Agiles Arbeiten
Wie Sie Ihr Unternehmen flexibler führen

Agile Unternehmen sind wendig, schnell und innovativ. Wie sie das schaffen? Tim Mois hat es ausprobiert: Seit knapp acht Jahren führt er sein Unternehmen agil - das sind seine Erfahrungen und Tipps.

, von

Kommentieren
Das wichtigste Utensil für die agile Zusammenarbeit bei Sipgate: Post it´s. Überall im Unternehmen kleben Mitarbeiter Zettelchen auf Stellwände und haben so alle Aufgaben im Blick.
Das wichtigste Utensil für die agile Zusammenarbeit bei Sipgate: Post it´s. Überall im Unternehmen kleben Mitarbeiter Zettelchen auf Stellwände und haben so alle Aufgaben im Blick.

Haben Sie das Gefühl, nicht schnell genug auf Kundenwünsche reagieren zu können? Der Konkurrenz immer einen Schritt hinterher zu hinken? „Dann haben Sie keine Wahl“, sagt Tim Mois, Experte für agile Führung. „Sie müssen Ihr Unternehmen komplett umstrukturieren und agil werden.“

Mois weiß, wovon er redet. Er hat zusammen mit Thilo Salmon 2004 Sipgate gegründet, den ersten Internettelefonie-Anbieter Deutschlands, und ging damit in Konkurrenz zu großen Konzernen wie der Telekom. Erst lief es gut. Das Unternehmen war klein und wendig und konnte schnell auf Kundenwünsche und Marktveränderungen reagieren. Doch je mehr Leute bei Sipgate arbeiteten, desto weniger Projekte wurden abgeschlossen, desto weniger neue Ideen gab es. „Der Umsatz stimmte – aber gemessen an unseren Aktivitäten waren wir langsam und unproduktiv“, sagt Mois. Er und Salmon fühlten: Wenn es so weiterginge, würden sie mit der Konkurrenz nicht mithalten können. „Wir glaubten aber, mehr liefern zu können.“

Deswegen beschlossen die Gründer, „einen harten Schnitt“ zu wagen: „Wir wollten agile Arbeitsmethoden ausprobieren – egal, wie falsch und fies es sich anfühlen würde“, erinnert sich Mois. Das war 2010. Inzwischen sind Salmon und Mois Experten in agiler Führung. Regelmäßig bekommen sie Besuch von Spitzenkräften großer und kleiner Unternehmen, die flexibler und schneller arbeiten wollen. Vielleicht können Sie sich auch etwas von Sipgate abgucken? Sechs Dinge, die Ihnen helfen, Ihr Unternehmen agil zu führen.

Die 6 Grundpfeiler des agilen Arbeitens

Beratung suchen

„Agile Unternehmer erfinden sich neu“, sagt Mois. Prozesse, Zuständigkeiten und Routinen – alles verändert sich. „Das tut weh und ist allein kaum zu schaffen.“ Denn die Mitarbeiter wehren sich gegen Veränderungen. „Nicht, weil sie böswillig sind,“ sagt Mois, „sondern, weil das Altbekannte plötzlich nicht mehr gut genug ist und die eigene Arbeit in Frage gestellt wird“. Er und sein Mitgründer haben sich deswegen Hilfe von außen geholt und eine Agentur beauftragt. „Man braucht unbedingt einen externen Berater, der sich die Unternehmensstruktur von außen anschaut und die ersten Schritte begleitet“, sagt er. „Ansonsten ist Veränderung unmöglich.“

Wissen anhäufen

„Agil zu arbeiten bedeutet ständiges Lernen und ständige Veränderung“, sagt Mois. Schließlich gehe es darum, immer besser, immer schneller zu werden. „Es gibt aber keinen goldenen Weg, man muss alles ausprobieren.“ Er und Salmon haben sich deswegen viel Theorie angelesen, Vorträge gehört, mit Experten gesprochen. Neues Wissen haben sie besprochen, an ihr Unternehmen angepasst, ausprobiert, verworfen, neu überlegt, wieder ausprobiert. „Das war ein schmerzhafter Prozess“, erinnert sich Mois. „Ich wusste ja nie, welche Entscheidungen gerade richtig und welche falsch waren“, sagt er. Alles war neu, trotzdem standen sie als Geschäftsführer unter dem Druck, unter allen Möglichkeiten immer die beste zu wählen und umzusetzen. „Das fiel mir anfangs sehr schwer“, sagt Mois. Sein Rat lautet deswegen: Wer agil führen will, braucht viel theoretisches Wissen und eine Experimentierfläche, um die Ideen auszuprobieren.

