Beten während der Arbeitszeit
Müssen Chefs Gebetspausen erlauben?

Der Mitarbeiter verschwindet mehrmals am Tag von seinem Arbeitsplatz. Er geht nicht etwa rauchen, sondern beten. Müssen Chefs solche Gebetspausen während der Arbeitszeit hinnehmen?

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Eine kurze Pause für Gott: Wenn Mitarbeiter während der Arbeitszeit beten wollen, gilt wie so häufig: reden hilft. Häufig lässt sich eine Lösung finden, mit der alle zufrieden sind.
Eine kurze Pause für Gott: Wenn Mitarbeiter während der Arbeitszeit beten wollen, gilt wie so häufig: reden hilft. Häufig lässt sich eine Lösung finden, mit der alle zufrieden sind.
© Halfpoint / iStock / Getty Images Plus / Getty Images

Man kann schon blöd gucken, wenn man ein dringendes Problem mit seinen Mitarbeitern besprechen will und mitten in der Sitzung ein Kollege aufsteht und geht: Er muss nicht auf Toilette, sondern pünktlich zur Mittagszeit beten – das schreibe ihm seine Religion vor, sagt er. Das Problem: Ohne ihn kommen Sie in der Besprechung nicht voran.

Die Sache wird zum Running-Gag: Besagter Mitarbeiter verschwindet mehrmals täglich zum Gebet, immer zu unterschiedlichen Zeiten. Freitags macht er eine besonders lange Mittagspause, weil er in die Moschee geht – er ist Muslim.

Dürfen Chefs den Angestellten auffordern, sein Gebet zu verschieben? Dürfen sie das Gebet sogar verbieten, wenn wichtige Termine anstehen? Und was, wenn der Mitarbeiter sich weigert, seine Gebete in die Freizeit zu verlagern?

Diese Fragen stellen sich besonders bei muslimischen Mitarbeitern – denn praktizierende Muslime beten fünfmal täglich. So schreibt es ihnen der Koran vor. Die Gebetszeiten richten sich nach dem Sonnenstand und verschieben sich jeden Tag um wenige Minuten. Gleichbleibende Zeitpunkte, zu denen ein muslimischer Mitarbeiter betet, sind also nicht denkbar.

Welche gesetzlichen Regelungen gibt es zu Gebetspausen?

„Im Gesetz gibt es keine konkreten Regelungen zu Gebetspausen“, sagt Asma Hussain-Hämäläinen, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Entsprechende Bestimmungen können aber in Einzelverträgen, Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen stehen. „Solche vertraglichen Regelungen lohnen sich, wenn es eine große Gruppe im Unternehmen gibt, die das Thema betrifft“, sagt Hussain-Hämäläinen. Gibt es keine Regelungen im Vertag, gelten „die allgemeinen arbeitsvertraglichen Grundsätze“.

Was bedeutet das? „Im Allgemeinen ist der Arbeitnehmer berechtigt, ein Gebet abzuhalten und die Arbeitsleistung kurz zu unterbrechen“, sagt Martin Hensche, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Hensche. Schließlich gilt die Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes auch am Arbeitsplatz: „Prinzipiell müssen Arbeitgeber auf die religiösen Belange ihrer Arbeitnehmer Rücksicht nehmen“, sagt Hussain-Hämäläinen. „Ein Unternehmen ist kein religionsfreier Raum, die Religion legt man nicht an der Pforte ab.“

Dennoch gilt die Religionsfreiheit am Arbeitsplatz nicht uneingeschränkt – wollen Mitarbeiter ihren Glauben während der Arbeitszeit ausüben, dürfen sie dabei ihre vertraglich festgelegten Pflichten nicht verletzen, so Asma Hussain-Hämäläinen.

Unsere Experten
Asma Hussain-Hämäläinen ist Fachanwältin für Arbeitsrecht. Sie hat eine Kanzlei in Frankfurt am Main. Martin Hensche Martin Hensche ist spezialisiert auf Arbeitsrecht und hat 1997 die Kanzlei Hensche Rechtsanwälte gegründet.

Wann dürfen Chefs verlangen, dass der Mitarbeiter sein Gebet verschiebt?

Im Januar 2002 urteilte das Landesarbeitsgericht Hamm, dass Chefs nicht verpflichtet sind, Gebetspausen während der Arbeitszeit zu akzeptieren – wenn dadurch betriebliche Störungen verursacht werden (Az.: 5 Sa 1782/01).

