Wahrnehmungsfehler beim Recruiting
Plötzlich lag ein Hundehaufen im Büro

Der neue Mitarbeiter bringt das gesamte Team durcheinander. Wie konnte das passieren? Er hatte doch einen so guten Eindruck gemacht! Unternehmerin und impulse-Bloggerin Anabel Ternès über ihre schlechteste Personalentscheidung.

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Wahrnehmungsfehler Recruiting
Zunächst erschien er als perfekte Wahl - doch der neue Mitarbeiter von Anabel Ternès sorgte nur für Chaos.

Mein erster Tag nach meinem Urlaub. Ich kam ins Büro und traute meinen Augen und meiner Nase nicht: Was für ein Gestank schon beim Reinkommen! Einen Sekundenbruchteil später sah ich auch gleich den Grund: ein Hundehaufen. Es stellte sich heraus: Mein neuer Projektmanager Jo hatte einen Hund mit ins Büro gebracht. Und dieser hatte mit einem großen, stinkenden Etwas ein eindrucksvolles Zeichen gesetzt. Aber wieso Hund? Wer hatte ihm denn erlaubt, einen Hund ins Büro mitzubringen? Und wieso wusste ich davon nichts?

Nach einigem Nachfragen stellte sich heraus: Während meines Urlaubs hatte Jo einer leitenden Mitarbeiterin, die mich während meines Urlaubs vertrat, freudestrahlend erzählt, ich hätte ihm erlaubt, dass er sich einen Hund kauft und diesen auch ins Büro mitbringen kann. Sie habe doch sicher auch nichts dagegen. Da sie davon ausging, ich hätte dies genehmigt, erlaubte sie es ebenfalls. Von da an war der Hund im Büro.

Ich war leicht genervt

Es war nicht das erste Mal, dass Jo sich auffällig verhielt. Als die Sache mit dem Hund passierte, war er fast zwei Monate bei uns im Job. In diesen acht Wochen hatte er einmal für 24 Stunden das Internet lahmgelegt, Unterwäsche für sich auf den Namen eines Kollegen ins Büro bestellt, mit falschen Informationen Mitarbeiter gegeneinander ausgespielt und mehrfach die Alarmanlage des Büros ausgelöst. Von den meisten Vorkommnissen erfuhr ich erst später – und zwar nachdem ich ihm gekündigt hatte. Das Team war erleichtert und gab eine Anekdote nach der anderen zum Besten. „Warum habt ihr mir das nicht direkt gesagt?“, fragte ich leicht genervt. Keiner hatte den Kollegen verpfeifen wollen. Jeder hatte gehofft, dass es sich um Versehen gehandelt hatte und er sich mit der Zeit einpassen würde.

Als Jo weg war, schienen alle erleichtert. Und doch war die Stimmung noch Tage später gedämpft. Ich merkte, wie viel Unruhe Jo und sein Weggang im Team verursacht hatten – und das in nur acht Wochen. So ein Fehlgriff sollte mir nicht noch einmal passieren.

Wieso hatten wir uns so in ihm getäuscht? Was war die Lücke oder der Fehler in meinem Bewerber-Verfahren, dass ich mich für jemanden so Unpassendes entschieden hatte?

Wie konnte uns dieser Fehlgriff nur passieren?

Wir hatten ein mehrstufiges Bewerber-Verfahren entwickelt: Nach einem ersten Telefoninterview forderten wir vom Kandidaten zusätzlich zu seinem Lebenslauf ein Kurzprofil an, das die eigenen Themen, Ziele, Werte, soziale und fachliche Kompetenzen enthielt, und gaben ihm eine kleine unternehmensbezogene Aufgabe. Darauf folgte ein persönliches Bewerbungsgespräch mit zwei Kollegen, in dem wir halbstandardisierte Fragen stellten, auf das Kurzprofil und die Aufgabe eingingen.

Verlief dieses Gespräch positiv, fand bei einem Mittagessen ein zweites Bewerbungsgespräch mit den gleichen Kollegen statt. Hierbei ging es darum, inhaltliche Punkte zu vertiefen und den Kandidaten auch menschlich besser kennenzulernen. Auch Details zur Stelle wurden schon besprochen. Waren wir uns danach einig, machten wir dem Kandidaten ein Angebot.