Team umbauen

Früher haben die Mitarbeiter bei Sipgate klassisch in Abteilungen gearbeitet: Grafiker saßen mit Grafikern in einem Raum, Produktentwickler mit Produktentwicklern, Kundenbetreuer mit Kundenbetreuern; Mois und Salmon waren die Chefs. Sie haben jeden Tag Entscheidungen getroffen, Aufgaben delegiert oder Mitarbeitergespräche geführt. „Jetzt sind unsere Teams crossfunktional und eigenständig“, sagt Mois. Das heißt, die Mitarbeiter arbeiten in Projektgruppen zusammen. Ein Team besteht dann beispielsweise aus einem Grafiker, einem Produktentwickler und einem Kundenbetreuer. „Jedes Team ist von der Idee bis zur Umsetzung für das Produkt verantwortlich“, sagt Mois. Vorgesetzte gibt es nicht. Stattdessen arbeiten die Teams mit der Projektmanagement-Methode Scrum.

In jeder Projektgruppe gibt es drei Rollen: Den Product-Owner, der die Rolle des Auftraggebers einnimmt und bestimmt, welche Anforderungen das Produkt erfüllen soll. Er kümmert sich auch um die Kundenkommunikation; den Scrum-Master, der den Überblick behält und dafür sorgt, dass die Teammitglieder sich über Ideen, Probleme und den Projektfortschritt austauschen; das Scrum-Team, das sich um die eigentliche Produktentwicklung kümmert.

Zur Person:
Tim Mois ist Gründer und Geschäftsführer von sipgate und treibt seit 2010 die Umgestaltung der Firma zu einem agilen Unternehmen voran. Dazu gehört auch, dass er andere Unternehmer durch die Büroräume von Sipgate führt und in Veranstaltungen und Vorträgen von seiner Arbeit erzählt. Mehr Informationen dazu finden Sie auf dem sipgate-Blog.  

„Alle sind gleichermaßen dafür verantwortlich, das Produkt erfolgreich zu machen“, sagt Mois. Um das zu schaffen, ist das Projektziel in Etappen unterteilt, sogenannte Sprints. Am Monatsende überprüft das Team, welche Teilziele erreicht sind, welche nicht und was als nächstes ansteht. Dann geht’s in den nächsten Sprint. Eine weitere Methode, mit der sich die Teams selbst organisieren, ist Kanban. Auch hier wird das langfristige Ziel in Teilziele unterteilt. Dazu schreiben die Teammitglieder jeden einzelnen Arbeitsschritt auf einen Post-it, der an eine Stellwand geklebt wird. Je nachdem, ob die Aufgabe noch ansteht, in Arbeit oder schon geschafft ist, ordnen sie ihr den Status „to do“, „doing“ oder „done“ zu.

Aufgabe der Führungskraft

Das Ziel des agilen Arbeitens ist letztlich, dass ein Unternehmen schnell und flexibel ist. Dafür muss das Team unternehmerische Verantwortung übernehmen. „Denn wenn der Mitarbeiter bei jeder Entscheidung den Chef fragt, funktioniert es nicht“, so Mois. Während die Mitarbeiter also mehr Verantwortung bekommen, geben die Chefs welche ab. „Das ist ein schwieriger Prozess, der viel Geduld erfordert“, sagt Mois. Bei Sipgate habe es sehr lange gedauert, bis sich die Teams entwickeln konnten, selbstständig arbeiteten und er und Salmon gelernt hätten, sich aus dem Tagesgeschäft herauszuhalten. Heute entscheiden die Mitarbeiter sogar darüber, ob sie einen neuen Kollegen brauchen und wer das sein soll. Die Geschäftsführer hingegen sind für strategische Fragen zuständig: „Wir kümmern uns darum, wo Sipgate in fünf oder zehn Jahren stehen soll“, sagt Mois. „Die Ziele übersetzen wir dann in Aufgaben und Entscheidungen, die wir schon jetzt angehen müssen.“

