Ständige Erreichbarkeit
Was digitaler Stress mit Ihren Mitarbeitern macht

Rufen Sie Ihre Mitarbeiter in dringenden Fällen auch nach Feierabend an? Wissen Sie auch, was Sie damit auslösen können? Eine Expertin erklärt, welche Folgen ständige Erreichbarkeit hat.

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Ständige Erreichbarkeit – als es noch Telefone mit Hörer und Drehscheibe gab, war sie noch kein Problem.
Ständige Erreichbarkeit – als es noch Telefone mit Hörer und Drehscheibe gab, war sie noch kein Problem.

Einfach abschalten – das können viele Beschäftigte nicht mehr. Auch nach Feierabend rechnen sie noch damit, dass der Chef oder Kollegen anrufen könnten, während sie beim Feierabendgetränk auf dem Sofa sitzen. Sie checken Firmen-Mails, obwohl sie gerade Urlaub auf Sizilien machen. 22 Prozent gaben 2015 bei einer Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin an, dass sie auch in ihrem Privatleben für berufliche Angelegenheiten erreichbar sein müssten. Das muss nicht zwangsläufig schlimm sein. Smartphone und E-Mails machen es zum Beispiel für viele einfacher, Familie und Beruf zu vereinbaren, weil sie im Home-Office arbeiten können.

Ständige Erreichbarkeit kann krankmachen

Doch die ständige Erreichbarkeit hat eine Kehrseite. „Bislang deuten viele Studien darauf hin, dass die ständige Erreichbarkeit ein Risiko darstellt für das psychische Befinden und die Work-Life-Balance von Beschäftigten“, sagt Nina Pauls vom Institut für Psychologie der Universität Freiburg. Pauls und ihre Kollegen forschen seit 2013 im Rahmen des Projekts „MASTER – Management ständiger Erreichbarkeit“ zu dem Thema. In ihren Studien hätten sie etwa herausgefunden, dass viele Beschäftigte Probleme haben abzuschalten. Selbst im Urlaub kreisten ihre Gedanken noch um die Arbeit.

„Andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass bei Beschäftigten, die immer erreichbar sind, Anzeichen von Burnout und Erschöpfung auftreten. Auch eine beeinträchtigte Schlafqualität, Rücken- oder Kopfschmerzen gehen damit einher“, sagt Pauls. Klassische körperliche Anzeichen für zu viel Stress also. Dass es hier einen direkten Zusammenhang gebe, dass ständige Erreichbarkeit also zwangsläufig zu Schlafstörungen, Rücken- und Kopfschmerzen führe, lasse sich laut Pauls allerdings nicht belegen: „Man kann nur sagen, sie treten häufiger bei Leuten auf, die ständig erreichbar sind.“

Mitarbeiter brauchen Zeit zum Abschalten

Natürlich sind die wenigstens ständig, also 24 Stunden am Tag, erreichbar. Aber auf die gesetzlichen Arbeitszeitregelungen können sich Beschäftigte nicht mehr verlassen. Dabei hat der Gesetzgeber sie aus guten Grund eingeführt: Angestellte sollen genug Zeit haben, um sich zu erholen. Wer sich nicht ausruht, macht häufiger Fehler, dem passieren öfter Unfälle, der wird öfter krank. Doch die Möglichkeiten der Technik lassen die Grenzen zwischen Ruhe- und Arbeitsphasen verschwimmen. Ein Handy ist immer dabei, eine E-Mail schnell geschrieben.

Was sie mit Anrufen und Mails nach Feierabend bei ihren Mitarbeitern anrichten können, darüber sollten sich Vorgesetzte darum im Klaren sein. Viele sind es nicht. So beobachten Pauls und ihre Kollegen bei ihren Befragungen in Unternehmen, dass Führungskräfte oft davon ausgehen, dass dies kein Thema in ihrer Firma sei. „Wenn wir dann untersuchen, wie die Mitarbeiter dies empfinden, zeigt sich, dass es diesbezüglich eine unterschiedliche Wahrnehmung gibt“, sagt die Psychologin.

