Dunning-Kruger-Effekt
„Ich kann alles!“ So konterst du Selbstüberschätzung im Team

Ein Mitarbeiter neigt zu Selbstüberschätzung? Dahinter kann der Dunning-Kruger-Effekt stecken Wie Chefs und Chefinnen reagieren können – und sich selbst davon befreien.

Aktualisiert am 29. Juli 2025, 18:11 Uhr, von Ulrike Barth, Redakteurin

Ein blauer Luftballon vor rosa Hintergrund, daneben Reste bunter Luftballons, die von einer Nadel zerstochen wurden
Nur heiße Luft: Der Dunning-Kruger-Effekt führt zu anhaltender Selbstüberschätzung.
© MirageC / Moment / Gettyimages

Manche Mitarbeiter halten sich für genial, dabei ist ihre Leistung nicht mal Mittelmaß. In der Psychologie gibt es für dieses Phänomen der Selbstüberschätzung einen Fachbegriff: der Dunning-Kruger-Effekt. Er besagt, dass sich in kompetente Menschen oft für besonders fähig halten.

Sie glauben, dass sie exzellente Arbeit machen – dabei erledigen sie Aufgaben schlecht oder gar nicht. Das kann zu Missstimmung im Team führen oder sogar den Unternehmenserfolg gefährden.

Wie gehst du mit einem Dunning-Kruger-Fall im Team um? Kannst du ihn schon im Bewerbungsgespräch erkennen? Wie merkst du, ob du deine eigenen Fähigkeiten überschätzt? Zwei Personalexperten geben Antworten.

Das ist der Dunning-Kruger-Effekt

Die Psychologen David Dunning und Justin Kruger testeten im Jahr 1999 erstmals ihren Verdacht, dass Inkompetenz oft mit Selbstüberschätzung einhergeht, also einer verzerrten Einschätzung des eigenen Könnens. In vier Experimenten mussten Studierende Aufgaben in den Bereichen Humor, logisches Denken und englische Grammatik lösen – und danach ihre eigene Leistung bewerten.

Ihre Ergebnisse fassten die beiden Psychologen so zusammen: Menschen mit dem geringsten Wissen überschätzen ihre Kompetenz am meisten. Gleichzeitig sind sie nicht in der Lage, ihre Selbstüberschätzung und mangelnden Fähigkeiten zu erkennen. Weil sie ihre Wissenslücken nicht sehen, sind sie auch nicht motiviert, etwas dagegen zu tun. Menschen, die auf einem Gebiet besondere Experten sind, unterschätzen sich dagegen sogar oft. Ihre überlegene Kompetenz wird von ihren inkompetenten Kollegen zudem unterschätzt.

Anzeige
Philipp Lahm empfiehlt DATEV für E-Rechnung
Philipp Lahm empfiehlt DATEV für E-Rechnung
Unternehmen müssen seit 2025 E-Rechnungen empfangen können. Mit DATEV lässt sich diese Pflicht einfach erfüllen. (Testen bis 30.06.2026)

Warum Selbstüberschätzung zum Selbstbild gehört

Eine Erklärung für den Dunning-Kruger-Effekt: „Menschen mit besonders geringer Qualifikation fehlt das Grundwissen, um zu erkennen, wie komplex eine Aufgabe wirklich ist“, erklärt Psychologieprofessor Uwe Kanning.

Das Phänomen ist weit verbreitet und in vielen Studien belegt. Tatsächlich neigt ein Großteil der Menschen zu Selbstüberschätzung. „In den Experimenten von Dunning und Kruger hat sich rund die Hälfte der Probanden selbst überschätzt, bei etwa einem Viertel kamen besondere Inkompetenz und Selbstüberschätzung zusammen“, sagt der Psychologieprofessor. Deshalb geht er davon aus, dass das Phänomen im Alltag verbreitet ist.

Ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung gehört zu unserem Selbstbild. „Menschen verfolgen unbewusst viele Strategien, um ihren Selbstwert zu bestätigen oder zu halten. Wenn uns etwas nicht gelingt, suchen wir die Schuld meist bei äußeren Faktoren. Erleben wir Erfolge, glauben wir eher, dass wir selbst dafür verantwortlich sind“, erklärt Kanning.

Wann du etwas gegen den Dunning-Kruger-Effekt tun solltest

Der Dunning-Kruger-Effekt kann sich zunächst sogar positiv auf die Karriere auswirken. Unerfahrene treten in ihrer Selbstüberschätzung besonders selbstbewusst auf und überzeugen damit – auch wenn ihnen eigentlich die Fähigkeiten fehlen. Oder sie sind mutig genug, Aufgaben zu übernehmen, für die sie nicht qualifiziert sind.

