Betriebliche Übung
So verhindern Chefs ein Gewohnheitsrecht

„Das war schon immer so!“ Zahlt ein Arbeitgeber beispielsweise jahrelang freiwillig Weihnachtsgeld, können Mitarbeiter Anspruch darauf haben. Wie Chefs diese sogenannte betriebliche Übung verhindern.

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Jedes Jahr freiwillig Urlaubs- oder Weihnachtsgeld zahlen? Aufgepasst! Daraus könnte eine betriebliche Übung entstehen.
© PolaRocket / photocase.de

Was versteht man unter betrieblicher Übung?

Zahlt ein Arbeitgeber mehrere Jahre in Folge freiwillig Urlaubs- oder Weihnachtsgeld oder stellt er Mitarbeiter immer an Heiligabend frei, erwarten sie das meist auch im Folgejahr – und haben in vielen Fällen auch einen Anspruch darauf, weil sich ein Gewohnheitsrecht ergibt: die sogenannte betriebliche Übung oder Betriebsübung.

Die betriebliche Übung ist nicht im Arbeitsrecht festgehalten, sondern hat sich durch gerichtliche Entscheidungen entwickelt. „Sie betrifft Leistungen des Arbeitgebers, die nicht im Arbeitsvertrag, im Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung geregelt sind“, sagt Tobias Grambow, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Wirtschaftskanzlei Buse Heberer Fromm. Entscheidend ist dem Anwalt zufolge, dass ein Arbeitnehmer erwarten kann, dass sich sein Chef künftig genauso verhält.

Für welche Leistungen kann eine betriebliche Übung entstehen?

Eine Betriebsübung kann beispielsweise entstehen, wenn Arbeitgeber …

  • mehrere Jahre hintereinander Mitarbeitern Weihnachts- oder Urlaubsgeld zahlen
  • regelmäßig Sonderzahlungen zu Jubiläen veranlassen (zum Beispiel wegen langjähriger Betriebszugehörigkeit)
  • die Fortbildungskosten regelmäßig übernehmen
  • Mitarbeiter an bestimmten Tagen regelmäßig freistellen, zum Beispiel an Karneval, Heiligabend oder Silvester

„Weist ein Arbeitgeber nicht darauf hin, dass es sich dabei um eine einmalige freiwillige Leistung handelt, kann der Arbeitnehmer irgendwann daraus schließen, dass er sie auch in den Folgejahren bekommt“, sagt Grambow. Arbeitgeber sind dann daran gebunden – denn eine betriebliche Übung gilt wie eine Vertragsänderung.

Wichtig ist, dass der Arbeitgeber die Leistung freiwillig ANBIETET. Es reicht nicht aus, dass Mitarbeiter sich ein bestimmtes Verhalten einfach über Jahre selbst erlaubt haben. Beispiel: Das Landesarbeitsgericht Nürnberg entschied 2015, dass ein Arbeitnehmer aus einer betrieblichen Übung keinen Rechtsanspruch auf bezahlte Raucherpausen ableiten könne – er hatte jahrelang während seiner Arbeitszeit geraucht und musste nun neuerdings dafür ausstempeln. Der Entscheidungsgrund: Sein Chef hätte über die Dauer und Häufigkeit der Pausen nicht Bescheid gewusst. Der Mitarbeiter rauchte zwischen 60 und 80 Minuten täglich und ließ sich diese Pausen bezahlen (LAG Nürnberg, Urteil vom 5.8.2015, 2 Sa 132/15).

Ob eine betriebliche Übung entsteht, kommt auf den Einzelfall an. Beispiel: Parkplätze

Ob tatsächlich eine betriebliche Übung entsteht, hängt laut Grambow vom Einzelfall ab. So entschied das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 2014 darüber, ob eine Betriebsübung entstehen kann, wenn Arbeitgeber jahrelang kostenlose Parkplätze für Mitarbeiter bereitstellen. In besagtem Fall baute die Firma auf dem Gelände um und stellte danach kostenpflichtige Parkplätze bereit. Ein Mitarbeiter klagte dagegen, weil seiner Ansicht nach durch die jahrelange kostenlose Bereitstellung eine betriebliche Übung entstanden sei und er somit einen Anspruch auf kostenlose Parkplätze habe.