Es muss aber nicht immer am Chef liegen. „Die ständige Erreichbarkeit ist oft informell verbreitet: Beschäftigte handeln hier auf eigene Faust. Unternehmer wissen oft nicht, wie viele davon betroffen sind und in welchem Umfang“, so Pauls. Wenn die Mitarbeiter abends freiwillig berufliche E-Mails lesen, kriegt das niemand mit.

Ob auch Ihre Mitarbeiter damit zu kämpfen haben, können Sie in einem Selbstcheck herausfinden. Die Vorlage dafür finden Sie auf der Webseite des Master-Projektes. Mit Hilfe des Fragebogens können Sie herausfinden, wie verbreitet das Problem in Ihrer Firma ist, was die Auslöser und die Folgen sind.

Zur Person
Nina Pauls Nina Pauls ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Wirtschaftspsychologie der Universität Freiburg. Sie sucht im Rahmen des Projektes „Master – Management ständiger Erreichbarkeit“ nach neuen Wegen, gesund mit modernen Medien umzugehen. An dem Projekt beteiligen sich auch das ISF München und die Universität Hamburg. Es wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert.

So können Unternehmen ständige Erreichbarkeit eindämmen

Wie aber können Unternehmer richtig auf das Problem reagieren? Pauls und ihre Kollegen haben lange dazu geforscht. Dabei haben sich drei zentrale Punkte herauskristallisiert:

1. Erwartungen klären

Das grundlegende Problem: Die Mitarbeiter wissen nicht genau, was von ihnen erwartet wird. „Viele sagen und denken lange ‚Das macht mir gar nichts aus‘. Irgendwann kommt aber der Moment, in dem es zu viel wird. So weit sollte es nicht kommen“, sagt Pauls. Große Unternehmen könnten in der Betriebsvereinbarung festhalten, wer bis wann erreichbar sein muss. „Kleineren Unternehmen empfehlen wir, klare Vereinbarungen zur Erreichbarkeit auf Abteilungs- oder Teamebene zu treffen – vielleicht auch mit den Kunden. Dann weiß jeder, was von ihm erwartet wird und wann er auf Anrufe oder E-Mails reagieren muss“, empfiehlt die Forscherin.

Vorgesetzte sollten auch bedenken, welches Bild sie selbst vermitteln, sagt Pauls: „Wenn der Chef sonntagabends E-Mails verschickt, sollte er hinterfragen, wie das auf seine Mitarbeiter wirkt. Und: Weiß der Adressat, dass nicht von ihm erwartet wird, sofort zu antworten?“ Damit sich niemand durch die Sonntagsarbeit des Vorsetzten unter Druck gesetzt fühlt, könnten Mails auch so programmiert werden, dass sie erst Montagmorgen rausgehen.

2. Überlastung vermeiden

Dass sie auch nach Feierabend noch telefonieren, chatten oder E-Mails schreiben, kann auch an einer schlechten Arbeitsorganisation im Unternehmen liegen. „Beschäftigte haben so viel zu tun, dass sie ihr Pensum in der eigentlichen Arbeitszeit nicht schaffen. Deswegen sind sie länger erreichbar“, so Pauls. Chefs sollten dem Problem dann auf den Grund gehen. Sie sollten versuchen, Aufgaben neu zu verteilen und den Kapazitäten der einzelnen Mitarbeiter anzupassen.

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3. Spezialwissen umverteilen

In der Firma brennt’s und nur einer kann löschen. So einen „Feuerwehrmann“, also einen Experten für ein bestimmtes Thema, gebe es laut Pauls gerade in kleinen Unternehmen oft. Diese Leute leiden besonders unter ständiger Erreichbarkeit, weil sie die einzigen seien, die helfen können.

