Team in Belarus
„Mir gehen die Gespräche mit meinem Team sehr nah“

Seit dem Ukraine-Krieg spitzt sich die Lage in Belarus immer weiter zu. Ricco Deutscher hat viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Minsk. Wie der Unternehmer ihnen bei der Flucht hilft.

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Team in Belarus
© Mar Castellanos / photocase.de

Ricco Deutscher ist Softwareunternehmer aus Frankfurt am Main. Seine Firma Billwerk bietet eine Plattform zur Abonnementverwaltung an. Die 115 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten aktuell aus Deutschland, Belarus, Dänemark, Polen und Frankreich – vor Kriegsbeginn auch aus der Ukraine.

„Am Donnerstag, als der Krieg ausbrach, war ich gerade im Urlaub in den Emiraten. Ich habe die Kriegserklärung von Putin in den Nachrichten gesehen und ich wusste: Damit beginnt ein neues Zeitalter.

Mein Urlaub war damit natürlich vorbei. Wir haben viele Teammitglieder in Belarus und zwei in der Ukraine – ich habe von meinem Urlaubsort aus sofort angefangen zu organisieren, damit alle Kolleginnen und Kollegen möglichst schnell nach Polen flüchten können.

Ich habe die Entwicklung in Belarus seit den Präsidentschaftswahlen 2020 genau beobachtet. Mir wurde damals klar, wie sehr dort die politische Lage eskaliert und dass unser Standort in einem solch repressiven Staat möglicherweise keine Zukunft hat. Daher habe ich im März 2021 entschieden, eine Back-up-Location im polnischen Gdańsk aufzubauen. Im letzten Mai sind dann schon die ersten belarussischen Kolleginnen und Kollegen nach Polen gezogen.

Vom Westen entkoppelt

Inzwischen entkoppelt sich das Land immer mehr vom Westen. Man hat kaum noch Zugang zu Sozialen Medien. Und auch wir mussten den Zugriff des Minsker Teams auf unsere Kundendaten kappen. Wir mussten das Risiko ausschließen, dass unsere Kundendaten von irgendwelchen staatlichen Organen gekapert werden.

Ohne das Minsker Team würde meine Firma nicht da stehen, wo sie heute steht. Als kleines Start-up in Frankfurt hatten wir keine Chance, gute Entwicklerinnen und Entwickler einzustellen – die Konkurrenz durch die Banken ist riesig. Daher war es für uns überlebenswichtig, das Team um jeden Preis zu erhalten.

Belarus ist jetzt schon in den russischen Krieg verstrickt. Ich kann nicht sagen, wie das weitergeht. Aber es könnte sein, dass irgendwann Armee-Reservisten eingezogen werden. Einige unserer belarussischen Entwickler sind Reservisten. Darauf müssen wir uns einstellen.

Keine Gehälter durch Sanktionen

Ein weiteres Problem sind die internationalen Sanktionen gegen Belarus. Sollten die Banken dort komplett von Swift abgekoppelt werden, können wir keine Gehälter mehr bezahlen. Für diesen Fall haben wir letzte Woche vorsorglich einen größeren Betrag nach Minsk überwiesen. Das Geld war tagelang verschwunden und kam dann irgendwann gestückelt auf dem Konto in Belarus an. Daran merken wir, wie chaotisch und wenig planbar die Verhältnisse bereits jetzt sind.

Mit der überwiesenen Summe könnte das Team vor Ort noch ein dreiviertel Jahr aushalten. Aber dann wäre der Zeitpunkt, wo wir das Minsker Team komplett auflösen müssten. Das wäre dann ein sehr hartes Leben in Belarus. Auf einen Schlag wären alle Arbeitsplätze westlicher Firmen vernichtet.

Ich habe daher allen Teammitglieder schon im letzten Jahr empfohlen, sich vorsorglich ein polnisches Arbeitsvisum zu besorgen. Die meisten haben das auch gemacht. Nun geht es noch darum, außer Landes kommen. Es gibt keine direkten Flüge mehr. Also müssen sie Autos organisieren und über Land nach Gdańsk fahren.

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Keine leichte Entscheidung

Die eigene Heimat zu verlassen, ist keine leichte Entscheidung. Manche pflegen ihre Eltern oder haben gerade ein Haus gebaut. Wer Belarus verlässt und die Staatsbürgerschaft ablegt, wird vom Regime enteignet.

