Chance, Mitarbeiter durch Gehaltserhöhungen zu halten?

Wenn Konkurrenzfirmen Mitarbeiter abzuwerben versuchen, kann eine Gehaltserhöhung die Person zum Bleiben bewegen. Denn gerade bei Fachkräften übersteigen die Kosten für das Recruiting und die Einarbeitung mitunter jene, die durch die Gehaltserhöhung anfallen. Die Rechtsanwältin Bürger rät zu Einmalzahlungen oder Zusatzleistungen, die das Entgelttransparenzgesetz nicht erfasst. Alle laufenden Gehaltsbestandteile – zum Bespiel auch Zulagen – fallen unter das Gesetz. Arbeitgeber brauchen dann eine objektive Begründung, warum ein Mitarbeiter die Zulage erhält und eine Kollegin nicht.

Können Unternehmen Gehälter senken, um eine Anpassung zu erreichen?

„Die Rechtsprechung sagt im Grundsatz: Immer wenn ich ungleich behandle für Gleiches oder Gleichwertiges, dann habe ich immer eine Anpassung nach oben“. Will heißen: Wenn eine Arbeitnehmerin 4000 Euro bekommt und ein Kollege mit vergleichbarer Stelle 4500 Euro, müsste sie zur Anpassung 4500 Euro bekommen – nicht andersrum.

Wenn der Arbeitgeber ein Gehaltssystem einführt, zum Beispiel durch den Abschluss eines Tarifvertrags, dann können schrittweise Anpassungen vereinbart werden, um die Gehälter auf die vereinbarten Stufen anzupassen. „Während der Zeit der Überführung in das System dürfen Arbeitgeber ungleich behandeln“, sagt die Rechtsanwältin Bürger.

Was hat das Bundesarbeitsgericht entschieden? Ein Unternehmen aus Sachsen muss einer Außendienstmitarbeiterin 14.500 Euro Lohn plus Zinsen nachzahlen und zusätzlich eine Entschädigung von 2000 Euro, weil die Frau jahrelang weniger verdient hatte als ein Kollege mit einer vergleichbaren Position. In den vorherigen Instanzen war die Klägerin noch gescheitert. Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden: Dass die Frau für die gleiche Arbeit weniger bekommt als ihr männlicher Kollege, begründe die Vermutung, „dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist“, heißt es in der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts. Der Arbeitgeber hatte die Gehaltsunterschiede damit begründet, dass der Mann besser verhandelt habe. Das Gericht beschied jedoch: Verhandlungsgeschick ist kein objektiver Grund für ein höheres Gehalt und rechtfertigt somit den Gehaltsunterschied nicht. Schon 2021 hatte das Bundesarbeitsgericht die Darlegungs- und Beweislast in einem Urteil an die Arbeitgeber übertragen. Seit diesem Urteil müssen Arbeitgeber nachweisen können, dass sie nicht aufgrund des Geschlechts diskriminieren. „Beide Urteile zusammen weisen in eine Richtung“, sagt Kathrin Bürger, Partnerin der Kanzlei Advant Beiten in München und Mitglied der Praxisgruppe Arbeitsrecht. Arbeitgebern fordert das mehr Sorgfalt dabei ab, ungleiche Gehälter zwischen den Geschlechtern zu vermeiden. [zur-person] Der konkrete Fall Die Arbeitnehmerin hatte ihren Arbeitgeber verklagt, rückwirkend für 21 Monate den gleichen Lohn wie ein Kollege zu bekommen, der wenige Monate vor ihr im Außendienst angefangen hatte. Die Klägerin hatte im März 2017 als Außendienstlerin bei dem Unternehmen angefangen, zum Grundgehalt von 3500 Euro brutto, das ihr angeboten worden war. Dass ein Kollege im Außendienst im Januar dasselbe Angebot abgelehnt und einen höheren Lohn ausgehandelt hatte, wusste sie zunächst nicht. Mit ihm hatte sich das Unternehmen auf