Urlaubsverzicht
Müssen Arbeitnehmer ihren Urlaub nehmen?

Jeder dritte Arbeitnehmer in Deutschland nimmt nicht so viel Urlaub, wie ihm zusteht. Sind Arbeitgeber verpflichtet, ihre Mitarbeiter zur Erholung zu zwingen?

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Ab an den Strand? Viele Angestellte gehen lieber zur Arbeit und lassen ihren Urlaub verfallen. Der Urlaubsverzicht kann jedoch Folgen haben - auch für den Arbeitgeber.
Ab an den Strand? Viele Angestellte gehen lieber zur Arbeit und lassen ihren Urlaub verfallen. Der Urlaubsverzicht kann jedoch Folgen haben - auch für den Arbeitgeber.

In welchen Branchen verzichten die meisten Arbeitnehmer auf Urlaub?

Reinigungskräfte und Bauarbeiter verzichten laut einer Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes besonders oft auf einen Teil ihres Urlaubs und gehen stattdessen arbeiten. In der Reinigungs- und Baubranche verzichtet der DGB-Studie zufolge nahezu jeder zweite Angestellte auf einen Teil seines Urlaubsanspruchs. Insgesamt verzichte jeder dritte Arbeitnehmer in Deutschland auf Urlaubstage.

Welche Gründe könnte es für den freiwilligen Urlaubsverzicht geben?

Ruprecht Hammerschmidt, Sprecher der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, versucht den Arbeitgebern den Schwarzen Peter zuzuschieben: Weil viele in der Branche nur befristet beschäftigt seien, sei die Angst vor einem Jobverlust gerade in Reinigungsfirmen sehr hoch, spekuliert er. In der Baubranche habe der Urlaubsverzicht nach Einschätzung von Hammerschmidt auch andere Gründe. Nicht wenige Bauarbeiter ließen sich Urlaubstage ausbezahlen – sie arbeiten also, statt frei zu machen.

Oft hätten Arbeitnehmer aber auch nicht die Lobby, um auf ihre gesetzlichen Ansprüche auf Urlaub aufmerksam zu machen. Baubetriebe hätten durchschnittlich zehn Mitarbeiter, sagt der Gewerkschaftler. Unternehmen dieser Größe hätten selten einen Betriebsrat. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der EU tragen Betriebsräte dazu bei, dass Arbeitnehmer ihre Urlaubsansprüche ausschöpfen.

Was sagen Arbeitgeberverbände zu den Vorwürfen?

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) reagierte knapp. Die Befragung des DGB zeichne ein „interessensgeleitet verzerrtes Bild“. Es entspreche nicht den tatsächlichen Verhältnissen in der Arbeitswelt und tue allen betrieblichen Akteuren Unrecht. In Deutschland gebe es keinen Arbeitnehmer, dessen gesetzlicher Urlaubsanspruch nicht erfüllt werde.

Sind Arbeitgeber rechtlich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter ihren Urlaub nehmen?

Hat der Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht, wenn Arbeitnehmer freiwillig auf ihren Urlaub verzichten? Nein, sagt Alexander Birkhahn, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Dornbach. „Die ständige Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts war gegenteilig.“ Zuletzt widmeten sich die obersten Arbeitsrichter dieser Frage im Jahr 2011.

Allerdings beschäftigten sich danach zwei Landesarbeitsgerichte mit dem Thema – und kamen zu einem anderen Ergebnis: Ein Arbeitgeber müsse dafür sorgen, dass ein Arbeitnehmer zumindest den gesetzlich vorgeschriebenen Mindesturlaub pro Jahr nehme, entschied 2014 das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Az.: 10 Sa 86/15). Andernfalls verletze er seine Schutzpflichten. Entsprechend entschied im Mai 2015 auch das LAG München (Az.: 8 Sa 982/14).

Müssen also Arbeitgeber ihre Mitarbeiter nun zum Urlaubnehmen anhalten? Birkhahn sieht diese Verpflichtung nicht: „Es kommt öfter vor, dass sich Landesarbeitsgerichte gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wenden.“

Im Rahmen der Revision werde das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung voraussichtlich Anfang 2017 überprüfen. Doch selbst für den Fall, dass die Richter den Arbeitgeber dann zum Urlaubswächter seiner eigenen Belegschaft machen, muss er wenig Angst vor Klagen arbeitswütiger Mitarbeiter haben: „Dem Arbeitnehmer müsste erst einmal ein Schaden dadurch entstehen, dass der Arbeitgeber ihn nicht zum Urlaub gedrängt hat.“ Und das ist nach Birkhahns Einschätzung schwer nachweisbar.

