Entscheidungsmüdigkeit
Das hilft, wenn der Kopf bei zu vielen Entscheidungen raucht

Den ganzen Tag Entscheidungen zu treffen erschöpft – Entscheidungsmüdigkeit nennt sich dieses Phänomen. Wie Sie trotzdem gut entscheiden.

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Ja, nein, vielleicht? Bei vielen Unternehmern stellt sich Entscheidungsmüdigkeit ein
© Paula Daniëlse / Moment / Getty Images

Ob es um banale Dinge wie das Mittagessen, das passende Outfit für einen Termin oder um wirklich Wichtiges wie einen Vertrag mit potenziellen Geschäftspartnern geht: Jeden Tag treffen wir zahlreiche Entscheidungen. Manche bewusst, andere unbewusst. Doch wer zu viele Dinge an einem Tag entscheiden muss, ist irgendwann nicht mehr dazu in der Lage, eine Wahl zu treffen.

Nicht nur körperliche Arbeit kann müde und erschöpft machen, auch Entscheidungen können diesen Effekt haben, sagt Florian Artinger, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut und Mitgründer des Entscheidungsinstituts Simply Rational. Entscheidungsmüdigkeit nennt sich dieses Phänomen.

Unternehmerinnen und Unternehmer müssen ständig Entscheidungen treffen. Aber wie können sie sicherstellen, dass sie auch noch gute Entscheidungen treffen, wenn der Kopf raucht? Sechs Tipps, die Entscheidungsmüdigkeit vorbeugen und zu besseren Entscheidungen beitragen.

1. Unwichtige Entscheidungen ausklammern

Wer ständig sehr viele Entscheidungen treffen muss, sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren – und sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufhalten. Wie Chefs dadurch für mehr Klarheit im Kopf sorgen können, zeigen berühmte Vorbilder wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg oder der frühere Apple-Chef Steve Jobs. Beide tragen beziehungsweise trugen in der Öffentlichkeit immer die gleiche Kleidung: Jobs einen schwarzen Rollkragenpullover und Jeans, Zuckerberg Jeans und ein graues T-Shirt.

Auch Barack Obama erklärte in einem Interview, dass er nur graue oder blaue Anzüge trage. Gegenüber dem Zeitschrift Vanity Fair sagte der frühere US-Präsident: „Ich versuche damit, Entscheidungen zu vermeiden. Ich möchte nicht entscheiden müssen, was ich esse oder trage. Weil ich schon zu viele andere Entscheidungen treffen muss.“

Unternehmer müssen es den berühmten Amerikanern natürlich nicht gleichtun und ihre Garderobe auf wenige Kleidungsstücke beschränken. „Aber eine überschaubare Menge von gut zusammenpassenden Kleidungsstücken kann helfen, dass man sich nicht schon morgens den Kopf über solche Dinge zerbrechen muss. Und die Zahl der Entscheidungen reduzieren, die man an einem Tag treffen muss“, sagt Artinger.

2. Neue Motivation schöpfen

Wer sich lustlos an die Arbeit macht, den erschöpfen Entscheidungen schneller. „Die intrinsische Motivation ist ein sehr wichtiger Faktor bei Entscheidungen“, sagt Artinger. „Wer dagegen für seinen Job brennt und Spaß an seinen Aufgaben hat, wird nicht so schnell entscheidungsmüde.“

Zur Person
Florian Artinger ist Partner und Mitgründer der Simply Rational GmbH, ein Spin-off des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Er berät Organisationen und Führungskräfte im Umgang mit schwer kalkulierbaren Risiken und Chancen; zum Beispiel bei der Nutzung neuer Technologien wie der künstlichen Intelligenz oder der Etablierung einer positiven Fehlerkultur.

Unternehmer, die in einem Motivationsloch stecken, können versuchen, sich selbst wiederaufzubauen. Zum Beispiel mit diesen Fragen:

  • Warum habe ich die Firma gegründet? Was ist mein Ziel?
  • Was habe ich schon erreicht?
  • Welche positiven Veränderungen habe ich für mich, meine Mitarbeiter oder Kunden bewirkt?
  • Was waren die tollsten Rückmeldungen von Kunden, Mitarbeitern oder Geschäftspartnern? Oder von der Familie, von Freunden und Bekannten?

