Anwesenheitsprämie
Mit einer Prämie den Krankenstand senken? Das müssen Sie wissen

Eine Anwesenheitsprämie soll helfen, Fehlzeiten zu reduzieren. Doch ist so ein Bonus erlaubt? Wie hoch darf er sein? Und bringt die Prämie überhaupt den gewünschten Effekt? Die wichtigsten Fakten.

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Anwesenheitsprämie
© Elizabeth Fernandez / Moment / Getty Images

Die Fehlzeiten von Berufstätigen haben 2023 erneut einen Höchststand erreicht. Laut der aktuellen Krankenstandsanalyse der DAK fehlten Beschäftigte im vergangenen Jahr im Durchschnitt 20 Tage mit einer Krankschreibung im Job. Der Krankenstand lag damit im Jahr 2023 bei 5,5 Prozent. Viele Unternehmen versuchen, die Fehlzeiten mithilfe einer Anwesenheitsprämie zu senken – und damit Kosten zu sparen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was ist eine Anwesenheitsprämie?

Mit einer Anwesenheitsprämie können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber jene Angestellten finanziell belohnen, die immer anwesend sind – oder nur sehr selten krank. Die Idee dahinter: Manch einer, der sich vielleicht nur ein wenig unwohl fühlt, wird sich deshalb nicht gleich über einen langen Zeitraum krankschreiben lassen. Und auch wer überlegt, unmittelbar nach oder vor einem Wochenende krankzufeiern, hat nun möglicherweise einen weiteren Grund, dies nicht zu tun.

Wie kann die Anwesenheitsprämie gestaltet werden?

Die genaue Ausgestaltung einer Prämie für Anwesenheit im Betrieb kann sehr unterschiedlich ausfallen. Das sind drei typische Modelle:

  • Die Angestellten erhalten am Ende eines Jahres eine Prämie, beispielsweise 300 Euro. Diese Prämie wird pro Fehltag um einen bestimmten Betrag gekürzt.
  • Die Angestellten erhalten am Ende eines Jahres eine Prämie. Pro Monat, in dem sie krank waren, wird die Prämie um ein Zwölftel gekürzt.
  • Angestellte erhalten für jeden Monat, in dem sie nicht krank waren, einen Bonus (oder einen steuerfreien Sachbezug, mehr dazu unten).

Ist eine Anwesenheitsprämie rechtlich erlaubt?

Arbeitsrechtlich betrachtet ist es zulässig, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen jene Angestellten finanziell belohnen, die selten oder nie wegen Arbeitsunfähigkeit ausfallen. „Es gibt eine gesetzliche Regelung im Entgeltfortzahlungsgesetz zur Frage, wie stark eine Sondervergütung wie die Anwesenheitsprämie im Krankheitsfall gekürzt werden darf. Das impliziert, dass sie grundsätzlich erlaubt ist“, erklärt Eva Wißler, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin der Kanzlei Pusch Wahlig Workplace Law in Frankfurt am Main. (Zu den Details der Kürzungsregelung siehe unten.)

Dass sich Menschen durch solch eine Prämie diskriminiert fühlen könnten, etwa chronisch Kranke, sei zwar nachvollziehbar. „Andererseits gibt es auch andere Gehaltsbestandteile, die man nicht immer selbst in der Hand hat – etwa eine Gewinnbeteiligung,“ sagt Wißler. „Umgekehrt profitieren Menschen, die krank sind, von der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Angestellte, die immer anwesend sind, aber nicht. Und das, obwohl sie gleichzeitig mitunter sehr viel Arbeit der kranken Kollegen auffangen müssen“, sagt die Arbeitsrechtlerin.

Wie gerecht eine Prämie ist, die Nicht-Kranksein belohnt – also etwas, das viele Menschen nicht beeinflussen können –, sei eine Frage, die Arbeitgeber selbst beantworten müssten. „Auf die rechtliche Zulässigkeit der Anwesenheitsprämie hat das keinen Einfluss.“

Die Expertinnen
eva wisslerEva Wißler ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin bei der Kanzlei Pusch Wahlig Workplace Law in Frankfurt am Main. Wißler berät Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu allen Fragen des Arbeitsrechts.
 

matilda von gierke anwesenheitspraemieMatilda von Gierke hat lange Unternehmen in HR-Themen beraten. 2015 gründete sie die Unternehmensberatung Zalvus, die Firmen hilft, mit modernen Technologien datengetrieben Fachkräfte zu finden - selbst wenn diese nicht aktiv auf Jobsuche sind.

