Semantische Intuition
Diese Methode hilft, bessere Ideen für Produkte zu entwickeln

Meist gibt es erst das Produkt und dann wird ein Name dafür gesucht. Die Technik der semantischen Intuition dreht das Vorgehen um – das hilft, in kurzer Zeit auf kreative Ideen zu kommen.

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Semantische Intuition
© .marqs / photocase.de

Versuchen Sie einmal, sich keinen Baum vorzustellen, wenn Sie das Wort „Baum“ lesen. Unmöglich. Der Mensch kann nicht anders: Wörter locken Assoziationen hervor. Man liest „Baum“ und vor dem inneren Auge erscheint ein solcher. Und sogar unbekannte Begriffe erzeugen Assoziationen. Genau diesen Umstand macht sich die Kreativmethode der semantischen Intuition zunutze.

Dafür werden Begriffe zufällig zu Wortneuschöpfungen kombiniert. Diese dienen im nächsten Schritt als Inspiration für Produkte, Anwendungen oder Geschäftsideen. Aus Sperrmüll und Kalender wird zum Beispiel der Sperrmüllkalender als Denkanstoß für eine neue Funktion in der App einer Stadtverwaltung.

Wie der Name semantische Intuition suggeriert, funktioniert die Methode intuitiv. Das macht sie einfach anzuwenden. Trotzdem gilt es ein paar Vorbereitungen zu treffen und ein paar Fallstricke zu kennen, wenn man ein Brainstorming mit der Methode plant.

Der Experte
Graham Horton ist Professor an der Fakultät für Informatik der Universität Magdeburg und forscht zur Produktion und Bewertung von Ideen. Er ist außerdem Gesellschafter von Zephram, einem Unternehmen das Organisationen bei Innovationsprozessen berät.

Was braucht man, um die semantische Intuition anzuwenden?

Die Grundlage der semantischen Intuition bilden meist zwei, manchmal auch drei, Listen mit Begriffen zu einem Oberthema, das zu der Ideenfindungsaufgabe passt. „Je besser die Kategorien der Listen gewählt sind, desto besser wird das Ergebnis“, sagt Graham Horton, Gesellschafter der Innovationsberatung Zephram und Professor für Informatik an der Universität Magdeburg.

Er lehrt die Methode gern mit dem Beispiel eines fiktiven Start-ups, das eine App für Städte und Gemeinden entwickeln möchte. Horton lässt die Studierenden eine Liste mit Begriffen erstellen, die beschreiben, wofür die Stadtverwaltung verantwortlich ist. Zum Beispiel:

  • Gehweg
  • Park
  • Friedhof
  • Sperrmüll
  • Stadtbibliothek

Auf einer zweiten Liste bittet Horton die Studierenden, mögliche Funktionen eines Smartphones zu sammeln:

  • Kalender
  • Wecker
  • Information
  • Spiel
  • Melder

Auch wünschenswerte Eigenschaften, die das Produkt haben sollte, eignen sich gut. Das Start-up, das eine App für Städte und Gemeinden entwickelt, könnte zum Beispiel auf einer weiteren Liste Begriffe aufführen wie: intelligent, vorausschauend, einfach.

Je länger die Listen, desto mehr Wortkombinationen sind möglich. Mit 20 Wörtern pro Liste ergeben sich 400 mögliche Paarungen. Horton rät, lieber weniger Begriffe zu sammeln, dafür aber passgenaue. Acht bis zehn pro Liste reichten aus seiner Sicht in vielen Fällen.

Bei der Erstellung der Listen kann man sich auch von ChatGPT helfen lassen. Im Prompt sollte man dem Chatbot die gewünschte Anzahl an Begriffen nennen und das Oberthema spezifizieren. Zum Beispiel: „Erstelle mir eine Liste mit zehn Begriffen, die Aufgaben einer Stadtverwaltung beschreiben, und eine Liste mit zehn Begriffen, die Funktionen einer App beschreiben.“

Mehr dazu hier: ChatGPT für Marketingtexte nutzen: 7 erprobte Prompts, die Ihnen bei Marketingtexten helfen

Wie läuft ein Brainstorming mit der Methode ab?

