Interventionsgespräch
Wie Sie einen Mitarbeiter mit Alkoholproblem ansprechen sollten – und wie nicht

Ein Angestellter wirkt berauscht? Ein heikles Thema: Viele Führungskräfte wissen nicht, wie sie ein Alkoholproblem ansprechen sollen. Ein Experte erklärt, wie das Interventionsgespräch gelingt.

Aktualisiert am 9. Dezember 2024, 14:12 Uhr, von Kathrin Halfwassen, Redakteurin

Ein junger, deprimiert guckender Mann mit verschränkten Armen hört einem älteren Mann zu.
Besorgter Blick: Ein Interventionsgespräch wegen eines Alkoholproblems zu führen, ist für beide Seiten nicht einfach.
© izusek / E+ / Getty Images

Acht Millionen Menschen in Deutschland trinken laut einem Fact-Sheet der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen so viel Alkohol, dass ihr Konsum als riskant gilt. Das reduziert nicht nur die Lebensqualität und -erwartung, wie eine Meta-Analyse gezeigt hat. Auch für Betriebe kann es drastische Folgen haben, sofern die Betroffenen Alkohol am Arbeitsplatz trinken. Zum einen steigt das Risiko für Arbeitsunfälle. Zum anderen liegt die Zahl der Fehltage von Menschen mit Alkoholproblem Studien zufolge bis zu fünf Mal über jener von Menschen ohne Alkoholproblem. Daher empfiehlt es sich für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen nicht nur aufgrund ihrer Fürsorgepflicht, ein Interventionsgespräch mit Angestellten zu führen, die Anzeichen eines problematischen Alkoholkonsums zeigen.

Doch wie gelingt solch ein Interventionsgespräch? Was bringt es, ein Alkoholproblem anzusprechen? Und inwieweit wäre es sinnvoll, in dem Mitarbeitergespräch zum Thema Alkohol mit Kündigung zu drohen? Peter Raiser, Geschäftsführer von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, gibt Antworten.

impulse: Herr Raiser, wie wahrscheinlich ist es, dass ich einen Mitarbeiter mit Alkoholproblemen im Team habe?

Peter Raiser: Laut Schätzungen erfüllt von 20 Mitarbeitenden im Schnitt einer oder eine die Kriterien klinischer Alkoholabhängigkeit. Dabei ist es unerheblich, in welcher Branche ein Mensch arbeitet, wie gebildet er ist, welcher Schicht er angehört – die Zahlen sind in der arbeitenden Bevölkerung wie im Rest der Gesellschaft relativ gleich verteilt.

Was sich aber feststellen lässt: Je höher das Stresslevel im Job, desto höher das Risiko für riskanten Konsum und Abhängigkeit. Denn Alkohol wird oft genutzt, um Stress – kurzfristig – zu kompensieren. Und: Männer sind in allen Altersgruppen statistisch betrachtet gefährdeter als Frauen.

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Einer von 20 – das klingt beinahe wenig angesichts dessen, wie verbreitet Alkoholkonsum hierzulande ist …

Das mag sein. Aber Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sollten sich auf keinen Fall nur auf potenziell alkoholabhängige Teammitglieder fokussieren. Die Forschung ist inzwischen eindeutig: Es gibt keinen Alkoholkonsum, der gesundheitlich unproblematisch wäre. Alkohol ist ein Nervengift – und wirkt auch so.

Daher haben beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und das Wissenschaftliche Kuratorium der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen gerade ihre bisherigen Positionen aktualisiert. Sie geben keine risikoarme Menge mehr an, sondern empfehlen den Verzicht oder die Reduktion des Konsums. Wer regelmäßig Alkohol trinkt, riskiert mehr als 200 negative gesundheitliche Folgen, hat beispielsweise ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, für Bluthochdruck und auch für Krebs. Dabei steigt das Risiko mit der getrunkenen Menge an – und ohne dass eine Abhängigkeit vorliegen muss.

