Organizational Burnout
Das passiert, wenn Firmen durch zu viel Stress ausbrennen

Nicht nur Menschen können an einem Burnout erkranken, sondern auch ganze Firmen. Eine Expertin für mentale Gesundheit in Unternehmen erklärt, woran man ein organisationelles Burnout erkennt.

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Organizational-Burnout
© Alexmia / iStockphoto / Getty Images

impulse: Frau Dietrich, woran merken Unternehmerinnen und Unternehmer, dass ihre Firma unter zu viel Stress leidet?
Nora Dietrich: Kritisch wird es ab dem Punkt, ab dem nicht mehr aus voller Kraft die besten Entscheidungen getroffen werden können. Wenn der Optimismus und die Kreativität verloren gehen und der Wunsch nach Kontrolle wächst. Organisationen beginnen dann, ähnliche Symptome zu zeigen, wie Menschen, die einen Burnout erleiden.

Das Unternehmen leidet unter Burnout?
Ja. So ein „Organizational Burnout“ oder auf Deutsch organisationelles Burnout meint nicht, dass besonders viele Burnout-Fälle im Team auftreten. Sondern dass die Organisation selbst ausbrennt. Das Konzept versteht die Organisation als Organismus – so, wie auch Menschen Organismen sind.

Die Expertin
Nora Dietrich Nora Dietrich ist psychologische Psychotherapeutin. Sie berät Unternehmen zu mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz.

Wie ein Burnout von Mitarbeitenden aussieht, wissen viele Unternehmerinnen und Unternehmer. Aber wie kann eine Organisation ausbrennen?
Eine Organisation hat, wie ein Mensch, Werte, eine Kultur, Ressourcen und Fähigkeiten, die bestimmen wie gesund wir arbeiten und agieren. Wenn die externen und internen Stressen jedoch dauerhaft unsere Ressourcen übersteigen und wir kulturell nur auf Performance setzen, steigt das Risiko für ein Burnout. Sichtbar wird es, wie bei uns Menschen auch, an Verhaltensmustern wie sozialem Rückzug, Lethargie oder Angstgetriebenen Entscheidungen.

Wie sehen die Symptome eines organisationellen Burnouts aus?
Um sich zu schützen, geht die Organisation in einen Überlebensmodus. Sie verhält sich dann zum Beispiel sehr reaktiv statt proaktiv. Wir löschen Feuer statt innovativ die Zukunft zu gestalten. Wir halten aus, halten durch und Reflexions- und Regenerationsräume schrumpfen, weil wir Leistung über alles stellen. Der Planungshorizont für Entscheidungen wird sehr kurzfristig. Die Kraft reicht nur noch, um zu gucken: Was wollen die Kunden von uns und wie schaffen wir es, darauf zu reagieren? Es geht nur noch um das Durchhalten.

Menschen im Burnout neigen dazu, sich zurückzuziehen. Das tun auch Organisationen, die unter Burnout leiden. Sie ziehen sich aus den Beziehungen im Marktumfeld zurück, weil sie das Gefühl haben, dass die Ressourcen für die Beziehungspflege nicht mehr ausreichen. Die Unternehmen vernachlässigen ihr Netzwerk, gehen eher in Konkurrenz als Kollaborationen zu suchen. Das Gefährliche ist: Den betroffenen Organisationen fällt selbst oft nicht auf, dass sie ausbrennen, weil sie Leistung über alles stellen.

Merkt das Team, dass die Firma krank ist?
Ein organisationales Burnout kündigt sich auch innerhalb des Unternehmens an: Meinungen und Haltungen werden sehr absolut. Es gibt nur noch schwarz und weiß, die Grautöne dazwischen fallen weg.

In der aktuellen Wirtschaftslage merken wir das in vielen Firmen: Die Zahlen werden schlechter, Budgets werden gekürzt und die Autonomie von Abteilungen und Beschäftigten wird eingeschränkt. Das sind typische Reaktionsmuster, die aus Angst herrühren. Organisationen werden harscher im Umgangston mit ihren Mitarbeitenden. Es fallen Entscheidungen, die nicht zwangsläufig immer die besten sind – weil sie impulsiv entstehen. Organisationen neigen dann auch dazu, ineffizienter zu handeln. Die Wahrscheinlichkeit für Micromanagement nimmt zu, weil das Bedürfnis nach Kontrolle wächst.

Welche Rolle spielen Krisen bei der Entstehung eines organisationellen Burnouts?
Burnouts entstehen nicht in einem Vakuum. Externe Ereignisse, wie zum Beispiel eine schwere Krise in der Branche, spielen eine große Rolle. Dazu kommen noch interne Faktoren. Das sind zum Beispiel die Grundhaltung, Verhaltensmuster, Traumata im Unternehmen.

Trotzdem gibt es immer wieder Unternehmen, die schwere Krisen durchstehen, ohne dauerhaften Schaden zu nehmen.
Ein schönes Beispiel dafür ist der Schweizer Taschenmesserhersteller Victorinox. Mit 9/11 ist dem Unternehmen ein ganzer Markt zusammengebrochen, weil es von einem Tag auf den anderen verboten war, Taschenmesser im Handgepäck mitzunehmen. was bis zu diesem Zeitpunkt noch vollkommen normal war. Doch Victorinox hatte mögliche Krisenszenarien schon präventiv mitgedacht.