Nun bildet die Gruppe neue Wörter aus den Begriffen. Das Start-up aus Hortons Beispiel kommt dabei auf Kombinationen wie „Gehwegmelder“ oder „Sperrmüllkalender“. „Da kann man sich sofort etwas drunter vorstellen“, findet Horton. Ein Gehwegmelder zum Beispiel könne eine Funktion sein, mit der Bürgerinnen und Bürger Schlaglöcher unkompliziert per App melden können, und ein Sperrmüllkalender eine automatische Erinnerung an Abholtermine der Stadtreinigung.

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Wie gut die Methode ihren Zweck erfüllt und die Teilnehmenden zu Kreativität beflügelt, hängt maßgeblich von der Präsentation der Wortneuschöpfungen ab. „Sie müssen überlegen, wie Sie einer Gruppe sehr viele Stichworte anbieten, ohne sie zu überlasten“, sagt Graham Horton. Dafür eignen sich verschiedene Möglichkeiten.

Matrix

Wenn zwei Begriffslisten zum Einsatz kommen, können diese beispielsweise in einer Tabelle dargestellt werden: Die Wörter der einen Liste stehen in der Spaltenüberschrift und die Wörter der zweiten in der Zeilenüberschrift. Die neu gebildeten Begriffe füllen dann die Zellen der Matrix:

Gehweg Sperrmüll
Melder Gehwegmelder Sperrmüllmelder
Wecker Gehwegwecker Sperrmüllwecker

Auf einem großen Ausdruck können die Teilnehmenden des Kreativworkshops mit Klebepunkten markieren, welche Begriffspaarungen kreative Assoziationen in ihnen wecken.

Der Vorteil dieser Darstellungsform: „Ich kann mich davorstellen und in meiner eigenen Geschwindigkeit gucken“, sagt Horton und warnt: „Eine Matrix mit sehr vielen Begriffen kann die Teilnehmer jedoch auch total erschlagen.“ Wer die Matrix als Präsentation wählt, sollte darum nicht zu viele Begriffe sammeln.

Kartenspiel

Eine weitere Möglichkeit ist, die Begriffe auf Karten zu drucken oder zu schreiben und in Stapel zu teilen. Diese Karten liegen verdeckt auf dem Tisch, dann wird jeweils eine pro Stapel aufgedeckt. Weckt eine Kombination eine Idee in jemandem, ruft die Person stopp und die Karten werden für die spätere Diskussion beiseitegelegt.

Das Kartenspiel funktioniert am besten in Gruppen mit etwa fünf Personen. Größere Runden können auf mehrere Tische aufgeteilt werden. Horton gefällt an dieser Form, dass die Darstellung Tempo in das Brainstorming bringt. „Entweder man kann mit einem Begriffspaar was anfangen oder nicht. Dann schnell weg damit“, sagt er. Das richtige Tempo zu finden, sei gleichzeitig die größte Herausforderung für die Moderation, so der Experte. „Man braucht ein paar Millisekunden, um zu überlegen, ob einem etwas einfällt oder nicht. Die wenigsten Leute können auf Anhieb mit neuen Wortkombinationen etwas anfangen“, sagt Horton.

Einarmiger Bandit

Diese Darstellung eignet sich besonders, wenn man mit drei Listen arbeiten möchte. Jede wird einzeln ausgedruckt und die drei Listen nebeneinander auf den Tisch gelegt. Durch Verschieben nach oben und unten stehen immer neue Begriffe nebeneinander. Ein waagerecht gelegter Stift hilft, die Kombinationen hervorzuheben – sie stehen dann in einer Reihe wie die Früchte im Spielautomaten. Wer eine inspirierende Reihung entdeckt, gibt Bescheid und die Kombination wird notiert.

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Dauer einer Session

Die semantische Intuition ist eine Methode, die von der spontanen Inspiration lebt. „Diese Kreativmethode ist eher schnelllebig und kurz“, sagt Horton. Deswegen sollten die Sessions nicht zu lange dauern. Er rät zu rund 20 Minuten.

Wofür kann man die Methode im Unternehmen verwenden?

„Die semantische Intuition funktioniert, wenn man gut auflisten kann, worum es geht“, sagt Horton. Zum Beispiel in der Produktentwicklung, wenn das Ziel – ein neues Produkt – klar ist. Genauso taugt die Methode, um auf neue Ideen für Geschäftsmodelle zu kommen.