Wenn jemand seine Arbeit trotzdem gut macht, könnte man als Chef ja auch sagen: „Dieses Risiko ist Privatsache“…
Was jemand in seiner Freizeit macht, ist in der Tat jedem selbst überlassen. Aber wenn der Alkoholkonsum Auswirkungen auf die Arbeit oder das Betriebsklima hat, müssen Sie aktiv werden. Denn das Risiko für Arbeitsunfälle ist bei akutem Alkoholkonsum viel höher. Wenn ein Mitarbeiter also beispielsweise eine Maschine bedient und andere gefährden könnte, müssen Sie als Chef oder Chefin aufgrund ihrer Fürsorgepflicht eingreifen, um Dritte zu schützen.

Das liegt aber auch im ureigenen wirtschaftlichen Interesse von Unternehmen: Menschen mit einem problematischen Alkoholkonsum sind unkonzentrierter und unproduktiver. Dazu ist bei ihnen die Zahl der Fehltage je nach Studie bis zu fünf Mal über jener von Menschen ohne Alkoholproblem.

Unternehmerinnen und Unternehmer sollten daher alles dafür tun, Mitarbeitende ganz ohne erhobenen Zeigefinger auf die Folgen von Alkoholkonsum aufmerksam zu machen. Was ich immer wieder erlebe: Ein einfacher Selbsttest, etwa im Rahmen eines Workshops oder eines Gesundheitstages, sensibilisiert viele Menschen für die Problematik. Weil das Ergebnis die meisten überrascht und so dazu bringt, den eigenen Umgang mit Alkohol zu reflektieren.

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Schon solche Kleinigkeiten können helfen Konsum zu verringern, die Produktivität zu sichern, später langen Erkrankungszeiten vorzubeugen – und so in Zeiten des Fachkräftemangels viele möglichst gesunde Mitarbeitende zu haben und zu behalten.

Was sind denn typische Anzeichen dafür, dass ein Mitarbeiter ein Alkoholproblem hat?
Eine Fahne, verwaschene Sprache, unsicherer Gang: All das, was jeder aus der Alltagserfahrung kennt, deutet auf akuten Alkoholeinfluss hin. Für eine Abhängigkeit gibt es zudem viele diffuse Warnzeichen: Mitarbeitende fehlen montags häufig – und haben immer die gleiche unglaubwürdige Entschuldigung. Verlieren ihren Führerschein. Wirken möglicherweise weniger konzentriert, arbeiten qualitativ schlechter, sind leicht reizbar. Oder verhalten sich unangemessen gegenüber Kollegen oder Kunden. Solche Wesensänderungen können natürlich mit allem Möglichen in Zusammenhang stehen – aber eben auch mit Alkohol.

Wie kann ich denn abklären, ob ein Kollege Alkoholiker ist?
Gar nicht – es ist nicht die Aufgabe von Unternehmern und Unternehmerinnen, eine klinische Diagnose zu stellen, sondern einer Ärztin, beziehungsweise eines Arztes.

Was ist dann ihre Aufgabe?
Auffälligkeiten dokumentieren – und dann möglichst schnell das Gespräch suchen.

Was ja aber für beide Seiten extrem unangenehm ist…
Sicher! Aber solche Gespräche werden ja nicht angenehmer, wenn ich sie als Chef oder Chefin hinausschiebe. Außerdem ist es, wie schon gesagt, wirtschaftlich sinnvoll, frühzeitig in die Kommunikation zu gehen. Das Ziel solcher Gespräche ist ja, Hilfe anzubieten und Mitarbeitende damit langfristig in die Lage zu versetzen, ihren Job gut ausüben zu können. Je früher das geschieht, desto besser lässt sich eine mögliche Erkrankung aufhalten oder bessern.

