impulse: Herr Burkeman, Sie haben viele Jahre eine Kolumne über Selbsthilfe und Zeitmanagement geschrieben und bezeichnen sich selbst als Produktivitäts-Nerd. Wann wurde Ihnen klar, dass das alles nicht funktioniert?
Oliver Burkeman: Ich habe für diese Kolumne im „Guardian“ viele Methoden ausprobiert. Ich war überzeugt, dass es möglich wäre, alles zu schaffen, was ich mir vornehme – wenn ich mich nur genug anstrenge. Der nächste Zeitmanagement-Trick wäre meine Rettung! Aber wenn Sie das hundertmal denken, und es tritt nie ein, verliert das Ganze langsam an Glaubwürdigkeit.
Und dann hatten Sie eine Offenbarung auf einer Parkbank.
Ja, ich fand mich eines Tages auf einer Bank im Prospect Park in Brooklyn wieder, damals lebte ich noch in New York. Ich saß dort und dachte: „Ich habe heute so irre viel zu tun, das kann ich niemals schaffen. Es liegt nicht daran, dass ich noch nicht die richtige Technik gefunden haben, um mich besser zu organisieren. Was ich erreichen möchte, ist schlicht unmöglich!“ Mit dieser Erkenntnis fiel eine riesige Last von mir ab.
Warum sind viele Menschen so empfänglich für die vermeintlich simplen Lösungen, die Produktivitätsexperten versprechen?
Ich vermute, vielen geht es ähnlich wie mir: Mein Selbstwert hing stark davon ab, wie viel ich leistete. In der Schule und später an der Uni hatte ich immer gute Noten. Ich erwartete einfach von mir, immer allen Standards gerecht zu werden. Das ist nicht gesund. Es ist sehr schmerzhaft anzuerkennen, dass wir niemals alles erreichen können. Wir werden im Laufe unseres Lebens andere Menschen enttäuschen, Beziehungen vernachlässigen, Pläne und Träume begraben müssen. Eben weil unsere Lebenszeit begrenzt ist. Natürlich ist es da verführerisch zu sagen: Das akzeptiere ich nicht! Ich kann alles schaffen, wenn ich es nur richtig angehe!
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Hmmm. Keine wirklich neuen Erkenntnisse. Dass das Leben endlich ist, sollte sich herumgesprochen haben, und dass wir uns das zu selten bewusst machen, ist auch keine wirklich neue Erkenntnis.
Was neu zu sein scheint, ist die Schlussfolgerung, eine Arbeit (z.B. das Abarbeiten von Mails) am besten langsam und eher subpotimal zu erledigen, damit sie möglichst wenig Folgearbeiten nach sich zieht. So neu, so seltsam… Nach dieser Logik sollte man am besten nahezu sämtliche Arbeiten so bewerkstelligen (oder ignorieren), dass niemand auf die Idee kommt, nochmals mit uns zusammenarbeiten zu wollen.
Das kann man einfacher und weniger frustrierend bekommen: Wenn der Posteingang überquillt und die Beantwortung von Mails zu große Teile der knappen Zeit auffrisst, ist man offenbar auf zu vielen Baustellen unterwegs. Die Lösung scheint mir eher in der Delegation von Aufgaben (und Entscheidungen!) und einem konsequenten „Nein“ zu liegen als in dem von Burkeman vorgeschlagenen „Perspektivwechsel“. Ich empfinde es als sinnvoller, Ursachen abzustellen anstatt Symptome durch einen vermeintlichen Perspektivwechsel zu ignorieren…