Gerda Söhngen
Wie einer Unternehmerin die Nachfolge im zweiten Anlauf gelingt

Gerda Söhngen stieg in das Familienunternehmen Keil Befestigungstechnik ein – und scheiterte. Wie sie lernte, die Firma im zweiten Anlauf doch erfolgreich zu führen und dabei sie selbst zu bleiben.

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Gerda Soehngen
Gerda Söhngen ist Geschäftsführerin des Familienunternehmens Keil Befestigungstechnik.
© Maurice Kohl

Rückblick, November 2016: „Mama – ich kündige!“ In dem sonst so stillen Büro, in dem schwere Schrankwände und ein graumelierter Teppich alle Geräusche dämpften, fielen die Worte wie ein Pistolenschuss. Gerda Söhngen warf ihren Job als ­Assistentin der Geschäftsführung hin und trat damit nicht wie erwartet die Nachfolge im ­Familienunternehmen Keil Befestigungstechnik an, das ihre Eltern bis dahin führten. Nun war es raus. Mutter und Tochter saßen sich am Schreibtisch gegenüber und rangen um Fassung. Es roch nach staubigen Ordnern. Alle Mitarbeitenden waren bereits im Feierabend.

Erst im Auto auf dem Parkplatz vor dem ­Firmengebäude im nordrhein-westfälischen ­Engelskirchen entluden sich die Emotionen der Tochter, die sie vor ihrer Mutter nicht zeigen konnte. Mit den Tränen fiel eine tonnen­schwere Last von ihren Schultern.

„Es waren Tränen, weil ich meine Eltern ­enttäuscht habe. Aber es waren auch Tränen der Freiheit“, sagt sie heute. Sie war sich sicher: Schlimmer konnte es nicht mehr kommen. „Ich hatte die Erwartungen aller enttäuscht. Aber nun war ich frei.“ Frei, den Weg einzuschlagen, der zu ihrer Persönlichkeit passte.

Im Januar 2024, über sieben Jahre später, schaukelt Gerda Söhngen in einer Hängematte in ihrem Büro und erinnert sich an die schwerste Krise in der Mutter-Tochter-Beziehung. Keil Befestigungstechnik ist inzwischen umgezogen. Der Teppich noch immer grau. Doch statt Schränken hängen die Wände voll farben­froher Kunstdrucke. Ein Flamingo in Turn­schuhen, eine Illustration von Freddie Mercury, ein Schild mit den Worten „Ich muss gar nix!“ – wie eine Erinnerung daran, unter welchen Umständen Söhngen doch noch Geschäftsführerin des Familienbetriebs wurde.

Nachfolgerin im zweiten Anlauf

Dies ist nicht nur eine Geschichte von ­Einstieg, Ausstieg, Selbstbehauptung und Rückkehr. Sondern auch davon, dass es Mut braucht, sich manchen Konflikten zu stellen und sich von den Erwartungen der eigenen ­Familie zu befreien, auch wenn man sie enttäuscht. Eine Erkenntnis, die für ­die 34-jährige Gerda Söhngen vieles verändert hat. Und die auch vielen anderen Nachfolgerinnen und Nachfolgern helfen könnte.

Steht in einem Familienunternehmen die Nachfolge an, wünscht sich die abgebende ­Generation oft einen harmonischen Übergang. Neigt die nachfolgende Generation dazu, Konflikte zu vermeiden, ist das ein Problem. „Wer eine Firma erfolgreich führen und weiter­entwickeln will, muss Dinge anders machen. Selbst wenn das heißt, dass Nachfolgerinnen und Nachfolger mit ihren Eltern in Konflikt ­geraten“, sagt Lioba Heinzler aus Wülfrath, die Unternehmerfamilien bei der Übergabe coacht.

Wer versuche, eine Kopie von Vater oder Mutter zu sein, deren Standards gerecht zu werden, um den Familienfrieden zu wahren, verbiege sich auf Dauer und könne auch nicht persönlich wachsen. Die nächste Generation sollte ihre eigenen Maßstäbe setzen, so wie es Gerda Söhngen am Ende gelang.

1. Akt: Der Einstieg

Heute sitzt Gerda Söhngen lässig mit Latzhose und Sneakern in der Hängematte und zeigt die Tattoos auf den Armen. „Ich muss nicht jedem gefallen. Aber ich lebe dieses Leben, und ich muss mit mir im Reinen sein“, sagt sie voller Selbstbewusstsein. Das war nicht immer so.

