Ikea-Effekt
Dieses psychologische Phänomen bremst Innovationen aus

Klammern sich Ihre Kollegen hartnäckig an alte Lösungen und reagieren ablehnend auf neue Ideen? Eine mögliche Ursache kann der Ikea-Effekt sein – eine Fehlwahrnehmung, vor der fast niemand gefeit ist.

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Ikea Effekt
© Jordan Lye / Moment RF / Getty Images

Manchmal erscheinen die Menschen, mit denen man arbeitet, wunderlich: Etwa die Kollegin, die weiter ihre irre komplizierte Excel-Tabelle nutzen will, obwohl es doch längst ein viel praktischeres Online-Tool zur Projektplanung gibt. Der Chef, der sein neues Projekt plötzlich für wichtiger hält als alles andere. Ich persönlich reagierte vor einiger Zeit fast empört, als jemand ein impulse-Produkt einstellen wollte, das ich vor Jahren sehr mühevoll entwickelt und auf den Markt gebracht hatte, das aber inzwischen veraltet war.

Der Ikea-Effekt: Wir überschätzen den Wert von Selbstgemachtem

Menschen neigen dazu, Dinge, die sie selbst erfunden, entwickelt oder gebaut haben haben, als besonders wertvoll einzuschätzen. In der Forschung spricht man vom Ikea-Effekt: Das Phänomen wurde von den Psychologen Michael Norton und Dan Ariely entdeckt. 2011 ließen sie Probanden Ikea-Möbel zusammenbauen und fragten sie anschließend, welchen Betrag sie für die Möbel zahlen würden. Eine andere Gruppe sollte einen Preis für bereits fertig aufgebaute Möbel festlegen. Das Ergebnis: Die Selberbauer wollten im Durchschnitt für ihre Möbelstücke 63 Prozent mehr bezahlen als die Kontrollgruppe.

Menschen schätzen Dinge mehr Wert, für die sie sich anstrengen mussten. Und sie möchten, dass sich ihr Einsatz gelohnt hat, er also durch einen hohen Preis oder zumindest mit Anerkennung belohnt wird.

Das IKEA-Phänomen wurde in vielen Versuchen bestätigt – und kann groteske Züge annehmen: Eine Versuchsgruppe, die Origami-Kraniche gefaltet hatte, war im Durchschnitt bereit, einen fünf Mal (!) höheren Preis für ihre selbst gebastelten Faltvögel zu zahlen, verglichen mit einer Vergleichsgruppe, die nicht selbst gefaltet hatte.

Der Ikea-Effekt führt zu einem schlechten Urteilsvermögen – auch bei der Arbeit

Vor dem sogenannten Ikea-Effekt ist daher kaum jemand gefeit. Und meiner Erfahrung nach kann er bedeutende Auswirkungen auf Entscheidungen in Unternehmen und unsere Zusammenarbeit haben:

  1. Der Ikea-Effekt kann Innovation im Wege stehen
    Wir hängen an dem, was wir selbst geschaffen haben. Das kann ein Prozess sein, ein Produkt, ein Softwareprogramm, das man mühsam im Unternehmen etabliert hat. Dieser Schöpferstolz schmälert die Motivation, neue Wege zu gehen. Wenn Mitarbeitende sich bei Innovationen eher skeptisch zeigen, kann das daran liegen, dass sie (noch) nicht bereit sind, ihre alten, selbst entwickelten Lösungen aufzugeben. Schließlich steckt so viel Mühe darin.
  2. Der Ikea-Effekt kann zu verletzten Gefühlen und Konflikten führen
    Oft wissen nur die Beteiligten selbst, wie viel Schweiß und Spucke in einem Projekt, einem neuen Produkt oder auch nur einer Powerpoint-Präsentation stecken. Wenn dann die Chefin oder auch Kollegen an Kleinigkeiten herummeckern oder sogar alles ganz anderes machen würden, fühlen sich die Schöpfer der Sache vor den Kopf gestoßen.
    Zu verletzten Gefühlen und Abwehrhaltung kann es auch kommen, wenn wir einander keine Sentimentalität erlauben. Von Mitarbeitenden wird erwartet, dass sie für Innovationen offen sind. Doch um offen für Neues zu sein, müssen wir oft erst das Alte wertschätzen und loslassen. Meine Erfahrung ist daher, dass es sich lohnt, Altes nicht einfach wegzuschmeißen, sondern sich gebührend zu verabschieden.
  3. Der Ikea-Effekt kann verhindern, dass wir Experten engagieren
    Die Verliebtheit in eigene Lösungen kann dazu führen, dass Unternehmen zu viel intern machen, anstatt Expertinnen oder Experten zu engagieren oder fertige Lösungen zu kaufen. Dieses Phänomen wird auch „Not-invented-here-Bias“ genannt. (Das Gegenteil, also die Offenheit gegenüber Innovationen anderer, hat übrigens die schöne Bezeichnung „Proudly found elsewhere“.)