Nimmt der Arbeitnehmer zwar den gesetzlichen Mindesturlaub, lässt aber darüber hinausgehende Tage verfallen, hat der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht ohnehin erfüllt.

Wie viele Tage pro Jahr Mitarbeitern zustehen, hängt von den Arbeitstagen pro Woche ab. Bei einer Fünf-Tage-Woche liegt er laut Bundesurlaubsgesetz, Paragraf 3, bei 20 freien Arbeitstagen, bei einer Sechs-Tage-Woche sind es 24. Viele Tarif- oder Arbeitsverträge sehen jedoch mehr Urlaub vor.

Wie sehen Mediziner das Thema Urlaubsverzicht?

Urlaub ist wichtig, betont Anette Wahl-Wachendorf, Vizepräsidentin des Verbands der Betriebs- und Werksärzte: „Wenn man auf Dauer keinen Urlaub macht, kommt man in einen Erschöpfungszustand.“ Berufstätige seien unkonzentriert, müde und machten Fehler. Mit der Zeit kämen sie in eine chronische Erschöpfung und würden richtig krank, sagt die Medizinerin. Das könne auch nicht im Interesse von Arbeitgebern sein.

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Müssen Arbeitgeber Mitarbeitern den Urlaub auszahlen, wenn sie ihn nicht nehmen?

Nein, denn Urlaub soll der Erholung dienen – also letztlich dazu beitragen, dass die Arbeitskraft des Arbeitnehmers erhalten bleibt. Zusätzliches Geld auf dem Konto trägt nicht zur Erholung bei, folglich ist eine Auszahlung des Urlaubs im Bundesurlaubsgesetz nicht vorgesehen. Eine Ausnahme gibt es jedoch: „Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.“ (§ 7, Abs. 4, BurlG)

Welche Konsequenzen hat der Urlaubsverzicht für die Bilanz des Unternehmens?

Erst einmal keine, denn normalerweise verfallen offene Urlaubsansprüche am Ende des Kalenderjahres. Unter bestimmten Bedingungen ist es jedoch möglich, dass Arbeitnehmer Urlaub ins neue Kalenderjahr übertragen – mehr dazu hier: Was Sie über den Resturlaub Ihrer Mitarbeiter wissen sollten

Für jeden Urlaubstag, den ein Arbeitnehmer mit ins neue Jahr nimmt, müssen Unternehmen Rückstellungen in ihrer Bilanz bilden – für den Fall, dass ein Mitarbeiter mit Resturlaub gekündigt wird oder die Firma Insolvenz anmeldet. Dies hat Auswirkungen auf den Jahresabschluss: Die Rückstellungen schmälern den zu versteuernden Gewinn. Die Höhe der Rückstellung können Sie mit unserem Rückstellungsrechner kalkulieren.