Ein Beispiel verdeutlicht das Problem: Die Software für das Vertragsmanagement spuckt ständig eine Fehlermeldung aus und nur Herr Schmidt kennt sich mit ihr wirklich aus. Der hat aber Urlaub. Aus der Not heraus rufen die Kollegen ihn trotzdem an.

Pauls empfiehlt darum: „Vorgesetzte sollten überlegen, wie sie Kompetenzen und Spezialwissen auf mehrere Mitarbeiter verteilen, um den Experten zu entlasten.“

Einfach abschalten - das können viele Beschäftigte nicht mehr. Auch nach Feierabend rechnen sie noch damit, dass der Chef oder Kollegen anrufen könnten, während sie beim Feierabendgetränk auf dem Sofa sitzen. Sie checken Firmen-Mails, obwohl sie gerade Urlaub auf Sizilien machen. 22 Prozent gaben 2015 bei einer Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin an, dass sie auch in ihrem Privatleben für berufliche Angelegenheiten erreichbar sein müssten. Das muss nicht zwangsläufig schlimm sein. Smartphone und E-Mails machen es zum Beispiel für viele einfacher, Familie und Beruf zu vereinbaren, weil sie im Home-Office arbeiten können. Ständige Erreichbarkeit kann krankmachen Doch die ständige Erreichbarkeit hat eine Kehrseite. "Bislang deuten viele Studien darauf hin, dass die ständige Erreichbarkeit ein Risiko darstellt für das psychische Befinden und die Work-Life-Balance von Beschäftigten", sagt Nina Pauls vom Institut für Psychologie der Universität Freiburg. Pauls und ihre Kollegen forschen seit 2013 im Rahmen des Projekts "MASTER – Management ständiger Erreichbarkeit" zu dem Thema. In ihren Studien hätten sie etwa herausgefunden, dass viele Beschäftigte Probleme haben abzuschalten. Selbst im Urlaub kreisten ihre Gedanken noch um die Arbeit. "Andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass bei Beschäftigten, die immer erreichbar sind, Anzeichen von Burnout und Erschöpfung auftreten. Auch eine beeinträchtigte Schlafqualität, Rücken- oder Kopfschmerzen gehen damit einher“, sagt Pauls. Klassische körperliche Anzeichen für zu viel Stress also. Dass es hier einen direkten Zusammenhang gebe, dass ständige Erreichbarkeit also zwangsläufig zu Schlafstörungen, Rücken- und Kopfschmerzen führe, lasse sich laut Pauls allerdings nicht belegen: "Man kann nur sagen, sie treten häufiger bei Leuten auf, die ständig erreichbar sind." Mitarbeiter brauchen Zeit zum Abschalten Natürlich sind die wenigstens ständig, also 24 Stunden am Tag, erreichbar. Aber auf die gesetzlichen Arbeitszeitregelungen können sich Beschäftigte nicht mehr verlassen. Dabei hat der Gesetzgeber sie aus guten Grund eingeführt: Angestellte sollen genug Zeit haben, um sich zu erholen. Wer sich nicht ausruht, macht häufiger Fehler, dem passieren öfter Unfälle, der wird öfter krank. Doch die Möglichkeiten der Technik lassen die Grenzen zwischen Ruhe- und Arbeitsphasen verschwimmen. Ein Handy ist immer dabei, eine E-Mail schnell geschrieben. Was sie mit Anrufen und Mails nach Feierabend bei ihren Mitarbeitern anrichten können, darüber sollten sich Vorgesetzte darum im Klaren sein. Viele sind es nicht. So beobachten Pauls und ihre Kollegen bei ihren Befragungen in Unternehmen, dass Führungskräfte oft davon ausgehen, dass dies kein Thema in ihrer Firma sei. "Wenn wir dann untersuchen, wie die Mitarbeiter dies empfinden, zeigt sich, dass es diesbezüglich