impulse: Unternehmen müssen immer schneller auf Veränderungen reagieren. Mit welchen Reaktionen müssen Chefinnen und Chefs rechnen, wenn sie größere Entscheidungen treffen, die auch das Team betreffen?
Chris Schäfer: Bei größeren Veränderungen durchlaufen die meisten Mitarbeitenden typische Phasen: Am Anfang reagieren sie mit Unverständnis oder sind geschockt – und lehnen die Veränderungen ab. Nach einer gewissen Zeit akzeptieren sie die Neuerungen zunächst rational und dann auch emotional. Es findet also ein Prozess der emotionalen Ablösung statt und eine Art Trauerarbeit, wie nach dem Ende einer Beziehung. Dieses Tal der Tränen muss durchlebt und durchschritten werden, damit wir bereit für das Neue sind.
Es braucht also Zeit, sich an Veränderungen zu gewöhnen?
Ja. Ich berate seit 20 Jahren Unternehmen und Führungskräfte in Change-Prozessen, meine Erfahrung ist: Oft wenden Chefinnen und Chefs nicht genügend Zeit oder Sensibilität auf, damit die Mitarbeitenden sich an Veränderungen anpassen können. Die Geschäftsführung ist im Vorteil, weil sie die Ideen austüftelt und Entscheidungen vorbereitet, die sie dann später an die Belegschaft kommuniziert. Das Management hat einen zeitlichen Vorsprung und ist gedanklich schon bei der Lösung und in der neuen Welt, während die Mitarbeitenden noch in der Schockstarre sind.
Was sollte ich als Chef oder Chefin tun, wenn Mitarbeitende Entscheidungen ablehnen?
Zunächst ist entscheidend, diesen Widerstand zu verstehen und zu ergründen, was die Ursachen sind. Ist es Angst oder Unsicherheit? Dann kann ich überlegen, wie ich Sicherheit gebe, um die Angst zu reduzieren. Ich sollte mich fragen, wer vom aktuellen Zustand profitiert – und wer Privilegien verliert.
Hinter einem Widerstand stehen selten destruktive Absichten, sondern meist Bedürfnisse, die durch die Veränderung subjektiv eingeschränkt oder bedroht werden. Ein solches Grundbedürfnis kann Sicherheit sein, aber auch Mitbestimmung, Anerkennung und Wertschätzung. Werden diese Bedürfnisse von Anfang an berücksichtigt, wird der Widerstand naturgemäß kleiner sein.
Wie kann ich auf diese Bedürfnisse eingehen?
Menschen mögen es nicht, wenn über ihren Kopf hinweg Entscheidungen getroffen werden, die ihren Arbeitsbereich betreffen. Wenn ich aber sage: „Hey, ihr könnt da mitgestalten. Das ist das Ziel, da wollen wir hin. Aber wie? Da haben wir viele Möglichkeiten. Was sind eure Ideen?“ Dann fühlen sich Menschen eingeladen mitzugestalten. Sie fühlen sich ernst genommen. Sie sind später in der Umsetzung auch engagierter. Das sind im Grunde einfache Dinge, die aber oft übersehen werden.
Unternehmerinnen und Unternehmer können ihre Beschäftigten aber ja kaum an allen großen Entscheidungen beteiligen.
Menschen wollen gar nicht bei allen Entscheidungen mitreden. Bei allzu offenen Unternehmenskulturen, die viel Mitbestimmung zulassen, verliert man sich oft in Details. Das ist nicht der Fall. Menschen wollen mitreden, wenn es ihren eigenen Arbeitsbereich betrifft.
Es gibt Entscheidungen, die das Top-Management aus strategischen Gründen alleine treffen muss.
Ja. Oft sprechen Führungskräfte ihren Mitarbeitenden aber eine Kompetenz ab, wenn es darum geht, relevante Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen. Die Leute sind nicht dumm. Sie haben viel Erfahrung und Ideen, werden aber häufig nicht gehört. Wenn Vorgesetzte offen sind, ihre Beschäftigten an Entscheidungen zu beteiligen, nehmen diese oft die Verantwortung an, wachsen daran und wollen auch beweisen, dass sie das Vertrauen wert sind.
Was kann ich noch tun, damit die Belegschaft bei Veränderungen mitzieht?
Es hilft zum Beispiel, frühzeitig auf Schlüsselpersonen zuzugehen, die wir in dem Prozess brauchen. Veränderungsprozesse geht nur mit Menschen. Die sorgfältige Auswahl von Schlüsselpersonen gerade am Anfang entscheidet meist darüber, ob die Belegschaft mitzieht oder ob sie sagt: „Nee, da machen wir nicht mit!“ Schlüsselpersonen sind nicht unbedingt Befürworter.
Sondern?
