Fehlzeiten senken
Weniger Krankmeldungen im Team – mit diesen Tipps

Was können Chefs tun, um Fehlzeiten zu senken? Ein Interview über Bettkantenentscheidungen, Willkommensgespräche und Anwesenheitsprämien.

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Pflaster drauf und gut ist? Ganz so einfach lassen sich Fehlzeiten leider nicht senken.
Pflaster drauf und gut ist? Ganz so einfach lassen sich Fehlzeiten leider nicht senken.

impulse: Frau Matyssek, Unternehmen geben eine Menge Geld aus, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu fördern und so Fehlzeiten zu senken: von ergonomischen Stühlen über Gratis-Obst bis hin zu Yoga.

Anne Katrin Matyssek: Das ist alles gut und wichtig – aber bei der Bettkantenentscheidung spielen ganz andere Faktoren eine Rolle.

Moment mal: Bettkantenentscheidung? Was ist denn das?

Das ist die Entscheidung, die ein Mitarbeiter jeden Morgen beim Aufstehen trifft: „Zur Arbeit gehen – oder krankmelden?“ Interessant wird’s vor allem im Graubereich, nämlich wenn sich der Mitarbeiter fragt: „Reicht mein Kopfweh zum Zuhausebleiben oder nicht?“

Wie kann ich als Chef da Einfluss nehmen?

Bei der Entscheidung spielen viele Fragen eine Rolle, auf die der Chef Einfluss hat – zum Beispiel: Fühlt sich der Mitarbeiter als Teil eines Teams? Versteht er sich gut mit seinen Kollegen? Freuen sich die anderen, wenn er nach einer Krankheit zurückkommt? Wird es überhaupt bemerkt, dass er weg war? Und dass er jetzt wieder da ist? Beantwortet er die Fragen mit Nein, wird er sich wahrscheinlich krankmelden. Das gilt insbesondere, wenn er einen eintönigen und womöglich auch noch schlecht bezahlten Job hat und die soziale Motivation das Einzige wäre, was ihn antreiben könnte.

Was geht sonst noch im Kopf des Mitarbeiters vor?

Zur Person
Anne Katrin Matyssek Anne Katrin Matyssek ist Trainerin und Beraterin für gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung. Auf ihrer Webseite https://www.do-care.de bietet die Diplom-Psychologin und approbierte Psychotherapeutin Materialien fürs betriebliche Gesundheitsmanagement an.

Er stellt sich die Frage: „Akzeptieren mein Chef und meine Kollegen, wenn ich nur zu 60 Prozent einsatzfähig bin?“ Keiner von uns ist jeden Tag hundertprozentig fit; entscheidend ist, dass der Mitarbeiter weiß: „Meinem Chef ist nicht egal, wie es mir geht.“ Dieses Signal ist in allen Phasen einer Krankmeldung wichtig.

Lassen Sie uns die einzelnen Phasen mal durchspielen: Ein Mitarbeiter ruft an und meldet sich krank …

In dieser Situation sind die folgenden drei Sätze wichtig: „Du wirst uns fehlen. Aber kurier dich erst einmal richtig aus: Ich brauche dich fit.“ So vermittele ich Wertschätzung und Fürsorge. Wichtig ist außerdem, dem Mitarbeiter eine Entlastung mit auf den Weg geben: „Ich kümmere mich um Kunde Soundso. Darüber musst du dir keinen Kopf machen.“

Was ist mit der Frage, wann der Mitarbeiter wieder fit ist?

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Die kann ich natürlich stellen. Ich sollte aber darauf achten, dass ich dadurch keinen Druck aufbaue. Ich könnte zum Beispiel sagen: „Bitte gib doch kurz Bescheid, wenn du weißt, wann wir wieder mit dir rechnen können. Du weißt ja selber, dass es für mich wichtig ist zu planen.“

Das alles kann ich aber nur sagen, wenn sich der Mitarbeiter bei mir persönlich krankmeldet.

Mein dringender Appell: Jeder Mitarbeiter sollte sich bei seiner direkten Führungskraft krankmelden. Viele Chefs empfinden diese Kommunikation als nervig und delegieren sie an den Personalverantwortlichen oder die Assistenz. Dadurch verschenken sie eine Chance zur Bindungsvertiefung.

Stichwort Bindungsvertiefung: Soll ich Mitarbeiter anrufen, während sie krankgeschrieben sind?