einen Kompromiss geeinigt: Der Mann bekam für ein Jahr die geforderten 4500 Euro – also 1000 Euro mehr als seine Kollegin. Danach sank sein Lohn auf 3500 Euro. Jedoch bekamen der Mann und ein weiterer Außendienst-Kollege im Sommer 2018 eine Gehaltserhöhung von 500 Euro. Die spätere Klägerin ging leer aus. Im August 2018 überführte das Unternehmen den Außendienst in einen Haustarifvertrag mit einem neuen Eingruppierungssystem. Zuerst wurde die Frau im Außendienst niedriger eingruppiert als ihre Kollegen, was das Unternehmen nach ihrer Beschwerde korrigierte. In derselben Entgeltgruppe hätten sowohl der Frau als auch dem Mann 4140 Euro zugestanden. Eine Deckelungsregelung im Haustarifvertrag begrenzte die Höhe der Anpassungen allerdings auf nicht mehr als 120 Euro brutto in den Jahren 2018 bis 2020. Dementsprechend stiegt das Grundgehalt der Frau auf 3620 Euro brutto und das des Mannes, der zwei Monate zuvor die 500 Euro Gehaltserhöhung bekommen hatte, auf 4120 Euro. Daraufhin klagte die Arbeitnehmerin. Warum ist das Urteil auch für kleine Unternehmen wichtig? Das Besondere an dem Urteil: Das nun im Prozess unterlegene Unternehmen hat weniger als 200 Mitarbeiter und zählt somit zu den Firmen, die das Entgelttransparenzgesetz von 2018 ausklammert. Laut diesem Gesetz müssen Arbeitgeber mit mindestens 201 Beschäftigten ihren Angestellten auf Nachfrage Auskunft darüber geben, nach welchen Kriterien sich ihr Gehalt oder das von Kolleginnen und Kollegen mit vergleichbarer Tätigkeit zusammensetzt – und was diese Kolleginnen und Kollegen im Mittelwert verdienen. Zur Ermittlung wird der Median-Wert genutzt. Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern galten bisher in Unternehmen mit bis zu 200 Mitarbeitern nicht als rechtliches Risiko. Diese Bewertung wankt nun mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023. Müssen sich Arbeitgeber auf ähnliche Klagen einstellen? Das Urteil werde bei Arbeitnehmerinnen viel Aufmerksamkeit erzeugen, vermutet die Arbeitsrechtlerin Kathrin Bürger. Die Klägerin habe schließlich nicht nur eine Lohnnachzahlung zugesprochen bekommen, sondern auch eine Entschädigung. „Das ist auch etwas Neues. So funktioniert unser Rechtssystem eigentlich nicht“, sagt Bürger. „Sowas geht komplett einmal durch die Medien und Arbeitnehmer tauschen sich natürlich darüber aus. Für Arbeitgeber resultiert tatsächlich ein reales Risiko daraus.“ Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es in vielen Unternehmen. Der sogenannte Gender-Pay-Gap, der angibt wie viel Frauen im gesamtdeutschen Durchschnitt pro Stunde weniger verdienen als Männer, lag 2022 bei 18 Prozent. Selbst bereinigt um Faktoren wie Teilzeitarbeit erreicht er immer noch 7 Prozent. Welche Arbeitgeber haben nun ein Problem? Vor allem Unternehmen ohne Vergütungssystem sollten das Urteil beachten. Schließlich stellen gerade kleine Unternehmen nach Bedarf ein. Eine Position wird vakant, Ersatz muss schnell her und mit dem Druck steigt die Bereitschaft, einem Kandidaten mehr zu zahlen als vergleichbare Kolleginnen bekommen. „Damit kommen Unternehmen in Situationen, wie sie das Urteil beschreibt“, warnt Bürger. Können Arbeitgeber jetzt keine individuellen Gehälter mehr zahlen? Das Urteil bedeutet nicht, dass Unternehmen nun alle Beschäftigten gleich bezahlen müssen. Gehaltsunterschiede sind