Welche Störungen berechtigen Chefs, Gebetspausen zu verbieten? „Arbeitnehmer dürfen nicht den Betrieb zum Stillstand bringen, wenn sie durch das Beten Arbeitsprozesse lahmlegen oder ihre Abteilung nicht weiterkommt“, sagt Hussain-Hämäläinen. Im Prozess am Landesarbeitsgericht Hamm ging es um einen Muslim, der an einer Beschichtungsanlage arbeitete und eine dreiminütige Gebetspause zwischen sechs und acht Uhr morgens verlangte. Weil dabei der Maschinenbetrieb erheblich gestört würde, entschied das Gericht gegen ihn.

Beeinträchtigt das Fehlen des Mitarbeiters die Arbeitssicherheit oder den betrieblichen Frieden, muss der Angestellte auf sein Gebet verzichten oder es später nachholen – das Gebet nachzuholen ist im Islam zulässig, so Fachanwältin Hussain-Hämäläinen.

Bei kleineren Störungen sieht es anders aus: „Wenn man mal einen Telefonanruf verpasst, kann ein Kollege einspringen“, sagt Martin Hensche. Fälle, in denen Chefs das Gebet verbieten dürfen, sind eher selten, so der Rechtsanwalt.

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Müssen Mitarbeiter ihren Chef über Gebetspausen informieren?

Mitarbeiter dürfen allerdings nicht heimlich regelmäßig zum Gebet verschwinden – Chefs haben einen Anspruch darauf, über Gebetspausen informiert zu werden. Im Februar 2002 urteilte das Landesarbeitsgericht Hamm, dass ein Mitarbeiter seinem Chef Bescheid geben muss, wenn er während der Arbeitszeit betet (Az.: 5 Sa 1582/01). „Tut er das nicht, riskiert er eine Abmahnung und im Wiederholungsfall eine Kündigung“, sagt Hussain-Hämäläinen.

Müssen Chefs Gebetspausen bezahlen?

Nach § 616 BGB haben Mitarbeiter bei kurzen Pausen Anspruch auf Bezahlung, wenn die Pause aus persönlichen Gründen stattfindet, die der Mitarbeiter nicht selbst verschuldet – was bei religiösen Ritualen der Fall ist. „Diese Vorschrift kann aber auch abgedungen werden“, sagt Hensche. „Das ist zum Beispiel interessant, wenn man einen großen Betrieb mit vielen muslimischen Angestellten führt. In den Betriebsvereinbarungen müsste man dann festlegen, dass Mitarbeiter sich zu Gebetspausen freistellen lassen dürfen – aber nicht gegen Bezahlung.“

Grundsätzlich gilt: Wer bezahlte Kaffee- und Raucherpausen zulässt, sollte Gläubigen nicht verbieten zu beten.

Mehr zum Thema: Arbeitszeitgesetz: Was gehört zur bezahlten Arbeitszeit?

Was tun, wenn sich der Mitarbeiter weigert, das Gebet später nachzuholen?

Weigert sich ein religiöser Mitarbeiter, sein Gebet zu verschieben, obwohl er damit den Betrieb oder die Betriebssicherheit stört, können Sie ihn abmahnen. Tritt dieses Verhalten wiederholt auf, ist eine Kündigung möglich. „Dabei muss es sich aber um erhebliche betriebliche Störungen handeln“, sagt Hensche.

Wir findet man heraus, ob ein Bewerber oder Mitarbeiter gläubig ist?

Fragen im Vorstellungsgespräch dürfen sich nicht auf die Religion eines Bewerbers beziehen, sagt Hussain-Hämäläinen. „Auf solche unerlaubten Fragen müssen Bewerber nicht antworten, sie dürfen sogar lügen.“

Bei einer Einstellung sieht es schon anders aus: Müssen Sie wegen steuerlicher Merkmale wissen, ob der neue Mitarbeiter gläubig ist (Stichwort: Kirchensteuer), dürfen Sie ihn nach seiner Religion fragen, so Hensche.

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Wenn sich herausstellt, dass der neue Mitarbeiter seinen Glauben verheimlicht hat und während der Arbeitszeit religiöse Rituale ausübt, die seine Leistung beeinträchtigen, wird es problematisch für ihn. „Dann kann der Arbeitgeber unter Umständen mit einer personenbedingten Kündigung reagieren“, sagt Hussain-Hämäläinen.

