Mein Freund Manuel arbeitet als Pfleger in einer Klinik. Er kam vor gut fünf Jahren aus Kolumbien nach Deutschland, um hier seinen Beruf auszuüben. Er liebt seine Arbeit, doch er ist auch ernüchtert.
Manuel erzählt mir täglich, wie überlastet alle sind. Für die Pflegekräfte bleibt kaum Zeit, den Patienten mal die Hand zu streicheln oder ihnen zuzuhören. Viele seiner Kolleginnen und Kollegen haben resigniert. In seiner Abteilung sind derzeit nur 40 Prozent des eigentlich vorgesehenen Personals tätig, entsprechend haben sie alle Hände voll zu tun.
Die Idee: Pflegekräfte aus Kolumbien an deutsche Kliniken vermitteln
Irgendwann war ihm klar, dass er gegen diese Missstände etwas unternehmen möchte. Wir sprachen viel darüber und entwickelten die Idee, ein Unternehmen zu gründen. Als Personalvermittler wollen wir Pflegekräfte aus Kolumbien nach Deutschland bringen. Sie werden hier dringend gebraucht. In Kolumbien dagegen gibt es viele Pflegerinnen und Pfleger, die einen Job suchen, da es zu wenige und viele unsichere Stellen gibt.
Wir wollen mit Kliniken in Deutschland zusammenarbeiten und steuern den ganzen Prozess, damit sich die Klinik keine Gedanken machen muss: Wir suchen nach geeigneten Kräften, kümmern uns um die Vorqualifizierung bezüglich Ausbildung und Kultur und den spezialisierten medizinischen Sprachkurs in Bogotá. Zusätzlich unterstützen wir die Kolumbianer bei ihrem Umzug nach Deutschland und ihrem integrativen Start hier. Wir möchten ihnen damit das Ankommen erleichtern. Etwa, indem wir eine erste Bleibe zur Verfügung stellen, die deutsche Kultur erklären und als Guides vor Ort fungieren.
Wir sind uns sicher: Nur, wenn sie sich hier wohl fühlen und integriert sind, können wir diese Fachkräfte langfristig an uns binden. Was bringt es, wenn viele nach kurzer Zeit wieder zurückgehen? Dann beginnt alles wieder von vorne.
Er hat die inhaltliche Kompetenz, ich habe die Erfahrung als Unternehmer
Ich bin nicht nur überzeugt von dieser Geschäftsidee, sie entspricht auch ganz stark meinen Werten. Ich glaube, wir können damit viel Gutes bewegen. Die Klinken suchen händeringend nach Personal. Wenn es nicht genug Pflegekräfte gibt, werden Ärztinnen und Ärzte in ihrem Job beeinträchtigt. Und teilweise müssen deswegen dringend benötigte Abteilungen geschlossen oder verlagert werden.
Deswegen habe ich gleich zugesagt, als Co-Gründer einzusteigen und Manuel mit meiner unternehmerischen Erfahrung zu unterstützen. Er hat die inhaltliche Kompetenz, versteht die Situation von Pflegekräften in Kolumbien und in Deutschland; denn das ist seine Geschichte, er ist diesen Lebensweg selbst gegangen. Er kennt beide Kulturen und Sprachen und weiß, worauf es in den Krankenhäusern und Ausbildungsstätten ankommt. Außerdem weiß er, wie schwer es ist, in Deutschland Fuß zu fassen und wie wichtig Sprache und Integration sind. Das möchte er weitergeben und so zu einer nachhaltigen Einwanderung beitragen, die in dieser speziellen Fachkräfte-Krise helfen kann.
„Bist du sicher, dass du das machen willst?“
Noch stehen wir am Anfang. Wir bauen das Marketing auf, entwickeln eine Marke und erste Ideen für die Website. Die GmbH haben wir noch nicht gegründet. Manuel arbeitet erst einmal weiter in seinem Job.
Wir merken, dass es viele Herausforderungen und Stolpersteine gibt, wenn man als Paar gemeinsam gründet. Es ist ein großer Schritt. Als ich meinen Eltern davon erzählte, fragten sie: Bist du dir wirklich sicher, dass du das machen willst?
Sven Franzen (links) und Haider Manuel Rivera Paternina. Foto: Hendrik Lüders
Ich muss lernen, mich zurückzunehmen
Zum einen ist da der Rollenkonflikt. Ich habe 18 Jahre Erfahrung als Unternehmer und weiß, dass ich da recht dominant sein kann. Normalerweise habe ich eine Strategie und gebe sie vor. Bislang war ich das immer so gewohnt. Ich bin als Einzelkind aufgewachsen, Entscheidungen konnte ich immer allein treffen.
In einer Partnerschaft funktioniert das so natürlich nicht. Ich bin bei dieser Gründung nicht „der Leader“. Ich muss lernen, mich zurückzunehmen. Und ich merke, dass mir das nicht leichtfällt. Als wir anfingen, uns über die Geschäftsidee auszutauschen, habe ich erstmal ganz viel kritisch hinterfragt. Damit hatte ich aus unternehmerischer Sicht vielleicht recht, aber für unsere Kommunikation war das überhaupt nicht gut.
Es ist schwierig: Einerseits kenne ich mich mit vielen Fallstricken bei der Unternehmensgründung gut aus und will Manuel nicht in die offene Klinge laufen lassen. Andererseits möchte ich nicht dauernd der Besserwisser sein. Ich weiß, dass er seinen eigenen Weg gehen und eigene Erfahrungen machen muss. Und ich vertraue darauf, dass es so kommt und gut wird.