Transparenz

Wenn Mitarbeiter selbstständig Verträge mit Kunden abschließen, Mitarbeiter einstellen oder Einkäufe machen, brauchen sie transparente Geschäftszahlen und Organisationsstrukturen. „Ich kann von niemandem verlangen, eigenverantwortlich zu handeln und sich selbst zu organisieren, wenn ich ihm keine Informationen gebe, an denen er sich orientieren kann“, sagt Mois. Je mehr Mitarbeiter eigenverantwortlich arbeiteten und unternehmerisch handelten, umso transparenter müssten Zahlen und Prozesse sein, findet er. „Wir schicken beispielsweise jeden Monat einen Geschäftsreport an alle Mitarbeiter“, sagt Mois. Darin sind auf 150 Seiten alle Zahlen zu finden, die das Unternehmen betreffen. Jeder der will, kann also nachlesen, wie es bei Sipgate gerade läuft.

Alternativ könnte man aber auch wieder Stellwände aufstellen, wo tagesaktuell je nach Projekt oder Team aktuelle Zahlen und Informationen draufstehen: „So erkennt jeder, was gerade gut und was schlecht läuft, jeder kann dann Verbesserungsvorschläge machen, Beobachtungen teilen oder Fragen stellen“, sagt Mois. Wichtig sei nur, dass es keine Schuldzuweisungen gibt. „Das heißt, dass man erst mal selber aufhören muss, Schuldige zu suchen“, sagt Mois. Erst dann würden auch die Mitarbeiter aufhören, den Fehler bei anderen zu suchen. „Dann liegt der Fokus nicht mehr auf dem Fehler, sondern auf der Problemlösung.“

In eigener Sache
Machen ist wie wollen, nur krasser
Machen ist wie wollen, nur krasser
Die impulse-Mitgliedschaften - Rückenwind für Unternehmerinnen und Unternehmer

Es geht immer besser

Die Philosophie bei Sipgate ist: Es gibt immer etwas zu verbessern. Dort gilt das Motto „Continous Improvement“, zu Deutsch permanente Verbesserung. Dazu treffen sich alle Mitarbeiter zu sogenannten Retrospektive-Meetings. „Dort sprechen wir darüber, was in den letzten zwei Wochen gut war, was schlecht und was verändert werden soll“, erklärt Mois. Zusätzlich trifft sich auch jedes einzelne Team zur Retrospektive. „Diese Meetings sind ein starkes Mittel, um aus der Vergangenheit zu lernen und sich ständig zu verbessern“, sagt Mois. Auch hier gilt: Keine Schuldzuweisung. Denn Vergangenes lässt sich sowieso nicht mehr ändern. Die Frage ist stattdessen: Was können wir besser machen.

Was brauchen Unternehmer, um agil zu sein?

Agile Zusammenarbeit bedeutet also eine große Umstellung für alle im Unternehmen. „Bei uns haben auch Mitarbeiter gekündigt, die mit der neuen Arbeitsweise nicht klargekommen sind“, erzählt Mois. Was braucht es denn unbedingt, um agil zu sein?

Geduld und Mut. „Es hört niemals auf“, sagt Mois. „Wer einmal anfängt, das Unternehmen umzustrukturieren, erkennt, dass es immer etwas zu verbessern gibt.“ Es sei eine dauerhafte Aufgabe, die sich nicht wegdelegieren lasse. Das gelte auch für Mitarbeiter, die ja unternehmerische Verantwortung übernähmen. „Deswegen ist etwas nie der Job von jemand anderem.“ Wenn ein Mitarbeiter beispielsweise unzufrieden mit seiner Aufgabe sei, müsse er selbst überlegen, wie er sich anders einbringen könne. „Es gibt keinen Chef, der sagt, wie es läuft“, so Mois. Deswegen seien ja auch die Zahlen für alle zugänglich. „So ist jeder in der Lage für sich, aber auch für das Unternehmen Entscheidungen zu treffen.“ Als Führungskraft Verantwortung abgeben, als Mitarbeiter annehmen – „das ist für alle erstmal schwer und ungewohnt“, sagt Mois. Es sei aber die Voraussetzung, um agil zusammen zu arbeiten.

