Transparente Gehälter
„Keiner von uns wollte am wenigsten verdienen“

Im Herbst 2016 verkündete Einhorn-Chef Waldemar Zeiler auf impulse.de: „Unsere Mitarbeiter bestimmen selbst über ihr Gehalt.“ Doch die Idee scheiterte. Eine Mitarbeiterin erzählt von Neid - und einer besseren Lösung.

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Sein Brot muss man sich hart verdienen, heißt es. Wie viel am Ende auf dem Teller liegt, hängt demnach von der Leistung ab. Nicht so bei Einhorn: Hier bekommt jeder ein festes Grundgehalt – egal, ob Chef oder Berufsanfänger.
Sein Brot muss man sich hart verdienen, heißt es. Wie viel am Ende auf dem Teller liegt, hängt demnach von der Leistung ab. Nicht so bei Einhorn: Hier bekommt jeder ein festes Grundgehalt – egal, ob Chef oder Berufsanfänger.

Elisa Naranjo ist seit der Gründung 2015 bei Einhorn und kümmert sich um Nachhaltigkeit und New Work. Seit einem Jahr ist sie außerdem im Gehaltsrat. Einhorn ist ein Social-Start-up, das Kondome verkauft. Die Hälfte des Gewinns steckt das Unternehmen in soziale und nachhaltige Projekte.

 „Vor anderthalb Jahren haben wir entschieden: Alle Mitarbeiter bestimmen ihr Gehalt selbst; wir legen alles offen. Bis zu diesem Moment hatte sich keiner groß Gedanken über die Gehaltsstruktur gemacht: Wir waren zehn Leute, nicht profitabel, es gab schlicht kein Geld zu verteilen. Wir waren eine „happy Family“. Erst als einige Kollegen das Einzelgespräch mit den Chefs suchten und mehr Geld wollten, kam die Frage auf: Wie bestimmen wir unsere Gehälter? Da wir keine Hierarchien und einen vertrauensvollen Umgang wollten, war klar: Wir müssen auch das Gehalt offenlegen. Also redeten wir über Geld – und zum ersten Mal kippte die gute Stimmung. Wir waren angespannt und wussten nicht, wie wir bei diesem Thema miteinander umgehen sollten.

„Einige wollten sofort mehr Geld“

Im Nachhinein würde ich sagen, wir sind völlig naiv an die Sache rangegangen. Wir haben uns zusammengesetzt und jeder hat frei entschieden, wie viel Geld er will. Jeder hat sich den Kontostand der Firma angeguckt und daraus ableitend einfach eine Zahl auf einen Zettel geschrieben. Aber mit der Zahl allein konnte niemand etwas anfangen: Wenn jemand schreibt, er will 250 Euro netto mehr, dann fragt man sich natürlich: wofür und warum? Einige wollten sofort mehr Geld, andere erst im Laufe des Jahres. Kurz: Es fehlte der Kontext. Also machten wir auch den transparent: Jeder sagte, was er verdiente, welche Zahl er aufgeschrieben hatte und warum. Es war ein komischer Moment, allen Kollegen den eigenen Gehaltswunsch und die Gründe dafür offen zu legen.

Das Einhorn-Team beim Offsite-Treffen in Malaysia: Jeder sagt, was er verdient; wer mehr Geld will, muss das vor allen Kollegen rechtfertigen.© einhorn

„Jeder wusste, wie viel Geld auf dem Firmenkonto lag“

Doch dann hatten wir es geschafft: Die erste Gehaltsverhandlung war abgeschlossen, jeder verdiente jetzt sein Wunschgehalt. Die gute Stimmung war zurück – leider nicht lange. Einhorn wurde größer: Wir waren inzwischen 16 Mitarbeiter und profitabel. Jeder von uns bekam morgens per E-Mail die Umsatzzahlen zugeschickt. Jeder von uns wusste, wie viel Geld auf dem Firmenkonto lag. Und das Team erkannte, dass wir erstmals Geld zu verteilen hatten. Wieder machte sich Anspannung breit.

