Nachkommen als Gesellschafter: So begeistern Sie Ihre Kinder für die Firma

Strategie 1: Die Kinder früh mit der Unternehmensarbeit vertraut machen Kati Ernst, 40, Gründerin der Berliner Firma Ooia für Periodenunterwäsche mit 37 Angestellten, erzählt, wie ihre Kinder ein positives Bild vom Unternehmen entwickeln. „Es ist mir sehr wichtig, dass meine drei Kinder eine positive Einstellung zu Ooia haben. Ein Kind ist in der Kita, zwei sind in der Grundschule. In meinem vorherigen Job in einer Unternehmensberatung haben mir damals einige Kolleginnen und Kollegen erzählt, dass ihre Kinder deren Blackberrys in die Toilette geworfen haben, weil sie nicht wollten, dass sie noch mehr arbeiten. Als ich mit meiner Geschäftspartnerin Kristine Zeller beschloss, Ooia zu gründen, wollte ich meinen Kindern solche Erfahrungen ersparen. [caption id="attachment_7609370" align="alignnone" width="600"] Kati Ernst, Geschäftsführerin der ooia GmbH in Berlin[/caption] Kinder kommen mit zur Arbeit Damit meine Kinder einen positiven Bezug zur Arbeit entwickeln, nehme ich sie auch mal mit zu Fotoshootings, zeige ihnen Prototypen oder bitte sie bei Stoffen um ihre Meinung. Dadurch sehen sie, wie facettenreich und spannend meine Arbeit ist. Mein Mann kommt auch zwischendurch mit ihnen in die Firma, wenn er sie aus der Schule oder Kita abholt. Sie kennen also die Kollegen und wissen, von wem ich spreche, wenn ich zu Hause etwas erzähle. Auch wenn ich Vorträge halte oder in unseren Instagram-Storys bin, schauen wir uns das zu Hause gemeinsam an. Bis vor Kurzem leitete mein Mann eine Firma, die Sportevents organisiert hat. Auch da haben wir die Kinder oft zu Veranstaltungen mitgenommen, um ihnen zu zeigen, was der Papa so macht. Tochter entwickelt eigene Firmenideen Außerdem versuchen wir, jeden Abend um 18 Uhr gemeinsam zu essen, damit wir über alles sprechen können, was am Tag passiert ist. Was haben die Kinder in der Kita oder in der Schule erlebt? Was habe ich bei der Arbeit gemacht? Dann legen mein Mann und ich natürlich unsere Telefone weg und konzentrieren uns nur aufeinander. Ich habe das Gefühl, das stärkt unseren Zusammenhalt als Familie. Die Maßnahmen, unseren drei Kindern zu zeigen, dass Unternehmertum etwas Gutes ist, scheinen zu wirken: Meine älteste Tochter hat schon nachgefragt, ob sie mal ein Schülerpraktikum bei uns in der Firma machen könnte. Sie möchte gern Unternehmerin werden. Ihre beste Freundin ist die Tochter meiner Mitgründerin, und gemeinsam stellen sie uns Unternehmensideen vor. Sie sprechen darüber, dass sie Ooia irgendwann einmal leiten werden. Natürlich würde ich mich freuen, wenn meine Kinder mein Unternehmen eines Tages übernehmen würden. Aber das ist noch sehr lange hin. Sie haben die freie Wahl, wie sehr sie später eingebunden sein wollen, ich möchte sie zu nichts drängen. Rat der Expertin Anne Heider, Co-Dirketorin des Wittener Instituts für Familienunternehmen, sagt dazu: "Nachkommen steigen nur dann freiwillig in die Firma ein, wenn sie intrinsisch motiviert sind. Intrinsische Motivation lässt sich durch eine emotionale Bindung ans Unternehmen erzeugen. Und je früher die Nachkommen mit der Firma vertraut werden, desto besser. Dabei sollten Unternehmerinnen und Unternehmer ihren Kindern die Firma spielerisch näherbringen, also statt Zahlen und Fakten zu präsentieren zum Beispiel eine Schnitzeljagd durch den Betrieb veranstalten. Ferienjobs und Praktika sind ebenfalls geeignet, um eine emotionale Bindung zum Unternehmen herzustellen. Wir gehen davon