Ich war damals im Einstellen von Mitarbeitern schon absolut erfahren. Bevor ich mein erstes Unternehmen gründete, hatte ich als leitende Angestellte in großen internationalen Unternehmen zahlreiche Mitarbeiter eingestellt – eine nennenswerte Fehlbesetzung war nicht dabei.

Aber als Unternehmerin war es plötzlich etwas anderes, neue Leute einzustellen: Ich wusste, was es mich kosten könnte, eine falsche Personaleinstellung vorzunehmen.

Der Grund für die Fehlentscheidung: ein klassischer Wahrnehmungsfehler

Ich setzte mich damals hin und analysierte, wie es zu der Falschbesetzung kommen konnte. Und mir fiel es wieder ein: Wir hatten wie sonst auch ein Suchprofil erstellt und die Bewerber analysiert. Anders aber war: Im Gespräch hatte der betreffende Kandidat damals genau die drei Punkte mehrfach im genauen Wortlaut genannt, die wir als die wichtigsten notiert hatten: mehrjähriges Engagement in Nachhaltigkeitsprojekten, Erfahrung mit AdWords und SEO, also Google-Werbung und Suchmaschinenoptimierung, und Vertriebsstärke, auch in der Kaltakquise. Und dann hatte er auch noch begeistert von einem ehrenamtlichen Projekt erzählt, in dem er sich engagiert hatte.

In Gedanken hatten wir einen Haken hinter unsere Suchbereiche gemacht und waren erleichtert, dass der Kandidat scheinbar optimal unseren Erwartungen entsprach. Psychologen nennen das Cognitive Bias – Wahrnehmungsfehler: Wir hatten unsere Erwartungen auf den Kandidaten projiziert und er schien dank der richtigen Wörter und Geschichten unsere Erwartungen an einen optimalen Kandidaten zu erfüllen. Das überstrahlte für uns Jos übrige Antworten. Alles, was er sagte, interpretierten wir so um, dass es unseren Eindruck bestätigte. Wir entschieden: Das passt ja perfekt – ehrenamtlich war er auch noch engagiert und reden konnte er und sowieso.

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Im Nachhinein wurde uns klar: Die Emotionen waren mit uns durchgegangen, wir hatten aus wenigen Informationen aufs Ganze geschlossen. Über die Begeisterung, genau denjenigen vor uns zu haben, nach dem wir gesucht hatten, haben wir danach die ersten Hinweise heruntergespielt, dass es mit ihm nicht passt: „Das wird schon. Er fängt ja erst an. Das kann man jetzt noch nicht von ihm verlangen.“

Unsere Regeln für Vorstellungsgespräche

Daher haben wir uns neue Regeln überlegt, um uns vor zukünftigen Fehlentscheidungen zu wappnen:

  • Nie Gespräche allein führen: Jedes Bewerbungsgespräch mindestens zu zweit führen. Das Interviewer-Team sollte in Bewerbungsgesprächen geschult sein. Es gibt einige gute Ratgeberbücher, zudem lernt man aus der Praxis – Übung ist entscheidend. Wichtig ist auch, dass das Team aufeinander abgestimmt ist.
  • In Bewerbungsgesprächen nur erfahrene Kollegen einsetzen. Darauf achten, dass diejenigen, die die Gespräche führen, strukturiert und analytisch agieren, zugleich aber über psychologisches oder Personalmanagement-Know-how verfügen. Man sollte die typischen Wahrnehmungsfehler kennen. (Mehr dazu: Interviewer Bias: Warum Sie sich für den Falschen entscheiden)
  • Immer mindestens zwei Gespräche vor Vertragsunterzeichnung führen und vor der Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten immer einen Tag Zeit lassen.
  • Die eigene Wahrnehmung und Selbstreflexion üben. Gut geeignet sind dafür Rollenspiele und auch, sich aus der Perspektive eines Gegenübers zu betrachten.
  • Teilstandardisierte Fragenkataloge verwenden. Das heißt, man greift auf vorgegebene Fragen zurück, hat aber die Chance nachzufragen und die Fragen auf die Position und Person hin anzupassen.
  • Gesprächsverläufe und -inhalte festhalten. Es ist wichtig, das Wichtigste Schwarz auf Weiß zu haben – so hält man den Fokus auf den Fakten.
  • Entscheidungen immer überschlafen, sich nicht unter Druck setzen lassen, auch wenn man vermeintlich schon sicher ist.

