Rentner beschäftigen
Ruheständler im Team – zwei Erfolgsrezepte, wie es gelingen kann

Für Unternehmen können Rentnerinnen und Rentner wertvoll im Kampf ­gegen den Fachkräftemangel sein. Zwei Fallbeispiele zeigen, wie die Zusammenarbeit mit Beschäftigten im Rentenalter klappt.

14. Mai 2024, 08:55 Uhr, von Catalina Schröder

Rentner beschäftigen Fallbeispiele
Obwohl er längst das Rentnerleben ­genießen könnte, arbeitet Kurt Marx (r.) noch immer im Kundendienst der Firma Flach. Sein 24 Jahre jüngerer Chef Thorsten Spieles ist froh darüber.
© Sven Paustian für impulse

Auf den Alltag, den Kurt Marx seit dem 1. Februar 2024 haben könnte, fiebern viele Menschen wohl jahrzehntelang hin. Marx ist gelernter Elektroinstallateur und seit Kurzem offiziell Rentner. Er könnte nun jeden Tag ausschlafen oder gleich ganz im Bett bleiben. Er könnte nach dem Frühstück an seinem Audi TT herumschrauben oder an seinem ­Motorrad werkeln, das er so sehr liebt. Doch Marx, 64 Jahre alt, sagt: „Das kann ich doch später noch.“

Vorerst hat er sich für einen anderen Tagesablauf entschieden: Kurt Marx steht weiterhin jeden Morgen auf, frühstückt zusammen mit seiner Frau und fährt danach in die Firma. Seit knapp 26 Jahren arbeitet er im Kundendienst der ­Firma Flach im rheinland-pfälzischen ­Schweich, knapp 15 Kilometer nordöstlich von Trier. In Unternehmen und Privathaushalten montiert, wartet und repariert er Heizungs­anlagen. Obwohl Kurt Marx jetzt Rentner ist, arbeitet er noch immer in Vollzeit, 40 Stunden pro Woche. „Manche Kunden verlangen extra nach unserem Herrn Marx“, erzählt sein Chef Thorsten Spieles nicht ohne Stolz. „Schließlich kennen sie ihn inzwischen seit fast einem ­Vierteljahrhundert.“

Laut einer Erhebung des Bundesarbeits­ministeriums aus dem Oktober 2023 gibt es ­immer mehr Menschen, die arbeiten, obwohl sie schon in Rente sind: 1,12 Millionen Menschen jenseits der 67 waren 2023 erwerbstätig. Ein Jahr zuvor waren es noch 56 000 weniger. Die meisten von ihnen arbeiten in einem Mini-Job. Wie viele wie Kurt Marx noch in Voll- oder Teilzeit beschäftigt sind, ist nirgends erfasst. Dieses Modell dürfte aber inzwischen attrak­tiver geworden sein, denn seit 2023 können Rentnerinnen und Rentner unbegrenzt hinzuverdienen. Zuvor lag die Hinzuverdienstgrenze bei 6300 Euro im Jahr. Was darüber hinausging, wurde teilweise auf die Renten angerechnet.

Für so manchen Unternehmer sind die ­Rentnerinnen und Rentner ein Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel. So auch für Marx’ Chef Thorsten Spieles. Zwar findet er mit etwas Mühe noch immer Auszubildende für seine Unternehmensgruppe, „aber bis die auf demselben Niveau sind wie ein langjähriger Mitarbeiter, dauert es natürlich“, sagt Spieles. Neben dem Einbau und der Wartung von Heizungs­anlagen bauen und sanieren die Mitarbeiter von Thorsten Spieles auch Badezimmer. Je ­länger er einen erfahrenen Mit­arbeiter halten kann, desto besser, findet der Geschäftsführer.

Wie Thorsten Spieles die Zusammenarbeit mit dem Rentner regelte

Zurzeit beschäftigt er vier Rentnerinnen und Rentner: Einen in der Lagerverwaltung, einen anderen auf der Baustelle bei der Sanierung von Bädern, eine im Büro und Kurt Marx im Kundendienst für die Heizungs­anlagen. Marx ist der einzige, der in Vollzeit ­arbeitet, alle ­anderen haben einen ­Mini-Job.