aus, dass drei bis sechs Monate Firmenerfahrung notwendig sind. Wenn diese emotionale Bindung verpasst wurde, ist es schwierig, diese mit 18 oder 20 Jahren aufzubauen." Strategie 2: Die Kinder systematisch auf die Gesellschafter-Rolle vorbereiten Alle drei Kinder des Unternehmerehepaars Doris und Axel Wittlinger wollen die Firma der Eltern weiterführen. Das kann zu vielen Konflikten führen. Wie die Wittlingers ihren Nachwuchs fit machen für die Position als zukünftige Gesellschafter. Als Axel (73) und Doris Wittlinger (57) 2021 anfingen, den Übergang in den Ruhestand zu planen, wurden sie von ihren eigenen Kindern überrascht. Das Ehepaar betreibt eine Immobilienfirma mit etwa 15 Mitarbeitern in Hamburg, die Wohnungen baut, kauft, saniert und dann vermietet. Die Wittlingers hatten nicht erwartet, dass die Tochter oder einer der beiden Söhne die Geschäftsführung übernehmen. Doch der Nachwuchs eröffnete ihnen, dass sie zwar nicht operativ im Betrieb arbeiten, aber diesen gern gemeinsam als Gesellschafter fortführen wollen. „Das hat mich sehr berührt“, erzählt Doris Wittlinger. So muss kein Kind ausbezahlt werden, das Firmenvermögen bleibt zusammen und das Unternehmen in Familienhand. Jedoch wussten die Wittlingers auch: Drei Kinder mit unterschiedlichen Charakteren, das kann auch zu Konflikten führen. „Erben führt nicht immer zu einem guten Familienzusammenhalt“, sagt Doris Wittlinger, die einige Geschäftspartner kennt, bei denen Familien auseinandergebrochen sind. „Wir wollen aber nicht, dass die Firma die Familie dominiert oder gar entzweit“, fügt Axel Wittlinger hinzu. [caption id="attachment_7609371" align="alignnone" width="600"] Doris und Axel Wittlinger, Geschäftsführer von Wittlinger Immobilien aus Hamburg[/caption] Die Kinder entwickeln ein gemeinsames Verständnis für die Firma Doch wie werden Nachkommen zu guten Gesellschaftern und wahren den Familienfrieden? „Die Rolle bedeutet mehr, als nur eine Dividende zu kassieren“, erklärt Anne Heider, Co-Direktorin am Wittener Institut für Familienunternehmen. Sie ist Mitherausgeberin des Buchs „Aktive Eigentümerschaft in Familienunternehmen“. Gesellschafter sein, diese Aufgabe muss man erst lernen. Deshalb machen die Wittlingers seit Anfang 2022 ein gemeinsames Coaching bei der Nachfolgeberaterin und Mediatorin Nina Heinemann aus Bochum. Zunächst ging es vor allem darum, ein gemeinsames Verständnis für die Firma zu entwickeln. Was ist ein Familienunternehmen? Welche Stärken und Schwächen hat es? Was ist die Aufgabe von Gesellschaftern, was die der Geschäftsführung? Welche Kennzahlen gibt es? Und was sind Firmenziele? Den Kindern werden aber nicht nur betriebswirtschaftliche Grundlagen vermittelt, sondern sie lernen auch, sich gegenseitig in ihrer Unterschiedlichkeit zu akzeptieren. Die Wittlingers sind eine Patchworkfamilie: Die 34-jährige Tochter Jennifer ist Maskenbildnerin und Mutter von vier Kindern. Der 33-jährige Sohn Christopher betreibt eine eigene IT-Firma. Beide Kinder stammen aus der ersten Ehe von Axel Wittlinger. Der 27-jährige Jan als Jüngster ist seit einigen Jahren in Berlin in der Immobilienbranche tätig. „Auch wenn jemand vielleicht nicht so viel Ahnung von Zahlen hat, hat man ja trotzdem was zu sagen“, erklärt Doris Wittlinger. Die Kinder lernen, strategisch zu denken In dem Coaching diskutieren sie erstmals gemeinsam über strategische Fragen und klären, wie sie künftig als Gesellschafter zusammenarbeiten wollen. Das hat bei den Geschwistern zu einigen Aha-Erlebnissen geführt: „Es wird immer Reibungspunkte geben, nicht jede Entscheidung ist im Konsens durchzuführen. Aber je nach Kontext muss mir klar sein: Bin ich jetzt der Bruder oder Gesellschafter?