Arbeitsunfälle vermeiden
So verhindern Arbeitgeber schwere Unfälle im Betrieb – mit wenig Aufwand

Viele schwere Arbeitsunfälle lassen sich durch ein einfaches Mittel vermeiden. Alles, was Unternehmer dafür brauchen, ist eine Excel-Liste. Eine Expertin für Arbeitssicherheit erklärt, wie das geht.

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Arbeitsunfall vermeiden
© R.Tsubin/Moment/Getty Images

impulse: Frau Röder, was können Führungskräfte tun, um schwere Arbeitsunfälle zu verhüten?
Clara Röder: Als Beraterin für Arbeitssicherheit in mittelständischen Unternehmen erlebe ich regelmäßig, dass Unternehmer und Führungskräfte aus allen Wolken fallen, wenn in ihrem Betrieb schwere Arbeitsunfälle passieren – die sie eigentlich hätten vermeiden können. Denn meiner Erfahrung nach lässt sich ein Großteil der schweren Arbeitsunfälle verhindern, wenn man sich zusätzlich zu den Standardaufgaben im Arbeitsschutz um die konsequente und strategische Erfassung von Beinaheunfällen kümmert.

Was genau verstehen Sie unter einem Beinaheunfall?
Es gibt eine Unfallpyramide: Auf jeden schweren Arbeitsunfall kommen mehrere leichte bis mittelschwere Unfälle und eine Vielzahl von Beinaheunfällen. Das sind Vorfälle, die gerade noch einmal gut gegangen sind. Das kann eine falsch abgestellte Palette sein, die nicht gesichert wurde und umstürzte. Vielleicht ist dem Mitarbeiter, der danebenstand, nichts passiert. Aber wäre er nur zwei Meter näher dran gewesen, wäre er schwer verletzt worden. Häufig bekommen Führungskräfte von solchen Fast-Katastrophen gar nichts mit. Dabei können die helfen, Schlimmeres zu verhüten.

Wie sollten Unternehmen mit solchen Vorfällen umgehen?
In den meisten Betrieben wird an dieser Stelle einmal tief durchgeatmet und dann weitergemacht. Richtig wäre es dagegen, den Vorgesetzten zu informieren oder eine Fachkraft für Arbeitsschutz, die den Vorfall untersucht. Dafür müssen die Mitarbeiter den Beinaheunfall aber melden. Dem Team muss klar sein: Niemand wird der Kopf abgerissen, wenn man einen Unfall meldet – im Gegenteil, wer das tut, leistet einen wichtigen Beitrag, um künftige Unfälle zu verhindern. Man kann auch Erfolge feiern, etwa wenn mehr Beinaheunfälle gemeldet wurden.

Mehr gemeldete Beinaheunfälle sind ein Erfolg?
Genau, weil jede Meldung hilft, den Arbeitsschutz verbessern. Wenn da der Elan nachlässt, können Chefs und Chefinnen durchaus nachhaken: In den vergangenen Wochen wurde ja gar nichts gemeldet – woran lag das? Es wird oft übersehen, welche Rolle menschliche und organisatorische Aspekte beim Arbeitsschutz spielen. Die Sicherheitskultur eines Unternehmens trägt maßgeblich dazu bei, Unfälle zu verhüten.

Haben Sie ein Beispiel?
Viele Maschinen haben Schutzvorrichtungen, die aber von Mitarbeitern manipuliert werden können, zum Beispiel damit die Maschine schneller läuft oder um leichter an eine bestimmte Stelle zu kommen. Die Frage ist: Akzeptiere ich das als Führungskraft oder schreite ich ein? Lautet die Devise in Stresssituationen: Schnell, schnell, damit die Deadline gehalten wird – oder geht Sicherheit vor?

Wie lässt sich die Sicherheitskultur im Unternehmen verbessern?
Meine Arbeit besteht in großen Teilen darin, Führungskräfte für Arbeitsschutz zu sensibilisieren. Ich kenne ein Unternehmen, das hatte zwei gleichgroße Abteilungen, die ähnliche Dinge taten. Aber 80 Prozent der Unfälle ereigneten sich in der einen Abteilung, die andere stand viel besser da. Das ist der menschliche Faktor: Wie handhabt die Führungskraft das Thema? Werden Mitarbeiter zum Beispiel angesprochen, wenn sie keine Schutzausrüstung tragen? Das kann den entscheidenden Unterschied machen.

Die Expertin
Clara Röder arbeitete viele Jahre als Fachkraft für Arbeitssicherheit in der Metallindustrie. Heute unterstützt sie als selbstständige Beraterin produzierende Unternehmen aus dem Mittelstand dabei, den Arbeitsschutz zu verbessern. Ihr Fokus liegt dabei auf der Sicherheitskultur der Firmen.