Während viele Rentnerinnen und Rentner arbeiten, weil ihr Geld sonst nicht zum Leben reicht, arbeitet Kurt Marx hauptsächlich, weil er Freude daran hat und die sozialen Kontakte nicht missen möchte: „Mit vielen Kunden halte ich ein Schwätzchen, weil wir uns schon so lange kennen. Manchmal trinken wir auch einen Kaffee zusammen, oder es gibt ein Stück Kuchen“, erzählt der 64-Jährige. Marx’ Frau, die fünf Jahre jünger ist, wird voraussichtlich ­arbeiten, bis sie 67 ist: „Was soll ich also den ganzen Tag allein zu Hause?“, sagt ihr Mann.

Vertraglich haben Kurt Marx und sein Chef Thorsten Spieles die Beschäftigung des Rentners folgendermaßen geregelt: Marx’ seit Jahrzehnten geltender Arbeitsvertrag ist unbefristet und läuft zunächst bis zur sogenannten Regelaltersgrenze weiter. Die erreicht der heute 64-jährige Marx mit 66 Jahren und vier Monaten. Entscheiden Marx und sein Chef, dass sie auch danach weiter zusammenarbeiten möchten, wollen sie einen neuen Vertrag aufsetzen.

Ganz wichtig: offen ­miteinander sprechen

Sorge, dass sein Mitarbeiter aufgrund seines Alters für die Firma eines Tages zur Last ­werden könnte, hat Thorsten Spieles nicht: „Ich vertraue voll darauf, dass wir darüber ­sprechen, wenn es für Herrn Marx oder für uns nicht mehr passen sollte – oder ihm die Arbeit zu ­anstrengend wird.“

Erreicht Kurt Marx die Regelaltersgrenze, könnten beide einen befristeten Vertrag ­schließen, weiß Michael Huth, Fachanwalt für ­Arbeitsrecht bei der Kanzlei DHPG in Köln. Er berät Firmen, die Rentnerinnen und Rentner beschäftigen. „Mit der sogenannten Flexi-­Rente können Arbeitgeber Mitarbeiter auch über das Renteneintrittsalter hinaus befristet beschäftigen und müssen dafür nicht einmal einen Grund angeben“, erklärt Huth. Juristen sprechen hier von einer sachgrundlosen Befristung. Anders als bei Beschäftigten vor dem Rentenalter dürfen Unternehmen die sachgrundlose Befristung bei Rentnerinnen und Rentnern sogar beliebig oft verlängern.

Beliebig oft befristen ist im ­Ruhestand möglich

Damit Arbeitgeber die Flexi-Rente nutzen ­können, müssen allerdings gewisse Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Im Arbeits- oder Tarifvertrag muss stehen, dass das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze endet. Gibt es diesen Passus nicht, läuft der Arbeitsvertrag einfach unbefristet weiter. Eine Befristung mittels Flexi-Rente ist in diesem Fall nicht möglich.
  • Das Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeitenden muss noch bestehen. Stellt ein Unternehmen einen Rentner oder eine Rentnerin neu ein oder holt es einen früheren Mitarbeitenden, der bereits in Rente ist, zurück, ist die besondere sachgrundlose Befristung für Rentner ebenfalls nicht möglich.
  • Arbeitgebende müssen noch vor Erreichen der Regelaltersgrenze schriftlich verein­baren, dass das Arbeitsverhältnis zu einem späteren Zeitpunkt statt zum Rentenbeginn enden wird. Diese Befristung kann dann ­beliebig oft und ohne Angabe von Gründen verlängert werden.