Wenn ich das Alkoholproblem ansprechen will: Wie bereite ich mich idealerweise auf das Gespräch vor?
Erstmal sollten Sie sich klarmachen, welche Art Gespräch anzuwenden ist. In einem Klärungsgespräch etwa geht es darum, festzustellen, wo genau das Problem liegt. Dafür ist es gut, wenn Arbeitgeber Vorfälle genau dokumentiert haben, so dass sie dem Mitarbeiter verdeutlichen können, warum offensichtlich etwas nicht stimmt. Das Ziel dann: vermitteln, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen dürfen – und der Mitarbeiter deshalb sein Problem angehen sollte.

Welchen anderen Gesprächstyp gibt es noch?
Das Fürsorge-Gespräch. Dieses ist angebracht, wenn das Alkoholproblem bereits bekannt ist – oder sehr offensichtlich. Hier geht es darum, Sorge zum Ausdruck zu bringen und aktiv Hilfe anzubieten. Deshalb empfiehlt es sich, im Vorfeld etwa Kontaktdaten und Websites von Beratungsstellen zu recherchieren oder Flyer zu besorgen, die Sie im Gespräch an den Mitarbeiter weitergeben können.

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Was kann ich tun, wenn das Gegenüber abblockt?
Eine solche Reaktion ist sehr zu erwarten! Schildern Sie die Vorfälle genau, erklären Sie, dass Dritte diese Geschehnisse bestätigt haben. Und machen Sie deutlich, dass Sie es nicht akzeptieren werden, wenn der Arbeitnehmer seine Pflichten weiter vernachlässigt und das Betriebsklima weiter stört. Formulieren Sie außerdem sachlich und deutlich die Erwartung, dass sich der Mitarbeiter Hilfe holt – damit sich die Vorfälle der Vergangenheit nicht wiederholen.

Wichtig: Auch, wenn Ihr Gegenüber noch so ablehnend oder persönlich wird, alles abstreitet oder gar aggressiv argumentiert: Bleiben Sie konsequent auf der Sachebene. Also nie zurückblaffen, persönliche Enttäuschung zeigen oder gar Vorwürfe äußern.

Und wenn der Mitarbeiter mit Alkoholproblem uneinsichtig bleibt?
Dann ist das in dem Moment sein gutes Recht. Entscheidend ist, was er oder sie danach tut. Ändert das Teammitglied sein Verhalten und fällt nicht mehr negativ auf, sollten Sie nach etwa vier bis sechs Wochen ein sogenanntes Rückmeldegespräch führen. Und erklären, dass die Sache damit für Sie erledigt ist.

Was, wenn sich nichts ändert?
Dann fordern Sie ihn oder sie in einem zweiten Gespräch eindringlicher auf, sich Hilfe zu suchen. Eine gute Orientierung für den gesamten Interventions-Prozess bietet der so genannte Stufenplan für Suchtprobleme. Gestufte Interventionsleitfäden haben große Konzerne als Standard entwickelt, der den Umgang mit auffälligen Mitarbeitenden regelt. Sie eignen sich aber auch für kleinere Unternehmen. Die Vorlage der DHS erklärt fünf Stufen der Intervention – von Stufe zu Stufe wird es ernster.

Wann sollte ich als Arbeitgeber mit Kündigung drohen?
Das ist stets die allerletzte Möglichkeit einer Sanktion. Unternehmer sollten diese Karte nie ohne Not ziehen – und schon gar nicht in den Vier-Augen-Gesprächen zu Beginn des Stufenplans. Auch, weil es erfahrungsgemäß kontraproduktiv ist.

Was ist hilft stattdessen?
Dem Mitarbeiter klarzumachen, dass es Ihnen als Chef darum geht, Hilfestellung zu leisten und den Mitarbeiter langfristig zu halten. Wenn eine Abhängigkeit diagnostiziert ist, können Sie beispielsweise vereinbaren, dass Sie seinen Platz in der Belegschaft freihalten, falls eine Therapie ansteht. Solche Unterstützung hilft Betroffenen, eine Behandlung erfolgreich abzuschließen – da ist die Studienlage eindeutig.

