Kartelle im Mittelstand
„Es kann schon reichen, dem anderen in die Augen zu blicken“

Skandal in Tübingen: Drei Eisdielen sollen Preise abgesprochen haben. Eine Bagatelle? Nein, sagt Rechtsanwalt Maxim Kleine. Kartelle sind gefährlich - für die, die sie anzetteln.

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Für eine Kugel Eis haben in Tübingen die Eigentümer dreier Eisdielen 1,50 Euro verlangt. Weil sie den Preis abgesprochen haben sollen, wird jetzt das Landeskartellamt aktiv. Bagatellen gibt es bei Kartellen im Mittelstand nicht, sagt Rechtsanwalt Maxim Kleine
Für eine Kugel Eis haben in Tübingen die Eigentümer dreier Eisdielen 1,50 Euro verlangt. Weil sie den Preis abgesprochen haben sollen, wird jetzt das Landeskartellamt aktiv. Bagatellen gibt es bei Kartellen im Mittelstand nicht, sagt Rechtsanwalt Maxim Kleine
© Lukas Gojda /Fotolia.com

impulse: Herr Kleine, in Tübingen sollen sich die Eigentümer dreier Eisdielen abgesprochen und für die Kugel Eis 1,50 Euro verlangt haben. Jetzt wird das Landeskartellamt aktiv. Sind solche Verstöße bei Kleinstunternehmen nicht eine Bagatelle?

Maxim Kleine: Das Kartellrecht kennt keine Bagatellgrenze für Hardcore-Kartellrechtsverstöße. Wenn drei Unternehmer den Preis für eine Eiskugel absprechen und um 30 Cent erhöhen, schädigt das Verbraucher genauso, wie wenn sich zehn deutsche Bierbrauer verständigen, den Preis für eine Kiste Bier deutschlandweit anzuheben.

Was sind denn Hardcore-Kartellverstöße?

So nennen Kartellrechtler Verstöße, für die es keine Rechtfertigung gibt. Preisabsprachen gehören dazu.

Die Tübinger können sich doch ein Magnum-Eis aus dem Supermarkt holen. Haben die Eisdielenbesitzer überhaupt den Wettbewerb verzerrt?

Doch. Der Markt für Tübinger Kugel-Eis ist regional gut abgrenzbar. Die drei Eisdielen umfassen vermutlich schon den größten Teil des dortigen Eiscreme-Marktes. Die Kunden wollen eben kein abgepacktes Fertigeis kaufen, sondern frisches in Waffeln. Deswegen zählen die Produkte in Supermärkten nicht zu diesem Markt dazu.

Die ganze Geschichte klingt wie ein kurioser Einzelfall. Dass Kleinstfirmen Kartelle bilden, hört man so gut wie nie.

Unser Experte
Der Hamburger Rechtsanwalt Maxim Kleine ist spezialisiert auf Kartellrecht. Er beriet Mandanten unter anderem im Rahmen des Schienen- und Bierkartells und ist Partner in der Kanzlei Norton Rose Fulbright.

Im Mittelstand kommt es oft zu illegalen Preisabsprachen. Selbst auf dem Münchener Oktoberfest gibt es ein Kartell. Jedes Jahr legen die großen Wiesnwirte gemeinsam die neuen Bierpreise fest. Das ist eine ganz klare Preisabsprache. Wäre die bayrische Kartellbehörde ebenso aktiv wie ihre Stuttgarter Kollegen, hätte sie schon längst ein Verfahren gegen die Wiesnwirte einleiten müssen. Dass sich ein Landeskartellamt einer Preisabsprache annimmt, ist für die Bürger schön, aber immer noch ungewöhnlich.

Warum werden diese Fälle kaum verfolgt?

In den Ländern bildet oft nur ein Beamter aus dem Wirtschaftsministerium die Landeskartellbehörde. Der hat noch viele andere Aufgaben. Das Bundeskartellamt ist nur für solche Kartellrechtsverstöße zuständig, die sich über die Grenzen eines Bundeslandes hinaus auswirken. Und natürlich ist das Volumen von nationalen Kartellen sehr viel höher. Da lohnen sich auch die Ermittlungen mehr.

Was ist an einer Preisabsprache verwerflich?

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Für abgesprochene Preise kann es keine legitimen Gründe geben. Niemand profitiert davon, den Wettbewerb auszuschalten. Die Verbraucher schon gar nicht.

Und warum sind oft Mittelständler beteiligt?

Häufiger als zu Hardcore-Kartellrechtsverstößen kommt es zu vertikalen Preisbindungen. Dabei handelt es sich oft um kleine Markenhersteller, wo der Chef noch selbst mit vier Mitarbeitern Hustenbonbons zusammenrührt und keinen Hausjuristen hat. Der macht einfach. Seinen Abnehmern schreibt er vor, dass sie die Packung Bonbons nicht unter 1,20 Euro und nicht auf Amazon verkaufen dürfen. Das ist eine Preisbindung vertikaler Art. Wenn das rauskommt, wird der genauso hart rangenommen wie ein multinationaler Konzern.

Was bedeutet das?

Vor einiger Zeit gab es ein Bierkartell, das durch einen Hinweis des beteiligten Konzerns Inbev aufflog. Das Bundeskartellamt warf auch mehreren mittelständischen Brauern vor, bei den Absprachen mitgemacht zu haben. Die Mittelständler sollten 6 Prozent ihres Jahresumsatzes als Geldbuße zahlen. Für einen Konzern ist das machbar, für einen Mittelständler mit vielleicht 15 Millionen Euro Umsatz ist es existenzbedrohend.

Kann das Kartellamt Preisabsprachen überhaupt nachweisen?

Das ist kaum zu belegen. Es gibt ja kein Papier mit den Unterschriften der Kartellanten darunter. Wenn einer den Preis sagt und alle anderen in der Runde nicken, ist das eine Absprache. Es kann sogar schon reichen, dem anderen in die Augen zu blicken. Weil das aber so schwer nachzuweisen ist, kommen 99 Prozent der Verfahren wie beim Bierkartell durch den Hinweis eines Kronzeugen zustande.

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Ist es denn immer und ausnahmslos verboten, gemeinsam Preise anzuheben?

Es sind enge Ausnahmen denkbar. Hätten die Tübinger Eisdielen etwa nach einem Hygieneskandal vereinbart, nur noch teurere, regionale Milch von Höfen im Umkreis von 30 Kilometern zu beziehen, könnten sie die Preise erhöhen. Das hat ja auch Vorteile für die Verbraucher. Solche Aktionen gibt es häufiger auf Initiative von Verbänden. Aber selbst dann dürfen Unternehmen die Preise nur individuell anheben und sich nicht absprechen.

Ein Eisdielenbesitzer rechtfertigt die Absprache mit gestiegenen Rohstoffpreisen.

Das hört man ganz oft. Gestiegene Einkaufspreise sind ein klassischer Anlass für Preisabsprachen. Nur: Es hilft nichts. Man kommt damit nicht durch.

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