Rechtsanwalt Michael Huth empfiehlt, sich bei der schriftlichen Formulierung der Verlängerung an den Gesetzestext zu halten: „Dort steht, dass man den Beendigungszeitpunkt über das Erreichen der Altersgrenze hinausschiebt.“ Huth weist außerdem auf einen anderen wichtigen Aspekt hin: „Als Arbeitgeber darf ich die Zusammenarbeit in dieser schriftlichen Vereinbarung nur verlängern, aber nicht verändern.“

Vorsicht bei weiteren Änderungen am Arbeitsvertrag

Enthält das Schriftstück weitere Änderungen am Arbeitsvertrag – beispielsweise die Abmachung über eine Gehaltserhöhung oder die Einigung, dass der Mitarbeiter in Teilzeit weiterarbeiten wird – kann die neue Befristung von einem Gericht als unwirksam gewertet werden. „Der Arbeitsvertrag ist dann ­weiterhin gültig“, erklärt Huth. „Die Befristung ist allerdings unwirksam – und Sie beschäftigen dann plötzlich unbefristet einen Rentner.“

Natürlich bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass eine Gehaltserhöhung ausgeschlossen ist oder ein Mitarbeiter in seiner Rente nicht in Teilzeit weiterarbeiten darf. „Wichtig ist in solchen Fällen nur, dass Sie die Gehaltserhöhung unabhängig von der Verlängerungsabrede treffen. Dafür kann eine Lücke zwischen beiden Vereinbarungen zumindest ein Indiz sein“, sagt Huth.

Schließen Sie die Teilzeit-Vereinbarung oder die Vereinbarung über eine Gehaltserhöhung also beispielsweise ein halbes Jahr vor oder nachdem Sie sich mit Ihrem Mitarbeiter auf eine Weiterbeschäftigung im Rentenalter geeinigt haben. Exakte Fristen, wie weit die Vereinbarungen auseinander­liegen müssen, gibt es laut Huth nicht. Der ­Fachanwalt für Arbeitsrecht empfiehlt daher in etwa ein halbes Jahr.

Arbeiten, weil die Rente nicht zum Leben reicht

Während Kurt Marx noch arbeitet, weil er Spaß daran hat, und nicht allein zu Hause sitzen möchte, arbeitet Frank Löst auch aus finan­ziellen Gründen. Seit 13 Jahren ist der gelernte Baumaschinenschlosser beim Berliner Tiefbau-Unternehmen Frisch und Faust beschäftigt. Der 68-Jährige wartet und repariert in der Werkstatt die Fahrzeuge des Unternehmens: Lkw, Bagger und Radlader. Frank Löst hätte mit 67 Jahren in Rente gehen können. Die – das sagt er geradeheraus – hätte zwar gereicht, um seinen Lebensunterhalt zu decken, „für mehr aber auch nicht“.

Löst wünscht sich aber mehr: Gemeinsam mit seiner Lebens­gefährtin bewirtschaftet er einen Schreber­garten, für den er regelmäßig neue Blumen und Sträucher kauft. Und er geht gern angeln. „All das kostet Geld“, sagt Löst. Mit seiner ­Rente allein könnte er diese Hobbys nur schwer ­finanzieren.

„Unsere Rentner sind zuver­lässiger als junge Mitarbeiter“

Und so arbeitet Löst weiter. Von Montag bis Freitag steht er ab 5.30 Uhr in der Werkstatt seines Arbeitgebers, mindestens 40 Stunden in der Woche, manchmal auch mehr. Noch, so ­erzählt er, mache ihm das körperlich nicht viel aus. In der Werkstatt nutzt er Hebebühnen und Kräne, die ihm die Arbeit erleichtern. Nur wenn er zur Baustelle gerufen wird, weil ein Lkw einen Reifenschaden hat und er das große, schwere Rad ganz allein bei Wind und Wetter wechseln muss, merkt Frank Löst, dass er langsam älter wird: „Das geht dann schon auf die Knochen.“

Lösts Chef Dieter Mießen, kaufmännischer Leiter bei Frisch und Faust, hat ähnlich wie Thorsten Spieles von der Firma Flach gute Erfahrungen mit Rentnern gemacht. Seit sieben Jahren arbeiten beim Berliner Tiefbauunternehmen Menschen, die eigentlich im Ruhestand sind: acht Mini-Jobber und zwei in Teil- und Vollzeit. „Wir erleben, dass unsere Rentner deutlich zuverlässiger und viel weniger krank sind als unsere jungen Mitarbeiter“, sagt Dieter Mießen.