Söhngen stieg nach ihrer Ausbildung zur ­Industriekauffrau und einem BWL-Studium 2015 in das Familienunternehmen ein. Ihre einzige Schwester hatte kein Interesse daran, die Firma einmal zu übernehmen und schlug eine Laufbahn als Lehrerin ein.

„Der Wunsch, die Firma kennenzulernen, kam damals von mir“, erinnert sich Söhngen. Wie genau ihre Nachfolge aussehen könnte, wie sie einmal führen möchte und welche ­Werte ihr dabei wichtig sind – all das wusste sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Weil ihre Eltern Petra und Jürgen Bergfelder mit ihrer Art zu führen über 20 Jahre sehr erfolgreich waren, versuchte sie sich möglichst anzupassen. Sie übernahm das formelle Auftreten, den Kommunikationsstil und das Führungsverständnis ihrer Eltern. „Ich hatte eine Vorstellung davon, wie man als Geschäftsführerin sein sollte und versuchte, mich in dieses Bild zu zwängen“, sagt sie.

Das Unternehmen Keil ist ein internationaler Spezialist für Außenfassaden und wurde von Söhngens Großvater Anfang der 1960er-Jahre gegründet. Das Hauptprodukt, der sogenannte Hinterschnittanker, hält die Fassadenplatten am ägyptischen Museum in Gizeh, an der Christusstatue in Rio und am Wimbledon-­Stadion in London. Die Kundschaft besteht aus Architektur- und Planungsbüros. Eine männerdominierte und traditionelle Branche.

In diesem von Fachwissen und Präzision ­geprägten Umfeld legten ihre Eltern großen Wert auf ein angemessenes Auftreten. Einmal wurde Gerda Söhngen vor einem Messebesuch von ihrer Mutter nach Hause geschickt. Sie sollte sich umziehen, weil sie ein T-Shirt unter dem Blazer trug – eine prägende Erfahrung.

Auch sonst versuchten ihre Eltern, sie auf die Herausforderungen des Geschäftslebens vorzubereiten: professionelle Distanz durch Siezen, Emotionen kontrollieren, das Herz nicht auf der Zunge tragen. „Sie wollten mich schützen“, mutmaßt sie rückblickend. Ein Beweggrund, den sicher viele Eltern verstehen können. Die Ratschläge sollten sie auf eine Branche vor­bereiten, die von strikten Konventionen geprägt war – eine Welt, in der ihre Eltern sich jahrelang souverän durchgesetzt hatten.

Doch langsam reifte der Gedanke, dass diese Art zu leben und zu arbeiten, nicht zu ihr ­passte. „Ich war total unauthentisch“, sagt sie heute. Sie identifizierte sich einfach nicht mit der Firma, die sie einmal selbst leiten soll. Und auch das Team spürte, dass der Einstieg nicht optimal lief. „Sie schien nicht wirklich begeistert“, erinnert sich der technische Leiter Georg ­Miebach, der schon seit über 30 Jahren im ­Unternehmen arbeitet.