Was sind die größten Vorteile agiler Unternehmen?

Auch wenn es schwer war, für Mois und Salmon hat sich die Umstellung gelohnt: Sipgate hat inzwischen 150 Mitarbeiter und machte im vergangenen Jahr rund 25 Millionen Euro Umsatz. Zum Vergleich: 2009 waren es rund 8,7 Millionen Euro Umsatz bei 53 Mitarbeitern. Die Unternehmer sehen im agilen Arbeiten außerdem folgende Vorteile:

  • Schnelle Entscheidungen. Teams arbeiten eigenständig und überwachen dabei laufend ihren Erfolg. Keiner muss auf die Entscheidung vom Chef warten, „es sei denn, es geht um strategische Dinge“, sagt Mois. So können Mitarbeiter beispielsweise selbstständig Verträge von mehreren Jahren Laufzeit mit Kunden abschließen. „Damit es aber kein Chaos gibt, gibt es bei Sipgate Demos“, sagt Mois. Das heißt: Alle zwei Wochen stellt jedes Team seine Ergebnisse in großer Runde im hauseigenen Restaurant vor – genannt Demo.
  • Zeit für andere Dinge. Anstatt Mitarbeitergespräche zu führen oder Konflikte unter Kollegen zu lösen, haben die Geschäftsführer Zeit, sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren: strategische Entscheidungen treffen. Um persönliche Probleme kümmert sich bei Sipgate nämlich das Team. „Die Kollegen kennen sich untereinander sehr gut, sie arbeiten jeden Tag zusammen“, sagt Mois. „Persönliche Probleme erkennen die untereinander viel besser als ich.“ In den Retrospektive-Treffen ist dann Gelegenheit, Konflikte anzusprechen und zu lösen.
  • Ein motiviertes Team. „Bei uns entscheiden die Mitarbeiter sehr viel“, sagt Mois. Ideen sind willkommen und „wenn es nicht funktioniert, macht man es anders.“ Dadurch hätten die Mitarbeiter keine Angst vor Projekten, sondern Spaß daran, sich auszuprobieren. „Sie identifizierten sich mit dem, was sie tun und sind deswegen sehr engagiert“, so Mois. „Dadurch herrscht im Team gute Stimmung und die Zusammenarbeit klappt besser“, sagt Mois. Das wiederum seien wichtige Voraussetzungen für unternehmerischen Erfolg.
Haben Sie das Gefühl, nicht schnell genug auf Kundenwünsche reagieren zu können? Der Konkurrenz immer einen Schritt hinterher zu hinken? „Dann haben Sie keine Wahl“, sagt Tim Mois, Experte für agile Führung. „Sie müssen Ihr Unternehmen komplett umstrukturieren und agil werden.“ Mois weiß, wovon er redet. Er hat zusammen mit Thilo Salmon 2004 Sipgate gegründet, den ersten Internettelefonie-Anbieter Deutschlands, und ging damit in Konkurrenz zu großen Konzernen wie der Telekom. Erst lief es gut. Das Unternehmen war klein und wendig und konnte schnell auf Kundenwünsche und Marktveränderungen reagieren. Doch je mehr Leute bei Sipgate arbeiteten, desto weniger Projekte wurden abgeschlossen, desto weniger neue Ideen gab es. „Der Umsatz stimmte – aber gemessen an unseren Aktivitäten waren wir langsam und unproduktiv“, sagt Mois. Er und Salmon fühlten: Wenn es so weiterginge, würden sie mit der Konkurrenz nicht mithalten können. „Wir glaubten aber, mehr liefern zu können.“ Deswegen beschlossen die Gründer, „einen harten Schnitt“ zu wagen: „Wir wollten agile Arbeitsmethoden ausprobieren – egal, wie falsch und fies es sich anfühlen würde“, erinnert sich Mois. Das war 2010. Inzwischen sind Salmon und Mois Experten in agiler Führung. Regelmäßig bekommen sie Besuch von Spitzenkräften großer und kleiner Unternehmen, die flexibler und schneller arbeiten wollen. Vielleicht können Sie sich auch etwas von Sipgate abgucken? Sechs Dinge, die Ihnen helfen, Ihr Unternehmen agil zu führen. Die 6 Grundpfeiler des agilen Arbeitens Beratung suchen „Agile Unternehmer erfinden sich neu“, sagt Mois. Prozesse, Zuständigkeiten und Routinen – alles verändert sich. „Das tut weh und ist allein kaum zu schaffen.