Was können Führungskräfte noch tun, um das Team für Arbeitsschutz zu sensibilisieren?
Ganz wichtig: Man muss darüber sprechen. Wenn einer aus dem Team von seinem Beinaheunfall berichtet, dann erzählen andere in der Regel auch, was ihnen selbst schon passiert ist – oder was sie aus einer anderen Abteilung gehört haben. Hier kann man fragen: Könnte das auch bei uns geschehen? Mitarbeiter merken, ob das Thema Führungskräften wichtig ist – etwa, weil die sich in Meetings regelmäßig Zeit dafür nehmen. Gemeinsame Rundgänge mit dem Team durch den Betrieb haben einen ähnlichen Effekt.

Sie empfehlen, alle Beinaheunfälle systematisch zu erfassen. Wie geht das konkret?
Wichtig ist, dass die Meldung einfach erfolgen kann. In großen Firmen ist das oft auch schon per App möglich. Sonst kann der Vorgesetzte den Vorfall auch einfach tabellarisch erfassen: Datum, Beschreibung des Beinaheunfalls sowie mögliche Ursachen und Gründe sind schnell notiert. Anschließend kann man überlegen: Wie lässt sich das in Zukunft verhindern und welche Maßnahmen muss das Team dafür umsetzen? Dinge, die falsch laufen, müssen sofort abgestellt oder behoben werden. Das zeigt, dass Arbeitsschutz Priorität hat.

Haben große Unternehmen das bessere Unfallmanagement? Und wo liegen die Unterschiede zu kleinen Betrieben?
Zahlen der Berufsgenossenschaften zeigen, dass Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeitern die meisten Arbeitsunfälle haben – im Verhältnis zur Zahl der Beschäftigten. Gerade die Erfassung von Beinaheunfällen läuft in großen Unternehmen oft besser. Auch weil diese meist Mitarbeiter für das Thema Arbeitsschutz eingestellt haben. Jeder Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten muss eine Fachkraft für Arbeitssicherheit haben. Diese Rolle kann aber auch ein externer Dienstleister übernehmen. Trotzdem sollten Unternehmerinnen und Unternehmer das Thema nicht einfach delegieren: Arbeitsschutz sollte Chefsache sein.

Wo ist die Gefahr von Unfällen am Arbeitsplatz besonders groß?
Die schweren Unfälle ereignen sich oft in der Baubranche oder auch in der Produktion. Häufig haben aber auch Unfälle mit vermeintlich banalen Ursachen – wie Stolpern oder Stürze – schwere Folgen. Das bedeutet, auch im Büro, wo sich vergleichsweise wenig Unfälle ereignen, lohnt es sich genau hinzuschauen: Sind die Laufwege frei? Ist alles aufgeräumt? Worüber stolpern die Leute? Vielleicht kann man ja ein Kabel einfach festkleben und so eine Gefahrenquelle beseitigen.