Wie hat das Unternehmen das angestellt?
Victorinox hatte schon zuvor Krisenszenarien durchgespielt. Dabei war die Idee entstanden, Mitarbeitende an andere Firmen aus dem Netzwerk des Unternehmens zu verleihen, um durch eine finanzielle Krise zu kommen. Nach 9/11 konnte Victorinox so Zeit gewinnen, um neue Geschäftsfelder zu erschließen und die Jobs der Mitarbeitenden zu erhalten.

Victorinox hatte vorgesorgt. Wieso gelingt das so vielen Unternehmen nicht?
Prävention fällt Menschen total schwer und Organisationen auch. Wir machen Rückenschule, wenn der Rücken weh tut, nicht, bevor die Schmerzen auftreten. Für Organisationen kommt dazu, dass es ihnen oft an der Datenkompetenz  fehlt, den Effekt von präventiven Maßnahmen messbar zu machen. Nach dem Motto: Wir wissen ja nicht, was passiert wäre, wenn wir nichts gemacht hätten.

In eigener Sache
Machen ist wie wollen, nur krasser
Machen ist wie wollen, nur krasser
Die impulse-Mitgliedschaft - Rückenwind für Unternehmerinnen und Unternehmer

Was können Unternehmerinnen und Unternehmer tun, wenn sie bei ihrem Unternehmen ein Burnout vermuten?
Die Organisation muss aus dem reaktiven Modus herauskommen. Es geht immer erstmal darum anzuhalten, diesen Raum zwischen Handlungsimpuls und echter Handlung aufzumachen und zu analysieren: Was machen wir als Organisation jedes Mal, wenn Fall X oder Y eintritt? Man kann dann schauen: Welche andere Optionen gibt es?

Aber wie Menschen brauchen auch Organisationen oft Hilfe von Außen, um den organisationellen Burnout zu überwinden. Die wenigsten Unternehmen haben die nötige Reflexionsfähigkeit. Sie sind mehr oder weniger im Blindflug unterwegs, wenn es darum geht zu gucken: Wie operieren wir eigentlich? Was sind unsere Glaubenssätze? Was sind unsere Werte? Damit meine ich die Werte, nach denen eine Firma tatsächlich agiert – nicht die, die man sich an die Wand schreibt.

Haben Sie einen Tipp, wie Teams üben können, auf die Gesundheit der Organisation zu achten?
Sie können kleine Formate wie eine Energiemessung einführen, zum Beispiel einmal in der Woche oder einmal im Monat. Das ist kein großer Aufwand, kann jedoch einen hohen Nutzen bringen.

Dafür fragen Führungskräfte ihr Team ganz einfach: „Wie viel Energie habt ihr auf einer Skala von eins bis zehn?“ Wenn man das häufiger macht, bekommt man ein gutes Gespür dafür, was ein normales Energielevel in der Organisation ist. So hat man die Chance, Abweichungen zu erkennen. Man kann noch weitere Fragen anschließen, wie: „Was braucht ihr, damit der Wert einen Punkt nach oben klettert?“ Es geht dabei auch darum, eine Gewohnheit zu etablieren, die nicht eingestellt wird, wenn das Stresslevel steigt.