“ Denn die Mitarbeiter wehren sich gegen Veränderungen. „Nicht, weil sie böswillig sind,“ sagt Mois, „sondern, weil das Altbekannte plötzlich nicht mehr gut genug ist und die eigene Arbeit in Frage gestellt wird“. Er und sein Mitgründer haben sich deswegen Hilfe von außen geholt und eine Agentur beauftragt. „Man braucht unbedingt einen externen Berater, der sich die Unternehmensstruktur von außen anschaut und die ersten Schritte begleitet“, sagt er. „Ansonsten ist Veränderung unmöglich.“ Wissen anhäufen „Agil zu arbeiten bedeutet ständiges Lernen und ständige Veränderung“, sagt Mois. Schließlich gehe es darum, immer besser, immer schneller zu werden. „Es gibt aber keinen goldenen Weg, man muss alles ausprobieren.“ Er und Salmon haben sich deswegen viel Theorie angelesen, Vorträge gehört, mit Experten gesprochen. Neues Wissen haben sie besprochen, an ihr Unternehmen angepasst, ausprobiert, verworfen, neu überlegt, wieder ausprobiert. „Das war ein schmerzhafter Prozess“, erinnert sich Mois. „Ich wusste ja nie, welche Entscheidungen gerade richtig und welche falsch waren“, sagt er. Alles war neu, trotzdem standen sie als Geschäftsführer unter dem Druck, unter allen Möglichkeiten immer die beste zu wählen und umzusetzen. „Das fiel mir anfangs sehr schwer“, sagt Mois. Sein Rat lautet deswegen: Wer agil führen will, braucht viel theoretisches Wissen und eine Experimentierfläche, um die Ideen auszuprobieren. Team umbauen Früher haben die Mitarbeiter bei Sipgate klassisch in Abteilungen gearbeitet: Grafiker saßen mit Grafikern in einem Raum, Produktentwickler mit Produktentwicklern, Kundenbetreuer mit Kundenbetreuern; Mois und Salmon waren die Chefs. Sie haben jeden Tag Entscheidungen getroffen, Aufgaben delegiert oder Mitarbeitergespräche geführt. „Jetzt sind unsere Teams crossfunktional und eigenständig“, sagt Mois. Das heißt, die Mitarbeiter arbeiten in Projektgruppen zusammen. Ein Team besteht dann beispielsweise aus einem Grafiker, einem Produktentwickler und einem Kundenbetreuer. „Jedes Team ist von der Idee bis zur Umsetzung für das Produkt verantwortlich“, sagt Mois. Vorgesetzte gibt es nicht. Stattdessen arbeiten die Teams mit der Projektmanagement-Methode Scrum. In jeder Projektgruppe gibt es drei Rollen: Den Product-Owner, der die Rolle des Auftraggebers einnimmt und bestimmt, welche Anforderungen das Produkt erfüllen soll. Er kümmert sich auch um die Kundenkommunikation; den Scrum-Master, der den Überblick behält und dafür sorgt, dass die Teammitglieder sich über Ideen, Probleme und den Projektfortschritt austauschen; das Scrum-Team, das sich um die eigentliche Produktentwicklung kümmert. „Alle sind gleichermaßen dafür verantwortlich, das Produkt erfolgreich zu machen“, sagt Mois. Um das zu schaffen, ist das Projektziel in Etappen unterteilt, sogenannte Sprints. Am Monatsende überprüft das Team, welche Teilziele erreicht sind, welche nicht und was als nächstes ansteht. Dann geht’s in den nächsten