Diesmal fragte sich jeder insgeheim: Was, wenn sich bei der nächsten Gehaltsverhandlung einige ein extragroßes Stück vom Kuchen sichern, während andere schlecht verhandeln und leer ausgehen? Keiner von uns wollte am Ende der Dumme sein und am wenigsten verdienen. Obwohl wir die ganze Zeit von Vertrauen und Miteinander redeten, misstrauten wir uns. Das war anstrengend. Wir beschlossen: Ein System muss her.

1600 Euro netto Grundgehalt

Wir setzten uns wieder zusammen und fragten uns, was Gehalt für uns bedeutet. Wir Frauen sagten zum Beispiel alle, dass wir so viel verdienen möchten, dass wir finanziell unabhängig sind. Andere wollten genug Geld haben, um eine Familie zu gründen oder später für die Eltern sorgen zu können. Wir entschieden, einen Gehaltsrat zu wählen, der all diese Wünsche beachten und eine faire Regelung finden sollte. Der Gehaltsrat besteht aus drei Leuten: einem Kollegen und mir sowie einem der Gesellschafter, der die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens im Blick behält. Wir erarbeiteten ein modulares System, dessen Basis ein Grundgehalt ist. Das heißt: Jeder – egal, ob schon lange bei Einhorn, studiert oder Quereinsteiger – bekommt 1600 Euro netto. Wir rechnen immer in netto. Das Nettogehalt zeigt natürlich nicht die tatsächlichen Kosten des Unternehmens. Aber was man an Geld benötigt, lässt sich für Mitarbeiter netto besser sagen.

Pro Kind 400 Euro netto mehr

Das Grundgehalt wird durch drei Module ergänzt: Das erste Modul „Persönliche Lebensumstände“ berücksichtigt private Gründe für mehr Geld. Pro Kind gibt es zum Beispiel 400 Euro netto mehr. Es würde auch mehr Geld geben, wenn eine dringende Renovierung ansteht oder ein Familienmitglied krank wird und Pflege braucht, die gezahlt werden muss. Das zweite Modul ist „Lebenslauf und Berufserfahrung“.  Hier zählt, was jemand vorher gemacht hat. Wir unterscheiden nicht zwischen Ausbildung und Studium und bewerten auch nicht eine bestimmte Berufserfahrung besser als andere. Es geht hier nur um die Jahre, in denen der Mitarbeiter eine Ausbildung absolviert und gearbeitet hat. Deswegen gibt es bei uns automatisch jedes Jahr ein bisschen mehr Geld.

Das dritte Modul nennen wir „Leben bei Einhorn“. Da kann jeder für sich selbst Kriterien bestimmen, um seinen Einsatz für das Unternehmen zu honorieren. Es geht dabei allerdings weniger um Leistung, da wir davon ausgehen, dass jeder sein Bestes gibt; vielmehr geht es um die Frage, welche Rolle sich der Einzelne im Unternehmen gibt; ob er noch Potenzial für Verbesserung sieht oder ob alle Kollegen schon von ihm lernen können. Aus diesen drei Modulen plus Grundgehalt ergibt sich am Ende das tatsächliche Gehalt.

Die Gehälter liegen offen

Was wer verdient und warum, besprechen die Mitarbeiter und der Gehaltsrat unter sich; was dabei herauskommt, liegt aber für jeden offen. Übrigens werden auch die Gehälter der Geschäftsführer mit dem Gehaltsrat abgestimmt. Das war für mich anfangs eine absurde Situation: Ich saß da und erklärte einem der Chefs, wie das Gehaltssystem in seinem Betrieb funktioniert und wo er sich da eingruppiert. Das zeigt aber, dass wir im Team wirklich auf Augenhöhe sind.

Ist das System fair?

Einige Fragen bleiben in diesem System offen: Was machen wir zum Beispiel, wenn wir einen IT-Experten oder einen Ingenieur einstellen müssen? Denn vermutlich weichen wir total vom Marktpreis ab. Wir müssten dann im Team besprechen, ob wir den Marktpreis bezahlen und diese Fachkraft komplett losgelöst vom System bezahlen.