Zur Person
Tobias Grambow ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Wirtschaftskanzeli Buse Heberer Fromm. Er ist außerdem Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin.

Die Richter hielten dagegen: Die früheren Parkplätze seien komplett weggefallen und durch Umgestaltung neu entstanden. „Der Parkraum war zu einem teuren Gut geworden“, heißt es in dem Urteil. Deshalb könnten die Arbeitnehmer nicht erwarten, dass sie weiterhin kostenlos parken können (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.1.2014, 1 Sa 17/13). Hätte der Unternehmer nicht umgebaut, sondern die Gebühren einfach so erhoben, hätten sich die Mitarbeiter womöglich auf eine betriebliche Übung beziehen können.

Beispiel: Urlaubsabsprachen

Auch beim Thema Urlaub kommt es auf den jeweiligen Fall an: Wenn etwa Mitarbeiter einer Firma ihren Urlaub jahrelang mündlich mit ihrem Chef absprechen (statt einen formalen Antrag einzureichen), wäre laut Grambow eine betriebliche Übung theoretisch denkbar – allerdings können Mitarbeiter nicht automatisch darauf vertrauen, dass es in Zukunft so bleibt, zumal keine unmittelbaren Ansprüche zur Urlaubslage oder -dauer daraus folgen. Deshalb müsste solch ein Fall geprüft werden.

Beispiel: Sabbaticals und unbezahlter Urlaub

Nehmen Mitarbeiter Sabbaticals oder unbezahlten Urlaub, entsteht laut dem Rechtsanwalt in der Regel keine betriebliche Übung – denn meist handelt es sich dabei um Einzelfälle, aus denen andere Arbeitnehmer keine Gewohnheit ableiten können.

Ab wie vielen Wiederholungen besteht eine betriebliche Übung?

Es ist rechtlich nicht festgeschrieben, ab wie vielen Wiederholungen eine Regelung zur betrieblichen Übung wird. Häufig entsteht sie laut Grambow nach einer Wiederholung in drei aufeinanderfolgenden Jahren. Der Rechtsanwalt: „Das kommt aus dem Bereich des Weihnachtsgeldes. Zahlt ein Arbeitgeber drei Jahre hintereinander Weihnachtsgeld in gleicher Höhe, kann das eine betriebliche Übung begründen. Zahlt er nur ein- oder zweimal, können Arbeitnehmer noch nicht daraus schließen, dass sie für immer Weihnachtsgeld erhalten.“

Mehr zu Weihnachtsgeld hier: Anspruch auf Weihnachtsgeld: Ist es Pflicht – oder ein freiwilliger Bonus?

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Gerichte haben sich im Fall des Weihnachtsgeldes auf eine Wiederholung in drei aufeinanderfolgenden Jahren geeinigt. Für andere Leistungen und Vergünstigungen kann anderes gelten. „Gerade bei Leistungen, die häufiger während eines Jahres gewährt werden, reicht es nicht aus, dass das dreimal passiert“, sagt Grambow. Wenn etwa ein Chef einem Mitarbeiter erlaubt, Montag, Dienstag und Mittwoch früher zu gehen, entsteht daraus noch keine betriebliche Übung.

2004 urteilten Richter, dass kein Anspruch aus betrieblicher Übung entstehe, wenn ein Arbeitgeber acht von insgesamt 230 Mitarbeitern anlässlich ihres Dienstjubiläums 600 Euro gezahlt hat; und einem neunten Mitarbeiter nicht. Die Belegschaft sei so groß, dass aus achtmaliger Zahlung kein allgemeiner Anspruch entstünde (BAG, Urteil vom 28.7.2004, 10 AZR 19/04).

Entsteht eine betriebliche Übung, wenn Arbeitgeber Sonderzahlungen wiederholt, aber in unterschiedlicher Höhe ausschütten?

Hier hat sich die Rechtsprechung geändert. Grambow zufolge hatte das Bundesarbeitsgericht früher wie folgt entschieden: Zahle ein Arbeitgeber zum Beispiel Weihnachtsgeld jedes Jahr in einer anderen Höhe aus, entstehe daraus keine betriebliche Übung – weil der Arbeitgeber mit seiner Verhaltensweise signalisiere, dass er die Zahlung jederzeit ändern kann.