Zwei seiner Mini-Jobber sind bereits über 70 und kümmern sich sogar explizit um den Nachwuchs: Ihre Aufgabe ­besteht darin, die Auszubildenden zu betreuen und mit ihnen zu sprechen, wenn es mal nicht so gut läuft.

Der Arbeitsvertrag von Rentner Frank Löst ist nicht befristet. Sein Chef Dieter Mießen setzt ebenso wie Frank Spieles darauf, dass alle Beteiligten miteinander sprechen und sich einigen, wenn es für eine Seite nicht mehr passt.

Sozialabgaben bleiben für Unternehmen gleich

Mit Blick auf die Sozialabgaben macht es für Unternehmerinnen und Unternehmer keinen Unterschied, ob ein festangestellter Mitarbeitender bereits in Rente ist: Sie müssen für alle in Teil- und Vollzeit Beschäftigten Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und auch Rentenversicherungsbeiträge abführen. „Der Gesetzgeber will so verhindern, dass Unternehmer lieber ­einen 68-jährigen Rentner einstellen, weil sie dadurch Sozialabgaben sparen. Ein jüngerer Arbeitnehmer, der dem Arbeitsmarkt noch ­regulär zur Verfügung steht, käme dann vielleicht nicht zum Zuge und müsste unter Umständen Arbeitslosengeld beziehen“, erklärt ­Fachanwalt Michael Huth.

Sowohl Kurt Marx als auch Frank Löst be­ziehen neben ihrem Gehalt bereits ihre gesetzliche Altersrente. Einmal im Jahr müssen sie ­eine Steuererklärung beim Finanzamt ein­reichen und so ihre gesamten Einkünfte versteuern.

Finden können Unternehmen Mitarbeitende im Rentenalter wohl am besten über eine ­klassische Stellenausschreibung. Explizit nach ihnen suchen dürfen sie auf diese Weise aber nicht. „Das ist aus Diskriminierungsgründen schwierig“, erklärt ­Michael Huth. Der Anwalt rät dazu, in der Stellenausschreibung höchstens eine Formulierung wie „auch als Nebenverdienst für Rentenbezieher geeignet“ zu wählen, um keine rechtlichen Schwierigkeiten zu bekommen.

Beschäftigung von Rentnern als freie Mitarbeitende

Neben einer klassischen Festanstellung oder einem Mini-Job gibt es auch die Möglichkeit, Rentnerinnen und Rentner als freie Mitarbeitende oder als Beraterinnen und Berater auf Stundenbasis zu beschäftigen. Michael Huth mahnt hier aber zur Vorsicht: „Sie müssen aufpassen, dass diese Form der Beschäftigung vom Finanzamt nicht als Scheinselbstständigkeit gewertet wird“, erklärt der Anwalt.

Das droht insbesondere dann, wenn der Rentner oder die Rentnerin dieselben Aufgaben übernimmt, um die er oder sie sich schon vor Rentenbeginn gekümmert hat. Darüber hinaus dürfen freie Mitarbeitende nicht in Urlaubs- oder Dienstplänen auftauchen, und sie müssen sich ihre Arbeitszeit frei einteilen können.

Auch Rentner und Baumaschinen-Schlosser Frank Löst will künftig etwas flexibler mit seiner Zeit umgehen können. Obwohl er seine Arbeit gern macht und das Geld gut gebrauchen kann, wird er ab Mai beruflich etwas kürzer­treten. Seine Lebensgefährtin, die selbst seit ­einiger Zeit Rentnerin ist, wünscht sich mehr gemeinsame Zeit mit ihm. Drei Tage in der ­Woche, von Montag bis Mittwoch, will Löst in Zukunft noch arbeiten und danach – zumindest in den Sommermonaten – ein langes Wochenende mit seiner Partnerin im Schrebergarten verbringen. „Ein bisschen mehr Freizeit will ich mir und meiner Partnerin in unserer Zeit als Rentner dann doch gönnen“, sagt Löst.