Wie stark darf die Prämie pro Krankheitstag reduziert werden?

Paragraf 4a Entgeltfortzahlungsgesetz schreibt fest: „Die Kürzung darf für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten.“ Um den maximalen Kürzungsbetrag zu berechnen muss also das Jahresbruttoentgelt zunächst durch die Zahl der Arbeitstage geteilt werden – und anschließend noch durch vier.

Beispiel: Eine Arbeitgeberin belohnt Mitarbeiter, die nie krank sind, mit einer Anwesenheitsprämie von 500 Euro pro Jahr. Eine Mitarbeiterin des Unternehmens verdient 60.000 Euro im Jahr, die Zahl der Arbeitstage liegt in einem Jahr bei 220 – und sie war drei Tage krank.

Pro Tag Arbeitsunfähigkeit dürfte die Arbeitgeberin die Anwesenheitsprämie um 68,18 Euro kürzen (60.000 Euro : 220 : 4). Bei drei Krankheitstagen würden also 204,54 Euro wegfallen. Damit bekäme die Angestellte am Ende des Jahres noch eine Anwesenheitsprämie von 295,46 Euro (500 Euro – 204,54 Euro).

Wie hoch darf eine Anwesenheitsprämie sein?

Eine Höchstgrenze für eine Gesundheitsprämie sieht das Gesetz nicht vor. Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen dürfen Angestellten, die besonders konstant anwesend sind, also so viel extra zahlen wie sie wollen.

Sehr hoch sind die Prämien in der Praxis meist trotzdem nicht. Der Grund: „Weil die Kürzung der Anwesenheitsprämie für jeden Tag, den jemand ausfällt, gesetzlich stark beschränkt ist, bräuchte es bei einer hohen Prämie viele Krankheitstage, bis die Prämie ganz wegfällt“, sagt Anwältin Wißler. Damit biete eine hohe Prämie kaum mehr einen Anreiz, möglichst immer anwesend zu sein.

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Ist eine Anwesenheitsprämie steuerfrei?

Eine Anwesenheitsprämie ist in aller Regel ein Bestandteil des normalen Entgelts – wie ein Bonus auch. „Damit fallen auf die Anwesenheitsprämie die üblichen Steuern und Sozialabgaben an“, so Expertin Wißler. Es sei denn, Angestellte kommen durch die Anwesenheitsprämie mit ihrem Jahresentgelt über die Beitragsbemessungsgrenzen der gesetzlichen Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung. „Dann ist der Betrag, der über dieser Grenze liegt, sozialabgabenfrei.“

Steuerfrei kann die Prämie nur dann sein, wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sie monatlich als sogenannten Sachbezug ausschütten. Das ist etwa der Fall, wenn Angestellte, die in einem Monat keine Krankheitstage aufweisen, dafür einen Gutschein erhalten. Wichtig: Der Wert des Sachbezugs darf die aktuelle gesetzliche Freigrenze nicht überschreiten – sonst muss die gesamte Prämie versteuert werden. 2023 liegt die monatliche Sachbezugsfreigrenze bei 50 Euro.

Wie muss eine Anwesenheitsprämie festgeschrieben sein?

Wollen Arbeitgeber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Anwesenheitsprämie zahlen, muss dies schriftlich fixiert werden. Dabei besteht eine sogenannte Normenhierarchie. Ist ein Unternehmen an einen Tarifvertrag gebunden, der eine Anwesenheitsprämie regelt, müssen sich Arbeitgeber an diese Vorgaben halten.