Heute ist das anders: 2015 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass auch unterschiedlich hohe Zahlungen zu einem Rechtsanspruch des Arbeitnehmers führen – wenn diese Zahlungen drei Jahre hintereinander stattfinden. Denn der Arbeitgeber zeige so, dass er grundsätzlich Weihnachtsgeld zahlt – und nur über die Höhe jedes Jahr neu entscheidet (BAG-Urteil vom 13. Mai 2015, Az. 10 AZR 266/14).

Wie können Arbeitgeber vermeiden, dass eine betriebliche Übung entsteht?

Chefs können verhindern, dass eine Betriebsübung entsteht und Arbeitnehmer dadurch Anspruch auf bestimmte Leistungen haben. Grambow empfiehlt dafür, mehrere Sicherheitsnetze aufzuspannen:

  1. Eine Klausel im Arbeitsvertrag festhalten: Arbeitgeber können ausdrücklich in einen Arbeitsvertrag schreiben, dass Ansprüche nur durch eine schriftliche Vereinbarung entstehen können – und diese Klausel auch nur in Schriftform abgedungen werden kann (die sogenannte Schriftformklausel). Ausnahme: Wenn der Chef und ein einzelner Mitarbeiter mündlich etwas absprechen, gilt auch solch eine individuelle mündliche Zusage trotz der Vertragsklausel.

Das Problem dabei: Bei bestehenden Arbeitsverhältnissen können Chefs so eine Klausel nicht gegen den Willen eines Arbeitnehmer in den Vertrag einfügen.

  1. Begleitschreiben zu besonderen Leistungen verfassen: Zahlt ein Arbeitgeber Weihnachts- oder Urlaubsgeld oder stellt er Mitarbeiter an bestimmten Tagen frei, sollte er eine Erklärung dazu verfassen und den Freiwilligkeitsvorbehalt festhalten. „Da kann er reinschreiben, warum er beispielsweise Weihnachtsgeld zahlt“, sagt Grambow. Etwa so: „Wir haben im letzten Jahr gute Umsätze erzielt, dafür hat jeder von Ihnen seinen Beitrag geleistet. Als Dankeschön dafür gewähren wir Ihnen ein Weihnachtsgeld in Höhe von XY. Bitte beachten Sie aber, dass es sich hierbei um eine freiwillige Leistung handelt und auch bei wiederholter Zahlung kein Anspruch auf erneute Zahlung entsteht.“
  2. Die freiwillige Leistung in der Gehaltsabrechnung kennzeichnen: Bei Sonderzahlungen sollten Chefs laut Grambow etwa in eine Fußnote in der Gehaltsabrechnung schreiben, dass es sich dabei um eine freiwillige einmalige Leistung ohne künftigen Anspruch handelt. Das könne er auch auf der Überweisung kenntlich machen. So entsteht beim Arbeitnehmer nicht der Glauben, dass er in Zukunft mit den gleichen Zahlungen rechnen kann.

Der Rechtsanwalt rät Chefs vor allem, mit ihren Mitarbeitern zu reden. Arbeitgeber sollten deutlich machen, was ihre Absicht ist – nämlich nicht, den Arbeitnehmern ihre Rechte zu nehmen. „Wenn man der Meinung ist, man kann sich jetzt ein Weihnachtsgeld leisten, weiß aber nicht, ob man es sich im kommenden Jahr immer noch leisten kann, und das kommuniziert, dann weckt man keine falschen Erwartungen“, so Grambow.

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Wie können Arbeitgeber eine bestehende betriebliche Übung ändern oder auflösen?

Ist eine betriebliche Übung einmal entstanden, wird der Widerruf für Arbeitgeber schwierig: Wer in Jahr fünf beispielsweise anders als in den Vorjahren auf Urlaubsgeld verzichten will, muss mit Ärger rechnen – und riskiert, vor Gericht zu enden.