eine unterschiedliche Wahrnehmung gibt“, sagt die Psychologin. Es muss aber nicht immer am Chef liegen. „Die ständige Erreichbarkeit ist oft informell verbreitet: Beschäftigte handeln hier auf eigene Faust. Unternehmer wissen oft nicht, wie viele davon betroffen sind und in welchem Umfang", so Pauls. Wenn die Mitarbeiter abends freiwillig berufliche E-Mails lesen, kriegt das niemand mit. Ob auch Ihre Mitarbeiter damit zu kämpfen haben, können Sie in einem Selbstcheck herausfinden. Die Vorlage dafür finden Sie auf der Webseite des Master-Projektes. Mit Hilfe des Fragebogens können Sie herausfinden, wie verbreitet das Problem in Ihrer Firma ist, was die Auslöser und die Folgen sind. So können Unternehmen ständige Erreichbarkeit eindämmen Wie aber können Unternehmer richtig auf das Problem reagieren? Pauls und ihre Kollegen haben lange dazu geforscht. Dabei haben sich drei zentrale Punkte herauskristallisiert: 1. Erwartungen klären Das grundlegende Problem: Die Mitarbeiter wissen nicht genau, was von ihnen erwartet wird. "Viele sagen und denken lange ‚Das macht mir gar nichts aus‘. Irgendwann kommt aber der Moment, in dem es zu viel wird. So weit sollte es nicht kommen", sagt Pauls. Große Unternehmen könnten in der Betriebsvereinbarung festhalten, wer bis wann erreichbar sein muss. "Kleineren Unternehmen empfehlen wir, klare Vereinbarungen zur Erreichbarkeit auf Abteilungs- oder Teamebene zu treffen - vielleicht auch mit den Kunden. Dann weiß jeder, was von ihm erwartet wird und wann er auf Anrufe oder E-Mails reagieren muss", empfiehlt die Forscherin. Vorgesetzte sollten auch bedenken, welches Bild sie selbst vermitteln, sagt Pauls: "Wenn der Chef sonntagabends E-Mails verschickt, sollte er hinterfragen, wie das auf seine Mitarbeiter wirkt. Und: Weiß der Adressat, dass nicht von ihm erwartet wird, sofort zu antworten?" Damit sich niemand durch die Sonntagsarbeit des Vorsetzten unter Druck gesetzt fühlt, könnten Mails auch so programmiert werden, dass sie erst Montagmorgen rausgehen. 2. Überlastung vermeiden Dass sie auch nach Feierabend noch telefonieren, chatten oder E-Mails schreiben, kann auch an einer schlechten Arbeitsorganisation im Unternehmen liegen. „Beschäftigte haben so viel zu tun, dass sie ihr Pensum in der eigentlichen Arbeitszeit nicht schaffen. Deswegen sind sie länger erreichbar", so Pauls. Chefs sollten dem Problem dann auf den Grund gehen. Sie sollten versuchen, Aufgaben neu zu verteilen und den Kapazitäten der einzelnen Mitarbeiter anzupassen. 3. Spezialwissen umverteilen In der Firma brennt's und nur einer kann löschen. So einen "Feuerwehrmann", also einen Experten für ein bestimmtes Thema, gebe es laut Pauls gerade in kleinen Unternehmen oft. Diese Leute leiden besonders unter ständiger Erreichbarkeit, weil sie die einzigen seien, die helfen können. Ein Beispiel verdeutlicht das Problem: Die Software für das Vertragsmanagement spuckt ständig eine Fehlermeldung aus und nur Herr Schmidt kennt sich mit ihr wirklich aus. Der hat aber Urlaub. Aus der Not heraus rufen die Kollegen ihn trotzdem an. Pauls empfiehlt darum: "Vorgesetzte sollten überlegen, wie sie Kompetenzen und Spezialwissen auf mehrere Mitarbeiter verteilen, um den Experten zu entlasten.“
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