impulse: Frau Lausch, Transparenz ist zum Buzzword geworden, wenn es um Führungsarbeit geht. Was bedeutet der Begriff konkret und warum lohnt es sich, transparent zu führen?
Karin Lausch: Es gibt viele Definitionen. Eine, die im Unternehmenskontext für mich persönlich am hilfreichsten ist: Informationszugänglichkeit. Bei Transparenz geht es darum, dass Informationen für alle zugänglich sind und geteilt werden. Das können aktuelle Geschäftszahlen, die Marktlage oder Trends sein, aber auch menschenbezogene Informationen, beispielsweise: „Wie geht es mir als Führungskraft gerade?“ Diese Transparenz schafft Handlungsfähigkeit. Nur wenn mein Team das Problem kennt, kann es ins Machen kommen und Einzelne können ihre Meinungen und Gedanken teilen. Es gibt kaum einen stärkeren Bindungsfaktor als Menschen zu direkten Beteiligten zu machen.
Viele Führungskräfte wollen stark wirken und schlechte Nachrichten zurückhalten. Warum ist es trotzdem wichtig, auch Negatives offen zu kommunizieren?
Es liegt an unserer Sozialisation, dass vor allem Führungskräfte glauben, den Menschen nicht zu viel zumuten zu dürfen und schwierige Zeiten allein schultern zu müssen. Sie glauben, es schade der Handlungsfähigkeit. Ein Beispiel: Viele Unternehmen strukturieren gerade um, Budgets werden gekürzt. Spätestens wenn es darum geht, Stellen abzubauen, kommt die Frage auf: „Wie gehen wir mit dieser Information um?“ und allzu oft ist die Entscheidung: „Das müssen wir für uns behalten, das würde die Leute ja fertig machen. Dann arbeiten sie gar nicht mehr.“
Besser für die Handlungsfähigkeit wäre aber, wenn das Team Bescheid weiß und die Erfahrung macht: „Ah, hier können wir auch über echt beschissene Themen sprechen und das gemeinsam meistern.“ Wenn Menschen nicht Bescheid wissen, können sie auch nicht handeln, nicht helfen, nicht unterstützen. Jeder Mensch muss im echten Leben mit schlechten Nachrichten klarkommen und durch Krisen navigieren. Warum wollen wir dies im Arbeitskontext künstlich vorwegnehmen?
Gibt es so etwas wie den richtigen oder falschen Zeitpunkt, um Informationen zu teilen?
Wir Menschen haben extrem feine Antennen und spüren sofort, wenn jemand versucht, etwas zurückzuhalten. Daher mein Rat: Sobald ich etwas weiß, sollte ich dies direkt mit dem Team teilen, am besten ohne Beschönigung. Wenn ich als Geschäftsführerin oder Geschäftsführer weiß, dass im nächsten Jahr eine Abteilung eingestampft wird, dann ist das die Kernbotschaft, die muss direkt raus. Ich kann meinen Teammitgliedern jede Information zumuten – ich darf sie nur nicht damit alleine lassen.
Wie gelingt es, auch bei schwierigen Botschaften transparent zu sein – ohne zu verunsichern?
Auf die Fakten folgt das Innenleben. Damit du nicht erst über den Flurfunk erfährst, was deine Mitarbeitenden über bestimmte Informationen denken, solltest du selbst in Vorleistung gehen und zunächst teilen, wie es dir damit geht. Etwa so: „Es ist noch unklar, wann es losgeht und ich bin auch traurig über Entscheidung XY“. Dieses Maß an Verletzlichkeit ist an dieser Stelle entscheidend, weil es menschlich macht.
Im Anschluss kannst du dich nach den Bedenken und Gefühlen deines Teams erkundigen, und danach auf keinen Fall vergessen, gemeinsam Lösungen zu suchen: „Jetzt lasst uns schauen, wie wir damit umgehen. Was würde euch helfen?“ Vielleicht trifft man sich zum zweiwöchigen Update und schafft hier einen Raum, alle Fragen zu klären. Das gibt Orientierung. Oder man überlegt gemeinsam, wie man das Teamgefühl stärken kann oder was man sich als Team gerade Gutes tun kann, etwa einen Teamtag planen.
Mit welchen Maßnahmen lässt sich Transparenz im Arbeitsalltag spürbar verankern?
Die erste Regel lautet: Vorleben. Wenn ich als Chefin oder Chef selbst mal in einem Meeting sage: „Macht das überhaupt Sinn, wie wir vorgehen? Was meint ihr?“, dann werden sich auch andere trauen, eingefahrene Prozesse in Frage zu stellen. So entsteht Austausch – nicht durchs Einfordern, sondern durchs Teilen eigener Gedanken und Gefühle und Fragen nach denen des Teams. Wenn sich dann jemand äußert, sollte ich als Führungskraft Verständnis zeigen, mich bedanken und sagen, dass ich es stark finde, dass die Person das teilt.