Aber wenn das Hilfsangebot nicht zieht, muss ich als Unternehmer doch irgendwann deutlich werden…
Ja sicher. Aber ehe Sie eine Kündigung wegen Alkohol am Arbeitsplatz androhen, sollte beispielsweise eine Abmahnung erfolgen. Passiert das nicht, würden Unternehmer einen Kündigungsschutzprozess sehr wahrscheinlich verlieren. Auch hier hilft der Stufenplan: Er regelt genau, wann welche Sanktionen sinnvoll und gerechtfertigt sind.

Welche Fehler machen Unternehmer außerdem typischerweise im Umgang mit Alkohol am Arbeitsplatz?
Mir begegnen immer noch Chefs, die das Problem verharmlosen nach dem Motto: „Ach, jeder trinkt doch mal einen über den Durst.“ Andere achten zu wenig darauf, die Umstände so zu gestalten, dass ein Gespräch weniger unangenehm wird.

Wie kann das gelingen?
Wählen Sie einen Raum, in dem Sie und der Mitarbeiter ungestört sind. Sprechen Sie das Thema nicht kurz vorm Wochenende oder dem Feierabend an. Planen Sie das Gespräch gut und bereiten Sie sich auf die ganze Palette möglicher Reaktionen vor. Achten Sie darauf, dass der Angesprochene nüchtern ist.

Im Rückblick sind Betroffene übrigens häufig dankbar dafür, dass ihnen jemand den Ernst der Lage deutlich gemacht hat. Vielen öffnet eine Warnung des Chefs die Augen für die Situation, in der sie sich befinden. In Sachen Problemeinsicht gibt es drei klare Treiber. Die drei „F“s: Führerschein, Familie, Firma. Suchen Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen also das Gespräch, tun Sie etwas Gutes! Das als positiven Grundgedanken bei Interventionsgesprächen im Kopf zu haben, ist das Allerwichtigste.

Was raten Sie noch?
Mir fällt kein Job ein, für den man Alkohol brauchen könnte – daher gibt es für mich keinen Grund, den Konsum im Betrieb zu erlauben. Selbst im Büro nicht: Auch hier können Arbeitsunfälle passieren, etwa, wenn jemand stürzt. Daher empfehle ich, im Team eine Nüchternheit am Arbeitsplatz zu vereinbaren. Wenn Sie ein kleines Unternehmen haben, geht das etwa über eine Policy oder eine Zusatzvereinbarung. Gibt es einen Betriebsrat, müssen Sie diesen mitbestimmen lassen und ein Alkoholverbot am Arbeitsplatz über eine Betriebsvereinbarung regeln. Gut ist, wenn man ohne das Wort „Verbot“ auskommt. Denn es geht um Einsicht und Akzeptanz. Darum, gemeinsam zu vereinbaren, dass es sich um eine alkoholfreie Arbeitsstätte handelt.

Und sonst?
Machen Sie sich als Chef oder Chefin ihre Vorbildfunktion klar, dass sie also durch Vorbild führen. Wenn Sie im Betrieb eine 0,0-Promille-Strategie fahren, sich dann aber auf der Weihnachtsfeier hemmungslos betrinken, dann macht das etwas. Wenn Sie aber beispielsweise sagen: ‚Hey Leute, wir machen dieses Jahr mal eine alkoholfreie Jubiläumsfeier‘ und buchen dann jemanden, der großartige alkoholfreie Cocktails mixt, ist das umgekehrt ein Signal.

Der Experte
peter raiserDr. Peter Raiser ist stellvertretender Geschäftsführer der Deutschen Hauptststelle für Suchtfragen – und arbeitet als Referent für Grundsatzfragen unter anderem zum Thema „Alkohol am Arbeitsplatz“.
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