Oft neigen die Menschen zu Selbstüberschätzung, die auch noch besonders selbstverliebt sind. Der Dunning-Kruger-Effekt betrifft also häufig Narzissten. Solche Mitarbeiter können leicht die Motivation des gesamten Teams gefährden. Es kann zu Konflikten kommen. Eher introvertierte Mitarbeitende fühlen sich bedrängt und ziehen sich zurück. „Wenn der inkompetente, aber selbstbewusste Mitarbeiter dann auch noch besonders herausfordernde Projekte bekommt, die er nicht so gut erledigt, schleicht sich schnell schlechte Stimmung ein“, sagt Coachin Susanne Delfs.

Die Anfängerblase der Selbstüberschätzung

Ob die Schere zwischen Selbstüberschätzung und Kompetenz auseinanderklafft, hat laut Delfs auch damit zu tun, wie Menschen aufgewachsen sind. „Die meisten Mitglieder der Generation Z haben von ihren Eltern und Großeltern viel mehr Aufmerksamkeit bekommen als die Generation vor ihnen. Gleichzeitig sind die Erwartungen an ihren beruflichen Werdegang im Familien- und Freundeskreis hoch“, sagt Delfs. Junge Menschen seien daher zwar selbstbewusst und wüssten um ihren Wert auf dem Arbeitsmarkt. Gleichzeitig schätzten sie ihre Kompetenzen nicht realistisch ein. Viele Chefs glauben daher, dass vor allem die Gen Z an Selbstüberschätzung leidet.

Impulse-Akademie-Angebot
Marketingtexte schreiben - mit ChatGPT
Online-Workshop mit Nicole Basel
Marketingtexte schreiben - mit ChatGPT

Dunning hatte schon nachgewiesen, dass Berufseinsteiger ihre Wissenslücken nicht bemerken. Er nannte das die „Anfängerblase der Selbstüberschätzung“. Wenige Monate gearbeitet und schon übersteigt die Selbsteinschätzung die eigentliche Leistung. Die gute Nachricht für genervte Chefs: Je mehr ein Mitarbeiter lernt, desto stärker verringert sich der Effekt.

Mit Feedback aus der Selbstüberschätzungsfalle

Jeder Chef will selbstreflektierte und -organisierte Mitarbeiter. Doch der Selbstüberschätzung eines Angestellten kommt man nicht mit einem einmaligen Coaching bei. „Aus der Forschung wissen wir: Grundlegende Verhaltensweisen oder Einstellungen eines Mitarbeiters verändern zu wollen, gelingt selten – und ist ein langwieriges Unterfangen“, sagt Psychologieprofessor Uwe Kanning. Experten empfehlen kleine Schritte.

Schritt 1: Klares Feedback geben

Coachin Delfs rät bei besonders hartnäckiger Selbstüberschätzung zu einem Feedback, das Realität und Selbstbild wieder in Einklang bringt. „Wenn jemand von einer bombastischen Leistung spricht, dann kläre zunächst, was du mit bombastisch meinst – und betone gleichzeitig, was an der erbrachten Leistung schon gut war.“ Denn vorangestelltes Lob mildert den Schock der Kritik. Der Mitarbeiter nimmt sie dann leichter an.

Im nächsten Schritt solltet ihr durchsprechen, was zu einer tatsächlich bombastischen Leistung fehlt. Biete deine Hilfe an, wenn die Person nicht weiß, wie sie die Ziele erreicht.

Beziehe das Feedback auf konkrete Prozesse oder Ergebnisse und beschuldige den Mitarbeiter nicht. „Menschen mit ihrem Scheitern zu konfrontieren, bringt nichts. Die machen nur emotional zu“, sagt Uwe Kanning. Besser, du schilderst, was du beobachtet hast, und machst Vorschläge, wie sich die Person verbessern könnte.

Eine gute Feedback-Kultur baust du von oben nach unten auf. „Dazu müssen die Führungspositionen im Unternehmen mit Menschen besetzt werden, die über eine gute Selbstreflexion verfügen“, sagt Kanning. Die gelebte Praxis der Führungsmannschaft sei entscheidend.

Schritt 2: Fachwissen nachschulen

Hast du gemeinsam mit dem Mitarbeiter Wissenslücken identifiziert, müsst ihr sie schließen. Zum Beispiel durch eine Fortbildung des Kollegen. Denn der Dunning-Kruger-Effekt beschreibt auch, dass Menschen verstehen, dass sie Fehler machen, sobald sie ihr Wissen erweitern.

In eigener Sache
12 ChatGPT-Hacks für unverschämt gute Marketingtexte
12 ChatGPT-Hacks für unverschämt gute Marketingtexte
Smarte Prompts, mit denen du extrem schnell extrem starke Texte für Social Media, Newsletter, Salespages und Anzeigen erstellst

Das Problem: In vielen Unternehmen entfällt schon der erste Schritt, weil es keine Feedback-Kultur gibt. „Wenn ich keine Rückmeldung bekomme, gehe ich als Mensch aber davon aus, dass ich alles richtig mache“, sagt Susanne Delfs. Selbstüberschätzung kann daher auch bei langjährigen Mitarbeitern in einer feedbackarmen Unternehmenskultur entstehen.