Sprint. Eine weitere Methode, mit der sich die Teams selbst organisieren, ist Kanban. Auch hier wird das langfristige Ziel in Teilziele unterteilt. Dazu schreiben die Teammitglieder jeden einzelnen Arbeitsschritt auf einen Post-it, der an eine Stellwand geklebt wird. Je nachdem, ob die Aufgabe noch ansteht, in Arbeit oder schon geschafft ist, ordnen sie ihr den Status „to do“, „doing“ oder „done“ zu. Aufgabe der Führungskraft Das Ziel des agilen Arbeitens ist letztlich, dass ein Unternehmen schnell und flexibel ist. Dafür muss das Team unternehmerische Verantwortung übernehmen. „Denn wenn der Mitarbeiter bei jeder Entscheidung den Chef fragt, funktioniert es nicht“, so Mois. Während die Mitarbeiter also mehr Verantwortung bekommen, geben die Chefs welche ab. „Das ist ein schwieriger Prozess, der viel Geduld erfordert“, sagt Mois. Bei Sipgate habe es sehr lange gedauert, bis sich die Teams entwickeln konnten, selbstständig arbeiteten und er und Salmon gelernt hätten, sich aus dem Tagesgeschäft herauszuhalten. Heute entscheiden die Mitarbeiter sogar darüber, ob sie einen neuen Kollegen brauchen und wer das sein soll. Die Geschäftsführer hingegen sind für strategische Fragen zuständig: „Wir kümmern uns darum, wo Sipgate in fünf oder zehn Jahren stehen soll“, sagt Mois. „Die Ziele übersetzen wir dann in Aufgaben und Entscheidungen, die wir schon jetzt angehen müssen.“ Transparenz Wenn Mitarbeiter selbstständig Verträge mit Kunden abschließen, Mitarbeiter einstellen oder Einkäufe machen, brauchen sie transparente Geschäftszahlen und Organisationsstrukturen. „Ich kann von niemandem verlangen, eigenverantwortlich zu handeln und sich selbst zu organisieren, wenn ich ihm keine Informationen gebe, an denen er sich orientieren kann“, sagt Mois. Je mehr Mitarbeiter eigenverantwortlich arbeiteten und unternehmerisch handelten, umso transparenter müssten Zahlen und Prozesse sein, findet er. „Wir schicken beispielsweise jeden Monat einen Geschäftsreport an alle Mitarbeiter“, sagt Mois. Darin sind auf 150 Seiten alle Zahlen zu finden, die das Unternehmen betreffen. Jeder der will, kann also nachlesen, wie es bei Sipgate gerade läuft. Alternativ könnte man aber auch wieder Stellwände aufstellen, wo tagesaktuell je nach Projekt oder Team aktuelle Zahlen und Informationen draufstehen: „So erkennt jeder, was gerade gut und was schlecht läuft, jeder kann dann Verbesserungsvorschläge machen, Beobachtungen teilen oder Fragen stellen“, sagt Mois. Wichtig sei nur, dass es keine Schuldzuweisungen gibt. „Das heißt, dass man erst mal selber aufhören muss, Schuldige zu suchen“, sagt Mois. Erst dann würden auch die Mitarbeiter aufhören, den Fehler bei anderen zu suchen. „Dann liegt der Fokus nicht mehr auf dem Fehler, sondern auf der Problemlösung.“ Es geht immer besser Die Philosophie bei Sipgate ist: Es gibt immer etwas zu verbessern. Dort gilt das Motto „Continous Improvement“, zu Deutsch permanente Verbesserung. Dazu treffen sich alle Mitarbeiter zu sogenannten Retrospektive-Meetings. „Dort sprechen wir darüber, was in den letzten zwei Wochen gut war, was schlecht und was verändert werden soll“, erklärt Mois. Zusätzlich trifft sich auch jedes einzelne Team zur Retrospektive. „Diese Meetings sind ein starkes Mittel, um aus der Vergangenheit zu lernen und sich ständig zu