Weniger geeignet ist das Vorgehen für vage oder komplexe Fragestellungen. „Die Methode funktioniert gut, wenn sie zur Fragestellung passt. Aber man sollte nichts übers Knie brechen“, warnt Horton. Denn wer beispielsweise mit zu beliebigen Begriffen arbeitet, erhält kaum brauchbare Kombinationen – und dann wirke das Vorgehen wie Bullshit-Bingo, so Horton.

Für solche Fälle lohnt es sich, strukturierte Methoden der Ideenfindung in Betracht zu ziehen, etwa die Osborn-Checkliste und die 6-3-5-Methode. Infrage kommen auch Techniken, die das Einnehmen verschiedener Perspektiven erleichtern, wie die Walt-Disney-Methode und die 6 Denkhüte von De Bono.

impulse-Mitglieder können sich eine Methodensammlung als Arbeitsmaterial für Innovationsworkshops herunterladen.

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Die Grundlage der semantischen Intuition bilden meist zwei, manchmal auch drei, Listen mit Begriffen zu einem Oberthema, das zu der Ideenfindungsaufgabe passt. „Je besser die Kategorien der Listen gewählt sind, desto besser wird das Ergebnis“, sagt Graham Horton, Gesellschafter der Innovationsberatung Zephram und Professor für Informatik an der Universität Magdeburg. Er lehrt die Methode gern mit dem Beispiel eines fiktiven Start-ups, das eine App für Städte und Gemeinden entwickeln möchte. Horton lässt die Studierenden eine Liste mit Begriffen erstellen, die beschreiben, wofür die Stadtverwaltung verantwortlich ist. Zum Beispiel: Gehweg Park Friedhof Sperrmüll Stadtbibliothek Auf einer zweiten Liste bittet Horton die Studierenden, mögliche Funktionen eines Smartphones zu sammeln: Kalender Wecker Information Spiel Melder Auch wünschenswerte Eigenschaften, die das Produkt haben sollte, eignen sich gut. Das Start-up, das eine App für Städte und Gemeinden entwickelt, könnte zum Beispiel auf einer weiteren Liste Begriffe aufführen wie: intelligent, vorausschauend, einfach. Je länger die Listen, desto mehr Wortkombinationen sind möglich. Mit 20 Wörtern pro Liste ergeben sich 400 mögliche Paarungen. Horton rät, lieber weniger Begriffe zu sammeln, dafür aber passgenaue. Acht bis zehn pro Liste reichten aus seiner Sicht in vielen Fällen. Bei der Erstellung der Listen kann man sich auch von ChatGPT helfen lassen. Im Prompt sollte man dem Chatbot die gewünschte Anzahl an Begriffen nennen und das Oberthema spezifizieren. Zum Beispiel: „Erstelle mir eine Liste mit zehn Begriffen, die Aufgaben einer Stadtverwaltung beschreiben, und eine Liste mit zehn Begriffen, die Funktionen einer App beschreiben.“ Mehr dazu hier: ChatGPT für Marketingtexte nutzen: 7 erprobte Prompts, die Ihnen bei Marketingtexten helfen Wie läuft ein Brainstorming mit der Methode ab? Nun bildet die Gruppe neue Wörter aus den Begriffen. Das Start-up aus Hortons Beispiel kommt dabei auf Kombinationen wie „Gehwegmelder“ oder „Sperrmüllkalender“. „Da kann man sich sofort etwas drunter vorstellen“, findet Horton. Ein Gehwegmelder zum Beispiel könne eine Funktion sein, mit der Bürgerinnen und Bürger Schlaglöcher unkompliziert per App melden können, und ein Sperrmüllkalender eine automatische Erinnerung an Abholtermine der Stadtreinigung. Wie gut die Methode ihren Zweck erfüllt und die Teilnehmenden zu Kreativität beflügelt, hängt maßgeblich von der Präsentation der Wortneuschöpfungen ab. „Sie müssen überlegen, wie Sie einer Gruppe sehr viele Stichworte anbieten, ohne sie zu überlasten", sagt Graham Horton. Dafür eignen sich verschiedene Möglichkeiten. Matrix Wenn zwei Begriffslisten zum Einsatz kommen, können diese beispielsweise in einer Tabelle dargestellt werden: Die