Ich kann mich auch spielerisch rantasten, zum Beispiel mit einer „Unpopular Opinion Runde“, in der alle alles ansprechen können, womit sie sonst glauben, anzuecken. Das muss anfangs nichtmal unbedingt der eigenen Meinung entsprechen und das ist das Tolle daran. Man übt gemeinsam. Und mit der Zeit wird es immer einfacher und normaler auch Unbequemes anzusprechen. Wenn ich als Führungskraft sage, was mir gerade zu schaffen macht, werden mir meine Mitarbeitenden auch eher sagen, was ihnen zu schaffen macht und ich kann gezielt auf ihre Bedürfnisse eingehen.
Zu wissen, dass Transparenz wichtig ist, und Transparenz wirklich zu leben – das sind oft zwei verschiedene Paar Schuhe.
Im Alltag helfen die drei R, um transparent zu führen: Rollen, Regeln und Routinen.
Rollen: Wer kann im Unternehmen Transparenz fördern? Geschäftsführung, Personalabteilung, interne Kommunikation?
Regeln: Wie schnell geben wir Infos weiter und welche Art von Infos müssen geteilt werden? Damit beispielsweise auch die zweite Führungsebene weiß, dass sie ohne Erlaubnis neue Informationen mit dem Team direkt teilen darf.
Routinen: Wo und wie fließen bei uns Informationen? In Konzernen sind das Town Halls, in kleineren Betrieben kann es ein Monatsmeeting oder die Kaffeerunde am Mittwochmorgen sein. Auch Chats, Trelloboards oder das schwarze Brett im Aufenthaltsraum sind Kanäle. Wichtig ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, wo sie welche Art von Informationen finden können.
Chats, Boards, Meetings – das kann schnell zu viel werden. Nicht alles betrifft immer alle Mitarbeitende.
Es gibt inzwischen gute KI-Tools, etwa Notebook LM, die Informationen rollenbasiert filtern und als Text oder Podcast aufbereiten. Wichtiger ist aber, die Menschen zu befähigen, sich im Informationsdschungel zurechtzufinden. Einfach mal fragen: „Wie geht es euch mit der Zugänglichkeit der Informationen? Wo habt ihr das Gefühl ‚Boah, das ist viel zu viel’ oder wo guckt ihr gar nicht erst rein?“ Im Austausch lässt sich dann ein passender Umgang vereinbaren, beispielsweise gucken alle in der ersten Viertelstunde des Tages oder kurz vor Feierabend – Stichwort Routine! – in einen bestimmten Kanal oder ins Intranet und informieren sich.
Neben der schieren Informationsmenge – welche Hürden sehen Sie noch beim Thema Transparenz?
Das Schönreden von Umständen. Ich sehe Unternehmen, da werden Projekte mit 150 km/h gegen die Wand gefahren, aber bis zum Totalschaden positiv verkauft. Die Leute sind aber nicht blöd, die sehen, dass es nicht gut läuft. Und dann entsteht ein erlebter Widerspruch, der zu Misstrauen führt.
Und was passiert dann?
Es kostet Produktivität, Motivation und Geld. Bis zu 41 Prozent unserer Arbeitszeit gehen laut einer Deloitte Studie schon jetzt für Tätigkeiten drauf, die keinen echten Beitrag leisten – weil sich keiner traut, zu widersprechen oder einen Cut zu machen. In einer Zeit, in der sich über zwei Drittel der Menschen dauerhaft erschöpft fühlen, ist das nicht nur ineffizient, sondern fahrlässig. Transparenz bedeutet, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen – damit wir schneller umsteuern können.
Gleichzeitig arbeiten Führungskräfte gegen die Realität, wenn sie nicht transparent sind. Wer weiß, dass eine Umstrukturierung ansteht, muss in Meetings so tun, als gäbe es das Problem nicht, und Gespräche führen mit Menschen, die bald gekündigt werden. Der Druck, auch in unsicheren Zeiten Sicherheit vermitteln zu müssen, lastet enorm auf den Schultern der Führungskräfte und ist extrem schädlich für die eigene mentale Gesundheit. Wir sollten die Zeit besser nutzen, transparent zu sein und MIT der Realität zu arbeiten, sprich: uns vorbereiten, Gespräche führen, Gelder umverteilen, neue Einsatzpläne ausarbeiten. Oder ich nutze die wervolle Arbeitszeit der Beschäftigten für Schulungen, statt meine und ihre Zeit damit zu verschwenden, ihnen etwas vorzuspielen.
Muss ich wirklich ALLES mit allen teilen? Wo liegen die Grenzen von Transparenz?
Spätestens wenn es um personenbezogene Daten geht, ist Schluss mit Transparenz. Die Hintergründe einer konkreten Krankheit, eine Trennung, finanzielle Schwierigkeiten oder auch individuelle Leistungs- und Feedbackthemen gehen niemanden etwas an. Man kann sich immer fragen: Erhöht es die Handlungsfähigkeit der Leute, wenn sie wissen, WARUM jemand ausfällt? Nein. Wichtig ist, sobald wie möglich zu wissen, DASS jemand ausfällt, und entsprechend Arbeit neu zu verteilen.