Gibt es keinen Tarifvertrag, aber einen Betriebsrat, muss eine Anwesenheitsprämie über eine Betriebsvereinbarung geregelt werden. „Eine Anwesenheitsprämie betrifft die sogenannten ‚betrieblichen Entlohnungsgrundsätze‘“, sagt Arbeitsrechtlerin Wißler. „Deshalb müssen Arbeitgeber den Betriebsrat immer beteiligen, wenn sie eine Anwesenheitsprämie einführen wollen oder die Regelungen dazu ändern möchten.“

Mehr dazu hier: Vertrag mit dem Betriebsrat: Diese Streitthemen können Sie in einer Betriebsvereinbarung regeln

Gibt es dagegen keinen Betriebsrat, können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Wißler die Anwesenheitsprämie im Arbeitsvertrag festschreiben.

Darf die Anwesenheitsprämie bei einem Arbeitsunfall gekürzt werden?

Laut einem Urteil des Landgerichts Düsseldorf (AZ 17 Sa 1797/97) dürfen Arbeitgeber die Anwesenheitsprämie auch dann kürzen, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter infolge eines Arbeitsunfalls ausfallen. „In der Praxis aber geschieht das fast nie. Denn bei Arbeitsunfällen nehmen die meisten Arbeitgeber Anteil und kürzen eher nicht, weil sie es unfair finden“, sagt Anwältin Wißler.

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Kritik an der Anwesenheitsprämie

Personal- und Führungsexperten sehen die Anwesenheitsprämie kritisch: „Anwesenheitsprämien zeigen nur eines – die Abwesenheit von gesundem Menschenverstand“, sagt etwa Matilda von Gierke, die lange Unternehmen in Personalfragen beraten hat und das Headhunting-Unternehmen Zervus leitet. Sie sieht vor allem vier Argumente, die gegen eine Anwesenheitsprämie sprechen.

  1. Eine Anwesenheitsprämie animiert Menschen, trotz Krankheit weiter zu arbeiten – fördert also sogenannten Präsentismus. Damit können sie im Fall einer Infektionskrankheit andere anstecken, Studien zufolge erhöht Präsentismus außerdem langfristig das Risiko zu erkranken.
  2. Chronisch Kranke, Ältere und auch Eltern, die Kinderkrankentage nehmen, haben statistisch betrachtet schlechtere Chancen auf eine Anwesenheitsprämie – damit ist eine Anwesenheitsprämie als Belohnungsmodell von vornherein unfair.
  3. Eine Anwesenheitsprämie ist Gift für eine motivierende Unternehmenskultur – da sie auf Misstrauen beruht. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vermitteln damit, dass sie davon ausgehen, alle Angestellten würden ohne diesen zusätzlichen Anreiz grundsätzlich gern blaumachen. Zudem werden Gesunde gegen Kranke ausgespielt, was für eine schlechte Stimmung im Team sorgen kann.
  4. Eine Prämie sollte eine echte Belohnung sein und helfen, ein Verhalten günstig zu beeinflussen. Da aber beispielsweise Menschen mit Migräne oder Rückenbeschwerden keinen oder kaum Einfluss darauf haben, wie oft sie ausfallen, ist die Anwesenheitsprämie eine Art Glücksbonus für Dauergesunde.

„Ich verstehe, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen alles versuchen wollen, damit Angestellte möglichst viel anwesend sind. Aber eine Anwesenheitsprämie ist absolut nicht zielführend und eher ein Ausdruck von Verzweiflung“, so Personalexpertin von Gierke.

Vielversprechender sei, ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen gerne zur Arbeit kommen. „Wenn Teammitglieder mit den eigenen Aufgaben und den Kollegen zufrieden sind, kommen sie auch gerne zur Arbeit“, sagt von Gierke. Dafür brauche es eine Unternehmenskultur, in der es Spaß macht zu arbeiten und klar ist, worin der Sinn liegt der Arbeit liegt. „Und dann braucht man Anwesenheit auch nicht extra belohnen.“

Hilft eine Anwesenheitsprämie überhaupt gegen Blaumacher?

Viele Unternehmen führen eine Anwesenheitsprämie ein, um Angestellte vom Blaumachen abzuhalten. Ein Team um Wirtschaftswissenschaftler Jakob Alfitian, Wirtschaftswissenschaftler der Uni Köln, hat jedoch gezeigt: Solch eine Prämie bewirkt das Gegenteil.