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Sie war sich sicher: Schlimmer konnte es nicht mehr kommen. „Ich hatte die Erwartungen aller enttäuscht. Aber nun war ich frei.“ Frei, den Weg einzuschlagen, der zu ihrer Persönlichkeit passte. Im Januar 2024, über sieben Jahre später, schaukelt Gerda Söhngen in einer Hängematte in ihrem Büro und erinnert sich an die schwerste Krise in der Mutter-Tochter-Beziehung. Keil Befestigungstechnik ist inzwischen umgezogen. Der Teppich noch immer grau. Doch statt Schränken hängen die Wände voll farben­froher Kunstdrucke. Ein Flamingo in Turn­schuhen, eine Illustration von Freddie Mercury, ein Schild mit den Worten „Ich muss gar nix!“ – wie eine Erinnerung daran, unter welchen Umständen Söhngen doch noch Geschäftsführerin des Familienbetriebs wurde. Nachfolgerin im zweiten Anlauf Dies ist nicht nur eine Geschichte von ­Einstieg, Ausstieg, Selbstbehauptung und Rückkehr. Sondern auch davon, dass es Mut braucht, sich manchen Konflikten zu stellen und sich von den Erwartungen der eigenen ­Familie zu befreien, auch wenn man sie enttäuscht. Eine Erkenntnis, die für ­die 34-jährige Gerda Söhngen vieles verändert hat. Und die auch vielen anderen Nachfolgerinnen und Nachfolgern helfen könnte. Steht in einem Familienunternehmen die Nachfolge an, wünscht sich die abgebende ­Generation oft einen harmonischen Übergang. Neigt die nachfolgende Generation dazu, Konflikte zu vermeiden, ist das ein Problem. „Wer eine Firma erfolgreich führen und weiter­entwickeln will, muss Dinge anders machen. Selbst wenn das heißt, dass Nachfolgerinnen und Nachfolger mit ihren Eltern in Konflikt ­geraten“, sagt Lioba Heinzler aus Wülfrath, die Unternehmerfamilien bei der Übergabe coacht. Wer versuche, eine Kopie von Vater oder Mutter zu sein, deren Standards gerecht zu werden, um den Familienfrieden zu wahren, verbiege sich auf Dauer und könne auch nicht persönlich wachsen. Die nächste Generation sollte ihre eigenen Maßstäbe setzen, so wie es Gerda Söhngen am Ende gelang. 1. Akt: Der Einstieg Heute sitzt Gerda Söhngen lässig mit Latzhose und Sneakern in der Hängematte und zeigt die Tattoos auf den Armen. „Ich muss nicht jedem gefallen. Aber ich lebe dieses Leben, und ich muss mit mir im Reinen sein“, sagt sie voller Selbstbewusstsein. Das war nicht immer so. Söhngen stieg nach ihrer Ausbildung zur ­Industriekauffrau und einem BWL-Studium 2015 in das Familienunternehmen ein. Ihre einzige Schwester hatte kein Interesse daran, die Firma einmal zu übernehmen und schlug eine Laufbahn als Lehrerin ein. „Der Wunsch, die Firma kennenzulernen, kam damals von mir“, erinnert sich Söhngen. Wie genau ihre Nachfolge aussehen könnte, wie sie einmal führen möchte und welche ­Werte ihr dabei wichtig sind – all das wusste sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Weil ihre Eltern Petra und Jürgen Bergfelder mit ihrer Art zu führen über 20 Jahre sehr erfolgreich waren, versuchte sie sich möglichst anzupassen. Sie übernahm das formelle Auftreten, den Kommunikationsstil und das Führungsverständnis ihrer Eltern. „Ich hatte eine Vorstellung davon, wie man als Geschäftsführerin sein sollte und versuchte, mich in dieses Bild zu zwängen“, sagt sie. Das Unternehmen Keil ist ein internationaler Spezialist für Außenfassaden und wurde von Söhngens Großvater Anfang der 1960er-Jahre gegründet. Das Hauptprodukt, der sogenannte Hinterschnittanker, hält die Fassadenplatten am ägyptischen Museum in Gizeh, an der Christusstatue in Rio und am Wimbledon-­Stadion in London. Die Kundschaft besteht aus Architektur- und Planungsbüros. Eine männerdominierte und traditionelle Branche. In diesem von Fachwissen und Präzision ­geprägten Umfeld legten ihre Eltern großen Wert auf ein angemessenes Auftreten. Einmal wurde Gerda Söhngen vor einem Messebesuch von ihrer Mutter nach Hause geschickt. Sie sollte sich umziehen, weil sie ein T-Shirt unter dem Blazer trug – eine prägende Erfahrung. Auch sonst versuchten ihre Eltern, sie auf die Herausforderungen des Geschäftslebens vorzubereiten: professionelle Distanz durch Siezen, Emotionen kontrollieren, das Herz nicht auf der Zunge tragen. „Sie wollten mich schützen“, mutmaßt sie rückblickend. Ein Beweggrund, den sicher viele Eltern verstehen können. Die Ratschläge sollten sie auf eine Branche vor­bereiten, die von strikten Konventionen geprägt war – eine Welt, in der ihre Eltern sich jahrelang souverän durchgesetzt hatten. Doch langsam reifte der Gedanke, dass diese Art zu leben und zu arbeiten, nicht zu ihr ­passte. „Ich war total unauthentisch“, sagt sie heute. Sie identifizierte sich einfach nicht mit der Firma, die sie einmal selbst leiten soll. 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