Ich rate definitiv davon ab, einfach anzurufen. Da kommt beim Mitarbeiter ganz schnell der Gedanke auf: „Der Chef macht den Kontrolletti“. Vereinbaren Sie lieber mit dem gesamten Team: „Wenn einer von euch länger als zehn Tage krank ist, möchte ich euch gern anrufen, damit ihr euch nicht vergessen fühlt.“ Am besten ist natürlich, wenn der Mitarbeiter von sich aus kurz Kontakt aufnimmt, wenn seine Krankmeldung verlängert wird.

Sie plädieren außerdem für ein Willkommensgespräch, wenn ein Mitarbeiter nach einer Krankmeldung zurückkehrt. Ist das nicht übertrieben nach ein paar Tagen Krankheit?

Finden Sie? Für mich ist es ganz normal, miteinander zu reden, wenn einer weg war und wiederkommt. Natürlich will der Mitarbeiter wissen, ob wir den dicken Auftrag bekommen haben und dass am Mittwoch Team-Meeting ist! Das gilt übrigens nicht nur bei Abwesenheit wegen Krankheit, sondern auch wegen Fortbildung, Heirat oder verlängertem Wochenende.

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„Willkommensgespräch“ klingt halt so offiziell.

Das muss kein förmlicher Termin sein, vielleicht reicht eine halbe Minute im Stehen auf dem Flur: eine namentliche Begrüßung – „Hallo Markus, schön, dass du wieder da bist“ – und ein kurzes Update: „Das und das ist in der Zwischenzeit passiert.“ Beim Willkommensgespräch nach einer Krankheit sind zwei weitere Fragen zu klären: „Hatte die Krankheit etwas mit der Arbeit zu tun?“ Und: „Ist weiterhin Schonung nötig?“

Zusammenfassend könnte man sagen: Chefs sollten mehr mit ihren Mitarbeitern reden. Aber davon verschwinden doch weder Rückenschmerzen noch die Erkältung meiner Leute!

Das Gespräch ersetzt natürlich nicht den Orthopäden. Die Umgebung nimmt aber durchaus Einfluss auf das Schmerzempfinden: Wenn ich mich für Fußball interessiere und im Fernsehen kommt ein spannendes Champions-League-Spiel, nehme ich Schmerzen weniger intensiv wahr, als wenn die ungeliebte Schwiegermutter vor der Tür steht. Ich rate daher Arbeitgebern: Versuchen Sie, für Ihre Leute das Champions-League-Spiel zu sein!

Was halten Sie von einer Anwesenheitsprämie für Mitarbeiter, die das ganze Jahr über nicht krank waren?

Anwesenheitsprämien sind Mumpitz. Sie belohnen körperliche Anwesenheit – doch wenn die Person nicht fit ist und deswegen ihre Arbeit nicht gut erledigen kann, ist damit niemandem geholfen. Fatal wird es, wenn Krankheiten verschleppt werden, weil der Mitarbeiter sich die Anwesenheitsprämie sichern will. Oder wenn sozialer Druck aufgebaut wird, weil die Anwesenheitsprämie womöglich teamweise gezahlt wird. Aber das Schlimmste ist: Mit einer Anwesenheitsprämie unterstelle ich meinen Mitarbeitern, dass sie arbeiten könnten, wenn sie nur wollten. So zerstöre ich jegliche Vertrauensbasis.

Haben Sie eine alternative Idee, die die Vertrauensbasis nicht gefährdet?

Durchaus überlegenswert finde ich eine kleine Anerkennung: Laden Sie beispielsweise diejenigen, die maximal zwei Fehltage hatten, zum Frühstück zu sich ein. Damit signalisieren Sie: „Hey, du hast bestimmt auch mal Kopfweh gehabt und hast dich gefragt: ‚Kommste oder kommste nicht?‘ und bist gekommen. Das hab‘ ich mitgekriegt und dafür möchte ich mich bedanken.“

Wie viel Prozent Fehlzeitenquote finden Sie eigentlich noch in Ordnung?

Das lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Denn einerseits hängt die Fehlzeitenquote stark von der Art des Arbeitsplatzes ab: In einem Drei-Schicht-Betrieb mit Fließbandarbeit ist sie garantiert deutlich höher als in einem klassischen KMU, wo die Chefin alle mit Namen kennt. Und auch die Altersstruktur spielt eine Rolle.

Je mehr ältere Mitarbeiter ich habe, desto höher die Quote?

Grundsätzlich ja. Insbesondere in einer älter werdenden Belegschaft muss eine Führungskraft außerdem lernen, auch mit 60 Prozent fitten Mitarbeitern klarkommen. Chefs, die das akzeptieren, werden immer eine niedrigere Fehlzeitenquote haben als jemand, der immer 100 Prozent Einsatz verlangt. Ich finde aber ohnehin, dass Zahlen-Daten-Fakten-Menschen sich viel zu sehr auf die Fehlzeitenquote fixieren.