weiterhin möglich. „Arbeitgeber müssen nicht alle Angestellten gleichbehandeln, wenn sie eine sachlich gerechtfertigten Grund haben“, sagt Bürger. Mit dem Urteilsspruch hat das Bundesarbeitsgericht jedoch klargestellt: Verhandlungsgeschick ist kein objektiv gerechtfertigter Grund. Begründungen wie eine längere Betriebszugehörigkeit, Berufserfahrung oder eine höhere Qualifikation, beispielsweise durch höhere Bildungsabschlüsse oder Zusatzausbildungen, gelten jedoch weiterhin. [mehr-zum-thema] Weniger klar ist nun, inwieweit Marktanforderungen weiterhin ein objektives Kriterium sein können, um Gehaltsunterschiede zu rechtfertigen. Beispielsweise wenn ein Unternehmen dringend eine Stelle in Mangelberufen besetzen müssen oder Mitarbeiter mit höheren Gehälter von Konkurrenzunternehmen locken wollen – und deswegen einer später mehr verdient als andere. In der Urteilsbegründung, die noch nicht vorliegt, muss das Bundesarbeitsgericht aus Bürgers Sicht noch klären, was in der Begründung des Arbeitgebers fehlte. Konnte das Unternehmen nicht ausreichend begründen, dass der Mann nur zum von ihn geforderten Gehalt zur Zusage bereit war und die Frau andersherum das angebotene Gehalt widerspruchslos angenommen hat – oder weist das Gericht die gesamte Argumentation als nicht ausreichende Begründung zurück? „Dann bräuchten Arbeitgeber immer ein anderes objektiv differenzierendes Kriterium, um Gehaltsunterschiede zu rechtfertigen“, so Bürger. Wie weit zurück können Nachzahlungen gefordert werden? Im aktuellen Fall muss das Unternehmen der Mitarbeiterin 14.500 Euro Lohn nachzahlen, der ihr durch die Ungleichbehandlung gegenüber ihrem Kollegen seit ihrer Einstellung im März 2017 entgangen war. Das Arbeitsrecht sieht eine dreijährige Verjährungsfrist für Klagen gegen Arbeitsverträge vor – jedoch erst ab Ende des Jahres, in dem Betroffene von ihrer Ungleichbehandlung erfahren haben. Arbeitgeber müssten – den schlimmsten Fall angenommen – deswegen auch mit Rückforderungen für die letzten Jahre rechnen. Sollten Unternehmen nun proaktiv einzelne Gehälter anpassen? Stellen Unternehmerinnen und Unternehmer fest, dass sie Teammitglieder ohne objektiven Grund schlechter bezahlen als vergleichbare Kollegen, stehen sie vor einer schwierigen Abwägung. „In laufenden Arbeitsverhältnissen ist die Hemmschwelle für Arbeitnehmer hoch, ihren Arbeitgeber zu verklagen“, sagt Bürger. Und wer einzelnen Teammitgliedern das Gehalt erhöht, muss sich darauf einstellen, dass andere mit Forderungen nachziehen. Gleichzeitig könne man sich nicht drauf verlassen, dass die betreffenden Angestellten stillhalten. Denn kein Arbeitgeber kann wirksam unterbinden, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihre Gehälter sprechen – auch wenn Arbeitsverträge oft entsprechende Klauseln enthalten. Was sollten Unternehmen tun? Wer keinen Überblick über die Gehaltsstruktur in seinem Unternehmen hat, sollte diese dringend analysieren. „Man denkt oft, das wird schon passen im Großen und Ganzen, weil sich bisher niemand beschwert hat“, sagt Bürger. Doch das Urteil unterstreicht, dass Gehaltsunterschiede rechtliche Risiken bergen, wenn Arbeitgeber sie nicht mit objektiven Kriterien belegen können. Arbeitgeber sollten einen objektiven Kriterienkatalog für Gehaltsstufen haben. „Ich muss mir als Arbeitgeber im Klaren sein, wie meine Strukturen aussehen, was ich wofür bezahle und welche Kriterien dafür ausschlaggebend sind“, so die Rechtsanwältin. „Ob dieser Kriterienkatalog mit einer Gewerkschaft oder einem Betriebsrat abgestimmt wird, ist erstmal nachrangig.