Das langfristige Ziel wieder vor Augen zu sehen und sich an schöne Momente zu erinnern kann helfen, Aufgaben und Entscheidungen mit neuem Elan anzugehen.

3. Entscheidungen delegieren

Die Spesenregelung überarbeiten oder beibehalten wie gehabt? Welche Autos für die Vertriebsmitarbeiter kaufen, die günstig sind, aber trotzdem einen guten ersten Eindruck machen? Aufgaben wie diese können Chefs ganz delegieren oder sich zumindest Unterstützung aus dem Team holen.

Vielleicht gibt es ja jemanden, der eine besondere Leidenschaft für Autos hat? Jemanden, der sich mit verschiedenen Herstellern gut auskennt? Dann kann er eine Vorauswahl für die neuen Firmenwagen treffen. Der Chef hat damit eine lästiges To-do weniger auf dem Tisch – und der Mitarbeiter dürfte sich über seine Aufgabe freuen.

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4. Persönliche Leistungshochs erkennen

Völlig übermüdet kurz vor Mitternacht noch zwischen drei Bewerbern für den Marketingposten entscheiden? Eher eine schlechte Idee: Wer spät abends Entscheidungen trifft, bereut diese häufig später.

„Eine wichtige Entscheidung sollte ich nicht treffen, wenn ich kaputt in der Ecke liege“, sagt Artinger. „Sondern auf eine Tageszeit verschieben, zu der ich wirklich fit bin.“ Von Tipps wie ‚Die wichtigsten Entscheidungen immer gleich morgens treffen‘ hält der Wissenschaftler nicht viel – denn Menschen haben ihr Leistungshoch zu ganz unterschiedlichen Tageszeiten: „Manche sind um 8 Uhr morgens quasi noch nicht ansprechbar. Man muss auf seinen eigenen Typ hören.“

Wer beispielsweise erst gegen 17 Uhr auf Hochtouren kommt, sollte Kollegen, die am Morgen auf Entscheidungen drängeln, auf später vertrösten, rät Artinger. „Dann kann man sich falls nötig auch noch länger austauschen.“

Wer sich nicht sicher ist, wann er mental besonders fit ist, kann über mehrere Tage hinweg dokumentieren, wann er sich besonders gut konzentrieren kann und wann er erschöpft ist.

5. Auf komplizierte Lösungen verzichten

Viele seien der Auffassung, dass sie für komplexe Probleme komplexe Lösungen brauchen, sagt Artinger aus langjähriger Erfahrung. „Unsere Forschung zeigt: Das ist mitnichten so. Komplex ist nicht immer besser.“

Ein Beispiel: Wer Geld in Aktien anlegen will, kann sich ausführlich mit verschiedensten Anlagestrategien beschäftigen. Zum Beispiel mit der des Ökonomen Harry Markowitz, der für seine Anlagestrategie den Wirtschaftsnobelpreis erhielt – „eine optimale, aber komplexe Lösung für das Problem“, sagt Artinger. Als Markowitz gefragt wurde, wie er selbst sein Geld anlegt, habe er erklärt, dass er sein eigenes preisgekröntes Modell nicht nutzt – sondern ein viel einfacheres. „Die Fachwelt war entsetzt“, sagt Artinger. „Es zeigte sich aber, dass Markowitz mit seiner Intuition goldrichtig lag. Das einfache Modell schnitt langfristig genauso gut oder besser ab als das preisgekrönte.“

Das Beispiel zeigt: „Man muss nicht immer mit komplexen Ansätzen jonglieren, bei denen man den Überblick verliert“, sagt Artinger. „Manchmal sollte man einfach seiner Intuition folgen, seinem Bauchgefühl. Das ist weniger ermüdend. Und häufig die bessere Wahl.“

6. Eine gute Fehlerkultur etablieren

Nicht nur Chefs plagen sich mit Entscheidungsmüdigkeit, auch Mitarbeitern kann es so gehen. Herrscht eine schlechte Fehlerkultur im Unternehmen, etwa weil Mitarbeiter auch für kleine Fehler öffentlich kritisiert werden, kann das Entscheidungsmüdigkeit verstärken und zu schlechten Entscheidungen führen. Laut Artinger beschäftigen sich Mitarbeiter dann viel länger als notwendig mit Entscheidungen und sichern sich drei- oder viermal ab, bevor sie eine Wahl treffen.

