Team in der Ukraine
„Wir versuchen, irgendwie Kontakt zu halten“

Video-Call im Bunker, Homeoffice an Orten, die kein Zuhause sind. Seit Kriegsbeginn gibt es keinen normalen Arbeitsalltag mehr für Knuth Rüffer und sein ukrainisches Team. Wie der Unternehmer hilft.

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Unternehmer Knuth Rüffer an der polnisch-ukrainischen Grenze in Zosin
Unternehmer Knuth Rüffer an der polnisch-ukrainischen Grenze in Zosin

Knuth Rüffer, 42, ist Unternehmer aus Achim bei Bremen. Seine Firma Scalors ist ein IT-Dienstleister und entwickelt für Kunden maßgeschneiderte Softwareprodukte. Vor Kriegsbeginn lebten 80 seiner 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kiew. Er selbst hat eine Wohnung in der ukrainischen Metropole und verbringt normalerweise rund sechs Monate im Jahr dort.

„Die ersten 24 Stunden war ich im Schockzustand. Ich wollte das nicht wahrhaben. Aber viel Zeit blieb nicht. Donnerstag ging der Krieg los und Freitagmittag bin ich losgefahren, um eine Kollegin von der polnisch-ukrainischen Grenze abzuholen. Das war ein einschneidendes Erlebnis für mich, als mir am Telefon jemand sagte: ‚Ich habe Angst um mein Leben. Ich muss hier rauskommen‘.

Wir versuchen, irgendwie Kontakt zu halten. Ich habe eine Liste und aktualisiere regelmäßig, wer sich gerade wo aufhält. Das ist aber nicht immer ganz einfach. In Kiew sind Strom und Internet bisher zum Glück stabil. Manche Mitarbeiter schalten sich in den Video-Call, während sie im U-Bahnschacht vor den Luftangriffen Schutz suchen. Andere sind eingezogen worden oder zu ihren Familien aufs Land geflüchtet, wo es kaum Handyempfang gibt. Wir haben einen Chat-Kanal, in dem sich alle untereinander organisieren oder einfach ab und zu ein Lebenszeichen geben können.

Viele Teammitglieder sind geflüchtet

Ein großer Teil meines Teams ist in die Westukraine nach Lwiw geflüchtet. Von den männlichen Kollegen sind aktuell fünf aus der Ukraine raus. Zwei waren früh genug dran, um noch ausreisen zu können, zwei hatten eine andere Staatsbürgerschaft und einer hat drei Kinder und durfte deswegen das Land verlassen.

Viele meiner Mitarbeiterinnen sind nach Deutschland gekommen. Unser halbes HR-Team ist inzwischen hier bei uns in Achim angekommen. Insgesamt haben wir hier bisher 21 Personen untergebracht. Die Hilfsbereitschaft in der Gegend ist unglaublich. Wir haben leerstehende Wohnungen und Hotelzimmer angeboten bekommen. Spielzeug und Kleidung wurden gespendet.

Unsere Kunden unterstützen uns

Auch unsere Kunden stehen total an unserer Seite. Wir schaffen aktuell etwa 50 Prozent unserer normalen Arbeitsleistung, aber wir haben nicht einen Kunden, der seine Rechnung nicht mehr zahlen will. Manche Kunden haben sogar eigene Spenden-Sammelaktionen für unser Team gemacht.

Nun steht viel Bürokratie an. Aber wir kommen voran. Die Tochter einer Kollegin geht sogar schon hier zur Schule und in den Sportverein. Es ist unglaublich, wie schnell die Kinder sich an die neue Situation anpassen, obwohl sie nicht ein Wort Deutsch verstehen.

Letzte Woche bin ich ein zweites Mal an die Grenze gefahren, um noch einen Kollegen und mein Auto abzuholen. Eine Familie war damit nach Lwiw geflüchtet. Bei meinem letzten Besuch in Kiew Mitte Februar hatte ich Schlüssel und Papiere dagelassen – denn damals kam schon die Reisewarnung vom Auswärtigen Amt und ich bin spontan mit dem Flugzeug nach Deutschland zurückgereist.

Beeindruckende Hilfsbereitschaft

Um den Wagen abzuholen, musste ich in die Ukraine einreisen. Das war ein ganz komisches Gefühl. Aber trotz allen Leids gab es auch berührende Momente. Die Hilfsbereitschaft dort ist beeindruckend. Im Grenzbereich ist es nicht erlaubt, zu Fuß unterwegs zu sein. Daher brauchten wir eine Mitfahrgelegenheit. Eine Mutter und ihre Tochter haben uns sofort die Rückbank freigeräumt – obwohl wir Wildfremde waren. Zwei Stunden saßen wir gemeinsam in der Autoschlange. Wir haben deutsche Schokolade verschenkt und ukrainische Schokolade geschenkt bekommen. Und wir haben wahnsinnig persönliche Geschichten gehört.

Am Ende der Autoschlange wartete mein Kollege mit dem Wagen und seiner Familie. Wir konnten dann umsteigen und die Grenze passieren. Da mein Kollege einen russischen Pass hat, durfte er zwar ausreisen – vorher wurde er aber noch drei Stunden lang verhört.