“ Lesen Sie dazu: Gehaltsmodell anpassen: So dürfen Arbeitgeber Gehaltsmodelle ändern Wie können Arbeitgeber drohenden Schaden begrenzen? Der sicherste Weg ist aus Bürgers Sicht ein nachvollziehbares Entgeltsystem. „Damit wäre allen geholfen“, sagt die Rechtsanwältin. Die Etablierung eines solchen Systems braucht natürlich Zeit. Zur schnelleren Schadensbegrenzung sollten Arbeitsverträge Ausschlussklauseln enthalten. Mit denen können Arbeitgeber festschreiben, dass Ansprüche nur für die letzten drei Monate geltend gemacht werden können. Neue Verträge sollten standardmäßig eine solche Klausel enthalten. Alte Verträge können um Klauseln ergänzt werden – Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen dem jedoch zustimmen. Das kann beispielsweise durch die Verknüpfung mit einer Gehaltserhöhung im Zuge einer Lohnrunde gelingen. „Wenn ich als Arbeitgeber etwas gebe, sollte ich versuchen etwas dafür zu bekommen“, sagt Bürger – zum Beispiel die Einwilligung zu einer Ausschlussklausel. Bürger warnt jedoch: „Ausschlussklauseln müssen gültig sein.“ Denn Ausschlussklauseln in vielen Arbeitsverträgen sind unwirksam, die nach der Einführung des allgemeinen Mindestlohns 2014 mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz geschlossen wurden. Seit dessen Inkrafttreten müssen wirksame Ausschlussklauseln den Hinweis enthalten, dass der Anspruch auf Mindestlohn von der Verfallsfrist ausgeschlossen ist. Fehlt der Hinweis, verliert die ganze Klausel ihre Gültigkeit und die gesetzlich festgelegte Verjährungsfrist von drei Jahren gilt. Lesen Sie dazu: Kluge Arbeitsverträge: 8 Tipps für Arbeitsverträge, die Ihnen Ärger ersparen können Verlieren Arbeitgeber damit die Chance, Mitarbeiter durch Gehaltserhöhungen zu halten? Wenn Konkurrenzfirmen Mitarbeiter abzuwerben versuchen, kann eine Gehaltserhöhung die Person zum Bleiben bewegen. Denn gerade bei Fachkräften übersteigen die Kosten für das Recruiting und die Einarbeitung mitunter jene, die durch die Gehaltserhöhung anfallen. Die Rechtsanwältin Bürger rät zu Einmalzahlungen oder Zusatzleistungen, die das Entgelttransparenzgesetz nicht erfasst. Alle laufenden Gehaltsbestandteile – zum Bespiel auch Zulagen – fallen unter das Gesetz. Arbeitgeber brauchen dann eine objektive Begründung, warum ein Mitarbeiter die Zulage erhält und eine Kollegin nicht. Können Unternehmen Gehälter senken, um eine Anpassung zu erreichen? „Die Rechtsprechung sagt im Grundsatz: Immer wenn ich ungleich behandle für Gleiches oder Gleichwertiges, dann habe ich immer eine Anpassung nach oben“. Will heißen: Wenn eine Arbeitnehmerin 4000 Euro bekommt und ein Kollege mit vergleichbarer Stelle 4500 Euro, müsste sie zur Anpassung 4500 Euro bekommen – nicht andersrum. Wenn der Arbeitgeber ein Gehaltssystem einführt, zum Beispiel durch den Abschluss eines Tarifvertrags, dann können schrittweise Anpassungen vereinbart werden, um die Gehälter auf die vereinbarten Stufen anzupassen. „Während der Zeit der Überführung in das System dürfen Arbeitgeber ungleich behandeln“, sagt die Rechtsanwältin Bürger.
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