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Heftig und hitzig: So wird die Diskussion um die Rückkehr ins Büro in vielen Unternehmen geführt. „Beide Seiten empfinden den Konflikt als ‚Kampf der Welten‘“, sagt Ingo Hamm, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Darmstadt. Dabei steckten hinter der Heftigkeit verschiedene tiefere, psychologische Motive.
Diese Motive müssten Führungskräfte kennen und verstehen. „Die konkreten Homeoffice-Büro-Regelungen sind selten das eigentliche Problem. Vielmehr steht der Streit darum stellvertretend für die menschlichen Bedürfnisse nach Selbstbestimmung und Freiheit bei der Arbeit“, so Hamm.
Der Wirtschaftspsychologe hat unter den Homeoffice-Fans fünf Typen ausgemacht. Wer deren Motive einschätzen könne, führe effektiver und menschlicher.
Was droht, wenn du nicht auf die Homeoffice-Typen eingehst
Hamms Beobachtung: Häufig erklären Führungskräfte nur die Sachgründe, die eine Rückkehr ins Büro notwendig machen. „Das ist zwar gut gemeint, ignoriert aber die individuelle Lebenswelt der Angestellten und die Frage, was die Rücknahme von Homeoffice-Möglichkeiten individuell für sie bedeutet“, sagt Hamm. „Damit gießen Führungskräfte Benzin ins Feuer der Reaktanz.“
Was ist Reaktanz?
Reaktanz ist ein psychologisches Phänomen und bedeutet so viel wie Trotz oder Widerwille. Menschen reagieren mit Widerstand, sobald ihre Freiheit beschnitten wird – etwa, wenn Führungskräfte die einmal gewährte Wahl zwischen Homeoffice und Präsenzarbeit nehmen. Einzig schwer depressive Menschen zeigen diese natürliche Reaktion nicht.
Die Lösung, um den Widerstand gegen die Rückkehr ins Büro möglichst klein zu halten und im besten Fall alle für Hybrid-Lösungen zu begeistern: die Situation mit jedem einzelnen Teammitglied individuell besprechen. Orientiert an den Motiven, die jeden Homeoffice-Typen antreiben.
Welche Motive das sind und wie du mit jedem Homeoffice-Typ am besten umgehst – ein Überblick.
Homeoffice-Typ 1: Die Jonglierenden
So tickt dieser Typus: Jonglierende müssen im Alltag Dutzende Aufgaben gleichzeitig managen, berufliche wie private. Ein Grund: Dieser Typ hat nicht die Mittel, Alltagsdienstleistungen an Dritte abzugeben.
Entsprechend nutzen Jonglierende das Homeoffice, um neben der To-do-Liste im Job auch noch ihr Privates irgendwie zu bewältigen: Sie fahren das Kind in die Musikschule, putzen, bestellen den Heizungsmonteur ins Haus, spachteln das Loch in der Wand zu, pflegen Eltern, holen Pakete ab – erfüllen bei alldem aber zuverlässig auch ihr vereinbartes Arbeitspensum.
Hamm zufolge benötigt dieser Typus das Homeoffice „wie die Luft zum Leben“. Die Zeit, die etwa frei werde, weil das Pendeln wegfalle, gebe ihm überhaupt erst die Möglichkeit. „Ohne Homeoffice wird dieser Typ von der Last des Lebens erdrückt. Von diesen gravierenden Konsequenzen ahnen viele Führungskräfte aber oft nichts, wenn sie eine Rückkehr ins Büro anordnen“, sagt der Experte.
So motivierst du Jonglierende für Präsenzarbeit: Hamm rät, viel Verständnis für die Lebensumstände dieses Typus zu zeigen, wenn man Homeoffice streichen muss. „Führungskräfte sollten fragen, wie die groben häuslichen und familiären Rahmenbedingungen aussehen. Und dann überlegen: ‚Wie kann ich diesen Menschen dabei unterstützen, keinen Ball fallen zu lassen?‘“, sagt Hamm.
Eine mögliche Antwort: Jonglierende so gut es geht im Homeoffice zu belassen – solange die Leistung stimmt. Oder Hybrid-Modelle zumindest so flexibel wie möglich zu gestalten: So können sich Jonglierende die Homeoffice-Tage so legen, dass sie bestmöglich davon profitieren.
Homeoffice-Typ 2: Die Eskapisten
So tickt dieser Typus: Eskapisten nutzen das Homeoffice als Möglichkeit, der Tretmühle des Büroalltags zu entfliehen. Hamm zufolge treibt diesen Typus eine starke Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit, beruflich wie privat. Eskapisten möchten etwas bewegen und schaffen, Werkstolz empfinden.
„Die Vorliebe fürs Homeoffice ist bei ihnen mit einer unbestimmten Heilserwartung verknüpft, oft in Reaktion auf Arbeitsbedingungen, die sie als toxisch empfinden“, so der Wirtschaftspsychologe. Dazu gehörten etwa der oft nervtötende Umgang mit Vorgesetzten, Kundinnen und Kunden, aber außerdem Stress – und das Gefühl, über- oder unterfordert zu sein.
So motivierst du Eskapisten für Präsenzarbeit: Eskapisten lassen sich Hamm zufolge insbesondere durch sogenanntes Job Crafting für die Rückkehr ins Büro begeistern. Also den Versuch, sie ihre Arbeitsbedingungen aktiv mitgestalten zu lassen: So können Eskapisten ihre Aufgaben und sozialen Beziehungen im Arbeitsalltag bestmöglich an ihre Bedürfnisse und Stärken anpassen. „Wer aktiv gestalten darf, muss nicht flüchten“, sagt Hamm. Solche Freiräume zu schaffen, in denen sich Angestellte als selbstwirksam erfahren können, würden zwar allen Angestellten helfen – den Eskapisten aber besonders.