Ich muss auch denjenigen Gehör geben, die Widerstand leisten. Oft sind Widerständler mächtige Menschen, die viel Erfahrung und entsprechend Einfluss haben, andere hinter sich zu scharen. Die sollte ich dann aber nicht nur dazu auffordern zu sagen, warum sie dagegen sind und was nicht funktioniert. Sondern sie fragen: „Herr Müller, Sie sind jetzt 30 Jahre dabei. Wie kann der Prozess gelingen, mit all Ihren Erfahrungen?“ Manchmal geben uns gerade diese Menschen eine Information, die wir im Topmanagement übersehen haben. Und dann wird der Widerständler zu einem Unterstützer, wenn er dazu beitragen konnte, dass es funktioniert.
Skeptiker zu überzeugen kann manchmal auch schwieriger sein.
Häufig wird zu viel Zeit mit Diskussionen mit Mitarbeitern verbracht, die sich gegen Veränderung sträuben – anstatt die Befürworter und die Unentschlossenen zusammenzuspannen. Dann habe ich 80 Prozent der Belegschaft hinter mir. Die einen stecken nämlich die anderen an. Die Befürworter ziehen die Unentschlossenen mit, weil sie ja noch entscheidungsoffen sind. Damit kann ich ein Momentum erreichen, das dazu führt, dass wir die Organisation auf dem neuen Weg schneller in Fahrt bringen können. Deswegen gilt es, frühzeitig auf Schlüsselpersonen zuzugehen.
Können Widerständler nicht zum Problem werden?
Wenn ich als Chef oder Chefin sage „Ich weiß doch, was für euch und das Unternehmen gut ist“ , und Skeptikern kein Gehör gebe, dann gehen sie in den Widerstand. Und ziehen noch andere Menschen mit zu sich. Dann kann ein Change-Prozess stark sabotiert werden. Widerstand äußert sich nicht immer offensichtlich.
Wie noch?
Es gibt Widerstand, bei dem Menschen sich ihrem Ärger Luft verschaffen. Und es gibt stillen Widerstand, bei dem Menschen sich offiziell beugen und zusagen mitzumachen. Im Stillen womöglich aber alles tun, um den Prozess zu torpedieren und im Hintergrund Verbündete einsammeln, die die Veränderung ebenfalls blockieren.
Und wenn sich ein Mitarbeiter trotz aller Bemühungen gegen die Veränderungen sträubt?
Wenn ich als Führungskraft feststelle, dass dieser Widerstand aus Prinzip geschieht – weil ein Mitarbeiter Privilegien verliert, die er früher hatte oder sich einfach nicht verändern will – kann man ihm mehr Zeit geben, sich an diese Veränderung zu gewöhnen. Hilfreich können auch Schulungen oder Coachings sein. Ab einem bestimmten Zeitpunkt muss eine Führungskraft aber bereit sein, Mitarbeitende mit Konsequenzen zu konfrontieren, wenn sie im Widerstand bleiben. Und klarmachen: „Es gibt keinen Weg zurück. Wir bleiben auf Kurs!“ Wenn ich als Führungskraft weiß, dass dieser neue Zustand gut ist und später von den Mitarbeitenden akzeptiert wird, dann kann ich immer wieder dafür werben.
Wichtig ist, keine Ausnahmen zuzulassen. Wenn ich ein neues System oder Software einführe und einem Mitarbeiter gestatte, das alte System weiter zu verwenden, kommen schnell andere, die auch nicht mitmachen wollen. Die Veränderung ist dann häufig kaum noch durchzusetzen.
Manchen verlassen in solchen Phasen auch das Unternehmen.
Es gibt immer Menschen, die sich in einem Change-Prozess verabschieden. Das ist in Ordnung. Ich sollte nur als Unternehmer oder Unternehmerin sehr genau überlegen, ob ich es mir leisten kann, eine bestimmte Person zu verlieren. Wenn sie systemrelevant ist, dann muss ich sie unbedingt dafür gewinnen mitzumachen. Es kann helfen, ihr eine verantwortliche Rolle im Veränderungsprozess zu geben, die zu ihr passt. Zu ihren Stärken, zu ihren Erfahrungen und Ambitionen.
Worauf sollte ich achten, wenn ich wichtige Entscheidungen in Change-Prozessen kommuniziere?
Führungskräfte kommunizieren in Change-Prozessen oft zu spät, zu dünn und teilen ihre Informationen nicht. Das führt zu Ängsten bei Mitarbeitenden. Dann fangen die Leute an, ihre Arbeit liegen zu lassen und suchen nach neuen Jobs. Besser ist, offen zu kommunizieren, was man schon sagen kann und was man eben noch nicht weiß. Wichtig ist auch, den Beschäftigten zu erklären, warum eine Veränderung dringlich und notwendig ist. Sobald Menschen verstanden haben, dass Veränderungen unausweichlich sind und welche Chancen sie bieten, sind sie eher bereit mitzumachen und durch unangenehme Phasen zu gehen.
Dr. Chris Schäfer ist Management-Berater und geschäftsführender Gesellschafter bei Dr. Schäfer & Partner in München. Er berät und begleitet seit mehr als 20 Jahren kleine und große Unternehmen in Change-Projekten.