Den Ikea-Effekt im Führungsalltag im Blick behalten

Wie bei allen kognitiven Verzerrungen ist es wichtig, den Ikea-Effekt im Blick zu haben und sich zu hinterfragen: Schaffen wir regelmäßig Raum, um uns Feedback zu geben und alte Lösungen infrage zu stellen? Folgende Fragen können dabei helfen:

  • Sind wir zu verliebt in unsere eigene Lösung? Verschließen wir die Augen vor den Schwächen, die unsere Lösung hat?
  • Denken wir daran, die Leistung anderer anzuerkennen – oder suchen wir direkt nach Fehlern?
  • Schmeißen wir alte Lösungen einfach weg oder nehmen wir uns die Zeit, sie gebührend anzuerkennen, um den Abschied zu erleichtern?
  • Verschließen wir uns, neue Wege zu gehen, weil wir zu sehr an unseren alten Erfolgen und Errungenschaften hängen?
  • Und: Wie können wir den Ikea-Effekt positiv nutzen?

Denn im Ikea-Effekt stecken auch Chancen: Er zeigt, dass sich Menschen besonders mit einer Lösung identifizieren, wenn sie daran tatkräftig mitgearbeitet haben. Wird ihnen stattdessen eine fertige Lösung vorgesetzt, sind sie reserviert. Als Führungskraft kann und sollte man daher Mitarbeitende beteiligen oder sogar in die Verantwortung nehmen. Diese Führungsregel ist so alt, dass sie fast eine Binse ist. Doch kaum ein Prinzip wird im Alltag öfter missachtet.