Früher gab es die sogenannte gegenläufige oder negative betriebliche Übung. „Das heißt, so wie sie entstehen konnte, konnte sie auch wieder wegfallen“, sagt Grambow. „Das Weihnachtsgeld wurde in drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht mehr gewährt, damit war die betriebliche Übung wieder weg.“ Das Bundesarbeitsgericht hat diese Regelung allerdings abgeschafft.

Daher gibt es keine Auswege, sondern nur Chancen:

Chance 1: Das Gespräch

Ist eine betriebliche Übung unfreiwillig entstanden, empfiehlt Grambow, mit den Mitarbeitern zu sprechen und den Hintergrund zu erläutern: „Die meisten Arbeitnehmer verstehen es, wenn der Arbeitgeber erklärt, dass er den Mitarbeiter damit nicht ärgern will. Dass das Jahr einfach nicht gut gelaufen ist und er schaut, wie es in der Zukunft aussieht. Ob er dann beispielsweise wieder Weihnachtsgeld zahlen kann.“

Seiner Erfahrung nach funktioniert das aber nicht immer – denn mancher Arbeitnehmer besteht auf seinen Anspruch. „Das kann man zum Teil auch verstehen“, sagt Grambow, „denn er hat ja darauf vertraut, die gleiche Leistung weiterhin zu erhalten.“

Ist ein Arbeitnehmer uneinsichtig, empfiehlt Grambow, sich rechtlich beraten zu lassen: „So können Arbeitgeber herausfinden, ob wirklich eine betriebliche Übung entstanden ist. Ist das der Fall, ist das wie eine Vertragsergänzung und der Arbeitgeber kommt nicht ohne Weiteres wieder raus.“

Chance 2: Die Änderungskündigung

In diesem Fall könne der Arbeitgeber eine Änderungskündigung vornehmen, also den Arbeitsvertrag zwar erhalten, aber ändern. Damit kommen Unternehmer laut Grambow vor Gericht aber kaum durch.

Chance 3: Die Betriebsvereinbarung

Ein anderer Ausweg: Gibt es in der Firma einen Betriebsrat, können Chefs versuchen, Voraussetzungen zur Betriebsübung in einer Betriebsvereinbarung festzuhalten. Darin können sie beispielsweise Regelungen für zukünftige Jahressonderzahlungen festlegen. Aber: „Die Rechtsprechung hat noch nicht endgültig geklärt, ob die Betriebsvereinbarung Ansprüche aus einer betrieblichen Übung ablösen und ersetzen kann“, sagt Grambow. „Ich bin der Meinung, das müsste grundsätzlich gehen. Weil eine kollektive Regelung durch eine andere kollektive Regelung abgelöst wird.“

