Anonyme Bewerbung
„Auch mit Fünfen im Zeugnis darf man sich bei uns vorstellen“

Wer passt wirklich zu uns? Das Elektrotechnik-Unternehmen von Stefan Bürkle geht einen ungewöhnlichen Weg, um bei der Auswahl von Bewerbern bessere Entscheidungen zu treffen.

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Anonyme Bewerbung
© Moment/Nora Carol Photography/Getty

impulse: Herr Bürkle, wenn sich jemand bei Ihnen um eine Ausbildung bewirbt, sehen Sie keine Zeugnisse, keine Praktikumsnachweise, kein Foto. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, wen Sie zum Vorstellungsgespräch einladen?

Stefan Bürkle: Im ersten Schritt ist das Motivationsschreiben entscheidend. Wir wollen wissen, warum jemand die Ausbildung bei uns machen will. Gibt sich der Bewerber Mühe oder schickt er einen 08/15-Text? Einmal hat jemand im Motivationsschreiben von seinen Träumen erzählt. Das fand ich super.

Fehlt Ihnen im Auswahlprozess nichts? Man könnte Zeugnisse ja auch mit geschwärztem Namen mitschicken lassen.

Noten sind doch immer nur eine Momentaufnahme. Bei unserem Prozess steht erst einmal die Person im Mittelpunkt. Nicht ihre Noten, nicht ihr Aussehen, das Geschlecht oder die Herkunft.

Aber so erfahren Sie auch sehr wenig über den Bewerber.

Zunächst einmal ist die anonyme Bewerbung ein guter Weg, um menschliche Vorbehalte auszublenden. Sie verschaffen sich dadurch eine größere Objektivität. Es ist ja leider oft so, dass Menschen, denen man ihren Migrationshintergrund ansieht, eine geringere Chance auf ein Bewerbungsgespräch haben. Und Bewerber mit guten Noten werden eher eingeladen als die mit schlechten Noten. Dabei sagt das nichts darüber aus, wie jemand im Team arbeitet, ob er handwerklich geschickt ist oder gut anpacken kann.

Wie läuft der Bewerbungsprozess bei Ihnen ab?

Zur Person
Stefan Bürkle ist Geschäftsführer der Bürkle + Schöck KG in Stuttgart. Er führt das Elektrotechnik-Unternehmen mit 130 Mitarbeitern gemeinsam mit seinem Bruder Thomas Bürkle, seinem Onkel Klaus Bürkle und weiteren Geschäftsführern.

Wir haben einen standardisierten Bogen, den die Bewerber an eine zentrale Stelle im Unternehmen schicken. Die Kollegin dort trennt die persönlichen Daten wie Name und Anschrift ab und wir Entscheider bekommen nur den neutralen Bogen mit dem Motivationsschreiben und einer Einschätzung der eigenen Kompetenzen und Stärken. Wenn uns das überzeugt und wir den Bewerber einladen, fordern wir die üblichen Bewerbungsunterlagen an.

Und was ist, wenn dann im Zeugnis lauter Fünfen stehen?

Da machen wir keinen Rückzieher. Egal, was kommt, derjenige kriegt erst einmal die Chance, sich im Gespräch vorzustellen. Aber wer eine Ausbildung bei uns machen will, muss danach noch einen Test speziell fürs Elektrohandwerk absolvieren. Wir müssen abschätzen können, ob er oder sie auch die dreieinhalb Jahre Ausbildung in der Berufsschule bestehen kann.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Bewerbern gemacht, die schlechte Noten hatten?

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Es gab mal jemanden, der schon im Motivationsschreiben zugegeben hat, dass seine Schulnoten nicht gut sind. Er hatte sich sehr früh für eine Ausbildung beworben und uns ansonsten überzeugt. Also haben wir ihm auferlegt, dass er Mathe und Physik auf Realschul-Niveau beherrschen muss. Er hat extra Nachhilfe genommen – und den Ausbildungsplatz bekommen.

Aber wenn Sie Bewerbern im Gespräch gegenübersitzen und die Unterlagen kennen, ist die Objektivität, die Sie vorhin angesprochen habe, doch dahin.

Jeder hat grundsätzlich die gleiche Chance, eingeladen zu werden. Wenn die Person dann da ist, gehen wir vor wie bei einem klassischen Bewerbungsverfahren. Bei einigen Unternehmen, die auch vor sieben Jahren im Rahmen eines Pilotprojekts des Landes Baden-Württemberg mit anonymen Bewerbungen angefangen haben, war das anders. Dort bekamen die Personalverantwortlichen die Bewerbungsunterlagen bis zum Gespräch nicht und hatten vorher keine Ahnung, wer ihnen gegenübersitzen würde. Das hätte für mich nicht funktioniert. Ich möchte mich auf das Gespräch einstellen können.

Sie setzen jetzt seit sieben Jahren auf anonyme Bewerbungen. Hatten Sie vorher unbewusste Vorurteile, die Sie jetzt ausschalten konnten?