Manchmal erscheinen die Menschen, mit denen man arbeitet, wunderlich: Etwa die Kollegin, die weiter ihre irre komplizierte Excel-Tabelle nutzen will, obwohl es doch längst ein viel praktischeres Online-Tool zur Projektplanung gibt. Der Chef, der sein neues Projekt plötzlich für wichtiger hält als alles andere. Ich persönlich reagierte vor einiger Zeit fast empört, als jemand ein impulse-Produkt einstellen wollte, das ich vor Jahren sehr mühevoll entwickelt und auf den Markt gebracht hatte, das aber inzwischen veraltet war. Der Ikea-Effekt: Wir überschätzen den Wert von Selbstgemachtem Menschen neigen dazu, Dinge, die sie selbst erfunden, entwickelt oder gebaut haben haben, als besonders wertvoll einzuschätzen. In der Forschung spricht man vom Ikea-Effekt: Das Phänomen wurde von den Psychologen Michael Norton und Dan Ariely entdeckt. 2011 ließen sie Probanden Ikea-Möbel zusammenbauen und fragten sie anschließend, welchen Betrag sie für die Möbel zahlen würden. Eine andere Gruppe sollte einen Preis für bereits fertig aufgebaute Möbel festlegen. Das Ergebnis: Die Selberbauer wollten im Durchschnitt für ihre Möbelstücke 63 Prozent mehr bezahlen als die Kontrollgruppe. Menschen schätzen Dinge mehr Wert, für die sie sich anstrengen mussten. Und sie möchten, dass sich ihr Einsatz gelohnt hat, er also durch einen hohen Preis oder zumindest mit Anerkennung belohnt wird. Das IKEA-Phänomen wurde in vielen Versuchen bestätigt – und kann groteske Züge annehmen: Eine Versuchsgruppe, die Origami-Kraniche gefaltet hatte, war im Durchschnitt bereit, einen fünf Mal (!) höheren Preis für ihre selbst gebastelten Faltvögel zu zahlen, verglichen mit einer Vergleichsgruppe, die nicht selbst gefaltet hatte. Der Ikea-Effekt führt zu einem schlechten Urteilsvermögen – auch bei der Arbeit Vor dem sogenannten Ikea-Effekt ist daher kaum jemand gefeit. Und meiner Erfahrung nach kann er bedeutende Auswirkungen auf Entscheidungen in Unternehmen und unsere Zusammenarbeit haben: Der Ikea-Effekt kann Innovation im Wege stehen Wir hängen an dem, was wir selbst geschaffen haben. Das kann ein Prozess sein, ein Produkt, ein Softwareprogramm, das man mühsam im Unternehmen etabliert hat. Dieser Schöpferstolz schmälert die Motivation, neue Wege zu gehen. Wenn Mitarbeitende sich bei Innovationen eher skeptisch zeigen, kann das daran liegen, dass sie (noch) nicht bereit sind, ihre alten, selbst entwickelten Lösungen aufzugeben. Schließlich steckt so viel Mühe darin. Der Ikea-Effekt kann zu verletzten Gefühlen und Konflikten führen Oft wissen nur die Beteiligten selbst, wie viel Schweiß und Spucke in einem Projekt, einem neuen Produkt oder auch nur einer Powerpoint-Präsentation stecken. Wenn dann die Chefin oder auch Kollegen an Kleinigkeiten herummeckern oder sogar alles ganz anderes machen würden, fühlen sich die Schöpfer der Sache vor den Kopf gestoßen. Zu verletzten Gefühlen und Abwehrhaltung kann es auch kommen, wenn wir einander keine Sentimentalität erlauben. Von Mitarbeitenden wird erwartet, dass sie für Innovationen offen sind. Doch um offen für Neues zu sein, müssen wir oft erst das Alte wertschätzen und loslassen. Meine Erfahrung ist daher, dass es sich lohnt, Altes nicht einfach wegzuschmeißen, sondern sich gebührend zu verabschieden. Der Ikea-Effekt kann verhindern, dass wir Experten engagieren Die Verliebtheit in eigene Lösungen kann dazu führen, dass Unternehmen zu viel intern machen, anstatt Expertinnen oder Experten zu engagieren oder fertige Lösungen zu kaufen. Dieses Phänomen wird auch „Not-invented-here-Bias“ genannt. (Das Gegenteil, also die Offenheit gegenüber Innovationen anderer, hat übrigens die schöne Bezeichnung „Proudly found elsewhere“.) [mehr-zum-thema] Den Ikea-Effekt im Führungsalltag im Blick behalten Wie bei allen kognitiven Verzerrungen ist es wichtig, den Ikea-Effekt im Blick zu haben und sich zu hinterfragen: Schaffen wir regelmäßig Raum, um uns Feedback zu geben und alte Lösungen infrage zu stellen? Folgende Fragen können dabei helfen: Sind wir zu verliebt in unsere eigene Lösung? Verschließen wir die Augen vor den Schwächen, die unsere Lösung hat? Denken wir daran, die Leistung anderer anzuerkennen – oder suchen wir direkt nach Fehlern? Schmeißen wir alte Lösungen einfach weg oder nehmen wir uns die Zeit, sie gebührend anzuerkennen, um den Abschied zu erleichtern? Verschließen wir uns, neue Wege zu gehen, weil wir zu sehr an unseren alten Erfolgen und Errungenschaften hängen? Und: Wie können wir den Ikea-Effekt positiv nutzen? Denn im Ikea-Effekt stecken auch Chancen: Er zeigt, dass sich Menschen besonders mit einer Lösung identifizieren, wenn sie daran tatkräftig mitgearbeitet haben. Wird ihnen stattdessen eine fertige Lösung vorgesetzt, sind sie reserviert. Als Führungskraft kann und sollte man daher Mitarbeitende beteiligen oder sogar in die Verantwortung nehmen. Diese Führungsregel ist so alt, dass sie fast eine Binse ist. Doch kaum ein Prinzip wird im Alltag öfter missachtet.
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