Interview mit Philipp Klais
„Homeoffice und Digitalisierung – bei uns ist das schwierig“

Welche Anreize kann ein traditioneller Handwerkbetrieb seinen Mitarbeitenden bieten, die zum Teil monatelang auf Montage geschickt werden? Orgelbauer Philipp Klais erklärt, mit welchen Anreizen er die Generation Z lockt.

3. April 2024, 08:30 Uhr, von Nikolaus Förster, impulse-Herausgeber und -Verleger

Interview mit Philipp Klais
Philipp Klais führt in vierter Generation das Orgelbauunternehmen Klais. Aus dessen Werkstatt kommt etwa die Orgel des Kölner Doms.
© Ivo Mayr für impulse

Das Chefbüro in der Bonner Werkstatt gleicht einer Bibliothek: Bildbände, Lexika, antiquarische Bücher, an der Wand Skizzen und Fotos, ein paar Orgelpfeifen. Zum Interview hat sich Philipp Klais an den Tisch gesetzt, aber man spürt: Ruhe ist nicht sein Element. Am liebsten ist er unterwegs, in der Werkstatt oder irgendwo auf der Welt, wo gerade eine Orgel entsteht.

impulse: Herr Klais, Sie haben einmal gesagt, Sie hätten kein Alleinstellungsmerkmal.
Philipp Klais: Das ist immer noch so.

Ist das nicht ein Problem?
Es ist ehrlich. Eine Orgel überzeugt durch Individualität, nicht durch Gimmicks. Unser Ansatz ist ja nicht, die eine „perfekte Orgel“ zu entwerfen und in alle Welt zu exportieren, sondern individuelle Instrumente für besondere Räume zu bauen.

Mit diesem Anspruch sind Sie nicht allein. Es gibt über 150 Orgelbauer in Deutschland.
Das sind nur die, die wir als direkte Wettbewerber betrachten. Ich schätze, dass es hierzulande 300 Orgelbauer gibt, viele sind aber sehr klein. ­International sind es wohl 750 Wettbewerber.

Alle arbeiten nur mit Zinn und Holz und ­pflegen ein jahrhundertealtes Handwerk.
Ja, jedoch die größere Herausforderung ist, dass wir alle mit großer Leidenschaft bei der Sache sind und glauben, das beste Instrument zu bauen. Was unsere Werkstatt seit über 140 Jahren auszeichnet, ist die immense Planungs- und Fertigungstiefe. Natürlich könnte man zum Beispiel das Tragwerk der Orgel oder das Orgelgehäuse immer extern bauen lassen und diese Bereiche komplett auslagern. Damit würden wir aber Know-how und Kompetenz verlieren. Und das gilt für alle Bereiche in ­gleichem Maße.

Meine Frage nach dem Alleinstellungsmerkmal haben Sie auf Ihre Instrumente bezogen. Was aber macht Sie als Arbeitgeber besonders?
Das eine lässt sich nicht ganz vom anderen ­trennen: Wir wollen mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten, die eine Leidenschaft für unser Instrument haben, hoch motiviert sind und Freiräume schätzen. Ich bin sehr dankbar, dass ich mit einem Team arbeiten darf, das meine Ideen teilt. Für mich sind das keine Mitarbeiter, sondern Kolleginnen und Kollegen in unserer Familien­werkstatt.

Und doch stehen Sie im Wettbewerb.
Natürlich gibt es wirtschaftliche Herausforderungen. Es ist ja nicht so, dass wir einen riesigen Kreis von Kunden haben, die nur darauf warten, dass wir ihnen ein Instrument bauen. Orgelbau ist ein Gebiet, das mit so viel Leidenschaft betrieben wird, dass es sehr schwierig ist, auch nur den kühnen Gedanken zu hegen, damit Geld verdienen zu können. Dennoch haben wir klare Ziele und wollen Jahr für Jahr profitabel arbeiten, was uns aber nicht immer gelingt.