Es kostet Kraft
Marketing, Branding, Finanzen: Damit beschäftige ich mich seit vielen Jahren. Manuel möchte das alles lernen und überall stark eingebunden werden. Das ist toll, aber manchmal bedeutet das auch, dass Dinge länger dauern. Und da Geduld nicht meine Kernkompetenz ist, fällt mir das sehr schwer hier geduldig zu bleiben.
Der ganze Prozess kostet Kraft. Wir hatten zum Beispiel einige Diskussionen bei der Namensfindung. Manuel hatte eine Idee und war sehr überzeugt davon. Ich fand, dass der Name so aus fachlicher und strategischer Sicht nicht funktionierte. Es ging lange hin und her, bis wir uns einig wurden. Wir merkten beide, dass wir es nicht gewohnt sind, mit dem Partner auf dieser Ebene zu verhandeln – das dürfen wir nun lernen.
Wie können wir das Gleichgewicht in der Beziehung bewahren?
Ich mache mir auch Gedanken darüber, wie sich die neue Situation als Geschäftspartner auf unsere Beziehung auswirken könnte. Ich nutze Teile meiner Rücklagen, um diese Firma aufzuziehen. Ich frage mich: Entsteht auch in unserer Beziehung ein Ungleichgewicht, wenn ich das gemeinsame Unternehmen erst einmal finanziere? Und natürlich machen wir uns Gedanken über die Frage: Was wäre, falls wir uns irgendwann einmal trennen? Müssten wir das Unternehmen dann aufgeben?
Dazu kommt: Unsere Zeit als Paar wird schrumpfen. Drehen sich dann bald alle Gespräche am Abendbrottisch nur noch um die Firma? Schaffen wir es, uns nur zu fest vereinbarten Terminen über Berufliches auszutauschen und das ansonsten auszuklammern? Ich glaube, das wird nicht immer leicht. Wir müssen unseren gemeinsamen Weg finden, der den praktischen Anforderungen an eine Gründung und unserer Beziehung gerecht wird.
Zu zweit zu gründen ist eine emotionale Angelegenheit. Wir merken schon jetzt, wie wichtig es ist, sich immer wieder auszutauschen und Konflikte schnell zu klären. Es wird eine Herausforderung. Ich freue mich sehr auf diesen gemeinsamen Weg!
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Danke vielmals für die vielen positiven Reaktionen, hier als Kommentare oder auch per direkte Nachricht auf LinkedIn und per eMail. Darüber und die damit verbundene Unterstützung freut uns besonders und wir sehen, dass dieses Thema etwas ins Rollen bringt, was uns alle nachhaltig für unser Gesundheitssystem und unsere Gesundheit betrifft und damit nach Vorne bringt. Auf gutes Gelingen!
Ein spannender Einblick, vielen Dank!
Die Gedanken, Befürchtungen und Herausforderungen kann ich alle sehr gut nachvollziehen. Wir sprechen heute viel von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (was einen ganz anderen Hintergrund hat). Hier geht es auch um die Trennung von Familie und Beruf. Aus eigener Erfahrung weiß ich um die Schwierigkeiten, wenn das nicht immer gelingt. Gemeinsam vereinbarte Regeln (und die Ausnahmen zu den Regeln) helfen sehr, die Gefahr von Konflikten alleine aus dem Verschwimmen von Familie und Beruf deutlich zu reduzieren.
Ich wünsche in jeder Hinsicht viel Erfolg und freue mich, bei Gelegenheit mehr zu erfahren.
Alles Gute!
Lieber Sven, lieber Manuel,
danke für den tollen Beitrag und in den Einblick in Euer Vorhaben. Ich habe den allergrößten Respekt davor.
Ich kann Euch auch nur den Tipp mitgeben, schafft eine klare Abgrenzung zwischen Eurem Privatleben und der Firma. Und nehmt Euch Eure Auszeiten, die Euch dann ganz privat gehören.
Eure Geschäftsidee finde ich sehr gut und wichtig. Ich wünsche Euch viel Erfolg.
Moin Sven!
Vielen Dank für den tollen Text.
Mein Mann und ich arbeiten schon seit 2007 zusammen. Einen Tipp möchte ich Euch beiden ans Herz legen: Macht eine klare Abgrenzung, wenn Ihr Euch mal nicht einig seid: Bei einer bekannten Fernsehserie gab es eine Chefärztin, die mit einem Assistenzarzt verheiratet war. Sie machten die klare Unterteilung: Privatleben = Kirche, Arbeitsleben = Staat. Das ahben wir übernommen. Wenn mein Mann und ich uns mal nicht einig sind und es auch im Privatleben wieder zu dieser Diskussion kommt, erinnern wir uns gegenseitig daran, indem wir sagen: KIRCHE.
Aber nachdem ich Euch beide persönlich kennenlernen durfte, bin ich mir ganz sicher, dass es gut wird. Bewahrt Euch Eure Liebe und hört einander zu – dann wird alles gut gehen!
Beste Grüße aus Schleswig-Holstein,
Stefanie Prochnow
Wow, ein sehr informativer Beitrag, was in solch einer Konstellation alles beachtet werden sollte und welche potenziellen Konflikte schon im Vornherein erkennbar sind.
Ich bewundere ihren Mut und wünsche den beiden viel Kraft und Erfolg!