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Wenn die Erkältungswelle rollt, sind sie wieder in vielen Firmen zu sehen: Schniefende Mitarbeiter, die sich mit letzter Kraft zur Arbeit schleppen. Sie meinen es gut, wollen ihre Kollegen nicht hängen lassen oder beweisen, wie hart im Nehmen sie sind. Was sie dabei nicht bedenken: Sie schaden nicht nur sich selbst, sondern auch dem Unternehmen – und das aus mehreren Gründen.
Als wandelnde Virenschleuder stecken sie andere Kollegen an und sind weniger produktiv. Mehr noch: Mit dickem Kopf und müden Augen können ihnen schneller Fehler unterlaufen. Fehler, die teuer werden können. Experten gehen davon, dass die Kosten, die durch kranke Mitarbeiter am Arbeitsplatz verursacht werden, höher sind als die durch Fehlzeiten. Einer Studie der Unternehmensberatung Booz & Company zufolge liegen die Kosten bei jährlich 2394 Euro pro Kopf.
Was eigentlich ist Präsentismus?
Einen wissenschaftlichen Namen trägt das Phänomen mittlerweile auch: Man spricht von Präsentismus, wenn kranke Mitarbeiter, die sich besser daheim auskurieren sollten, zur Arbeit gehen. Wie verbreitet Präsentismus ist, zeigte die Erwerbstätigenbefragung 2011/2012, die gemeinsam von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und vom Bundesinstitut für Berufsbildung durchgeführt wird. Von 20.000 Beschäftigten gab jeder Zweite an, in den vorangegangenen 12 Monaten krank zur Arbeit gegangen zu sein.
Was sind die häufigsten Gründe für Präsentismus?
Für Arbeitgeber stellen sich zwei Fragen: Wie erkenne ich Präsentismus? Und was kann ich dagegen tun? Eine Studie der Kölner Hochschule Fresenius liefert Antworten: Wichtig ist, dass Arbeitgeber wissen, warum ihre kranken Mitarbeiter nicht daheim bleiben. Die Absolventin Ann Cathrin Bach entwickelte einen Fragebogen, mit dessen Hilfe sich fünf Motive erkennen lassen. Die wichtigsten im Überblick:
- Kollegialität: Ich möchte meine Kollegen nicht im Stich lassen.
- Wahrung des sozialen Ansehens: Ich möchte keine Schwäche zeigen.
- Pflichtgefühl gegenüber der Arbeit: Ich möchte wichtige Aufgaben nicht liegen lassen.
- Furcht vor negativen Konsequenzen: Ich habe Angst, meinen Arbeitsplatz zu verlieren.
- Ablenkung: Zu Hause fällt mir die Decke auf dem Kopf.
Im Rahmen ihrer Studie befragte Bach 331 Beschäftigte aus unterschiedlichsten Branchen. Was sie dabei feststellte: Je stärker insbesondere eines der ersten drei Motive ausgeprägt ist, desto häufiger ist Präsentismus zu beobachten.

Was können Führungskräfte gegen Präsentismus tun?
Prof. Dr. Katja Mierke, Psychologie-Professorin an der Hochschule Fresenius in Köln und Betreuerin der Masterarbeit, erklärt, wie hilfreich so ein Fragebogen ist: „Mithilfe der neuen Skala können sowohl Arbeitnehmervertreter als auch Arbeitgeber Motive für Präsentismus ermitteln und daraus passende Handlungsmöglichkeiten ableiten.“ Arbeitgeber könnten je nach Ergebnis eher an den Werten und Normen der Belegschaft ansetzen, für mehr Personal, klare Vertretungsregelungen sorgen oder einen gerechten und gesunden Führungsstil stärken, sagt Mierke.
Was heißt das konkret? Für Katja Mierke ist das eine Frage der Unternehmenskultur: „Ein Geist nach dem Motto ‚Nur die Harten kommen in den Garten‛ darf nicht um sich greifen“. Wichtig sei, den Mitarbeitern deutlich zu machen, dass das Unternehmen ihre Gesundheit ernst nehme und sie keine Nachteile befürchten müssen, wenn sie daheim bleiben. Wenn Mitarbeiter krank zur Arbeit kommen, sollten Vorgesetzte klar kommunizieren: „Geh bitte nach Hause, kuriere dich aus. Das ist in Ordnung.“ Sie sollten dabei mit gutem Beispiel vorangehen. „Die Vorbildfunktion des Chefs ist ganz wichtig“, so Mierke. Komme der Vorgesetzte krank zur Arbeit, fühlen sich auch die Mitarbeiter eher dazu verpflichtet.
Zudem empfiehlt sie, mit den Mitarbeitern über die Kosten und Folgen von Präsentismus zu sprechen. „Es können schwer wiegende Fehlentscheidungen getroffen werden, Kollegen stecken sich an, manche Krankheiten können sich chronifizieren, wenn sie nicht auskuriert werden. All das kostet Geld, viel mehr Geld als ein paar Fehltage“, sagt Mierke. Weil unter Kollegen oft das Gefühl aufkomme, man lasse die anderen im Stich, wenn man zu Hause bleibe, müssen Unternehmen dafür sorgen, dass nichts bei den Leuten liegenbleibe: „Die Personaldecke darf nicht so geplant sein, dass Fehlzeiten nicht abgefedert werden können“, empfiehlt die Psychologie-Professorin. In Notfällen können auch sogenannte Feuerwehrkräfte oder Springer angeheuert werden.