Mussten Sie in Krisenzeiten schon einmal jemanden entlassen?
Nein, aber aus Sorge um die Zukunft haben wir ­auslaufende Zeitverträge nicht verlängert, also Stellen nicht neu besetzt. Ich fühle mich für das Team verantwortlich. Um unseren Beruf auch in Zukunft ausüben zu können, brauchen wir wirtschaftliche Stabilität. Im Moment haben wir zusätzlich eine andere Schwierigkeit: nämlich gerade die jüngeren Kolleginnen und Kollegen langfristig zu halten. Das kannten wir früher nicht. Da war eine Betriebszugehörigkeit von 50 Jahren sozusagen normal.

Wie erklären Sie sich diesen Wandel?
Die neue Generation hat unendlich viele Möglichkeiten – auch angesichts von Digitalisierung und Homeoffice. Aber bei uns ist das schwierig: Wir fertigen alles in Bonn, bauen die Orgeln an einem anderen Ort auf und bringen sie dort zum Klingen. Das erfordert sehr lange Zeiten vor Ort.

Nicht gerade ideal, wenn man Familie hat.
Ja, zumal wir während der Coronakrise einmal eine Phase hatten, in der es fast einen kompletten Stillstand gab und wir uns daran gewöhnten, wochenlang nicht unterwegs zu sein. Auch das hat unsere Einstellung verändert. Jetzt müssen wir schauen, wie wir die Motivation auch unter herausfordernden Bedingungen hochhalten.

Was planen Sie konkret?
Wir verteilen die Montage auf mehrere Schultern; früher waren es immer die gleichen Kollegen. Jetzt bauen die Teams, die eine Orgel in der Werkstatt fertigen, sie auch vor Ort in der Kirche oder im Konzertsaal auf. Wir verkleinern zudem bis auf ganz wenige Projekte unseren Radius: Früher waren wir in fast allen Ländern der Welt tätig. Wir haben gemerkt, wie schwierig es ist, Projekte zum Beispiel in China oder Singapur abzuwickeln und welch extrem hohe Belastung das für unser Team bedeutet. Außerdem sind wir dabei, Überlegungen anzustellen, für verstärkt auswärtig tätige Kollegen und Kolleginnen zusätzlich zum normalen Urlaub eine zwei- bis maximal dreimonatige bezahlte Auszeit einzuführen, die man alle fünf Jahre nehmen kann.

Warum drei Monate?
Mit ganzen Sabbatjahren haben wir schlechte ­Erfahrungen gemacht. Es war nicht einfach, die Kollegen nach solch einer langen Zeit wieder zu integrieren. Aber zwei bis drei Monate sind eine gute Zeit, um etwas zu verwirklichen, wovon man lange geträumt hat. Auf diese Auszeit kann man hinarbeiten. So schaffen wir einen weiteren Anreiz, längerfristig bei uns zu bleiben.

Was sind das für unerfüllte Träume?
Der eine möchte den Aushub für sein Einfamilienhaus machen oder das Haus renovieren. Eine ­andere will eine Sprache lernen. Der Dritte möchte einfach mal drei Monate lang nichts tun. Das ist ganz unterschiedlich. Wir alle tragen solche Wünsche in uns und schieben Dinge auf.

Und was ist Ihr Lebenstraum?
Ich habe viele Lebensträume. Einer davon ist, ­einmal die Alpen zu überqueren.

Wann starten Sie mit diesen Auszeiten?
Wir müssen dazu noch Vereinbarungen mit dem Betriebsrat treffen, die Finanzierung abstimmen und Details klären: Wie erreichen wir eine zeitliche Staffelung, sodass mit der Einführung nicht alle gleichzeitig eine Auszeit nehmen? Für welche Kollegen und Kolleginnen bieten wir das an? Unsere Intention ist es, für diejenigen, die verstärkt auswärtige Montagetätigkeiten ausführen, eine zusätzliche Motivation zu schaffen.