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impulse: Frau Röder, was können Führungskräfte tun, um schwere Arbeitsunfälle zu verhüten? Clara Röder: Als Beraterin für Arbeitssicherheit in mittelständischen Unternehmen erlebe ich regelmäßig, dass Unternehmer und Führungskräfte aus allen Wolken fallen, wenn in ihrem Betrieb schwere Arbeitsunfälle passieren – die sie eigentlich hätten vermeiden können. Denn meiner Erfahrung nach lässt sich ein Großteil der schweren Arbeitsunfälle verhindern, wenn man sich zusätzlich zu den Standardaufgaben im Arbeitsschutz um die konsequente und strategische Erfassung von Beinaheunfällen kümmert. Was genau verstehen Sie unter einem Beinaheunfall? Es gibt eine Unfallpyramide: Auf jeden schweren Arbeitsunfall kommen mehrere leichte bis mittelschwere Unfälle und eine Vielzahl von Beinaheunfällen. Das sind Vorfälle, die gerade noch einmal gut gegangen sind. Das kann eine falsch abgestellte Palette sein, die nicht gesichert wurde und umstürzte. Vielleicht ist dem Mitarbeiter, der danebenstand, nichts passiert. Aber wäre er nur zwei Meter näher dran gewesen, wäre er schwer verletzt worden. Häufig bekommen Führungskräfte von solchen Fast-Katastrophen gar nichts mit. Dabei können die helfen, Schlimmeres zu verhüten. Wie sollten Unternehmen mit solchen Vorfällen umgehen? In den meisten Betrieben wird an dieser Stelle einmal tief durchgeatmet und dann weitergemacht. Richtig wäre es dagegen, den Vorgesetzten zu informieren oder eine Fachkraft für Arbeitsschutz, die den Vorfall untersucht. Dafür müssen die Mitarbeiter den Beinaheunfall aber melden. Dem Team muss klar sein: Niemand wird der Kopf abgerissen, wenn man einen Unfall meldet – im Gegenteil, wer das tut, leistet einen wichtigen Beitrag, um künftige Unfälle zu verhindern. Man kann auch Erfolge feiern, etwa wenn mehr Beinaheunfälle gemeldet wurden. Mehr gemeldete Beinaheunfälle sind ein Erfolg? Genau, weil jede Meldung hilft, den Arbeitsschutz verbessern. Wenn da der Elan nachlässt, können Chefs und Chefinnen durchaus nachhaken: In den vergangenen Wochen wurde ja gar nichts gemeldet – woran lag das? Es wird oft übersehen, welche Rolle menschliche und organisatorische Aspekte beim Arbeitsschutz spielen. Die Sicherheitskultur eines Unternehmens trägt maßgeblich dazu bei, Unfälle zu verhüten. Haben Sie ein Beispiel? Viele Maschinen haben Schutzvorrichtungen, die aber von Mitarbeitern manipuliert werden können, zum Beispiel damit die Maschine schneller läuft oder um leichter an eine bestimmte Stelle zu kommen. Die Frage ist: Akzeptiere ich das als Führungskraft oder schreite ich ein? Lautet die Devise in Stresssituationen: Schnell, schnell, damit die Deadline gehalten wird – oder geht Sicherheit vor? Wie lässt sich die Sicherheitskultur im Unternehmen verbessern? Meine Arbeit besteht in großen Teilen darin, Führungskräfte für Arbeitsschutz zu sensibilisieren. Ich kenne ein Unternehmen, das hatte zwei gleichgroße Abteilungen, die ähnliche Dinge taten. Aber 80 Prozent der Unfälle ereigneten sich in der einen Abteilung, die andere stand viel besser da. Das ist der menschliche Faktor: Wie handhabt die Führungskraft das Thema? Werden Mitarbeiter zum Beispiel angesprochen, wenn sie keine Schutzausrüstung tragen? Das kann den entscheidenden Unterschied machen. [zur-person] Was können Führungskräfte noch tun, um das Team für Arbeitsschutz zu sensibilisieren? Ganz wichtig: Man muss darüber sprechen. Wenn einer aus dem Team von seinem Beinaheunfall berichtet, dann erzählen andere in der Regel auch, was ihnen selbst schon passiert ist – oder was sie aus einer anderen Abteilung gehört haben. Hier kann man fragen: Könnte das auch bei uns geschehen? Mitarbeiter merken, ob das Thema Führungskräften wichtig ist – etwa, weil die sich in Meetings regelmäßig Zeit dafür nehmen. Gemeinsame Rundgänge mit dem Team durch den Betrieb haben einen ähnlichen Effekt. Sie empfehlen, alle Beinaheunfälle systematisch zu erfassen. Wie geht das konkret? Wichtig ist, dass die Meldung einfach erfolgen kann. In großen Firmen ist das oft auch schon per App möglich. Sonst kann der Vorgesetzte den Vorfall auch einfach tabellarisch erfassen: Datum, Beschreibung des Beinaheunfalls sowie mögliche Ursachen und Gründe sind schnell notiert. Anschließend kann man überlegen: Wie lässt sich das in Zukunft verhindern und welche Maßnahmen muss das Team dafür umsetzen? Dinge, die falsch laufen, müssen sofort abgestellt oder behoben werden. Das zeigt, dass Arbeitsschutz Priorität hat. [mehr-zum-thema] Haben große Unternehmen das bessere Unfallmanagement? Und wo liegen die Unterschiede zu kleinen Betrieben? Zahlen der Berufsgenossenschaften zeigen, dass Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeitern die meisten Arbeitsunfälle haben – im Verhältnis zur Zahl der Beschäftigten. Gerade die Erfassung von Beinaheunfällen läuft in großen Unternehmen oft besser. Auch weil diese meist Mitarbeiter für das Thema Arbeitsschutz eingestellt haben. Jeder Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten muss eine Fachkraft für Arbeitssicherheit haben. Diese Rolle kann aber auch ein externer Dienstleister übernehmen. Trotzdem sollten Unternehmerinnen und Unternehmer das Thema nicht einfach delegieren: Arbeitsschutz sollte Chefsache sein. Wo ist die Gefahr von Unfällen am Arbeitsplatz besonders groß? Die schweren Unfälle ereignen sich oft in der Baubranche oder auch in der Produktion. Häufig haben aber auch Unfälle mit vermeintlich banalen Ursachen – wie Stolpern oder Stürze – schwere Folgen. Das bedeutet, auch im Büro, wo sich vergleichsweise wenig Unfälle ereignen, lohnt es sich genau hinzuschauen: Sind die Laufwege frei? Ist alles aufgeräumt? Worüber stolpern die Leute? Vielleicht kann man ja ein Kabel einfach festkleben und so eine Gefahrenquelle beseitigen.
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