Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung via Internet
Müssen Chefs Online-Krankschreibungen akzeptieren?

Kein Arztbesuch, keine Untersuchung - Arbeitnehmer können sich neuerdings online krankschreiben lassen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kriegt der Arbeitgeber per Whatsapp. Ist das rechtens?

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Anstelle der Untersuchung beim Arzt holen sich Mitarbeiter die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung online - was nun?
Anstelle der Untersuchung beim Arzt holen sich Mitarbeiter die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung online - was nun?
© Nirut Punshiri/EyeEm/Getty Images

„Läuft die Nase?“ „Haben Sie eine Temperatur über 38,5 Grad?“ Arbeitnehmer müssen im Internet nur ein paar Antworten auf Fragen wie diese anklicken, um sich krankschreiben zu lassen. Seit ein paar Monaten bietet diesen Service der Online-Dienst AU-Schein.de gegen eine Gebühr von 9 Euro an. Eine Vorab-Version der Krankschreibung lädt der Arbeitnehmer als PDF auf der Webseite des Anbieters herunter. Die offizielle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Schein) erhält der Arbeitgeber per Post.

Woran erkennt man, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von AU-Schein.de ausgestellt wurde?

Der von AU-Schein.de ausgestellte gelbe Zettel sieht aus wie jeder andere. Nur Details liefern Hinweise auf den Online-Dienst: Auf jeder Bescheinigung stehen Name und Anschrift des ausstellenden Arztes. Auf AU-Schein.de wird Dr. Eva-Maria Ansay als „ärztliche Beratung“ vorgestellt. Hat sie den gelben Schein ausgestellt, könnte es sich also um eine Online-Krankschreibung handeln. Generell gilt: Liegt die Praxis des Arztes weit entfernt von dem Wohnsitz des krankgeschriebenen Mitarbeiters, kann das auf eine Online-Untersuchung hindeuten.

Müssen Arbeitgeber eine Online-AU-Bescheinigung akzeptieren?

Der Anwalt Jan Peter Schiller sagt: „Nein“. Zwar sei eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) des Online-Dienstes rein formal in Ordnung, solange sie rechtzeitig beim Arbeitgeber liege. Doch ob die Bescheinigung ein ausreichender Nachweis für die Arbeitsunfähigkeit sei, daran könne man begründeten Zweifel haben. Weitere Irrtümer rund um das Thema klären wir hier auf: Krankschreibung: 12 Irrtümer rund um den gelben Zettel.

Gibt es bereits Gerichtsurteile zur Online-AU?

Noch gibt es keine Urteile zu Online-Krankschreibungen. Der Dienst ist noch neu. Möglich wurde er erst, nachdem im Mai 2018 der Deutsche Ärztetag das Fernbehandlungsverbot gelockert hatte. Seitdem dürfen Ärzte Patienten zum Beispiel am Telefon oder beim Videochat behandeln.

Doch es gibt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG-Urteil vom 11. August 1976; Az.: 5 AZR 422/75), das nach Schillers Einschätzung auf Online-Krankschreibungen übertragbar ist. In dem Fall hatte eine Ehefrau einen Arzt angerufen und ihm die Symptome ihres Ehemannes geschildert. Der Arzt stellte dem Mann daraufhin eine AU-Bescheinigung aus, obwohl er ihn nicht untersucht hatte. Der Arbeitgeber bekam dieses Vorgehen mit und wollte die Bescheinigung nicht akzeptieren. „Das BAG sagte damals: Fehlt eine vorherige Untersuchung, kann die Bescheinigung die Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen. Der Arbeitnehmer muss dann andere Nachweise erbringen, die belegen, dass er tatsächlich krank ist. Das dürfte in der Praxis allerdings schwierig sein“, erklärt Schiller.

Auch wenn das Urteil alt sei, können sich Arbeitgeber seiner Meinung nach noch darauf berufen: „Der Sachverhalt und die Frage, um die es im Kern geht, ist die gleiche. Sie lautet: Hat eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine ausreichende Beweiskraft, wenn es keine Untersuchung durch einen Arzt gab?“

Zur Person
Jan Peter Schiller ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er arbeitet für die Kanzlei CMS.

Lesen Sie auch: Krankenrückkehrgespräch: Warum es wichtig ist.

Wie sollten Arbeitgeber sich verhalten, wenn sie eine Online-AU-Bescheinigung nicht akzeptieren wollen?

Schiller rät Vorgesetzten, im ersten Schritt offen und sachlich mit dem Mitarbeiter zu sprechen: „Ich bitte Sie, künftig wieder persönlich zu einem Arzt zu gehen und sich dort untersuchen zu lassen, auch im eigenen Interesse.“

Arbeitgeber könnten auch eine grundsätzliche Ansage an alle Mitarbeiter machen: „Es gibt diesen neuen Online-Service. Aber aufgrund der Rechtsprechung sind wir der Meinung, dass die von diesem Dienst ausgestellte AU-Bescheinigung einfach nicht ausreicht. Wir möchten alle bitten, das nicht zu nutzen.“

Wenn die Mitarbeiter dieser Bitte nicht nachkommen, rät der Anwalt zur Zurückhaltung. Der Arbeitgeber sollte zunächst freundlich in einem Vier-Augen-Gespräch erklären, dass er so eine Bescheinigung nicht akzeptiere, nun bereits das zweite Mal darauf hinweise und es beim dritten Mal Konsequenzen geben werde. „Wenn das dann noch einmal vorkommt, können Arbeitgeber eine Abmahnung aussprechen“, sagt Schiller. (Mehr dazu hier: Abmahnungsgründe: Die häufigsten Fehlverhalten im Überblick und Rechtssicher abmahnen: Diese Fehler können Ihre Abmahnung unwirksam machen)

Wer Zweifel an einer Bescheinigung von AU-Schein.de hat, kann laut Schiller sogar die Entgeltfortzahlung verweigern, denn Grundlage dafür ist der ordnungsgemäße Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit. „Mitarbeiter haben natürlich das Recht, dagegen vor Gericht zu ziehen. Dann wird sich zeigen, welchen Beweiswert Gerichte einer solchen Bescheinigung beimessen“, sagt der Anwalt.

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