In welchen Branchen verzichten die meisten Arbeitnehmer auf Urlaub? Reinigungskräfte und Bauarbeiter verzichten laut einer Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes besonders oft auf einen Teil ihres Urlaubs und gehen stattdessen arbeiten. In der Reinigungs- und Baubranche verzichtet der DGB-Studie zufolge nahezu jeder zweite Angestellte auf einen Teil seines Urlaubsanspruchs. Insgesamt verzichte jeder dritte Arbeitnehmer in Deutschland auf Urlaubstage. Welche Gründe könnte es für den freiwilligen Urlaubsverzicht geben? Ruprecht Hammerschmidt, Sprecher der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, versucht den Arbeitgebern den Schwarzen Peter zuzuschieben: Weil viele in der Branche nur befristet beschäftigt seien, sei die Angst vor einem Jobverlust gerade in Reinigungsfirmen sehr hoch, spekuliert er. In der Baubranche habe der Urlaubsverzicht nach Einschätzung von Hammerschmidt auch andere Gründe. Nicht wenige Bauarbeiter ließen sich Urlaubstage ausbezahlen - sie arbeiten also, statt frei zu machen. Oft hätten Arbeitnehmer aber auch nicht die Lobby, um auf ihre gesetzlichen Ansprüche auf Urlaub aufmerksam zu machen. Baubetriebe hätten durchschnittlich zehn Mitarbeiter, sagt der Gewerkschaftler. Unternehmen dieser Größe hätten selten einen Betriebsrat. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der EU tragen Betriebsräte dazu bei, dass Arbeitnehmer ihre Urlaubsansprüche ausschöpfen. Was sagen Arbeitgeberverbände zu den Vorwürfen? Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) reagierte knapp. Die Befragung des DGB zeichne ein „interessensgeleitet verzerrtes Bild“. Es entspreche nicht den tatsächlichen Verhältnissen in der Arbeitswelt und tue allen betrieblichen Akteuren Unrecht. In Deutschland gebe es keinen Arbeitnehmer, dessen gesetzlicher Urlaubsanspruch nicht erfüllt werde. Sind Arbeitgeber rechtlich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter ihren Urlaub nehmen? Hat der Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht, wenn Arbeitnehmer freiwillig auf ihren Urlaub verzichten? Nein, sagt Alexander Birkhahn, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Dornbach. „Die ständige Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts war gegenteilig.“ Zuletzt widmeten sich die obersten Arbeitsrichter dieser Frage im Jahr 2011. Allerdings beschäftigten sich danach zwei Landesarbeitsgerichte mit dem Thema - und kamen zu einem anderen Ergebnis: Ein Arbeitgeber müsse dafür sorgen, dass ein Arbeitnehmer zumindest den gesetzlich vorgeschriebenen Mindesturlaub pro Jahr nehme, entschied 2014 das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Az.: 10 Sa 86/15). Andernfalls verletze er seine Schutzpflichten. Entsprechend entschied im Mai 2015 auch das LAG München (Az.: 8 Sa 982/14). [mehr-zum-thema] Müssen also Arbeitgeber ihre Mitarbeiter nun zum Urlaubnehmen anhalten? Birkhahn sieht diese Verpflichtung nicht: „Es kommt öfter vor, dass sich Landesarbeitsgerichte gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wenden.“ Im Rahmen der Revision werde das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung voraussichtlich Anfang 2017 überprüfen. Doch selbst für den Fall, dass die Richter den Arbeitgeber dann zum Urlaubswächter seiner eigenen Belegschaft machen, muss er wenig Angst vor Klagen arbeitswütiger Mitarbeiter haben: „Dem Arbeitnehmer müsste erst einmal ein Schaden dadurch entstehen, dass der Arbeitgeber ihn nicht zum Urlaub gedrängt hat.“ Und das ist nach Birkhahns Einschätzung schwer nachweisbar. Nimmt der Arbeitnehmer zwar den gesetzlichen Mindesturlaub, lässt aber darüber hinausgehende Tage verfallen, hat der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht ohnehin erfüllt. Wie viele Tage pro Jahr Mitarbeitern zustehen, hängt von den Arbeitstagen pro Woche ab. Bei einer Fünf-Tage-Woche liegt er laut Bundesurlaubsgesetz, Paragraf 3, bei 20 freien Arbeitstagen, bei einer Sechs-Tage-Woche sind es 24. Viele Tarif- oder Arbeitsverträge sehen jedoch mehr Urlaub vor. Wie sehen Mediziner das Thema Urlaubsverzicht? Urlaub ist wichtig, betont Anette Wahl-Wachendorf, Vizepräsidentin des Verbands der Betriebs- und Werksärzte: „Wenn man auf Dauer keinen Urlaub macht, kommt man in einen Erschöpfungszustand.“ Berufstätige seien unkonzentriert, müde und machten Fehler. Mit der Zeit kämen sie in eine chronische Erschöpfung und würden richtig krank, sagt die Medizinerin. Das könne auch nicht im Interesse von Arbeitgebern sein. Müssen Arbeitgeber Mitarbeitern den Urlaub auszahlen, wenn sie ihn nicht nehmen? Nein, denn Urlaub soll der Erholung dienen – also letztlich dazu beitragen, dass die Arbeitskraft des Arbeitnehmers erhalten bleibt. Zusätzliches Geld auf dem Konto trägt nicht zur Erholung bei, folglich ist eine Auszahlung des Urlaubs im Bundesurlaubsgesetz nicht vorgesehen. Eine Ausnahme gibt es jedoch: „Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.“ (§ 7, Abs. 4, BurlG) Welche Konsequenzen hat der Urlaubsverzicht für die Bilanz des Unternehmens? Erst einmal keine, denn normalerweise verfallen offene Urlaubsansprüche am Ende des Kalenderjahres. Unter bestimmten Bedingungen ist es jedoch möglich, dass Arbeitnehmer Urlaub ins neue Kalenderjahr übertragen - mehr dazu hier: Was Sie über den Resturlaub Ihrer Mitarbeiter wissen sollten Für jeden Urlaubstag, den ein Arbeitnehmer mit ins neue Jahr nimmt, müssen Unternehmen Rückstellungen in ihrer Bilanz bilden – für den Fall, dass ein Mitarbeiter mit Resturlaub gekündigt wird oder die Firma Insolvenz anmeldet. Dies hat Auswirkungen auf den Jahresabschluss: Die Rückstellungen schmälern den zu versteuernden Gewinn. Die Höhe der Rückstellung können Sie mit unserem Rückstellungsrechner kalkulieren.