Mir gehen die Gespräche mit meinem Team sehr nah. Ich habe die Erfahrung selbst durchlebt. Ich bin in der DDR aufgewachsen und war einer der Botschaftsflüchtlinge von 1989. Ich weiß, was es heißt, alles hinter sich zu lassen. Deshalb habe ich immer so gehandelt, als wäre ich selbst betroffen. Ich habe mich immer gefragt: Was würde ich jetzt tun, wenn ich in Minsk wäre?

Heute sind zwei Drittel des Minsker Teams nach Gdańsk geflohen. Vor dem Krieg hatten wir auch zwei Entwickler in der Ukraine. Einer ist noch dort und wurde noch nicht zur Landesverteidigung eingezogen. Der andere hat es noch geschafft, das Land zu verlassen. Direkt am Tag der Kriegserklärung hat er seine Familie am frühen Morgen ins Auto gepackt und ist über die polnische Grenze nach Gdańsk gefahren.

Alle sitzen im gleichen Boot

Die belarussischen Teammitglieder teilen sich heute mit dem ukrainischen Kollegen ein Büro. Probleme oder Spannungen gibt das nicht. Alle sitzen schließlich im gleichen Boot: Jeder musste seine Heimat verlassen – der eine wegen Putin, der andere wegen Lukaschenko.

Wir haben schon vor einem Jahr ein Relocation Program gestartet, um den Leuten den Umzug zu erleichtern. Die Lebenshaltungskosten in Polen sind deutlich höher. Daher bekommt jeder, der umzieht, eine entsprechende Gehaltserhöhung. Außerdem schenken wir einen gewissen Betrag für die Startkosten. Wir unterstützen unsere Leute auch bei administrativen Dingen – beispielsweise ein Bankkonto zu eröffnen.

Nach Kriegsbeginn haben die Frankfurter Kolleginnen und Kollegen privat Geld gespendet und die Firma hat das verdoppelt. Einfach um den Familien, die jetzt überstürzt geflohen sind, zusätzlich zu helfen.

Die psychische Belastung ist bei allen wahnsinnig hoch. Wir haben intensive Gespräche über alles das, was passiert. Darunter leidet natürlich auch die Leichtigkeit bei der Arbeit. Aber ich muss sagen: Wir waren gut vorbereitet auf die Situation und deshalb funktionieren wir auch gut. Ich mache drei Kreuze, dass ich diese Struktur in Gdańsk so früh aufgebaut habe.“

