Ein Gespräch mit drei befreundeten Unternehmern kürzlich hat mich nachdenklich gemacht.
Der eine Unternehmer hatte mitbekommen, dass das Kind eines Mitarbeiters, ein 16-jähriger Teenie, die Schule regelmäßig schwänzte – und besorgte dem Angestellten prompt einen Platz bei einem Kinder- und Jugendpsychotherapeuten.
Der andere Unternehmer erzählte von einem Mitarbeiter, dessen Kleidungsstil er nicht hochwertig und modisch genug fand – und organisierte diesem kurzerhand einen Shoppingberater.
Der dritte Unternehmer und ich hörten zu und schauten uns an: Hätten wir das auch so gemacht? Wieweit darf und sollte man sich als Chefin oder Chef in das Privatleben seiner Mitarbeiter einbringen? Was ist noch Unternehmenssache und wann überschreitet man die Grenze zum Übergriffigen?
Gerade Familienunternehmer fühlen sich in der Verantwortung
Gerade bei Familienunternehmen habe ich öfter erlebt, dass sich der Chef und Eigentümer für seine Mitarbeiter so verantwortlich fühlt, als wenn sie zu seiner Familie dazugehörten:
- Der Mitarbeiter sucht eine neue Wohnung? Der Chef hört sich in seinem Netzwerk um.
- Der Mitarbeiter bekommt kurzfristig keinen OP-Termin für sein kaputtes Knie – der Chef arrangiert einen über seine Kontakte.
- Der Sohn der Mitarbeiterin findet keinen Ausbildungsplatz? Der Chef organisiert einen Platz über eine befreundete Unternehmerfamilie.
- Der Mitarbeiter hat Probleme, weil die Hausratversicherung nicht zahlt? Kein Problem. Der Chef lässt seinen Versicherungsprofi mal recherchieren, wie man sich da wehren kann.
Die Probleme der Mitarbeiter sind nicht meine eigenen
Ich finde: Diese „Ich kümmer mich um alles“-Haltung passt heute nicht mehr. Bei einer Führungskraft alter Schule mag es stimmig gewesen sein, aus einer hierarchischen Haltung heraus die Verantwortung für die Mitarbeiter zu übernehmen und ihnen Dinge abzunehmen. Heute nehmen Führungskräfte eine ganz andere Rolle ein: Führung heißt auch hier Entscheidungen treffen und Mitarbeiter entwickeln, aber auch persönliche, vertrauensvolle Beziehungen aufbauen, Feedback geben, zuhören, aber sich nicht anbiedern, ein offenes Ohr haben, aber nicht zum Kummerkasten werden.
Meine Teamleiter finden es oftmals schwierig, die richtige Linie zu finden zwischen „bis hierher“ und „ab hier nicht mehr“. Sie sagen: ich bin hilfsbereit, aber möchte die Probleme meiner Mitarbeiter nicht zu meinen eigenen machen.
Im Umgang mit dem Privatleben und Problemen von Mitarbeitern haben wir uns folgende Regeln überlegt:
1. Wir haben ein offenes Ohr.
Wir gehen achtsam durchs Unternehmen und sprechen Kollegen auch schon mal an, wenn wir das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt. Wir sind alle Menschen und keine Roboter. Bei niemandem läuft immer alles glatt: Eltern werden pflegebedürftig, Partner können krank werden, Kinder pubertieren.
Ich persönlich finde, dass man sich als Führungskraft durchaus für das Privatleben der Teammitglieder interessieren sollte. Für mich ist es hilfreich zu wissen, wenn jemand gerade mit dem Kopf woanders ist. Dann kann ich die Leistung besser einschätzen oder dem Mitarbeiter auch mal freigeben, wenn etwas Wichtiges zu regeln ist.
2. Niemand muss seine Lebensgeschichte erzählen.
Wir hören gerne zu. Aber jeder hat ein Recht auf Privatsphäre. Jeder bestimmt selbst, was er preisgibt.
3. Die Verantwortung liegt beim Mitarbeiter.
Mitarbeiter mit einem Rat helfen? – Gern! Bei bestimmten Problemen oder Anfragen kennt man vielleicht Experten, Plattformen oder Stellen, die man weiterempfehlen möchte, wie die beste Plattform, um gute Ausbildungsplätze zu finden, oder die psychosoziale Ratgeber-Organisation, die hilft, wenn Angehörige plötzlich zu Pflegefällen werde.
Aber aktiv etwas für einen Mitarbeiter regeln, was in seiner Kompetenz und in seinem Bereich liegt? Eigentlich nicht. Denn wir wollen ja eigentlich, dass unsere Mitarbeiter selbstständig sind.