Für ihre Studie hatten die Forscher ein Jahr lang bei Filialen einer Einzelhandelskette untersucht, welche Wirkungen es hat, wenn es Anwesenheitsprämien gibt. Ergebnis: Nach Einführung des Bonus stieg die Zahl der Fehltage um 45 Prozent. Eine Erklärung der Forscher: Wenn Unternehmen Anwesenheit belohnen, betrachten Angestellte die Abwesenheit als akzeptables Verhalten – das ergaben Umfragen in der Belegschaft.

Welche finanziellen Alternativen gibt es zur Anwesenheitsprämie?

Sowohl Arbeitsrechtlerin Wißler als auch Personalexpertin von Gierke beobachten: In der Praxis wenden Unternehmen immer seltener Anwesenheitsprämien an.

  • Individueller Bonus: Um Angestellte zu belohnen, die regelmäßig – oder in besonderem Maß – Arbeit kranker Teammitglieder übernehmen, könnten Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen ihnen eine individuelle Leistungsprämie zahlen. „Bei solchen Boni für Einzelne müssen Sie zwar immer gut begründen können, warum der eine eine Extra-Zahlung bekommt und der andere nicht. Aber wenn jemand eine starke Leistung gezeigt hat, ist das durchaus möglich“, so Arbeitsrechtlerin Wißler.
  • Erfolgsprämien: Personalexpertin von Gierke plädiert dafür, Teamziele zu definieren und Prämien auszuschütten, wenn diese erreicht werden. „Diese Ziele lassen sich erstens gemeinsam definieren und sind zweitens auch über die eigene Arbeit beeinflussbar. Beides motiviert sehr viel besser als eine Anwesenheitsprämie, die alle Kranken unterschwellig unterstellt, blauzumachen.

Gibt es ein Muster für eine Regelung zur Anwesenheitsprämie?

Wer als Arbeitgeber und Arbeitgeberin dennoch eine Anwesenheitsprämie im Unternehmen einführen möchte, benutzt dafür häufig Mustervereinbarungen. Um aber zu verhindern, dass die Regelungen für allzu viel böses Blut in der Belegschaft führen, sollten die Bedingungen der Anwesenheitsprämie mit dem Team entwickelt werden. Dann könnten in Unternehmen, etwa Pflegeunternehmen, körperlich schwer arbeitende Teammitglieder, die womöglich noch viel Kontakt zu Kranken haben, Sonderregelungen erhalten.