Richter entscheiden eher pro Religionsfreiheit

Grundsätzlich neigt das Bundesarbeitsgericht bei Konflikten mit der Religion am Arbeitsplatz dazu, pro Religionsfreiheit zu entscheiden, so Hussain-Hämäläinen. Im Zweifelsfall heißt es: Respektieren Sie den Glauben ihres Mitarbeiters und erlauben Sie Gebetspausen – insbesondere, wenn Sie Raucherpausen erlauben.

Betet Ihr Mitarbeiter zu wirklich ungünstigen Zeitpunkten, sollten Sie das Gespräch mit ihm suchen. Erklären Sie, warum er zu bestimmten Zeiten nicht fehlen kann, und finden Sie gemeinschaftlich eine Lösung. Vielleicht ist es für den Mitarbeiter kein Problem, das Gebet später nachzuholen.

Man kann schon blöd gucken, wenn man ein dringendes Problem mit seinen Mitarbeitern besprechen will und mitten in der Sitzung ein Kollege aufsteht und geht: Er muss nicht auf Toilette, sondern pünktlich zur Mittagszeit beten – das schreibe ihm seine Religion vor, sagt er. Das Problem: Ohne ihn kommen Sie in der Besprechung nicht voran. Die Sache wird zum Running-Gag: Besagter Mitarbeiter verschwindet mehrmals täglich zum Gebet, immer zu unterschiedlichen Zeiten. Freitags macht er eine besonders lange Mittagspause, weil er in die Moschee geht – er ist Muslim. Dürfen Chefs den Angestellten auffordern, sein Gebet zu verschieben? Dürfen sie das Gebet sogar verbieten, wenn wichtige Termine anstehen? Und was, wenn der Mitarbeiter sich weigert, seine Gebete in die Freizeit zu verlagern? Diese Fragen stellen sich besonders bei muslimischen Mitarbeitern – denn praktizierende Muslime beten fünfmal täglich. So schreibt es ihnen der Koran vor. Die Gebetszeiten richten sich nach dem Sonnenstand und verschieben sich jeden Tag um wenige Minuten. Gleichbleibende Zeitpunkte, zu denen ein muslimischer Mitarbeiter betet, sind also nicht denkbar. Welche gesetzlichen Regelungen gibt es zu Gebetspausen? "Im Gesetz gibt es keine konkreten Regelungen zu Gebetspausen", sagt Asma Hussain-Hämäläinen, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Entsprechende Bestimmungen können aber in Einzelverträgen, Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen stehen. "Solche vertraglichen Regelungen lohnen sich, wenn es eine große Gruppe im Unternehmen gibt, die das Thema betrifft", sagt Hussain-Hämäläinen. Gibt es keine Regelungen im Vertag, gelten „die allgemeinen arbeitsvertraglichen Grundsätze“. Was bedeutet das? "Im Allgemeinen ist der Arbeitnehmer berechtigt, ein Gebet abzuhalten und die Arbeitsleistung kurz zu unterbrechen", sagt Martin Hensche, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Hensche. Schließlich gilt die Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes auch am Arbeitsplatz: "Prinzipiell müssen Arbeitgeber auf die religiösen Belange ihrer Arbeitnehmer Rücksicht nehmen", sagt Hussain-Hämäläinen. "Ein Unternehmen ist kein religionsfreier Raum, die Religion legt man nicht an der Pforte ab." Dennoch gilt die Religionsfreiheit am Arbeitsplatz nicht uneingeschränkt – wollen Mitarbeiter ihren Glauben während der Arbeitszeit ausüben, dürfen sie dabei ihre vertraglich festgelegten Pflichten nicht verletzen, so Asma Hussain-Hämäläinen. Wann dürfen Chefs verlangen, dass der Mitarbeiter sein Gebet verschiebt? Im Januar 2002 urteilte das Landesarbeitsgericht Hamm, dass Chefs nicht verpflichtet sind, Gebetspausen während der Arbeitszeit zu akzeptieren – wenn dadurch betriebliche Störungen verursacht werden (Az.: 5 Sa 1782/01). Welche Störungen berechtigen Chefs, Gebetspausen zu verbieten? "Arbeitnehmer dürfen nicht den Betrieb zum Stillstand bringen, wenn sie durch das Beten Arbeitsprozesse lahmlegen oder ihre Abteilung nicht weiterkommt", sagt Hussain-Hämäläinen. Im Prozess am Landesarbeitsgericht Hamm ging es um einen Muslim, der an einer Beschichtungsanlage arbeitete und eine dreiminütige