Was versteht man unter betrieblicher Übung? Zahlt ein Arbeitgeber mehrere Jahre in Folge freiwillig Urlaubs- oder Weihnachtsgeld oder stellt er Mitarbeiter immer an Heiligabend frei, erwarten sie das meist auch im Folgejahr – und haben in vielen Fällen auch einen Anspruch darauf, weil sich ein Gewohnheitsrecht ergibt: die sogenannte betriebliche Übung oder Betriebsübung. Die betriebliche Übung ist nicht im Arbeitsrecht festgehalten, sondern hat sich durch gerichtliche Entscheidungen entwickelt. „Sie betrifft Leistungen des Arbeitgebers, die nicht im Arbeitsvertrag, im Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung geregelt sind“, sagt Tobias Grambow, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Wirtschaftskanzlei Buse Heberer Fromm. Entscheidend ist dem Anwalt zufolge, dass ein Arbeitnehmer erwarten kann, dass sich sein Chef künftig genauso verhält. Für welche Leistungen kann eine betriebliche Übung entstehen? Eine Betriebsübung kann beispielsweise entstehen, wenn Arbeitgeber … mehrere Jahre hintereinander Mitarbeitern Weihnachts- oder Urlaubsgeld zahlen regelmäßig Sonderzahlungen zu Jubiläen veranlassen (zum Beispiel wegen langjähriger Betriebszugehörigkeit) die Fortbildungskosten regelmäßig übernehmen Mitarbeiter an bestimmten Tagen regelmäßig freistellen, zum Beispiel an Karneval, Heiligabend oder Silvester „Weist ein Arbeitgeber nicht darauf hin, dass es sich dabei um eine einmalige freiwillige Leistung handelt, kann der Arbeitnehmer irgendwann daraus schließen, dass er sie auch in den Folgejahren bekommt“, sagt Grambow. Arbeitgeber sind dann daran gebunden – denn eine betriebliche Übung gilt wie eine Vertragsänderung. Wichtig ist, dass der Arbeitgeber die Leistung freiwillig ANBIETET. Es reicht nicht aus, dass Mitarbeiter sich ein bestimmtes Verhalten einfach über Jahre selbst erlaubt haben. Beispiel: Das Landesarbeitsgericht Nürnberg entschied 2015, dass ein Arbeitnehmer aus einer betrieblichen Übung keinen Rechtsanspruch auf bezahlte Raucherpausen ableiten könne – er hatte jahrelang während seiner Arbeitszeit geraucht und musste nun neuerdings dafür ausstempeln. Der Entscheidungsgrund: Sein Chef hätte über die Dauer und Häufigkeit der Pausen nicht Bescheid gewusst. Der Mitarbeiter rauchte zwischen 60 und 80 Minuten täglich und ließ sich diese Pausen bezahlen (LAG Nürnberg, Urteil vom 5.8.2015, 2 Sa 132/15). Ob eine betriebliche Übung entsteht, kommt auf den Einzelfall an. Beispiel: Parkplätze Ob tatsächlich eine betriebliche Übung entsteht, hängt laut Grambow vom Einzelfall ab. So entschied das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 2014 darüber, ob eine Betriebsübung entstehen kann, wenn Arbeitgeber jahrelang kostenlose Parkplätze für Mitarbeiter bereitstellen. In besagtem Fall baute die Firma auf dem Gelände um und stellte danach kostenpflichtige Parkplätze bereit. Ein Mitarbeiter klagte dagegen, weil seiner Ansicht nach durch die jahrelange kostenlose Bereitstellung eine betriebliche Übung entstanden sei und er somit einen Anspruch auf kostenlose Parkplätze habe. Die Richter hielten dagegen: Die früheren Parkplätze seien komplett weggefallen und durch Umgestaltung neu entstanden. "Der Parkraum war zu einem teuren Gut geworden", heißt es in dem Urteil. Deshalb könnten die Arbeitnehmer nicht erwarten, dass sie weiterhin kostenlos parken können (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.1.2014, 1 Sa 17/13). Hätte der Unternehmer nicht umgebaut, sondern die Gebühren einfach so erhoben, hätten sich die Mitarbeiter womöglich auf eine betriebliche Übung beziehen können. Beispiel: Urlaubsabsprachen Auch beim Thema Urlaub kommt es auf den jeweiligen Fall an: Wenn etwa Mitarbeiter einer Firma ihren Urlaub jahrelang mündlich mit ihrem Chef absprechen (statt einen formalen Antrag einzureichen), wäre laut Grambow eine betriebliche Übung theoretisch denkbar – allerdings können Mitarbeiter nicht automatisch