Die Fehlzeiten von Berufstätigen haben 2023 erneut einen Höchststand erreicht. Laut der aktuellen Krankenstandsanalyse der DAK fehlten Beschäftigte im vergangenen Jahr im Durchschnitt 20 Tage mit einer Krankschreibung im Job. Der Krankenstand lag damit im Jahr 2023 bei 5,5 Prozent. Viele Unternehmen versuchen, die Fehlzeiten mithilfe einer Anwesenheitsprämie zu senken – und damit Kosten zu sparen. Antworten auf die wichtigsten Fragen. Was ist eine Anwesenheitsprämie? Mit einer Anwesenheitsprämie können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber jene Angestellten finanziell belohnen, die immer anwesend sind – oder nur sehr selten krank. Die Idee dahinter: Manch einer, der sich vielleicht nur ein wenig unwohl fühlt, wird sich deshalb nicht gleich über einen langen Zeitraum krankschreiben lassen. Und auch wer überlegt, unmittelbar nach oder vor einem Wochenende krankzufeiern, hat nun möglicherweise einen weiteren Grund, dies nicht zu tun. Wie kann die Anwesenheitsprämie gestaltet werden? Die genaue Ausgestaltung einer Prämie für Anwesenheit im Betrieb kann sehr unterschiedlich ausfallen. Das sind drei typische Modelle: Die Angestellten erhalten am Ende eines Jahres eine Prämie, beispielsweise 300 Euro. Diese Prämie wird pro Fehltag um einen bestimmten Betrag gekürzt. Die Angestellten erhalten am Ende eines Jahres eine Prämie. Pro Monat, in dem sie krank waren, wird die Prämie um ein Zwölftel gekürzt. Angestellte erhalten für jeden Monat, in dem sie nicht krank waren, einen Bonus (oder einen steuerfreien Sachbezug, mehr dazu unten). Ist eine Anwesenheitsprämie rechtlich erlaubt? Arbeitsrechtlich betrachtet ist es zulässig, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen jene Angestellten finanziell belohnen, die selten oder nie wegen Arbeitsunfähigkeit ausfallen. „Es gibt eine gesetzliche Regelung im Entgeltfortzahlungsgesetz zur Frage, wie stark eine Sondervergütung wie die Anwesenheitsprämie im Krankheitsfall gekürzt werden darf. Das impliziert, dass sie grundsätzlich erlaubt ist“, erklärt Eva Wißler, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin der Kanzlei Pusch Wahlig Workplace Law in Frankfurt am Main. (Zu den Details der Kürzungsregelung siehe unten.) Dass sich Menschen durch solch eine Prämie diskriminiert fühlen könnten, etwa chronisch Kranke, sei zwar nachvollziehbar. „Andererseits gibt es auch andere Gehaltsbestandteile, die man nicht immer selbst in der Hand hat – etwa eine Gewinnbeteiligung,“ sagt Wißler. „Umgekehrt profitieren Menschen, die krank sind, von der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Angestellte, die immer anwesend sind, aber nicht. Und das, obwohl sie gleichzeitig mitunter sehr viel Arbeit der kranken Kollegen auffangen müssen“, sagt die Arbeitsrechtlerin. Wie gerecht eine Prämie ist, die Nicht-Kranksein belohnt – also etwas, das viele Menschen nicht beeinflussen können –, sei eine Frage, die Arbeitgeber selbst beantworten müssten. „Auf die rechtliche Zulässigkeit der Anwesenheitsprämie hat das keinen Einfluss.“ [zur-person] Wie stark darf die Prämie pro Krankheitstag reduziert werden? Paragraf 4a Entgeltfortzahlungsgesetz schreibt fest: „Die Kürzung darf für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten.“ Um den maximalen Kürzungsbetrag zu berechnen muss also das Jahresbruttoentgelt zunächst durch die Zahl der Arbeitstage geteilt werden – und anschließend noch durch vier. Beispiel: Eine Arbeitgeberin belohnt Mitarbeiter, die nie krank sind, mit einer Anwesenheitsprämie von 500 Euro pro Jahr. Eine Mitarbeiterin des Unternehmens verdient 60.000 Euro im Jahr, die Zahl der Arbeitstage liegt in einem Jahr bei 220 – und sie war drei Tage krank. Pro Tag Arbeitsunfähigkeit dürfte die Arbeitgeberin die Anwesenheitsprämie um 68,18 Euro kürzen (60.000 Euro : 220 : 4). Bei drei Krankheitstagen würden also 204,54 Euro wegfallen. Damit bekäme die Angestellte am Ende des Jahres noch eine Anwesenheitsprämie von 295,46 Euro (500 Euro - 204,54 Euro). Wie hoch darf eine Anwesenheitsprämie sein? Eine Höchstgrenze für eine Gesundheitsprämie sieht das Gesetz nicht vor. Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen dürfen Angestellten, die besonders konstant anwesend sind, also so viel extra zahlen wie sie wollen. Sehr hoch sind die Prämien in der Praxis meist trotzdem nicht. Der Grund: „Weil die Kürzung der Anwesenheitsprämie für jeden Tag, den jemand ausfällt, gesetzlich stark beschränkt ist, bräuchte es bei einer hohen Prämie viele Krankheitstage, bis die Prämie ganz wegfällt“, sagt Anwältin Wißler. Damit biete eine hohe Prämie kaum mehr einen Anreiz, möglichst immer anwesend zu sein. Ist eine Anwesenheitsprämie steuerfrei? Eine Anwesenheitsprämie ist in aller Regel ein Bestandteil des normalen Entgelts – wie ein Bonus auch. „Damit fallen auf die Anwesenheitsprämie die üblichen Steuern und Sozialabgaben an“, so Expertin Wißler. Es sei denn, Angestellte kommen durch die Anwesenheitsprämie mit ihrem Jahresentgelt über die Beitragsbemessungsgrenzen der gesetzlichen Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung. „Dann ist der Betrag, der über dieser Grenze liegt, sozialabgabenfrei.“ Steuerfrei kann die Prämie nur dann sein, wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sie monatlich als sogenannten Sachbezug ausschütten. Das ist etwa der Fall, wenn Angestellte, die in einem Monat keine Krankheitstage aufweisen, dafür einen Gutschein erhalten. Wichtig: Der Wert des Sachbezugs darf die aktuelle gesetzliche Freigrenze nicht überschreiten – sonst muss die gesamte Prämie versteuert werden. 2023 liegt die monatliche Sachbezugsfreigrenze bei 50 Euro. Wie muss eine Anwesenheitsprämie festgeschrieben sein? Wollen Arbeitgeber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Anwesenheitsprämie zahlen, muss dies schriftlich fixiert werden. Dabei besteht eine sogenannte Normenhierarchie. Ist ein Unternehmen an einen Tarifvertrag gebunden, der eine Anwesenheitsprämie regelt, müssen sich Arbeitgeber an diese Vorgaben halten. Gibt es keinen Tarifvertrag, aber einen Betriebsrat, muss eine Anwesenheitsprämie über eine Betriebsvereinbarung geregelt werden. „Eine Anwesenheitsprämie betrifft die sogenannten ‚betrieblichen Entlohnungsgrundsätze‘“, sagt Arbeitsrechtlerin Wißler. „Deshalb müssen Arbeitgeber den Betriebsrat immer beteiligen, wenn sie eine Anwesenheitsprämie einführen wollen oder die Regelungen dazu ändern möchten.“ Mehr dazu hier: Vertrag mit dem Betriebsrat: Diese Streitthemen können Sie in einer Betriebsvereinbarung regeln Gibt es dagegen keinen Betriebsrat, können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Wißler die Anwesenheitsprämie im Arbeitsvertrag festschreiben. Darf die Anwesenheitsprämie bei einem Arbeitsunfall gekürzt werden? Laut einem Urteil des Landgerichts Düsseldorf (AZ 17 Sa 1797/97) dürfen Arbeitgeber die Anwesenheitsprämie auch dann kürzen, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter infolge eines Arbeitsunfalls ausfallen. „In der Praxis aber geschieht das fast nie. Denn bei Arbeitsunfällen nehmen die meisten Arbeitgeber Anteil und kürzen eher nicht, weil sie es unfair finden“, sagt Anwältin Wißler. Kritik an der Anwesenheitsprämie Personal- und Führungsexperten sehen die Anwesenheitsprämie kritisch: „Anwesenheitsprämien zeigen nur eines – die Abwesenheit von gesundem Menschenverstand“, sagt etwa Matilda von Gierke, die lange Unternehmen in Personalfragen beraten hat und das Headhunting-Unternehmen Zervus leitet. Sie sieht vor allem vier Argumente, die gegen eine Anwesenheitsprämie sprechen. Eine Anwesenheitsprämie animiert Menschen, trotz Krankheit weiter zu arbeiten – fördert also sogenannten Präsentismus. Damit können sie im Fall einer Infektionskrankheit andere anstecken, Studien zufolge erhöht Präsentismus außerdem langfristig das Risiko zu erkranken. Chronisch Kranke, Ältere und auch Eltern, die Kinderkrankentage nehmen, haben statistisch betrachtet schlechtere Chancen auf eine Anwesenheitsprämie – damit ist eine Anwesenheitsprämie als Belohnungsmodell von vornherein unfair. Eine Anwesenheitsprämie ist Gift für eine motivierende Unternehmenskultur – da sie auf Misstrauen beruht. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vermitteln damit, dass sie davon ausgehen, alle Angestellten würden ohne diesen zusätzlichen Anreiz grundsätzlich gern blaumachen. Zudem werden Gesunde gegen Kranke ausgespielt, was für eine schlechte Stimmung im Team sorgen kann. Eine Prämie sollte eine echte Belohnung sein und helfen, ein Verhalten günstig zu beeinflussen. Da aber beispielsweise Menschen mit Migräne oder Rückenbeschwerden keinen oder kaum Einfluss darauf haben, wie oft sie ausfallen, ist die Anwesenheitsprämie eine Art Glücksbonus für Dauergesunde. „Ich verstehe, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen alles versuchen wollen, damit Angestellte möglichst viel anwesend sind. Aber eine Anwesenheitsprämie ist absolut nicht zielführend und eher ein Ausdruck von Verzweiflung“, so Personalexpertin von Gierke. Vielversprechender sei, ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen gerne zur Arbeit kommen. „Wenn Teammitglieder mit den eigenen Aufgaben und den Kollegen zufrieden sind, kommen sie auch gerne zur Arbeit“, sagt von Gierke. Dafür brauche es eine Unternehmenskultur, in der es Spaß macht zu arbeiten und klar ist, worin der Sinn liegt der Arbeit liegt. „Und dann braucht man Anwesenheit auch nicht extra belohnen.“ [mehr-zum-thema] Hilft eine Anwesenheitsprämie überhaupt gegen Blaumacher? Viele Unternehmen führen eine Anwesenheitsprämie ein, um Angestellte vom Blaumachen abzuhalten. Ein Team um Wirtschaftswissenschaftler Jakob Alfitian, Wirtschaftswissenschaftler der Uni Köln, hat jedoch gezeigt: Solch eine Prämie bewirkt das Gegenteil. Für ihre Studie hatten die Forscher ein Jahr lang bei Filialen einer Einzelhandelskette untersucht, welche Wirkungen es hat, wenn es Anwesenheitsprämien gibt. Ergebnis: Nach Einführung des Bonus stieg die Zahl der Fehltage um 45 Prozent. Eine Erklärung der Forscher: Wenn Unternehmen Anwesenheit belohnen, betrachten Angestellte die Abwesenheit als akzeptables Verhalten – das ergaben Umfragen in der Belegschaft. Welche finanziellen Alternativen gibt es zur Anwesenheitsprämie? Sowohl Arbeitsrechtlerin Wißler als auch Personalexpertin von Gierke beobachten: In der Praxis wenden Unternehmen immer seltener Anwesenheitsprämien an. Individueller Bonus: Um Angestellte zu belohnen, die regelmäßig – oder in besonderem Maß – Arbeit kranker Teammitglieder übernehmen, könnten Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen ihnen eine individuelle Leistungsprämie zahlen. „Bei solchen Boni für Einzelne müssen Sie zwar immer gut begründen können, warum der eine eine Extra-Zahlung bekommt und der andere nicht. Aber wenn jemand eine starke Leistung gezeigt hat, ist das durchaus möglich“, so Arbeitsrechtlerin Wißler. Erfolgsprämien: Personalexpertin von Gierke plädiert dafür, Teamziele zu definieren und Prämien auszuschütten, wenn diese erreicht werden. „Diese Ziele lassen sich erstens gemeinsam definieren und sind zweitens auch über die eigene Arbeit beeinflussbar. Beides motiviert sehr viel besser als eine Anwesenheitsprämie, die alle Kranken unterschwellig unterstellt, blauzumachen. Gibt es ein Muster für eine Regelung zur Anwesenheitsprämie? Wer als Arbeitgeber und Arbeitgeberin dennoch eine Anwesenheitsprämie im Unternehmen einführen möchte, benutzt dafür häufig Mustervereinbarungen. Um aber zu verhindern, dass die Regelungen für allzu viel böses Blut in der Belegschaft führen, sollten die Bedingungen der Anwesenheitsprämie mit dem Team entwickelt werden. Dann könnten in Unternehmen, etwa Pflegeunternehmen, körperlich schwer arbeitende Teammitglieder, die womöglich noch viel Kontakt zu Kranken haben, Sonderregelungen erhalten.