verbessern“, sagt Mois. Auch hier gilt: Keine Schuldzuweisung. Denn Vergangenes lässt sich sowieso nicht mehr ändern. Die Frage ist stattdessen: Was können wir besser machen. Was brauchen Unternehmer, um agil zu sein? Agile Zusammenarbeit bedeutet also eine große Umstellung für alle im Unternehmen. „Bei uns haben auch Mitarbeiter gekündigt, die mit der neuen Arbeitsweise nicht klargekommen sind“, erzählt Mois. Was braucht es denn unbedingt, um agil zu sein? Geduld und Mut. „Es hört niemals auf“, sagt Mois. „Wer einmal anfängt, das Unternehmen umzustrukturieren, erkennt, dass es immer etwas zu verbessern gibt.“ Es sei eine dauerhafte Aufgabe, die sich nicht wegdelegieren lasse. Das gelte auch für Mitarbeiter, die ja unternehmerische Verantwortung übernähmen. „Deswegen ist etwas nie der Job von jemand anderem.“ Wenn ein Mitarbeiter beispielsweise unzufrieden mit seiner Aufgabe sei, müsse er selbst überlegen, wie er sich anders einbringen könne. „Es gibt keinen Chef, der sagt, wie es läuft“, so Mois. Deswegen seien ja auch die Zahlen für alle zugänglich. „So ist jeder in der Lage für sich, aber auch für das Unternehmen Entscheidungen zu treffen.“ Als Führungskraft Verantwortung abgeben, als Mitarbeiter annehmen - „das ist für alle erstmal schwer und ungewohnt“, sagt Mois. Es sei aber die Voraussetzung, um agil zusammen zu arbeiten. Was sind die größten Vorteile agiler Unternehmen? Auch wenn es schwer war, für Mois und Salmon hat sich die Umstellung gelohnt: Sipgate hat inzwischen 150 Mitarbeiter und machte im vergangenen Jahr rund 25 Millionen Euro Umsatz. Zum Vergleich: 2009 waren es rund 8,7 Millionen Euro Umsatz bei 53 Mitarbeitern. Die Unternehmer sehen im agilen Arbeiten außerdem folgende Vorteile: Schnelle Entscheidungen. Teams arbeiten eigenständig und überwachen dabei laufend ihren Erfolg. Keiner muss auf die Entscheidung vom Chef warten, „es sei denn, es geht um strategische Dinge“, sagt Mois. So können Mitarbeiter beispielsweise selbstständig Verträge von mehreren Jahren Laufzeit mit Kunden abschließen. „Damit es aber kein Chaos gibt, gibt es bei Sipgate Demos“, sagt Mois. Das heißt: Alle zwei Wochen stellt jedes Team seine Ergebnisse in großer Runde im hauseigenen Restaurant vor – genannt Demo. Zeit für andere Dinge. Anstatt Mitarbeitergespräche zu führen oder Konflikte unter Kollegen zu lösen, haben die Geschäftsführer Zeit, sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren: strategische Entscheidungen treffen. Um persönliche Probleme kümmert sich bei Sipgate nämlich das Team. „Die Kollegen kennen sich untereinander sehr gut, sie arbeiten jeden Tag zusammen“, sagt Mois. „Persönliche Probleme erkennen die untereinander viel besser als ich.“ In den Retrospektive-Treffen ist dann Gelegenheit, Konflikte anzusprechen und zu lösen. Ein motiviertes Team. „Bei uns entscheiden die Mitarbeiter sehr viel“, sagt Mois. Ideen sind willkommen und „wenn es nicht funktioniert, macht man es anders.“ Dadurch hätten die Mitarbeiter keine Angst vor Projekten, sondern Spaß daran, sich auszuprobieren. „Sie identifizierten sich mit dem, was sie tun und sind deswegen sehr engagiert“, so Mois. „Dadurch herrscht im Team gute Stimmung und die Zusammenarbeit klappt besser“, sagt Mois. Das wiederum seien wichtige Voraussetzungen für unternehmerischen Erfolg.
Mehr lesen über