Gebetspause zwischen sechs und acht Uhr morgens verlangte. Weil dabei der Maschinenbetrieb erheblich gestört würde, entschied das Gericht gegen ihn. Beeinträchtigt das Fehlen des Mitarbeiters die Arbeitssicherheit oder den betrieblichen Frieden, muss der Angestellte auf sein Gebet verzichten oder es später nachholen – das Gebet nachzuholen ist im Islam zulässig, so Fachanwältin Hussain-Hämäläinen. Bei kleineren Störungen sieht es anders aus: "Wenn man mal einen Telefonanruf verpasst, kann ein Kollege einspringen", sagt Martin Hensche. Fälle, in denen Chefs das Gebet verbieten dürfen, sind eher selten, so der Rechtsanwalt. Müssen Mitarbeiter ihren Chef über Gebetspausen informieren? Mitarbeiter dürfen allerdings nicht heimlich regelmäßig zum Gebet verschwinden – Chefs haben einen Anspruch darauf, über Gebetspausen informiert zu werden. Im Februar 2002 urteilte das Landesarbeitsgericht Hamm, dass ein Mitarbeiter seinem Chef Bescheid geben muss, wenn er während der Arbeitszeit betet (Az.: 5 Sa 1582/01). "Tut er das nicht, riskiert er eine Abmahnung und im Wiederholungsfall eine Kündigung", sagt Hussain-Hämäläinen. Müssen Chefs Gebetspausen bezahlen? Nach § 616 BGB haben Mitarbeiter bei kurzen Pausen Anspruch auf Bezahlung, wenn die Pause aus persönlichen Gründen stattfindet, die der Mitarbeiter nicht selbst verschuldet – was bei religiösen Ritualen der Fall ist. "Diese Vorschrift kann aber auch abgedungen werden", sagt Hensche. "Das ist zum Beispiel interessant, wenn man einen großen Betrieb mit vielen muslimischen Angestellten führt. In den Betriebsvereinbarungen müsste man dann festlegen, dass Mitarbeiter sich zu Gebetspausen freistellen lassen dürfen – aber nicht gegen Bezahlung." Grundsätzlich gilt: Wer bezahlte Kaffee- und Raucherpausen zulässt, sollte Gläubigen nicht verbieten zu beten. Mehr zum Thema: Arbeitszeitgesetz: Was gehört zur bezahlten Arbeitszeit? Was tun, wenn sich der Mitarbeiter weigert, das Gebet später nachzuholen? Weigert sich ein religiöser Mitarbeiter, sein Gebet zu verschieben, obwohl er damit den Betrieb oder die Betriebssicherheit stört, können Sie ihn abmahnen. Tritt dieses Verhalten wiederholt auf, ist eine Kündigung möglich. "Dabei muss es sich aber um erhebliche betriebliche Störungen handeln", sagt Hensche. Wir findet man heraus, ob ein Bewerber oder Mitarbeiter gläubig ist? Fragen im Vorstellungsgespräch dürfen sich nicht auf die Religion eines Bewerbers beziehen, sagt Hussain-Hämäläinen. "Auf solche unerlaubten Fragen müssen Bewerber nicht antworten, sie dürfen sogar lügen." Bei einer Einstellung sieht es schon anders aus: Müssen Sie wegen steuerlicher Merkmale wissen, ob der neue Mitarbeiter gläubig ist (Stichwort: Kirchensteuer), dürfen Sie ihn nach seiner Religion fragen, so Hensche. Wenn sich herausstellt, dass der neue Mitarbeiter seinen Glauben verheimlicht hat und während der Arbeitszeit religiöse Rituale ausübt, die seine Leistung beeinträchtigen, wird es problematisch für ihn. "Dann kann der Arbeitgeber unter Umständen mit einer personenbedingten Kündigung reagieren", sagt Hussain-Hämäläinen. Richter entscheiden eher pro Religionsfreiheit Grundsätzlich neigt das Bundesarbeitsgericht bei Konflikten mit der Religion am Arbeitsplatz dazu, pro Religionsfreiheit zu entscheiden, so Hussain-Hämäläinen. Im Zweifelsfall heißt es: Respektieren Sie den Glauben ihres Mitarbeiters und erlauben Sie Gebetspausen – insbesondere, wenn Sie Raucherpausen erlauben. Betet Ihr Mitarbeiter zu wirklich ungünstigen Zeitpunkten, sollten Sie das Gespräch mit ihm suchen. Erklären Sie, warum er zu bestimmten Zeiten nicht fehlen kann, und finden Sie gemeinschaftlich eine Lösung. Vielleicht ist es für den Mitarbeiter kein Problem, das Gebet später nachzuholen.
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