Außerdem ist beim dritten Modul „Leben bei Einhorn“ der Fairnessgedanke noch nicht ganz ausgereift. Wir als Gehaltsrat bewerten die Selbsteinschätzung nicht; wir wären auch nicht objektiv. Das heißt aber, dass jeder mit der Entscheidung allein ist; manche schätzen sich selbst zu wenig, andere sich vielleicht zu sehr wert. Dennoch: Wir haben ein System und sind als Gehaltsrat für alle Mitarbeiter ansprechbar. Solange sich das Team mit dieser Lösung gut fühlt, machen wir es so. Sollte sich das ändern, erarbeiten wir was Neues.

Elisa Naranjo ist seit der Gründung 2015 bei Einhorn und kümmert sich um Nachhaltigkeit und New Work. Seit einem Jahr ist sie außerdem im Gehaltsrat. Einhorn ist ein Social-Start-up, das Kondome verkauft. Die Hälfte des Gewinns steckt das Unternehmen in soziale und nachhaltige Projekte.  „Vor anderthalb Jahren haben wir entschieden: Alle Mitarbeiter bestimmen ihr Gehalt selbst; wir legen alles offen. Bis zu diesem Moment hatte sich keiner groß Gedanken über die Gehaltsstruktur gemacht: Wir waren zehn Leute, nicht profitabel, es gab schlicht kein Geld zu verteilen. Wir waren eine „happy Family“. Erst als einige Kollegen das Einzelgespräch mit den Chefs suchten und mehr Geld wollten, kam die Frage auf: Wie bestimmen wir unsere Gehälter? Da wir keine Hierarchien und einen vertrauensvollen Umgang wollten, war klar: Wir müssen auch das Gehalt offenlegen. Also redeten wir über Geld – und zum ersten Mal kippte die gute Stimmung. Wir waren angespannt und wussten nicht, wie wir bei diesem Thema miteinander umgehen sollten. „Einige wollten sofort mehr Geld“ Im Nachhinein würde ich sagen, wir sind völlig naiv an die Sache rangegangen. Wir haben uns zusammengesetzt und jeder hat frei entschieden, wie viel Geld er will. Jeder hat sich den Kontostand der Firma angeguckt und daraus ableitend einfach eine Zahl auf einen Zettel geschrieben. Aber mit der Zahl allein konnte niemand etwas anfangen: Wenn jemand schreibt, er will 250 Euro netto mehr, dann fragt man sich natürlich: wofür und warum? Einige wollten sofort mehr Geld, andere erst im Laufe des Jahres. Kurz: Es fehlte der Kontext. Also machten wir auch den transparent: Jeder sagte, was er verdiente, welche Zahl er aufgeschrieben hatte und warum. Es war ein komischer Moment, allen Kollegen den eigenen Gehaltswunsch und die Gründe dafür offen zu legen. [caption id="attachment_7298712" align="alignnone" width="600"] Das Einhorn-Team beim Offsite-Treffen in Malaysia: Jeder sagt, was er verdient; wer mehr Geld will, muss das vor allen Kollegen rechtfertigen.[/caption] „Jeder wusste, wie viel Geld auf dem Firmenkonto lag“ Doch dann hatten wir es geschafft: Die erste Gehaltsverhandlung war abgeschlossen, jeder verdiente jetzt sein Wunschgehalt. Die gute Stimmung war zurück – leider nicht lange. Einhorn wurde größer: Wir waren inzwischen 16 Mitarbeiter und profitabel. Jeder von uns bekam morgens per E-Mail die Umsatzzahlen zugeschickt. Jeder von uns wusste, wie viel Geld auf dem Firmenkonto lag. Und das Team erkannte, dass wir erstmals Geld zu verteilen hatten. Wieder machte sich Anspannung breit. Diesmal fragte sich jeder insgeheim: Was, wenn sich bei der nächsten Gehaltsverhandlung einige ein extragroßes Stück vom Kuchen sichern, während andere schlecht verhandeln und leer ausgehen? Keiner von uns wollte am Ende der Dumme sein und am wenigsten verdienen. Obwohl wir die ganze Zeit von Vertrauen und Miteinander redeten, misstrauten wir uns. Das war anstrengend. Wir beschlossen: Ein System muss her. 1600 Euro netto Grundgehalt Wir setzten uns wieder zusammen und fragten uns, was