Agiler werden: 3 Regeln, die Teams agiler machen

Agile Methoden wie Scrum sind im Grunde Werkzeuge, die es Teams ermöglichen, eigenverantwortlich zu arbeiten. Das wiederum hilft, in unübersichtlichen Situationen schnell und flexibel zu reagieren. Das Beispiel der Tischlerei aus Garbsen bei Hannover zeigt, wie sich Firmen agile Arbeitsweisen zunutze machen können und was dabei zu beachten ist. Mitte März begab sich der Tischlermeister Björn Fischer freiwillig in häusliche Quarantäne. Der Mitarbeiter eines Kunden war an Covid-19 erkrankt. Der Handwerker hielt sich in der Firma auf, weil er dort im Gebäude Parkett verlegte. Fischer hatte zwar keinen Kontakt zum Erkrankten, ergriff dennoch Vorsichtsmaßnahmen und übergab die Verantwortung für die Arbeit an seine fünf Mitarbeiter. Sie nahmen sich ein anderes Projekt vor, den Ausbau eines Dachgeschosses. „Die Kollegen kennen alle Aufträge genau und konnten ihre Arbeit selbstständig organisieren“, erzählt Fischer. Die Mitarbeiter sind auch ohne Chef handlungsfähig, was im Krisenfall ein enormer Vorteil ist. Was daran ist agil? „Jeder hat eine andere Definition von Agilität. Aber wenn Teams selbst Entscheidungen treffen und der Chef sich aus dem operativen Geschäft rausziehen kann, sind das schon agile Ansätze“, sagt Carolin Salz, Beraterin für Handwerksbetriebe. In der traditionell geprägten Branche sei das nicht selbstverständlich. Fischer wollte es von Anfang an anders machen: „Ich will kein Chef sein, der seinen Gesellen und Azubis jeden Arbeitsschritt vorgibt.“ Als der Tischlermeister 2014 seine ersten Mitarbeiter einstellte, schaute er sich andere Arbeitsweisen an. Dafür besuchte er eine IT-Firma in Hamburg. Seine Frau, die damals dort arbeitete, vermittelte ein Treffen zwischen dem Tischler und dem Softwareunternehmer. Dort ließ sich Fischer zeigen, wie die Mitarbeiter eigenständig komplizierte Computerprogramme entwickeln. Als Methode verwenden sie Scrum (siehe Kurzanleitung unten). Eine Tischlerei will wie eine IT-Firma arbeiten – wie soll das gehen? Das Beispiel Fischer zeigt: Es kann funktionieren. Um agil zu arbeiten, braucht es weder bunte Zettel, noch muss die Methode lehrbuchmäßig ausgeführt werden. „Wir setzten Scrum nicht eins zu eins um“, sagt Fischer. Er befolgt lediglich drei Prinzipien, die der Methode zugrunde liegen. 1. Hierarchien abbauen Scrum ist eine Methode, die nur in Teamarbeit funktioniert, Hierarchien sind hierfür hinderlich. Das gilt auch für Fischers Anforderungen. Manchmal bearbeitet die Tischlerei komplizierte Aufträge, die der Chef kaum allein planen kann. Einmal bestellte ein Ehepaar eine Regalwand mit Schiebetüren für mehrere Tausend Euro. Bei solchen Projekten ist Fischer auf die Expertise all seiner Mitarbeiter angewiesen. Er beruft ein Meeting ein und stellt den Auftrag seinen Kollegen vor. „Jeder darf seine Meinung äußern und Vorschläge einbringen“, sagt Fischer. Zum Beispiel, welches Holz sich eignen könnte, welcher Part des Regals zuerst gebaut werden sollte oder wie viel Zeit für die Konstruktion einzuplanen sind. Beiträge von Azubis werden genauso gehört wie die der Gesellen. „Wir können von den Lehrlingen viel lernen, die ihr frisches Wissen aus der Berufsschule einbringen können“, sagt Fischer. 