Solche Entscheidungen würden zudem eher defensiv ausfallen, weil die Mitarbeiter keine Fehler riskieren wollen. „Mangelnde Risikokultur verhindert oft gute Entscheidungen“, sagt Artinger. „Wer nichts ausprobieren kann, lernt nicht – und verhaspelt sich in Entscheidungsprozessen. Das kann zu einer großen Müdigkeit führen.“

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Unwichtige Entscheidungen ausklammern Wer ständig sehr viele Entscheidungen treffen muss, sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren – und sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufhalten. Wie Chefs dadurch für mehr Klarheit im Kopf sorgen können, zeigen berühmte Vorbilder wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg oder der frühere Apple-Chef Steve Jobs. Beide tragen beziehungsweise trugen in der Öffentlichkeit immer die gleiche Kleidung: Jobs einen schwarzen Rollkragenpullover und Jeans, Zuckerberg Jeans und ein graues T-Shirt. Auch Barack Obama erklärte in einem Interview, dass er nur graue oder blaue Anzüge trage. Gegenüber dem Zeitschrift Vanity Fair sagte der frühere US-Präsident: „Ich versuche damit, Entscheidungen zu vermeiden. Ich möchte nicht entscheiden müssen, was ich esse oder trage. Weil ich schon zu viele andere Entscheidungen treffen muss.“ Unternehmer müssen es den berühmten Amerikanern natürlich nicht gleichtun und ihre Garderobe auf wenige Kleidungsstücke beschränken. „Aber eine überschaubare Menge von gut zusammenpassenden Kleidungsstücken kann helfen, dass man sich nicht schon morgens den Kopf über solche Dinge zerbrechen muss. Und die Zahl der Entscheidungen reduzieren, die man an einem Tag treffen muss“, sagt Artinger. 2. Neue Motivation schöpfen Wer sich lustlos an die Arbeit macht, den erschöpfen Entscheidungen schneller. „Die intrinsische Motivation ist ein sehr wichtiger Faktor bei Entscheidungen“, sagt Artinger. „Wer dagegen für seinen Job brennt und Spaß an seinen Aufgaben hat, wird nicht so schnell entscheidungsmüde.“ Unternehmer, die in einem Motivationsloch stecken, können versuchen, sich selbst wiederaufzubauen. Zum Beispiel mit diesen Fragen: Warum habe ich die Firma gegründet? Was ist mein Ziel? Was habe ich schon erreicht? Welche positiven Veränderungen habe ich für mich, meine Mitarbeiter oder Kunden bewirkt? Was waren die tollsten Rückmeldungen von Kunden, Mitarbeitern oder Geschäftspartnern? Oder von der Familie, von Freunden und Bekannten? Das langfristige Ziel wieder vor Augen zu sehen und sich an schöne Momente zu erinnern kann helfen, Aufgaben und Entscheidungen mit neuem Elan anzugehen. 3. Entscheidungen delegieren Die Spesenregelung überarbeiten oder beibehalten wie gehabt? Welche Autos für die Vertriebsmitarbeiter kaufen, die günstig sind, aber trotzdem einen guten ersten Eindruck machen? Aufgaben wie diese können Chefs ganz delegieren oder sich zumindest Unterstützung aus dem Team holen. Vielleicht gibt es ja jemanden, der eine besondere Leidenschaft für Autos hat? Jemanden, der sich mit verschiedenen Herstellern gut auskennt? Dann kann er eine Vorauswahl für die neuen Firmenwagen treffen. Der Chef hat damit eine lästiges To-do weniger auf dem Tisch – und der Mitarbeiter dürfte sich über seine Aufgabe freuen. 