Sie wohnen ja auf dem Gelände. Wenn man sich die Klingelschilder neben der Werkstatt anschaut, steht überall „Klais“. Ist das Familiäre wichtig, um das Team zusammenzuhalten?
Ich bin in der Werkstatt groß geworden, habe hier als Kind gespielt, alles ausprobiert und mechanische Teile so lange bewegt, bis sie kaputt waren. Die Nähe bedeutet heute auch soziale Kontrolle. Wenn meine Kollegen morgens zwei Flaschen Wein im Altglas finden, wissen sie, dass sie mich auf manche Themen an diesem Tag vielleicht besser nicht ­ansprechen (lacht).

Gibt das Familiäre dem Team ein Stück Sicherheit? Oder spielt das keine Rolle mehr, weil man heute leicht neue Jobs findet?
Natürlich bieten auch Konzerne ein hohes Maß an Sicherheit, weil es für alles eine Abteilung gibt und man sich dort beruflich in alle Richtungen weiterentwickeln kann. Bei uns sind es immer die gleichen Kolleginnen und Kollegen, die sich um alles kümmern. Aber wir haben den großen Vorteil, dass die Wege kürzer und schneller sind und man früh ­Verantwortung übernehmen kann.

Wie bei Ihnen selbst in den 1990er-Jahren?
Damals wollte ich alles werden, nur kein Orgelbauer. Aber als mein Vater auf den Philippinen einen ­Autounfall hatte und lange ein Stahlkorsett tragen musste, war er in seiner Bewegungsfähigkeit so stark eingeschränkt, dass ich ihn auf Reisen häufig begleitete. Damals habe ich viel gelernt. Irgendwann konnte ich mich der Faszination am Orgelbau nicht mehr entziehen. 1995 übertrug mir mein Vater die Verantwortung für die Werkstatt. Da war ich gerade 28 Jahre alt.

Sie sind 57 Jahre alt. Wer folgt Ihnen nach?
Meine vier Kinder sind zwischen 22 und 34 Jahre alt, jeder von ihnen wäre geeignet, die Werkstatt zu leiten. Aber ich kann nicht darauf setzen. Deshalb stelle ich jetzt die Weichen anders, sodass ich die Werkstatt in den nächsten zehn Jahren an extrem talentierte, motivierte und leidenschaftliche Kolleginnen und Kollegen übergeben werde.

Sind Ihre Kinder damit einverstanden?
Ja, wenn sie sich doch noch anders entscheiden, wird es immer einen Platz für sie geben.

Macht es Ihnen etwas aus, dass wahrscheinlich keiner aus der Familie Ihnen folgen wird?
Es geht um die Frage: Wer sind die Besten, um das Unternehmen zu übernehmen? Ich hatte nie den Anspruch, es besser zu können, nur weil ich den ­Namen Klais trage.

Geben Sie nur die Geschäftsführung ab oder übertragen Sie auch Ihre Anteile?
Beides. Es geht darum, die Chancen und die Ver­antwortung weiterzugeben. Das kann man nicht trennen. Wir haben zum Glück eine sehr gute Konstellation: Die eine Hälfte der Anteile gehört unserer Familie, die andere Hans Zurnieden, dem Bonner Unternehmer, der Phoenix Reisen aufgebaut hat und den wir 2017 an Bord geholt haben, um für mehr Stabilität zu sorgen. Bei dem Bau eines so kom­plexen Instrumentes wie der Orgel gibt es große ­Herausforderungen: Wenn man als kleine Firma weltweit tätig ist, ist das nicht immer so einfach. Gerade im Orgelbau ist es hilfreich, sich austauschen zu können und eine zweite Meinung zu hören.

Fällt es schwer, den Abschied zu planen?
Nein, für mich ist es wichtig, frühzeitig die Weichen zu stellen – aus Verantwortung gegenüber meinem Team, das darauf angewiesen ist, dass die Werkstatt geordnet weitergeführt wird.

Und was machen Sie, wenn Sie raus sind?
Ich glaube nicht, dass man hundertprozentig raus ist. Aber ich möchte dann das ausbauen, was ich zuletzt immer nebenbei gemacht habe: als Dozent arbeiten, wie bereits an der Hochschule St. Gallen, in Zürich oder jetzt in Paris. Ich schätze den Kontakt mit den jungen Leuten – und lerne viel von ihnen. Das ist großartig.

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