Knuth Rüffers Auto nach der Flucht aus Kiew

 

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Sobald ich wieder hier war, wirkte das alles total surreal. Wenn ich die Bilder aus Irpin sehe, denke ich: Da bin ich letztens noch spazieren gegangen oder dort stand mal mein Lieblings-Italiener. Dass ich in diesen Wochen kaum Zeit zum Nachdenken habe, ist wahrscheinlich das Einzige, was meine geistige Gesundheit rettet. Ich bin den ganzen Tag damit beschäftigt, zu organisieren und mein Team und die Familien in Sicherheit zu bringen.“

Knuth Rüffer, 42, ist Unternehmer aus Achim bei Bremen. Seine Firma Scalors ist ein IT-Dienstleister und entwickelt für Kunden maßgeschneiderte Softwareprodukte. Vor Kriegsbeginn lebten 80 seiner 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kiew. Er selbst hat eine Wohnung in der ukrainischen Metropole und verbringt normalerweise rund sechs Monate im Jahr dort. „Die ersten 24 Stunden war ich im Schockzustand. Ich wollte das nicht wahrhaben. Aber viel Zeit blieb nicht. Donnerstag ging der Krieg los und Freitagmittag bin ich losgefahren, um eine Kollegin von der polnisch-ukrainischen Grenze abzuholen. Das war ein einschneidendes Erlebnis für mich, als mir am Telefon jemand sagte: ‚Ich habe Angst um mein Leben. Ich muss hier rauskommen‘. Wir versuchen, irgendwie Kontakt zu halten. Ich habe eine Liste und aktualisiere regelmäßig, wer sich gerade wo aufhält. Das ist aber nicht immer ganz einfach. In Kiew sind Strom und Internet bisher zum Glück stabil. Manche Mitarbeiter schalten sich in den Video-Call, während sie im U-Bahnschacht vor den Luftangriffen Schutz suchen. Andere sind eingezogen worden oder zu ihren Familien aufs Land geflüchtet, wo es kaum Handyempfang gibt. Wir haben einen Chat-Kanal, in dem sich alle untereinander organisieren oder einfach ab und zu ein Lebenszeichen geben können. Viele Teammitglieder sind geflüchtet Ein großer Teil meines Teams ist in die Westukraine nach Lwiw geflüchtet. Von den männlichen Kollegen sind aktuell fünf aus der Ukraine raus. Zwei waren früh genug dran, um noch ausreisen zu können, zwei hatten eine andere Staatsbürgerschaft und einer hat drei Kinder und durfte deswegen das Land verlassen. Viele meiner Mitarbeiterinnen sind nach Deutschland gekommen. Unser halbes HR-Team ist inzwischen hier bei uns in Achim angekommen. Insgesamt haben wir hier bisher 21 Personen untergebracht. Die Hilfsbereitschaft in der Gegend ist unglaublich. Wir haben leerstehende Wohnungen und Hotelzimmer angeboten bekommen. Spielzeug und Kleidung wurden gespendet. Unsere Kunden unterstützen uns Auch unsere Kunden stehen total an unserer Seite. Wir schaffen aktuell etwa 50 Prozent unserer normalen Arbeitsleistung, aber wir haben nicht einen Kunden, der seine Rechnung nicht mehr zahlen will. Manche Kunden haben sogar eigene Spenden-Sammelaktionen für unser Team gemacht. Nun steht viel Bürokratie an. Aber wir kommen voran. Die Tochter einer Kollegin geht sogar schon hier zur Schule und in den Sportverein. Es ist unglaublich, wie schnell die Kinder sich an die neue Situation anpassen, obwohl sie nicht ein Wort Deutsch verstehen. Letzte Woche bin ich ein zweites Mal an die Grenze gefahren, um noch einen Kollegen und mein Auto abzuholen. Eine Familie war damit nach Lwiw geflüchtet. Bei meinem letzten Besuch in Kiew Mitte Februar hatte ich Schlüssel und Papiere dagelassen – denn damals kam schon die Reisewarnung vom Auswärtigen Amt und ich bin spontan mit dem Flugzeug nach Deutschland zurückgereist. Beeindruckende Hilfsbereitschaft Um den Wagen abzuholen, musste ich in die Ukraine einreisen. Das war ein ganz komisches Gefühl. Aber trotz allen Leids gab es auch berührende Momente. Die Hilfsbereitschaft dort ist beeindruckend. Im Grenzbereich ist es nicht erlaubt, zu Fuß unterwegs zu sein. Daher brauchten wir eine Mitfahrgelegenheit. Eine Mutter und ihre Tochter haben uns sofort die Rückbank freigeräumt – obwohl wir Wildfremde waren. Zwei Stunden saßen wir gemeinsam in der Autoschlange. Wir haben deutsche Schokolade verschenkt und ukrainische Schokolade geschenkt bekommen. Und wir haben wahnsinnig persönliche Geschichten gehört. Am Ende der Autoschlange wartete mein Kollege mit dem Wagen und seiner Familie. Wir konnten dann umsteigen und die Grenze passieren. Da mein Kollege einen russischen Pass hat, durfte er zwar ausreisen – vorher wurde er aber noch drei Stunden lang verhört. [caption id="attachment_7608459" align="alignnone" width="430"] Knuth Rüffers Auto nach der Flucht aus Kiew[/caption]   Sobald ich wieder hier war, wirkte das alles total surreal. Wenn ich die Bilder aus Irpin sehe, denke ich: Da bin ich letztens noch spazieren gegangen oder dort stand mal mein Lieblings-Italiener. Dass ich in diesen Wochen kaum Zeit zum Nachdenken habe, ist wahrscheinlich das Einzige, was meine geistige Gesundheit rettet. Ich bin den ganzen Tag damit beschäftigt, zu organisieren und mein Team und die Familien in Sicherheit zu bringen.“