Was ist denn schlecht daran?

Eine niedrige Fehlzeitenquote ist nun mal kein Garant für eine hohe Produktivität. Oder anders ausgedrückt: Wenn alle da sind, heißt das noch lange nicht, dass viel geschafft wird. Viel wichtiger für die Produktivität ist die Mitarbeiterzufriedenheit.

impulse: Frau Matyssek, Unternehmen geben eine Menge Geld aus, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu fördern und so Fehlzeiten zu senken: von ergonomischen Stühlen über Gratis-Obst bis hin zu Yoga. Anne Katrin Matyssek: Das ist alles gut und wichtig – aber bei der Bettkantenentscheidung spielen ganz andere Faktoren eine Rolle. Moment mal: Bettkantenentscheidung? Was ist denn das? Das ist die Entscheidung, die ein Mitarbeiter jeden Morgen beim Aufstehen trifft: „Zur Arbeit gehen - oder krankmelden?“ Interessant wird's vor allem im Graubereich, nämlich wenn sich der Mitarbeiter fragt: „Reicht mein Kopfweh zum Zuhausebleiben oder nicht?“ Wie kann ich als Chef da Einfluss nehmen? Bei der Entscheidung spielen viele Fragen eine Rolle, auf die der Chef Einfluss hat - zum Beispiel: Fühlt sich der Mitarbeiter als Teil eines Teams? Versteht er sich gut mit seinen Kollegen? Freuen sich die anderen, wenn er nach einer Krankheit zurückkommt? Wird es überhaupt bemerkt, dass er weg war? Und dass er jetzt wieder da ist? Beantwortet er die Fragen mit Nein, wird er sich wahrscheinlich krankmelden. Das gilt insbesondere, wenn er einen eintönigen und womöglich auch noch schlecht bezahlten Job hat und die soziale Motivation das Einzige wäre, was ihn antreiben könnte. Was geht sonst noch im Kopf des Mitarbeiters vor? Er stellt sich die Frage: „Akzeptieren mein Chef und meine Kollegen, wenn ich nur zu 60 Prozent einsatzfähig bin?“ Keiner von uns ist jeden Tag hundertprozentig fit; entscheidend ist, dass der Mitarbeiter weiß: „Meinem Chef ist nicht egal, wie es mir geht.“ Dieses Signal ist in allen Phasen einer Krankmeldung wichtig. Lassen Sie uns die einzelnen Phasen mal durchspielen: Ein Mitarbeiter ruft an und meldet sich krank ... In dieser Situation sind die folgenden drei Sätze wichtig: „Du wirst uns fehlen. Aber kurier dich erst einmal richtig aus: Ich brauche dich fit.“ So vermittele ich Wertschätzung und Fürsorge. Wichtig ist außerdem, dem Mitarbeiter eine Entlastung mit auf den Weg geben: „Ich kümmere mich um Kunde Soundso. Darüber musst du dir keinen Kopf machen.“ Was ist mit der Frage, wann der Mitarbeiter wieder fit ist? Die kann ich natürlich stellen. Ich sollte aber darauf achten, dass ich dadurch keinen Druck aufbaue. Ich könnte zum Beispiel sagen: „Bitte gib doch kurz Bescheid, wenn du weißt, wann wir wieder mit dir rechnen können. Du weißt ja selber, dass es für mich wichtig ist zu planen.“ Das alles kann ich aber nur sagen, wenn sich der Mitarbeiter bei mir persönlich krankmeldet. Mein dringender Appell: Jeder Mitarbeiter sollte sich bei seiner direkten Führungskraft krankmelden. Viele Chefs empfinden diese Kommunikation als nervig und delegieren sie an den Personalverantwortlichen oder die Assistenz. Dadurch verschenken sie eine Chance zur Bindungsvertiefung. Stichwort Bindungsvertiefung: Soll ich Mitarbeiter anrufen, während sie krankgeschrieben sind? Ich rate definitiv davon ab, einfach anzurufen. Da kommt beim Mitarbeiter ganz schnell der Gedanke auf: „Der Chef macht den Kontrolletti“. Vereinbaren Sie lieber mit dem gesamten Team: „Wenn einer von euch länger als zehn Tage krank ist, möchte ich euch gern anrufen, damit ihr euch nicht vergessen fühlt.