darauf vertrauen, dass es in Zukunft so bleibt, zumal keine unmittelbaren Ansprüche zur Urlaubslage oder -dauer daraus folgen. Deshalb müsste solch ein Fall geprüft werden. Beispiel: Sabbaticals und unbezahlter Urlaub Nehmen Mitarbeiter Sabbaticals oder unbezahlten Urlaub, entsteht laut dem Rechtsanwalt in der Regel keine betriebliche Übung – denn meist handelt es sich dabei um Einzelfälle, aus denen andere Arbeitnehmer keine Gewohnheit ableiten können. Ab wie vielen Wiederholungen besteht eine betriebliche Übung? Es ist rechtlich nicht festgeschrieben, ab wie vielen Wiederholungen eine Regelung zur betrieblichen Übung wird. Häufig entsteht sie laut Grambow nach einer Wiederholung in drei aufeinanderfolgenden Jahren. Der Rechtsanwalt: „Das kommt aus dem Bereich des Weihnachtsgeldes. Zahlt ein Arbeitgeber drei Jahre hintereinander Weihnachtsgeld in gleicher Höhe, kann das eine betriebliche Übung begründen. Zahlt er nur ein- oder zweimal, können Arbeitnehmer noch nicht daraus schließen, dass sie für immer Weihnachtsgeld erhalten.“ Mehr zu Weihnachtsgeld hier: Anspruch auf Weihnachtsgeld: Ist es Pflicht – oder ein freiwilliger Bonus? Gerichte haben sich im Fall des Weihnachtsgeldes auf eine Wiederholung in drei aufeinanderfolgenden Jahren geeinigt. Für andere Leistungen und Vergünstigungen kann anderes gelten. „Gerade bei Leistungen, die häufiger während eines Jahres gewährt werden, reicht es nicht aus, dass das dreimal passiert“, sagt Grambow. Wenn etwa ein Chef einem Mitarbeiter erlaubt, Montag, Dienstag und Mittwoch früher zu gehen, entsteht daraus noch keine betriebliche Übung. 2004 urteilten Richter, dass kein Anspruch aus betrieblicher Übung entstehe, wenn ein Arbeitgeber acht von insgesamt 230 Mitarbeitern anlässlich ihres Dienstjubiläums 600 Euro gezahlt hat; und einem neunten Mitarbeiter nicht. Die Belegschaft sei so groß, dass aus achtmaliger Zahlung kein allgemeiner Anspruch entstünde (BAG, Urteil vom 28.7.2004, 10 AZR 19/04). Entsteht eine betriebliche Übung, wenn Arbeitgeber Sonderzahlungen wiederholt, aber in unterschiedlicher Höhe ausschütten? Hier hat sich die Rechtsprechung geändert. Grambow zufolge hatte das Bundesarbeitsgericht früher wie folgt entschieden: Zahle ein Arbeitgeber zum Beispiel Weihnachtsgeld jedes Jahr in einer anderen Höhe aus, entstehe daraus keine betriebliche Übung – weil der Arbeitgeber mit seiner Verhaltensweise signalisiere, dass er die Zahlung jederzeit ändern kann. Heute ist das anders: 2015 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass auch unterschiedlich hohe Zahlungen zu einem Rechtsanspruch des Arbeitnehmers führen – wenn diese Zahlungen drei Jahre hintereinander stattfinden. Denn der Arbeitgeber zeige so, dass er grundsätzlich Weihnachtsgeld zahlt – und nur über die Höhe jedes Jahr neu entscheidet (BAG-Urteil vom 13. Mai 2015, Az. 10 AZR 266/14). Wie können Arbeitgeber vermeiden, dass eine betriebliche Übung entsteht? Chefs können verhindern, dass eine Betriebsübung entsteht und Arbeitnehmer dadurch Anspruch auf bestimmte Leistungen haben. Grambow empfiehlt dafür, mehrere Sicherheitsnetze aufzuspannen: Eine Klausel im Arbeitsvertrag festhalten: Arbeitgeber können ausdrücklich in einen Arbeitsvertrag schreiben, dass Ansprüche nur durch eine schriftliche Vereinbarung entstehen können – und diese Klausel auch nur in Schriftform abgedungen werden kann (die sogenannte Schriftformklausel). Ausnahme: Wenn der Chef und ein einzelner Mitarbeiter mündlich etwas absprechen, gilt auch solch eine individuelle mündliche Zusage trotz der Vertragsklausel. Das Problem dabei: Bei bestehenden Arbeitsverhältnissen können Chefs so eine Klausel nicht gegen den Willen eines Arbeitnehmer in den Vertrag einfügen. Begleitschreiben zu besonderen Leistungen verfassen: Zahlt ein Arbeitgeber Weihnachts- oder Urlaubsgeld oder stellt er Mitarbeiter an bestimmten Tagen frei, sollte er eine Erklärung dazu verfassen und den Freiwilligkeitsvorbehalt festhalten. „Da kann er reinschreiben, warum er beispielsweise Weihnachtsgeld zahlt“, sagt Grambow. Etwa so: „Wir haben im letzten Jahr gute Umsätze erzielt, dafür hat jeder von Ihnen seinen Beitrag geleistet. Als Dankeschön dafür gewähren wir Ihnen ein Weihnachtsgeld in Höhe von XY. Bitte beachten Sie aber, dass es sich hierbei um eine freiwillige Leistung handelt und auch bei wiederholter Zahlung kein Anspruch auf erneute Zahlung entsteht.