Gehalt für uns bedeutet. Wir Frauen sagten zum Beispiel alle, dass wir so viel verdienen möchten, dass wir finanziell unabhängig sind. Andere wollten genug Geld haben, um eine Familie zu gründen oder später für die Eltern sorgen zu können. Wir entschieden, einen Gehaltsrat zu wählen, der all diese Wünsche beachten und eine faire Regelung finden sollte. Der Gehaltsrat besteht aus drei Leuten: einem Kollegen und mir sowie einem der Gesellschafter, der die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens im Blick behält. Wir erarbeiteten ein modulares System, dessen Basis ein Grundgehalt ist. Das heißt: Jeder – egal, ob schon lange bei Einhorn, studiert oder Quereinsteiger – bekommt 1600 Euro netto. Wir rechnen immer in netto. Das Nettogehalt zeigt natürlich nicht die tatsächlichen Kosten des Unternehmens. Aber was man an Geld benötigt, lässt sich für Mitarbeiter netto besser sagen. Pro Kind 400 Euro netto mehr Das Grundgehalt wird durch drei Module ergänzt: Das erste Modul „Persönliche Lebensumstände“ berücksichtigt private Gründe für mehr Geld. Pro Kind gibt es zum Beispiel 400 Euro netto mehr. Es würde auch mehr Geld geben, wenn eine dringende Renovierung ansteht oder ein Familienmitglied krank wird und Pflege braucht, die gezahlt werden muss. Das zweite Modul ist „Lebenslauf und Berufserfahrung“.  Hier zählt, was jemand vorher gemacht hat. Wir unterscheiden nicht zwischen Ausbildung und Studium und bewerten auch nicht eine bestimmte Berufserfahrung besser als andere. Es geht hier nur um die Jahre, in denen der Mitarbeiter eine Ausbildung absolviert und gearbeitet hat. Deswegen gibt es bei uns automatisch jedes Jahr ein bisschen mehr Geld. Das dritte Modul nennen wir „Leben bei Einhorn“. Da kann jeder für sich selbst Kriterien bestimmen, um seinen Einsatz für das Unternehmen zu honorieren. Es geht dabei allerdings weniger um Leistung, da wir davon ausgehen, dass jeder sein Bestes gibt; vielmehr geht es um die Frage, welche Rolle sich der Einzelne im Unternehmen gibt; ob er noch Potenzial für Verbesserung sieht oder ob alle Kollegen schon von ihm lernen können. Aus diesen drei Modulen plus Grundgehalt ergibt sich am Ende das tatsächliche Gehalt. Die Gehälter liegen offen Was wer verdient und warum, besprechen die Mitarbeiter und der Gehaltsrat unter sich; was dabei herauskommt, liegt aber für jeden offen. Übrigens werden auch die Gehälter der Geschäftsführer mit dem Gehaltsrat abgestimmt. Das war für mich anfangs eine absurde Situation: Ich saß da und erklärte einem der Chefs, wie das Gehaltssystem in seinem Betrieb funktioniert und wo er sich da eingruppiert. Das zeigt aber, dass wir im Team wirklich auf Augenhöhe sind. Ist das System fair? Einige Fragen bleiben in diesem System offen: Was machen wir zum Beispiel, wenn wir einen IT-Experten oder einen Ingenieur einstellen müssen? Denn vermutlich weichen wir total vom Marktpreis ab. Wir müssten dann im Team besprechen, ob wir den Marktpreis bezahlen und diese Fachkraft komplett losgelöst vom System bezahlen. Außerdem ist beim dritten Modul „Leben bei Einhorn“ der Fairnessgedanke noch nicht ganz ausgereift. Wir als Gehaltsrat bewerten die Selbsteinschätzung nicht; wir wären auch nicht objektiv. Das heißt aber, dass jeder mit der Entscheidung allein ist; manche schätzen sich selbst zu wenig, andere sich vielleicht zu sehr wert. Dennoch: Wir haben ein System und sind als Gehaltsrat für alle Mitarbeiter ansprechbar. Solange sich das Team mit dieser Lösung gut fühlt, machen wir es so. Sollte sich das ändern, erarbeiten wir was Neues.
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