Dunning-Kruger-Tendenzen im Bewerbungsgespräch aufdecken

Am besten ist es natürlich, erst gar nicht auf Mitarbeiter zu setzen, die ihre eigenen Kompetenzen radikal überschätzen. „Bei der Personalauswahl sollte man auf jeden Fall auf die Fähigkeit zur Selbstreflexion achten“, sagt Kanning. Testen kann man das, wenn Kandidaten Probeaufgaben erledigen, oder mit Rollenspielen in einem Assessment Center – eben da, wo man Verhalten beobachten kann.

„Wenn du dann den Bewerber bittest, die eigene Leistung selbst einzuschätzen, bekommst du einen guten Eindruck, wie weit seine Einschätzung von deiner Beobachtung entfernt ist“, sagt Kanning. Dabei muss aber der Stressfaktor der Bewerbungssituation sowie die grundsätzliche Tendenz zu Selbstüberschätzung im Bewerbungsgespräch einkalkuliert werden.

Wenn Coachin Susanne Delfs Unternehmen berät, setzt sie auf Fragen nach Stärken und Schwächen – wohl wissend, dass Bewerberinnen und Bewerber sich darauf vorbereiten. „Wichtig ist dann, nach konkreten Situationen und möglichst vielen Details zu fragen.“ Die verraten, ob die Person eine Situation wirklich reflektiert hat – oder ob die Antwort auswendig gelernt wurde.

Dunning-Kruger-Effekt: So erkennst du Warnsignale an dir selbst

Kanning warnt Führungskräfte vor dem Dunning-Kruger-Effekt bei sich selbst. „Der Effekt kann besonders gravierende Folgen haben, wenn Menschen in wichtigen Positionen Entscheidungen treffen. Auch gut ausgebildete Menschen sind vor Selbstüberschätzung nicht gefeit, wenn sie sich neuen Aufgaben stellen“, sagt er.

Wer kein Fachwissen hat, sollte Entscheidungen nicht alleine treffen, sondern gezielt kompetentere Kollegen einbinden. „Eine gute Führungskraft zeichnet sich dadurch aus, dass sie bereit ist, von Mitarbeitern zu lernen, die über mehr Wissen und Erfahrung verfügen – auch wenn die in der Hierarchie unter ihnen stehen“, sagt Kanning.

Ob du als Chef falsch liegst, ist schwer zu erkennen. Offene Kritik an der Führungskraft existiert in den meisten Unternehmen nicht. Eine Serie von Fehlentscheidungen kann laut Kanning ein erstes Warnsignal sein. Dann stehen zwei Fragen im Mittelpunkt:

  1. Habe ich diese Entscheidungen alleine, vielleicht sogar entgegen des Rats enger Mitarbeiter getroffen?
  2. Hatte ich genug Informationen, um mein mögliches Scheitern absehen zu können?

Fangen Mitarbeiter an, den Kontakt zu meiden, kann das ein radikaler Weckruf sein. „Wenn sich Menschen aus einer Beziehung zurückziehen, hat das immer einen Grund“, sagt Coachin Susanne Delfs. „Oft wird die Kritik, die niemand offen aussprechen will, dann auch in zynische Bemerkungen oder ironische Kommentare verpackt.“

In solchen Situationen kann es helfen, das gesamte berufliche Umfeld anonym zu befragen, dann bekommst du ehrlichere Antworten. Man spricht vom 360-Grad-Feedback, das ist allerdings auch mit großem Aufwand verbunden. Der direktere Weg wäre, Freunde und Vertraute explizit nach Feedback zu fragen. Denn auch für Chefs gilt: Den Schattenseiten des Dunning-Kruger-Effekts entkommt man nur durch schonungslose Selbstreflexion.

Die Experten
Prof. Dr. Uwe Kanning lehrt als Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Osnabrück. Er beschäftigt sich unter anderem mit den Themen Personalauswahl, Eignungsdiagnostik und Soziale Kompetenz.
Susanne Delfs ist Inhaberin von Delfs & Kollegen, einer Personal- und Organisationsberatung aus Neu-Ulm. Sie berät Unternehmer unter anderem beim Onboarding, in der Konfliktmoderation und bei Teamtrainings.
In eigener Sache
Voller Fokus auf 2026
Online-Workshop mit Nikolaus Förster
Voller Fokus auf 2026
3 Sessions, 3 Stunden, 1 großes Ziel: Mit dem eigenen Unternehmen schneller vorankommen.