Hat es funktioniert? Ja, zum Glück! Seitdem wir uns daran halten und das Vorgehen auch von allen Kollegen einfordern, die im Kandidatengespräch dabei sind, weiß ich, wie einfach die richtige Personalentscheidung sein kann. Wenn man sich an Verläufe, Regeln und Konzepte hält – und die eigene Intuition nicht vergisst.

Mein erster Tag nach meinem Urlaub. Ich kam ins Büro und traute meinen Augen und meiner Nase nicht: Was für ein Gestank schon beim Reinkommen! Einen Sekundenbruchteil später sah ich auch gleich den Grund: ein Hundehaufen. Es stellte sich heraus: Mein neuer Projektmanager Jo hatte einen Hund mit ins Büro gebracht. Und dieser hatte mit einem großen, stinkenden Etwas ein eindrucksvolles Zeichen gesetzt. Aber wieso Hund? Wer hatte ihm denn erlaubt, einen Hund ins Büro mitzubringen? Und wieso wusste ich davon nichts? Nach einigem Nachfragen stellte sich heraus: Während meines Urlaubs hatte Jo einer leitenden Mitarbeiterin, die mich während meines Urlaubs vertrat, freudestrahlend erzählt, ich hätte ihm erlaubt, dass er sich einen Hund kauft und diesen auch ins Büro mitbringen kann. Sie habe doch sicher auch nichts dagegen. Da sie davon ausging, ich hätte dies genehmigt, erlaubte sie es ebenfalls. Von da an war der Hund im Büro. Ich war leicht genervt Es war nicht das erste Mal, dass Jo sich auffällig verhielt. Als die Sache mit dem Hund passierte, war er fast zwei Monate bei uns im Job. In diesen acht Wochen hatte er einmal für 24 Stunden das Internet lahmgelegt, Unterwäsche für sich auf den Namen eines Kollegen ins Büro bestellt, mit falschen Informationen Mitarbeiter gegeneinander ausgespielt und mehrfach die Alarmanlage des Büros ausgelöst. Von den meisten Vorkommnissen erfuhr ich erst später – und zwar nachdem ich ihm gekündigt hatte. Das Team war erleichtert und gab eine Anekdote nach der anderen zum Besten. „Warum habt ihr mir das nicht direkt gesagt?“, fragte ich leicht genervt. Keiner hatte den Kollegen verpfeifen wollen. Jeder hatte gehofft, dass es sich um Versehen gehandelt hatte und er sich mit der Zeit einpassen würde. Als Jo weg war, schienen alle erleichtert. Und doch war die Stimmung noch Tage später gedämpft. Ich merkte, wie viel Unruhe Jo und sein Weggang im Team verursacht hatten - und das in nur acht Wochen. So ein Fehlgriff sollte mir nicht noch einmal passieren. Wieso hatten wir uns so in ihm getäuscht? Was war die Lücke oder der Fehler in meinem Bewerber-Verfahren, dass ich mich für jemanden so Unpassendes entschieden hatte? Wie konnte uns dieser Fehlgriff nur passieren? Wir hatten ein mehrstufiges Bewerber-Verfahren entwickelt: Nach einem ersten Telefoninterview forderten wir vom Kandidaten zusätzlich zu seinem Lebenslauf ein Kurzprofil an, das die eigenen Themen, Ziele, Werte, soziale und fachliche Kompetenzen enthielt, und gaben ihm eine kleine unternehmensbezogene Aufgabe. Darauf folgte ein persönliches Bewerbungsgespräch mit zwei Kollegen, in dem wir halbstandardisierte Fragen stellten, auf das Kurzprofil und die Aufgabe eingingen. Verlief dieses Gespräch positiv, fand bei einem Mittagessen ein zweites Bewerbungsgespräch mit den gleichen Kollegen statt. Hierbei ging es darum, inhaltliche Punkte zu vertiefen und den Kandidaten auch menschlich besser kennenzulernen. Auch Details zur Stelle wurden schon besprochen. Waren wir uns danach einig, machten wir dem Kandidaten ein Angebot. Ich war damals im Einstellen von Mitarbeitern schon absolut erfahren. Bevor ich mein erstes Unternehmen gründete, hatte ich als leitende Angestellte in großen internationalen Unternehmen zahlreiche Mitarbeiter eingestellt - eine nennenswerte Fehlbesetzung war nicht dabei. Aber als Unternehmerin war es plötzlich etwas anderes, neue Leute einzustellen: Ich wusste, was es mich kosten