4. Persönliche Leistungshochs erkennen Völlig übermüdet kurz vor Mitternacht noch zwischen drei Bewerbern für den Marketingposten entscheiden? Eher eine schlechte Idee: Wer spät abends Entscheidungen trifft, bereut diese häufig später. „Eine wichtige Entscheidung sollte ich nicht treffen, wenn ich kaputt in der Ecke liege“, sagt Artinger. „Sondern auf eine Tageszeit verschieben, zu der ich wirklich fit bin.“ Von Tipps wie ‚Die wichtigsten Entscheidungen immer gleich morgens treffen‘ hält der Wissenschaftler nicht viel – denn Menschen haben ihr Leistungshoch zu ganz unterschiedlichen Tageszeiten: „Manche sind um 8 Uhr morgens quasi noch nicht ansprechbar. Man muss auf seinen eigenen Typ hören.“ Wer beispielsweise erst gegen 17 Uhr auf Hochtouren kommt, sollte Kollegen, die am Morgen auf Entscheidungen drängeln, auf später vertrösten, rät Artinger. „Dann kann man sich falls nötig auch noch länger austauschen.“ Wer sich nicht sicher ist, wann er mental besonders fit ist, kann über mehrere Tage hinweg dokumentieren, wann er sich besonders gut konzentrieren kann und wann er erschöpft ist. 5. Auf komplizierte Lösungen verzichten Viele seien der Auffassung, dass sie für komplexe Probleme komplexe Lösungen brauchen, sagt Artinger aus langjähriger Erfahrung. „Unsere Forschung zeigt: Das ist mitnichten so. Komplex ist nicht immer besser.“ Ein Beispiel: Wer Geld in Aktien anlegen will, kann sich ausführlich mit verschiedensten Anlagestrategien beschäftigen. Zum Beispiel mit der des Ökonomen Harry Markowitz, der für seine Anlagestrategie den Wirtschaftsnobelpreis erhielt – „eine optimale, aber komplexe Lösung für das Problem“, sagt Artinger. Als Markowitz gefragt wurde, wie er selbst sein Geld anlegt, habe er erklärt, dass er sein eigenes preisgekröntes Modell nicht nutzt – sondern ein viel einfacheres. „Die Fachwelt war entsetzt“, sagt Artinger. „Es zeigte sich aber, dass Markowitz mit seiner Intuition goldrichtig lag. Das einfache Modell schnitt langfristig genauso gut oder besser ab als das preisgekrönte.“ Das Beispiel zeigt: „Man muss nicht immer mit komplexen Ansätzen jonglieren, bei denen man den Überblick verliert“, sagt Artinger. „Manchmal sollte man einfach seiner Intuition folgen, seinem Bauchgefühl. Das ist weniger ermüdend. Und häufig die bessere Wahl.“ 6. Eine gute Fehlerkultur etablieren Nicht nur Chefs plagen sich mit Entscheidungsmüdigkeit, auch Mitarbeitern kann es so gehen. Herrscht eine schlechte Fehlerkultur im Unternehmen, etwa weil Mitarbeiter auch für kleine Fehler öffentlich kritisiert werden, kann das Entscheidungsmüdigkeit verstärken und zu schlechten Entscheidungen führen. Laut Artinger beschäftigen sich Mitarbeiter dann viel länger als notwendig mit Entscheidungen und sichern sich drei- oder viermal ab, bevor sie eine Wahl treffen. Solche Entscheidungen würden zudem eher defensiv ausfallen, weil die Mitarbeiter keine Fehler riskieren wollen. „Mangelnde Risikokultur verhindert oft gute Entscheidungen“, sagt Artinger. „Wer nichts ausprobieren kann, lernt nicht – und verhaspelt sich in Entscheidungsprozessen. Das kann zu einer großen Müdigkeit führen.“
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