“, erzählt Sohn Christopher Wittlinger. Die Geschwister haben in dem Workshop beschlossen, dass ihre Gesellschafteranteile nur innerhalb der Familie verkauft werden dürfen und dass es für Entscheidungen eine Mehrheit braucht. Sie haben festgelegt, welche Qualifikationen die Geschäftsführung benötigt, und erarbeiten, wie idealerweise ein Reporting der Geschäftsleitung an die Anteilseigner aussehen soll. Bei den Diskussionen halten sich die Eltern weitestgehend zurück. Das Coaching findet an acht Terminen statt. Das Ergebnis wird in einer Familienverfassung zusammengetragen. Das Unternehmerehepaar Wittlinger will Ende 2022 aus dem Unternehmen aussteigen – sowohl als Geschäftsführer als auch als Gesellschafter. „Jetzt haben unsere Kinder Leitplanken. Wie sie das Unternehmen künftig führen, da sind sie in ihrer Entscheidung ganz frei“, sagt Axel Wittlinger. Das Coaching hatte auch einen Effekt auf die Eltern-Kinder-Beziehung: „Wir nehmen unsere Kinder nicht mehr als Kinder, sondern als gleichberechtigte Geschäftspartner wahr“, sagt Axel Wittlinger. Seine Frau Doris schaut ihn an und fügt noch hinzu: „Ich frage mich, ob uns unsere Kinder überhaupt noch Mama und Papa nennen sollten.“ Und lacht. Rat der Expertin Wissenschaftlerin und Beraterin Anne Heider sagt dazu: "Ob jemand eine gute Gesellschafterin oder ein guter Gesellschafter ist, hängt nicht von der beruflichen Qualifikation ab, sondern davon, wie kommunikationsfähig ich bin. Die Tochter, die Pädagogik studiert hat, kann die Rolle genauso gut ausfüllen wie der Sohn, der einen betriebswirtschaftlichen Background hat. Bei verschiedenen Gesellschaftern ist es wichtig, konstruktiv streiten zu können. Hierfür braucht es klare Regeln. Eine wäre: Konflikte müssen innerhalb von 48 Stunden angesprochen werden. Wenn nicht, dann gibt es den Konflikt nicht." Extra: Leitfaden zur Vorbereitung auf die Gesellschafterrolle Nur eine Person übernimmt das Unternehmen – das gibt es immer seltener. „Wir stellen fest, dass zunehmend bei der Übertragung der Unternehmensanteile alle Nachkommen gleichbehandelt werden“, erklärt Tom Rüsen, Geschäftsführender Direktor am Wittener Institut für Familienunternehmen. Zudem würden immer mehr Nachfolger als Gesellschafter in die Firma einsteigen, während das Unternehmen operativ von familienexternen Managern geführt wird. „Es gibt einen eindeutigen Wandel von eigentümergeführten hin zu eigentümerkontrollierten Familienunternehmen“, erklärt Rüsen, der auch Mitautor des Buchs „Aktive Eigentümerschaft in Familienunternehmen“ ist. Insbesondere wenn mehrere Familienmitglieder Unternehmensanteile besitzen, kann es zu Konflikten kommen. Deshalb sollten Nachkommen gezielt auf die Gesellschafterrolle vorbereitet werden. Rüsen hat einen Praxisleitfaden zur Entwicklung der Gesellschafterkompetenz erarbeitet, der sich grob in vier Aspekte gliedern lässt. Frühe Einbindung in die Firma Gute Gesellschafterinnen und Gesellschafter haben ein positives Verhältnis zur Firma. Eine emotionale Beziehung entwickeln Nachkommen vor allem in ihrer Kindheit und frühen Jugend. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmerinnen und Unternehmer ihren Nachwuchs bereits im Kindesalter mit der Firma vertraut machen, zum Beispiel auf dem Firmenhof oder im Büro spielen lassen, sie auf Geschäftsreisen mitnehmen oder im Betrieb jobben lassen. Das können einfache Arbeiten sein wie etwa Unterlagen sortieren oder im Versand Ware verpacken. Gleichzeitig ist es wichtig, die Nachkommen früh und altersgerecht in strategische Überlegungen einzubeziehen. „Dadurch lernen heranwachsende Gesellschafter die innerbetrieblichen Prozesse, Produkte, Dienstleistungen und zentrale Mitarbeiter kennen und entwickeln später als Gesellschafter ein gutes Gespür für das Unternehmen“, sagt Rüsen. Kinder, die keine emotionale Bindung zur Firma haben, interessieren sich häufig nur dafür, wie viel Rendite der Betrieb abwirft. So eine Haltung kann zu Missstimmung bei den angestellten Geschäftsführern, aber auch bei Teammitgliedern führen. Führungserfahrung sammeln Gute Gesellschafterinnen und Gesellschafter können beurteilen, ob angestellte familienexterne Geschäftsführer kompetent genug sind, das Unternehmen erfolgreich zu leiten. Daher ist es wichtig, selbst einmal Führungserfahrung gesammelt zu haben, und zwar in zweierlei Hinsicht: zum einem als Fachkraft, die selbst geführt wird. Zum anderen als Führungskraft, die andere Menschen führt. „Diese Erfahrungen können in jeder Berufsform oder in jedem gemeinnützigen Engagement erworben werden“, erklärt Professor Rüsen. Denn oft werden Gesellschafter nicht ernst genommen, wenn sie selbst nicht in einer Organisation oder einem Unternehmen mitgearbeitet haben. Gesellschafter sollten auch jenseits des Geschäfts eine persönliche Beziehung zur Führung pflegen, indem sie Geschäftsführer samt Familienmitgliedern etwa zum Weihnachtsessen oder zum Grillfest nach Hause einladen. „So kann besondere Wertschätzung für ihren Einsatz gezeigt werden“, sagt Rüsen. Firmenzusammenhänge verstehen Ganz gleich, was Gesellschafter und Gesellschafterinnen hauptberuflich machen, sie sollten sich mit der Firma und deren Strategie auseinandersetzen. Sie sollten die Unternehmensstruktur kennen sowie die Bilanz lesen und interpretieren können, um zum Beispiel auch die Arbeit der angestellten Geschäftsführer beurteilen zu können. Gesellschafterinnen und Gesellschafter wissen auch, wer die wichtigsten Kunden und wer die Schlüsselmitarbeiter sind. Sie kennen ebenfalls die Stärken und Schwächen der Firma und können sagen, was für den Erfolg des Betriebs überlebenswichtig ist. Doch es bringt nichts, zuerst theoretisches Betriebswirtschaftswissen zu vermitteln, nach dem Motto: Was ist ein Gesellschaftervertrag und wie ist eine Bilanz aufgebaut? „Solche am wenigsten spannenden und vor allem für fachfremde Familienmitglieder eher trockenen Themen wecken nicht unbedingt Interesse und Verständnis für das Unternehmen, sondern schrecken eher ab“, sagt Rüsen. Besser ist es, an konkreten Beispielen aus der Firma das nötige Wissen aufzubauen. Kommunikationsfähigkeit schulen Wenn es innerhalb einer Familie zu Meinungsverschiedenheiten kommt, kann mitunter sehr heftig gestritten werden. Im Privaten mag das noch in Ordnung sein. Doch in einer Gesellschafterversammlung sollten Familienmitglieder im Sinne der Firma lernen, konstruktiv mit unterschiedlichen Ansichten und Erwartungen umzugehen. Gesellschafter und Gesellschafterinnen sollten zudem die Möglichkeit haben, offen über Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse sprechen zu können. Deshalb sind Grundkenntnisse in wertschätzender Kommunikation und Psychologie so hilfreich wie das Lesen von Bilanzen. Der Gesellschafterkreis sollte auch ein Budget für die Weiterbildung seiner Mitglieder einplanen. Den gesamten Praxisleitfaden können Sie sich auch hier herunterladen.