“ Am besten ist natürlich, wenn der Mitarbeiter von sich aus kurz Kontakt aufnimmt, wenn seine Krankmeldung verlängert wird. Sie plädieren außerdem für ein Willkommensgespräch, wenn ein Mitarbeiter nach einer Krankmeldung zurückkehrt. Ist das nicht übertrieben nach ein paar Tagen Krankheit? Finden Sie? Für mich ist es ganz normal, miteinander zu reden, wenn einer weg war und wiederkommt. Natürlich will der Mitarbeiter wissen, ob wir den dicken Auftrag bekommen haben und dass am Mittwoch Team-Meeting ist! Das gilt übrigens nicht nur bei Abwesenheit wegen Krankheit, sondern auch wegen Fortbildung, Heirat oder verlängertem Wochenende. „Willkommensgespräch“ klingt halt so offiziell. Das muss kein förmlicher Termin sein, vielleicht reicht eine halbe Minute im Stehen auf dem Flur: eine namentliche Begrüßung - „Hallo Markus, schön, dass du wieder da bist“ - und ein kurzes Update: „Das und das ist in der Zwischenzeit passiert.“ Beim Willkommensgespräch nach einer Krankheit sind zwei weitere Fragen zu klären: „Hatte die Krankheit etwas mit der Arbeit zu tun?“ Und: „Ist weiterhin Schonung nötig?“ Zusammenfassend könnte man sagen: Chefs sollten mehr mit ihren Mitarbeitern reden. Aber davon verschwinden doch weder Rückenschmerzen noch die Erkältung meiner Leute! Das Gespräch ersetzt natürlich nicht den Orthopäden. Die Umgebung nimmt aber durchaus Einfluss auf das Schmerzempfinden: Wenn ich mich für Fußball interessiere und im Fernsehen kommt ein spannendes Champions-League-Spiel, nehme ich Schmerzen weniger intensiv wahr, als wenn die ungeliebte Schwiegermutter vor der Tür steht. Ich rate daher Arbeitgebern: Versuchen Sie, für Ihre Leute das Champions-League-Spiel zu sein! Was halten Sie von einer Anwesenheitsprämie für Mitarbeiter, die das ganze Jahr über nicht krank waren? Anwesenheitsprämien sind Mumpitz. Sie belohnen körperliche Anwesenheit – doch wenn die Person nicht fit ist und deswegen ihre Arbeit nicht gut erledigen kann, ist damit niemandem geholfen. Fatal wird es, wenn Krankheiten verschleppt werden, weil der Mitarbeiter sich die Anwesenheitsprämie sichern will. Oder wenn sozialer Druck aufgebaut wird, weil die Anwesenheitsprämie womöglich teamweise gezahlt wird. Aber das Schlimmste ist: Mit einer Anwesenheitsprämie unterstelle ich meinen Mitarbeitern, dass sie arbeiten könnten, wenn sie nur wollten. So zerstöre ich jegliche Vertrauensbasis. Haben Sie eine alternative Idee, die die Vertrauensbasis nicht gefährdet? Durchaus überlegenswert finde ich eine kleine Anerkennung: Laden Sie beispielsweise diejenigen, die maximal zwei Fehltage hatten, zum Frühstück zu sich ein. Damit signalisieren Sie: „Hey, du hast bestimmt auch mal Kopfweh gehabt und hast dich gefragt: 'Kommste oder kommste nicht?' und bist gekommen. Das hab' ich mitgekriegt und dafür möchte ich mich bedanken.“ Wie viel Prozent Fehlzeitenquote finden Sie eigentlich noch in Ordnung? Das lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Denn einerseits hängt die Fehlzeitenquote stark von der Art des Arbeitsplatzes ab: In einem Drei-Schicht-Betrieb mit Fließbandarbeit ist sie garantiert deutlich höher als in einem klassischen KMU, wo die Chefin alle mit Namen kennt. Und auch die Altersstruktur spielt eine Rolle. Je mehr ältere Mitarbeiter ich habe, desto höher die Quote? Grundsätzlich ja. Insbesondere in einer älter werdenden Belegschaft muss eine Führungskraft außerdem lernen, auch mit 60 Prozent fitten Mitarbeitern klarkommen. Chefs, die das akzeptieren, werden immer eine niedrigere Fehlzeitenquote haben als jemand, der immer 100 Prozent Einsatz verlangt. Ich finde aber ohnehin, dass Zahlen-Daten-Fakten-Menschen sich viel zu sehr auf die Fehlzeitenquote fixieren. Was ist denn schlecht daran? Eine niedrige Fehlzeitenquote ist nun mal kein Garant für eine hohe Produktivität. Oder anders ausgedrückt: Wenn alle da sind, heißt das noch lange nicht, dass viel geschafft wird. Viel wichtiger für die Produktivität ist die Mitarbeiterzufriedenheit.
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