Wörter der einen Liste stehen in der Spaltenüberschrift und die Wörter der zweiten in der Zeilenüberschrift. Die neu gebildeten Begriffe füllen dann die Zellen der Matrix: Gehweg Sperrmüll Melder Gehwegmelder Sperrmüllmelder Wecker Gehwegwecker Sperrmüllwecker Auf einem großen Ausdruck können die Teilnehmenden des Kreativworkshops mit Klebepunkten markieren, welche Begriffspaarungen kreative Assoziationen in ihnen wecken. Der Vorteil dieser Darstellungsform: „Ich kann mich davorstellen und in meiner eigenen Geschwindigkeit gucken“, sagt Horton und warnt: „Eine Matrix mit sehr vielen Begriffen kann die Teilnehmer jedoch auch total erschlagen.“ Wer die Matrix als Präsentation wählt, sollte darum nicht zu viele Begriffe sammeln. Kartenspiel Eine weitere Möglichkeit ist, die Begriffe auf Karten zu drucken oder zu schreiben und in Stapel zu teilen. Diese Karten liegen verdeckt auf dem Tisch, dann wird jeweils eine pro Stapel aufgedeckt. Weckt eine Kombination eine Idee in jemandem, ruft die Person stopp und die Karten werden für die spätere Diskussion beiseitegelegt. Das Kartenspiel funktioniert am besten in Gruppen mit etwa fünf Personen. Größere Runden können auf mehrere Tische aufgeteilt werden. Horton gefällt an dieser Form, dass die Darstellung Tempo in das Brainstorming bringt. „Entweder man kann mit einem Begriffspaar was anfangen oder nicht. Dann schnell weg damit“, sagt er. Das richtige Tempo zu finden, sei gleichzeitig die größte Herausforderung für die Moderation, so der Experte. „Man braucht ein paar Millisekunden, um zu überlegen, ob einem etwas einfällt oder nicht. Die wenigsten Leute können auf Anhieb mit neuen Wortkombinationen etwas anfangen“, sagt Horton. Einarmiger Bandit Diese Darstellung eignet sich besonders, wenn man mit drei Listen arbeiten möchte. Jede wird einzeln ausgedruckt und die drei Listen nebeneinander auf den Tisch gelegt. Durch Verschieben nach oben und unten stehen immer neue Begriffe nebeneinander. Ein waagerecht gelegter Stift hilft, die Kombinationen hervorzuheben – sie stehen dann in einer Reihe wie die Früchte im Spielautomaten. Wer eine inspirierende Reihung entdeckt, gibt Bescheid und die Kombination wird notiert. [mehr-zum-thema] Dauer einer Session Die semantische Intuition ist eine Methode, die von der spontanen Inspiration lebt. „Diese Kreativmethode ist eher schnelllebig und kurz“, sagt Horton. Deswegen sollten die Sessions nicht zu lange dauern. Er rät zu rund 20 Minuten. Wofür kann man die Methode im Unternehmen verwenden? „Die semantische Intuition funktioniert, wenn man gut auflisten kann, worum es geht“, sagt Horton. Zum Beispiel in der Produktentwicklung, wenn das Ziel – ein neues Produkt – klar ist. Genauso taugt die Methode, um auf neue Ideen für Geschäftsmodelle zu kommen. Weniger geeignet ist das Vorgehen für vage oder komplexe Fragestellungen. „Die Methode funktioniert gut, wenn sie zur Fragestellung passt. Aber man sollte nichts übers Knie brechen“, warnt Horton. Denn wer beispielsweise mit zu beliebigen Begriffen arbeitet, erhält kaum brauchbare Kombinationen – und dann wirke das Vorgehen wie Bullshit-Bingo, so Horton. Für solche Fälle lohnt es sich, strukturierte Methoden der Ideenfindung in Betracht zu ziehen, etwa die Osborn-Checkliste und die 6-3-5-Methode. Infrage kommen auch Techniken, die das Einnehmen verschiedener Perspektiven erleichtern, wie die Walt-Disney-Methode und die 6 Denkhüte von De Bono. impulse-Mitglieder können sich eine Methodensammlung als Arbeitsmaterial für Innovationsworkshops herunterladen.
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