2. In Etappen planen Typisch für Scrum ist, dass sich Teams dem Ergebnis schrittweise nähern, sich nach jeder erreichten Etappe austauschen und daraufaufbauend die nächsten Schritte planen. Eine enge Teamarbeit ist unabdingbar. Jeder sollte genau wissen, wer was tut. In der Tischlerei-Werkstatt gibt es täglich eine kurze Besprechung im Stehen; jeder erzählt, was er macht und wo es hapert. In der Corona-Zeit tauschte sich das Team über Handy und Internet aus. Mitarbeiter schicken sich untereinander und an den Chef Fotos per Messengerdienst wie Whatsapp oder Telegram, um Arbeitsfortschritte zu dokumentieren. Wie die Bäckerei verwendet die Tischlerei Trello, in dem alle To-dos der Projekte aufgelistet sind. 3. Aus Fehlern lernen Ein Prinzip von Scrum ist, dass nach jeder Etappe das Ergebnis bewertet und geschaut wird, wie das Werk nachzubessern ist. Das soll helfen, Fehler frühzeitig zu erkennen. Agiles Arbeiten hat auch viel mit Ausprobieren zu tun. In der Tischlerei experimentiert das Team bei komplizierteren Projekten wie der Regalwand ebenfalls. So wurden allein zwei Tage dafür eingeplant, die Mechanik für die Schiebetüren an einem Prototyp zu testen. „Wir kriegen Sachen hin, wo man sagen würde, das geht eigentlich nicht“, erklärt Fischer. „Wenn Firmen sich auf agile Methoden einlassen, wenn sie das Prinzip dahinter verstehen, kann das zu einem kulturellen Wandel führen“, sagt Experte Klaiber. Zum Beispiel hin zu mehr Selbstorganisation, was ein Kernelement agilen Arbeitens ist. Dem Ziel ist Fischer schon sehr nah: Als er nach seiner Quarantänezeit das fertige Dachgeschoss besichtigte, war er begeistert. „Es sah perfekt aus.“ Das hätte das Team mit Chef auch nicht besser hingekriegt. Mit dieser Kurzanleitung finden auch andere Firmen den Einstieg in Scrum: Was ist Scrum? Das Wort „Scrum“ stammt aus dem Rugby, wo Teams schnell und flexibel Spielzüge umsetzen müssen. Das Team muss sich dabei selbst organisieren. Dieses Vorgehen macht Scrum als Methode auch für Firmen interessant: Scrum ist eine Möglichkeit, schrittweise und in begrenzten Zeitfenstern Projekte zur Produktentwicklung anzugehen. Wichtig bei Scrum: Das Ziel muss feststehen. Nur der Weg dorthin ist in der Regel offen. Was brauche ich? Ein Team von maximal neun Mitgliedern, regelmäßige Meetings und ein Tool, auf dem die To-dos mit Deadlines festgehalten werden. Man kann dafür auch digitale Kanban-Tools nutzen. Umsetzung für Anfänger Das Prinzip von Scrum ist, dass ein komplexes Projekt in viele einzelne in sich abgeschlossene Arbeitseinheiten, auch Sprints genannt, unterteilt wird. Starten Sie im Team mit einem Sprint, an dem am Ende ein konkretes Produkt steht, zum Beispiel ein Artikel für den Firmenblog. Zunächst definieren Sie das Ziel: Was soll der Blogbeitrag leisten. Legen Sie einen Zeitrahmen fest, etwa einen Tag, sowie die To-dos, zum Beispiel Internetrecherche, Mitarbeiterumfrage, Fotos machen etc. Dann verteilen Sie die Aufgaben im Team. Danach machen sich die Mitarbeiter an die Arbeit. Zwischendurch sollten Sie sich für ein kurzes Status-Update treffen und so mögliche Probleme ausräumen. Am Ende des Sprints kommen Sie zusammen und bewerten das Produkt. Muss etwas verbessert werden? Gegebenenfalls planen Sie einen weiteren Sprint. Umsetzung für Fortgeschrittene Eigentlich folgt Scrum strengen Regeln: Es gibt feste Rollen, etwa einen „Product Owner“, der sich in die Rolle der Zielgruppe hineinversetzt. Das „Team“ setzt die Aufgaben um. Die dritte Rolle nennt sich „Scrum Master“. Er behält die Regeln für die Methode im Blick und kümmert sich, dass das Team arbeiten kann. Es ergibt Sinn, die Mitarbeiter, die die Rollen des Product Owners und des Scrum Masters einnehmen, entsprechend zu schulen. Hier lesen Sie, wie Scrum geregelt abläuft.