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Eine Organisation hat, wie ein Mensch, Werte, eine Kultur, Ressourcen und Fähigkeiten, die bestimmen wie gesund wir arbeiten und agieren. Wenn die externen und internen Stressen jedoch dauerhaft unsere Ressourcen übersteigen und wir kulturell nur auf Performance setzen, steigt das Risiko für ein Burnout. Sichtbar wird es, wie bei uns Menschen auch, an Verhaltensmustern wie sozialem Rückzug, Lethargie oder Angstgetriebenen Entscheidungen. Wie sehen die Symptome eines organisationellen Burnouts aus? Um sich zu schützen, geht die Organisation in einen Überlebensmodus. Sie verhält sich dann zum Beispiel sehr reaktiv statt proaktiv. Wir löschen Feuer statt innovativ die Zukunft zu gestalten. Wir halten aus, halten durch und Reflexions- und Regenerationsräume schrumpfen, weil wir Leistung über alles stellen. Der Planungshorizont für Entscheidungen wird sehr kurzfristig. Die Kraft reicht nur noch, um zu gucken: Was wollen die Kunden von uns und wie schaffen wir es, darauf zu reagieren? Es geht nur noch um das Durchhalten. Menschen im Burnout neigen dazu, sich zurückzuziehen. Das tun auch Organisationen, die unter Burnout leiden. Sie ziehen sich aus den Beziehungen im Marktumfeld zurück, weil sie das Gefühl haben, dass die Ressourcen für die Beziehungspflege nicht mehr ausreichen. Die Unternehmen vernachlässigen ihr Netzwerk, gehen eher in Konkurrenz als Kollaborationen zu suchen. Das Gefährliche ist: Den betroffenen Organisationen fällt selbst oft nicht auf, dass sie ausbrennen, weil sie Leistung über alles stellen. Merkt das Team, dass die Firma krank ist? Ein organisationales Burnout kündigt sich auch innerhalb des Unternehmens an: Meinungen und Haltungen werden sehr absolut. Es gibt nur noch schwarz und weiß, die Grautöne dazwischen fallen weg. In der aktuellen Wirtschaftslage merken wir das in vielen Firmen: Die Zahlen werden schlechter, Budgets werden gekürzt und die Autonomie von Abteilungen und Beschäftigten wird eingeschränkt. Das sind typische Reaktionsmuster, die aus Angst herrühren. Organisationen werden harscher im Umgangston mit ihren Mitarbeitenden. Es fallen Entscheidungen, die nicht zwangsläufig immer die besten sind – weil sie impulsiv entstehen. Organisationen neigen dann auch dazu, ineffizienter zu handeln. Die Wahrscheinlichkeit für Micromanagement nimmt zu, weil das Bedürfnis nach Kontrolle wächst. Welche Rolle spielen Krisen bei der Entstehung eines organisationellen Burnouts? Burnouts entstehen nicht in einem Vakuum. Externe Ereignisse, wie zum Beispiel eine schwere Krise in der Branche, spielen eine große Rolle. Dazu kommen noch interne Faktoren. Das sind zum Beispiel die Grundhaltung, Verhaltensmuster, Traumata im Unternehmen. Trotzdem gibt es immer wieder Unternehmen, die schwere Krisen durchstehen, ohne dauerhaften Schaden zu nehmen. Ein schönes Beispiel dafür ist der Schweizer Taschenmesserhersteller Victorinox. Mit 9/11 ist dem Unternehmen ein ganzer Markt zusammengebrochen, weil es von einem Tag auf den anderen verboten war, Taschenmesser im Handgepäck mitzunehmen. was bis zu diesem Zeitpunkt noch vollkommen normal war. Doch Victorinox hatte mögliche Krisenszenarien schon präventiv mitgedacht. Wie hat das Unternehmen das angestellt? Victorinox hatte schon zuvor Krisenszenarien durchgespielt. Dabei war die Idee entstanden, Mitarbeitende an andere Firmen aus dem Netzwerk des Unternehmens zu verleihen, um durch eine finanzielle Krise zu kommen. Nach 9/11 konnte Victorinox so Zeit gewinnen, um neue Geschäftsfelder zu erschließen und die Jobs der Mitarbeitenden zu erhalten. Victorinox hatte vorgesorgt. Wieso gelingt das so vielen Unternehmen nicht? Prävention fällt Menschen total schwer und Organisationen auch. Wir machen Rückenschule, wenn der Rücken weh tut, nicht, bevor die Schmerzen auftreten. Für Organisationen kommt dazu, dass es ihnen oft an der Datenkompetenz  fehlt, den Effekt von präventiven Maßnahmen messbar zu machen. Nach dem Motto: Wir wissen ja nicht, was passiert wäre, wenn wir nichts gemacht hätten. Was können Unternehmerinnen und Unternehmer tun, wenn sie bei ihrem Unternehmen ein Burnout vermuten? Die Organisation muss aus dem reaktiven Modus herauskommen. Es geht immer erstmal darum anzuhalten, diesen Raum zwischen Handlungsimpuls und echter Handlung aufzumachen und zu analysieren: Was machen wir als Organisation jedes Mal, wenn Fall X oder Y eintritt? Man kann dann schauen: Welche andere Optionen gibt es? Aber wie Menschen brauchen auch Organisationen oft Hilfe von Außen, um den organisationellen Burnout zu überwinden. Die wenigsten Unternehmen haben die nötige Reflexionsfähigkeit. Sie sind mehr oder weniger im Blindflug unterwegs, wenn es darum geht zu gucken: Wie operieren wir eigentlich? Was sind unsere Glaubenssätze? Was sind unsere Werte? Damit meine ich die Werte, nach denen eine Firma tatsächlich agiert – nicht die, die man sich an die Wand schreibt. [mehr-zum-thema] Haben Sie einen Tipp, wie Teams üben können, auf die Gesundheit der Organisation zu achten? Sie können kleine Formate wie eine Energiemessung einführen, zum Beispiel einmal in der Woche oder einmal im Monat. Das ist kein großer Aufwand, kann jedoch einen hohen Nutzen bringen. Dafür fragen Führungskräfte ihr Team ganz einfach: „Wie viel Energie habt ihr auf einer Skala von eins bis zehn?“ Wenn man das häufiger macht, bekommt man ein gutes Gespür dafür, was ein normales Energielevel in der Organisation ist. So hat man die Chance, Abweichungen zu erkennen. Man kann noch weitere Fragen anschließen, wie: „Was braucht ihr, damit der Wert einen Punkt nach oben klettert?“ Es geht dabei auch darum, eine Gewohnheit zu etablieren, die nicht eingestellt wird, wenn das Stresslevel steigt.