Sicherlich. Auch ich hatte bestimmte Annahmen im Kopf. Ein Beispiel: Man sieht ein Konfirmandenbild von einem jungen Mann auf dem Lebenslauf und denkt: „Ach, das ist ein Bubi.“ Und wenn man ihn einlädt, kommt ein gestandener junger Mann rein, der fast zwei Meter groß ist. Weil das Bild vier Jahre alt war. Wie jeder Mensch habe ich bestimmte Erfahrungen gemacht und neige dann vielleicht dazu zu verallgemeinern – etwa bei der Herkunft. Aber das darf nicht bedeuten, dass man einen Bewerber aufgrund dieser Annahmen schon im Voraus ausschließt.

Wie hat sich Ihr Unternehmen durch die Bewerbungspraxis verändert? Ist die Belegschaft vielfältiger geworden?

Eigentlich hat sich nicht wirklich etwas geändert. Wir hatten schon immer viele Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Es ist für uns nicht entscheidend, woher jemand kommt oder wie alt er ist. Wir haben im Moment zum Beispiel einen Auszubildenden aus Syrien, der über 30 ist. Der sitzt in der Berufsschule in einer Klasse mit lauter 16- und 17-Jährigen. Aber er kommt damit klar. Wir dachten auch, dass wir durch die anonyme Bewerbung insgesamt mehr Bewerber anziehen und auch mehr Frauen für das Elektrohandwerk gewinnen könnten. Das hat sich leider nicht bewahrheitet. Es bewerben sich einfach sehr wenige Frauen bei uns. Und die Zahl der Bewerbungen ist seitdem etwas gleich geblieben.

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Ist der Aufwand bei anonymen Bewerbungen denn größer als bei einem klassischen Bewerbungsverfahren?

Nein. Wenn man den Prozess einmal etabliert hat, gibt es keinen Unterschied. Wir führen sehr viele Bewerbungsgespräche, stellen aber nur einige Auszubildenden ein. Aber das wäre bei einem klassischen Verfahren auch nicht anders. Auch da kann es passieren, dass Bewerber im Gespräch nicht überzeugen oder durch den Test fallen.

Sie scheinen durchweg gute Erfahrungen gemacht zu haben. Was glauben Sie, warum setzen so wenig andere deutsche Unternehmen auf anonyme Bewerbungen?

Ich weiß es nicht. International ist das ja längst Standard. Ich kann verstehen, dass es für einen Zwei-Mann-Betrieb schwierig umzusetzen wäre. Aber selbst da könnte es zum Beispiel bei der Handwerkskammer eine zentrale Stelle geben, die die Koordination übernimmt. Von Bewerbern bekommen wir jedenfalls viele positive Rückmeldungen.

Was raten Sie Unternehmern, die bei dem Thema zögern?

Probieren Sie es einfach aus! So viele Unternehmer klagen über Nachwuchssorgen. Wer nicht mehr so viele Bewerbungen bekommt wie vor 20 Jahren, muss sich neuen Methoden öffnen. Und sich überlegen, wie man jungen Menschen eine Chance geben kann, die sonst auf dem Arbeitsmarkt aussortiert werden.