Ricco Deutscher ist Softwareunternehmer aus Frankfurt am Main. Seine Firma Billwerk bietet eine Plattform zur Abonnementverwaltung an. Die 115 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten aktuell aus Deutschland, Belarus, Dänemark, Polen und Frankreich - vor Kriegsbeginn auch aus der Ukraine. „Am Donnerstag, als der Krieg ausbrach, war ich gerade im Urlaub in den Emiraten. Ich habe die Kriegserklärung von Putin in den Nachrichten gesehen und ich wusste: Damit beginnt ein neues Zeitalter. Mein Urlaub war damit natürlich vorbei. Wir haben viele Teammitglieder in Belarus und zwei in der Ukraine – ich habe von meinem Urlaubsort aus sofort angefangen zu organisieren, damit alle Kolleginnen und Kollegen möglichst schnell nach Polen flüchten können. Ich habe die Entwicklung in Belarus seit den Präsidentschaftswahlen 2020 genau beobachtet. Mir wurde damals klar, wie sehr dort die politische Lage eskaliert und dass unser Standort in einem solch repressiven Staat möglicherweise keine Zukunft hat. Daher habe ich im März 2021 entschieden, eine Back-up-Location im polnischen Gdańsk aufzubauen. Im letzten Mai sind dann schon die ersten belarussischen Kolleginnen und Kollegen nach Polen gezogen. Vom Westen entkoppelt Inzwischen entkoppelt sich das Land immer mehr vom Westen. Man hat kaum noch Zugang zu Sozialen Medien. Und auch wir mussten den Zugriff des Minsker Teams auf unsere Kundendaten kappen. Wir mussten das Risiko ausschließen, dass unsere Kundendaten von irgendwelchen staatlichen Organen gekapert werden. Ohne das Minsker Team würde meine Firma nicht da stehen, wo sie heute steht. Als kleines Start-up in Frankfurt hatten wir keine Chance, gute Entwicklerinnen und Entwickler einzustellen – die Konkurrenz durch die Banken ist riesig. Daher war es für uns überlebenswichtig, das Team um jeden Preis zu erhalten. Belarus ist jetzt schon in den russischen Krieg verstrickt. Ich kann nicht sagen, wie das weitergeht. Aber es könnte sein, dass irgendwann Armee-Reservisten eingezogen werden. Einige unserer belarussischen Entwickler sind Reservisten. Darauf müssen wir uns einstellen. Keine Gehälter durch Sanktionen Ein weiteres Problem sind die internationalen Sanktionen gegen Belarus. Sollten die Banken dort komplett von Swift abgekoppelt werden, können wir keine Gehälter mehr bezahlen. Für diesen Fall haben wir letzte Woche vorsorglich einen größeren Betrag nach Minsk überwiesen. Das Geld war tagelang verschwunden und kam dann irgendwann gestückelt auf dem Konto in Belarus an. Daran merken wir, wie chaotisch und wenig planbar die Verhältnisse bereits jetzt sind. Mit der überwiesenen Summe könnte das Team vor Ort noch ein dreiviertel Jahr aushalten. Aber dann wäre der Zeitpunkt, wo wir das Minsker Team komplett auflösen müssten. Das wäre dann ein sehr hartes Leben in Belarus. Auf einen Schlag wären alle Arbeitsplätze westlicher Firmen vernichtet. Ich habe daher allen Teammitglieder schon im letzten Jahr empfohlen, sich vorsorglich ein polnisches Arbeitsvisum zu besorgen. Die meisten haben das auch gemacht. Nun geht es noch darum, außer Landes kommen. Es gibt keine direkten Flüge mehr. Also müssen sie Autos organisieren und über Land nach Gdańsk fahren. Keine leichte Entscheidung Die eigene Heimat zu verlassen, ist keine leichte Entscheidung. Manche pflegen ihre Eltern oder haben gerade ein Haus gebaut. Wer Belarus verlässt und die Staatsbürgerschaft ablegt, wird vom Regime enteignet. Mir gehen die Gespräche mit meinem Team sehr nah. Ich habe die Erfahrung selbst durchlebt. Ich bin in der DDR aufgewachsen und war einer der Botschaftsflüchtlinge von 1989. Ich weiß, was es heißt, alles hinter sich zu lassen. Deshalb habe ich immer so gehandelt, als wäre ich selbst betroffen. Ich habe mich immer gefragt: Was würde ich jetzt tun, wenn ich in Minsk wäre? Heute sind zwei Drittel des Minsker Teams nach Gdańsk geflohen. Vor dem Krieg hatten wir auch zwei Entwickler in der Ukraine. Einer ist noch dort und wurde noch nicht zur Landesverteidigung eingezogen. Der andere hat es noch geschafft, das Land zu verlassen. Direkt am Tag der Kriegserklärung hat er seine Familie am frühen Morgen ins Auto gepackt und ist über die polnische Grenze nach Gdańsk gefahren. Alle sitzen im gleichen Boot Die belarussischen Teammitglieder teilen sich heute mit dem ukrainischen Kollegen ein Büro. Probleme oder Spannungen gibt das nicht. Alle sitzen schließlich im gleichen Boot: Jeder musste seine Heimat verlassen – der eine wegen Putin, der andere wegen Lukaschenko. Wir haben schon vor einem Jahr ein Relocation Program gestartet, um den Leuten den Umzug zu erleichtern. Die Lebenshaltungskosten in Polen sind deutlich höher. Daher bekommt jeder, der umzieht, eine entsprechende Gehaltserhöhung. Außerdem schenken wir einen gewissen Betrag für die Startkosten. Wir unterstützen unsere Leute auch bei administrativen Dingen – beispielsweise ein Bankkonto zu eröffnen. Nach Kriegsbeginn haben die Frankfurter Kolleginnen und Kollegen privat Geld gespendet und die Firma hat das verdoppelt. Einfach um den Familien, die jetzt überstürzt geflohen sind, zusätzlich zu helfen. Die psychische Belastung ist bei allen wahnsinnig hoch. Wir haben intensive Gespräche über alles das, was passiert. Darunter leidet natürlich auch die Leichtigkeit bei der Arbeit. Aber ich muss sagen: Wir waren gut vorbereitet auf die Situation und deshalb funktionieren wir auch gut. Ich mache drei Kreuze, dass ich diese Struktur in Gdańsk so früh aufgebaut habe.“
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