“ Die freiwillige Leistung in der Gehaltsabrechnung kennzeichnen: Bei Sonderzahlungen sollten Chefs laut Grambow etwa in eine Fußnote in der Gehaltsabrechnung schreiben, dass es sich dabei um eine freiwillige einmalige Leistung ohne künftigen Anspruch handelt. Das könne er auch auf der Überweisung kenntlich machen. So entsteht beim Arbeitnehmer nicht der Glauben, dass er in Zukunft mit den gleichen Zahlungen rechnen kann. Der Rechtsanwalt rät Chefs vor allem, mit ihren Mitarbeitern zu reden. Arbeitgeber sollten deutlich machen, was ihre Absicht ist – nämlich nicht, den Arbeitnehmern ihre Rechte zu nehmen. „Wenn man der Meinung ist, man kann sich jetzt ein Weihnachtsgeld leisten, weiß aber nicht, ob man es sich im kommenden Jahr immer noch leisten kann, und das kommuniziert, dann weckt man keine falschen Erwartungen“, so Grambow. Wie können Arbeitgeber eine bestehende betriebliche Übung ändern oder auflösen? Ist eine betriebliche Übung einmal entstanden, wird der Widerruf für Arbeitgeber schwierig: Wer in Jahr fünf beispielsweise anders als in den Vorjahren auf Urlaubsgeld verzichten will, muss mit Ärger rechnen – und riskiert, vor Gericht zu enden. Früher gab es die sogenannte gegenläufige oder negative betriebliche Übung. „Das heißt, so wie sie entstehen konnte, konnte sie auch wieder wegfallen“, sagt Grambow. „Das Weihnachtsgeld wurde in drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht mehr gewährt, damit war die betriebliche Übung wieder weg.“ Das Bundesarbeitsgericht hat diese Regelung allerdings abgeschafft. Daher gibt es keine Auswege, sondern nur Chancen: Chance 1: Das Gespräch Ist eine betriebliche Übung unfreiwillig entstanden, empfiehlt Grambow, mit den Mitarbeitern zu sprechen und den Hintergrund zu erläutern: „Die meisten Arbeitnehmer verstehen es, wenn der Arbeitgeber erklärt, dass er den Mitarbeiter damit nicht ärgern will. Dass das Jahr einfach nicht gut gelaufen ist und er schaut, wie es in der Zukunft aussieht. Ob er dann beispielsweise wieder Weihnachtsgeld zahlen kann.“ Seiner Erfahrung nach funktioniert das aber nicht immer – denn mancher Arbeitnehmer besteht auf seinen Anspruch. „Das kann man zum Teil auch verstehen“, sagt Grambow, „denn er hat ja darauf vertraut, die gleiche Leistung weiterhin zu erhalten.“ Ist ein Arbeitnehmer uneinsichtig, empfiehlt Grambow, sich rechtlich beraten zu lassen: „So können Arbeitgeber herausfinden, ob wirklich eine betriebliche Übung entstanden ist. Ist das der Fall, ist das wie eine Vertragsergänzung und der Arbeitgeber kommt nicht ohne Weiteres wieder raus.“ Chance 2: Die Änderungskündigung In diesem Fall könne der Arbeitgeber eine Änderungskündigung vornehmen, also den Arbeitsvertrag zwar erhalten, aber ändern. Damit kommen Unternehmer laut Grambow vor Gericht aber kaum durch. Chance 3: Die Betriebsvereinbarung Ein anderer Ausweg: Gibt es in der Firma einen Betriebsrat, können Chefs versuchen, Voraussetzungen zur Betriebsübung in einer Betriebsvereinbarung festzuhalten. Darin können sie beispielsweise Regelungen für zukünftige Jahressonderzahlungen festlegen. Aber: „Die Rechtsprechung hat noch nicht endgültig geklärt, ob die Betriebsvereinbarung Ansprüche aus einer betrieblichen Übung ablösen und ersetzen kann“, sagt Grambow. „Ich bin der Meinung, das müsste grundsätzlich gehen. Weil eine kollektive Regelung durch eine andere kollektive Regelung abgelöst wird.“
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