impulse: Herr Bürkle, wenn sich jemand bei Ihnen um eine Ausbildung bewirbt, sehen Sie keine Zeugnisse, keine Praktikumsnachweise, kein Foto. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, wen Sie zum Vorstellungsgespräch einladen? Stefan Bürkle: Im ersten Schritt ist das Motivationsschreiben entscheidend. Wir wollen wissen, warum jemand die Ausbildung bei uns machen will. Gibt sich der Bewerber Mühe oder schickt er einen 08/15-Text? Einmal hat jemand im Motivationsschreiben von seinen Träumen erzählt. Das fand ich super. Fehlt Ihnen im Auswahlprozess nichts? Man könnte Zeugnisse ja auch mit geschwärztem Namen mitschicken lassen. Noten sind doch immer nur eine Momentaufnahme. Bei unserem Prozess steht erst einmal die Person im Mittelpunkt. Nicht ihre Noten, nicht ihr Aussehen, das Geschlecht oder die Herkunft. Aber so erfahren Sie auch sehr wenig über den Bewerber. Zunächst einmal ist die anonyme Bewerbung ein guter Weg, um menschliche Vorbehalte auszublenden. Sie verschaffen sich dadurch eine größere Objektivität. Es ist ja leider oft so, dass Menschen, denen man ihren Migrationshintergrund ansieht, eine geringere Chance auf ein Bewerbungsgespräch haben. Und Bewerber mit guten Noten werden eher eingeladen als die mit schlechten Noten. Dabei sagt das nichts darüber aus, wie jemand im Team arbeitet, ob er handwerklich geschickt ist oder gut anpacken kann. Wie läuft der Bewerbungsprozess bei Ihnen ab? Wir haben einen standardisierten Bogen, den die Bewerber an eine zentrale Stelle im Unternehmen schicken. Die Kollegin dort trennt die persönlichen Daten wie Name und Anschrift ab und wir Entscheider bekommen nur den neutralen Bogen mit dem Motivationsschreiben und einer Einschätzung der eigenen Kompetenzen und Stärken. Wenn uns das überzeugt und wir den Bewerber einladen, fordern wir die üblichen Bewerbungsunterlagen an. Und was ist, wenn dann im Zeugnis lauter Fünfen stehen? Da machen wir keinen Rückzieher. Egal, was kommt, derjenige kriegt erst einmal die Chance, sich im Gespräch vorzustellen. Aber wer eine Ausbildung bei uns machen will, muss danach noch einen Test speziell fürs Elektrohandwerk absolvieren. Wir müssen abschätzen können, ob er oder sie auch die dreieinhalb Jahre Ausbildung in der Berufsschule bestehen kann. Welche Erfahrungen haben Sie mit Bewerbern gemacht, die schlechte Noten hatten? Es gab mal jemanden, der schon im Motivationsschreiben zugegeben hat, dass seine Schulnoten nicht gut sind. Er hatte sich sehr früh für eine Ausbildung beworben und uns ansonsten überzeugt. Also haben wir ihm auferlegt, dass er Mathe und Physik auf Realschul-Niveau beherrschen muss. Er hat extra Nachhilfe genommen – und den Ausbildungsplatz bekommen. Aber wenn Sie Bewerbern im Gespräch gegenübersitzen und die Unterlagen kennen, ist die Objektivität, die Sie vorhin angesprochen habe, doch dahin. Jeder hat grundsätzlich die gleiche Chance, eingeladen zu werden. Wenn die Person dann da ist, gehen wir vor wie bei einem klassischen Bewerbungsverfahren. Bei einigen Unternehmen, die auch vor sieben Jahren im Rahmen eines Pilotprojekts des Landes Baden-Württemberg mit anonymen Bewerbungen angefangen haben, war das anders. Dort bekamen die Personalverantwortlichen die Bewerbungsunterlagen bis zum Gespräch nicht und hatten vorher keine Ahnung, wer ihnen gegenübersitzen würde. Das hätte für mich nicht funktioniert. Ich möchte mich auf das Gespräch einstellen können. Sie setzen jetzt seit sieben Jahren auf anonyme Bewerbungen. Hatten Sie vorher unbewusste Vorurteile, die Sie jetzt ausschalten konnten? Sicherlich. Auch ich hatte bestimmte Annahmen im Kopf. Ein Beispiel: Man sieht ein Konfirmandenbild von einem jungen Mann auf dem Lebenslauf und denkt: „Ach, das ist ein Bubi.“ Und wenn man ihn einlädt, kommt ein gestandener junger Mann rein, der fast zwei Meter groß ist. Weil das Bild vier Jahre alt war. Wie jeder Mensch habe ich bestimmte Erfahrungen gemacht und neige dann vielleicht dazu zu verallgemeinern - etwa bei der Herkunft. Aber das darf nicht bedeuten, dass man einen Bewerber aufgrund dieser Annahmen schon im Voraus ausschließt. Wie hat sich Ihr Unternehmen durch die Bewerbungspraxis verändert? Ist die Belegschaft vielfältiger geworden? Eigentlich hat sich nicht wirklich etwas geändert. Wir hatten schon immer viele Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Es ist für uns nicht entscheidend, woher jemand kommt oder wie alt er ist. Wir haben im Moment zum Beispiel einen Auszubildenden aus Syrien, der über 30 ist. Der sitzt in der Berufsschule in einer Klasse mit lauter 16- und 17-Jährigen. Aber er kommt damit klar. Wir dachten auch, dass wir durch die anonyme Bewerbung insgesamt mehr Bewerber anziehen und auch mehr Frauen für das Elektrohandwerk gewinnen könnten. Das hat sich leider nicht bewahrheitet. Es bewerben sich einfach sehr wenige Frauen bei uns. Und die Zahl der Bewerbungen ist seitdem etwas gleich geblieben. Ist der Aufwand bei anonymen Bewerbungen denn größer als bei einem klassischen Bewerbungsverfahren? Nein. Wenn man den Prozess einmal etabliert hat, gibt es keinen Unterschied. Wir führen sehr viele Bewerbungsgespräche, stellen aber nur einige Auszubildenden ein. Aber das wäre bei einem klassischen Verfahren auch nicht anders. Auch da kann es passieren, dass Bewerber im Gespräch nicht überzeugen oder durch den Test fallen. Sie scheinen durchweg gute Erfahrungen gemacht zu haben. Was glauben Sie, warum setzen so wenig andere deutsche Unternehmen auf anonyme Bewerbungen? Ich weiß es nicht. International ist das ja längst Standard. Ich kann verstehen, dass es für einen Zwei-Mann-Betrieb schwierig umzusetzen wäre. Aber selbst da könnte es zum Beispiel bei der Handwerkskammer eine zentrale Stelle geben, die die Koordination übernimmt. Von Bewerbern bekommen wir jedenfalls viele positive Rückmeldungen. Was raten Sie Unternehmern, die bei dem Thema zögern? Probieren Sie es einfach aus! So viele Unternehmer klagen über Nachwuchssorgen. Wer nicht mehr so viele Bewerbungen bekommt wie vor 20 Jahren, muss sich neuen Methoden öffnen. Und sich überlegen, wie man jungen Menschen eine Chance geben kann, die sonst auf dem Arbeitsmarkt aussortiert werden.
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