könnte, eine falsche Personaleinstellung vorzunehmen. Der Grund für die Fehlentscheidung: ein klassischer Wahrnehmungsfehler Ich setzte mich damals hin und analysierte, wie es zu der Falschbesetzung kommen konnte. Und mir fiel es wieder ein: Wir hatten wie sonst auch ein Suchprofil erstellt und die Bewerber analysiert. Anders aber war: Im Gespräch hatte der betreffende Kandidat damals genau die drei Punkte mehrfach im genauen Wortlaut genannt, die wir als die wichtigsten notiert hatten: mehrjähriges Engagement in Nachhaltigkeitsprojekten, Erfahrung mit AdWords und SEO, also Google-Werbung und Suchmaschinenoptimierung, und Vertriebsstärke, auch in der Kaltakquise. Und dann hatte er auch noch begeistert von einem ehrenamtlichen Projekt erzählt, in dem er sich engagiert hatte. In Gedanken hatten wir einen Haken hinter unsere Suchbereiche gemacht und waren erleichtert, dass der Kandidat scheinbar optimal unseren Erwartungen entsprach. Psychologen nennen das Cognitive Bias – Wahrnehmungsfehler: Wir hatten unsere Erwartungen auf den Kandidaten projiziert und er schien dank der richtigen Wörter und Geschichten unsere Erwartungen an einen optimalen Kandidaten zu erfüllen. Das überstrahlte für uns Jos übrige Antworten. Alles, was er sagte, interpretierten wir so um, dass es unseren Eindruck bestätigte. Wir entschieden: Das passt ja perfekt – ehrenamtlich war er auch noch engagiert und reden konnte er und sowieso. Im Nachhinein wurde uns klar: Die Emotionen waren mit uns durchgegangen, wir hatten aus wenigen Informationen aufs Ganze geschlossen. Über die Begeisterung, genau denjenigen vor uns zu haben, nach dem wir gesucht hatten, haben wir danach die ersten Hinweise heruntergespielt, dass es mit ihm nicht passt: „Das wird schon. Er fängt ja erst an. Das kann man jetzt noch nicht von ihm verlangen.“ Unsere Regeln für Vorstellungsgespräche Daher haben wir uns neue Regeln überlegt, um uns vor zukünftigen Fehlentscheidungen zu wappnen: Nie Gespräche allein führen: Jedes Bewerbungsgespräch mindestens zu zweit führen. Das Interviewer-Team sollte in Bewerbungsgesprächen geschult sein. Es gibt einige gute Ratgeberbücher, zudem lernt man aus der Praxis - Übung ist entscheidend. Wichtig ist auch, dass das Team aufeinander abgestimmt ist. In Bewerbungsgesprächen nur erfahrene Kollegen einsetzen. Darauf achten, dass diejenigen, die die Gespräche führen, strukturiert und analytisch agieren, zugleich aber über psychologisches oder Personalmanagement-Know-how verfügen. Man sollte die typischen Wahrnehmungsfehler kennen. (Mehr dazu: Interviewer Bias: Warum Sie sich für den Falschen entscheiden) Immer mindestens zwei Gespräche vor Vertragsunterzeichnung führen und vor der Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten immer einen Tag Zeit lassen. Die eigene Wahrnehmung und Selbstreflexion üben. Gut geeignet sind dafür Rollenspiele und auch, sich aus der Perspektive eines Gegenübers zu betrachten. Teilstandardisierte Fragenkataloge verwenden. Das heißt, man greift auf vorgegebene Fragen zurück, hat aber die Chance nachzufragen und die Fragen auf die Position und Person hin anzupassen. Gesprächsverläufe und -inhalte festhalten. Es ist wichtig, das Wichtigste Schwarz auf Weiß zu haben – so hält man den Fokus auf den Fakten. Entscheidungen immer überschlafen, sich nicht unter Druck setzen lassen, auch wenn man vermeintlich schon sicher ist. Hat es funktioniert? Ja, zum Glück! Seitdem wir uns daran halten und das Vorgehen auch von allen Kollegen einfordern, die im Kandidatengespräch dabei sind, weiß ich, wie einfach die richtige Personalentscheidung sein kann. Wenn man sich an Verläufe, Regeln und Konzepte hält – und die eigene Intuition nicht vergisst.
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