Ein weiteres Instrument: Job Rotation. Dabei übernehmen Angestellte für eine gewisse Zeit Aufgaben anderer, um so das Gefühl von Monotonie zu durchbrechen, das Eskapisten Hamm zufolge oft fühlen.
Außerdem empfiehlt der Experte, sogenannte „Mad Skills“ von Mitarbeitenden zu erkennen und zu fördern: vermeintlich schräge Fähigkeiten und Stärken außerhalb des Jobs. Wer es Eskapisten ermögliche, beispielsweise vermeintlich verrückte Hobbys zu pflegen, etwa über eine tageweise Freistellung, stille ihre Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit. Und sorge damit für Zufriedenheit und reduziere so indirekt den Widerstand gegen eher unliebsame Regelungen, etwa eine teilweise Rückkehr ins Büro.
Homeoffice-Typ 3: Die Verweigernden
So tickt dieser Typus:
Wer zu den Verweigernden gehört, hält Hamm zufolge Arbeit grundsätzlich für ein Übel – und Vorgesetzte sowieso. „Dieser Typ ist stark extrinsisch motiviert und würde am liebsten ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten, also ein gutes Leben, ohne dafür arbeiten zu müssen“, so der Experte. Oft seien es die Teammitglieder mit der geringsten Arbeitsbelastung und dem vermeintlich größten Stress.
Verweigernde arbeiten laut Hamm primär fürs Geld und suchen ihre Erfüllung außerhalb der Arbeit. Sie fühlen sich vom System schlecht behandelt und daher dazu berechtigt, es ihm heimzuzahlen. „Dieser Typus nutzt das Homeoffice, um sich Freiheiten zu nehmen, die mit keiner Arbeitsmoral vereinbar sind, beispielsweise für einen Gang ins Fitnessstudio oder zum Einkaufen während der Kernarbeitszeit“, sagt der Experte. Homeoffice wird für Verweigernde außerdem deshalb zur idealen Arbeitsform, weil die Kontrolle durch Vorgesetzte erschwert bis ausgeschaltet ist.
So motivierst du Verweigernde für Präsenzarbeit: Im Gegensatz zu den übrigen Typen sollten Führungskräfte bei diesem Typus nicht auf Verständnis setzen, sondern auf einen strikten Umgang und klare Vorgaben, fürs Homeoffice genauso wie fürs Büro. Um damit klarzumachen: „Ich sehe dich!“ Dazu gehören etwa genaue Homeoffice-Regelungen zur Kernarbeitszeit, Erreichbarkeit und Dokumentation der Arbeitsergebnisse – und klare Ansagen dazu, wann die Person im Büro erwartet wird. Hält sich ein Verweigerer nicht an die Absprachen, sollten Vorgesetzte Hamm zufolge schnell zur „arbeitsrechtlichen Betrachtung“ der Situation übergehen und den Widerstand sanktionieren, etwa mit einer Abmahnung.
Diesen konfrontativen Weg zu scheuen und freundlich auf die Verweigerungshaltung einzugehen oder sie zu ignorieren, sei fatal: „Denn damit signalisiert die Führungskraft allen anderen im Team, dass Nicht-Leistung belohnt wird“, erklärt der Experte. Halte die Reaktanz an, sei eine Trennung in vielen Fällen die unumgängliche Lösung.
Homeoffice-Typ 4: Die Essenzialisten
So tickt dieser Typus: Wer zu den Essenzialisten gehört, möchte sich Hamm zufolge leidenschaftlich und zielstrebig um die „eigentliche Arbeit“ kümmern. „Dieser Typus liebt das Homeoffice, weil er dort nicht durch Bürokratie, Admin-Wahnsinn, Meetings und firmenpolitische Spielchen von seinem Schaffen abgelenkt wird“, so der Wirtschaftspsychologe. Essenzialisten arbeiteten am liebsten autark und empfänden daher Vorgesetzte und Meetings oft als überflüssig. Mit all dem seien Essenzialisten in der Regel hoch produktive Leistungstragende.
So motivierst du Essenzialisten für Präsenzarbeit: Der wichtigste Hebel ist Hamm zufolge, die „professionelle Einsamkeit“ anzusprechen, die im Homeoffice droht. Denn Essenzialisten interpretierten soziale Kontakte zwar oft als Störfaktor. Als soziale Wesen bräuchten aber auch sie Feedback und soziale Eingebundenheit – und verständen das auch.
Da Essenzialisten Konzentration suchen, sollten Vorgesetzte laut dem Experten die nötigen Voraussetzungen dafür schaffen – etwa durch Fokuszeiten auch im Büro und Räume, in die sich die Essenzialisten bei Bedarf zurückziehen könnten. „Außerdem sind Essenzialisten prädestiniert für horizontale Fachkarrieren, da sie sich nicht um Mitarbeiter oder Bürokratie kümmern wollen. Ihnen das Angebot einer solchen Karriere zu machen, kann sie im Unternehmen halten – auch wenn es eine Rückkehr ins Büro gibt.
Homeoffice-Typ 5: Die Fatalisten
So tickt dieser Typus: Ähnlich wie für die Eskapisten dient das Homeoffice den Fatalisten als eine Art „letzte Hoffnung“. Allerdings unter anderen Voraussetzungen: Hamm zufolge stehen Angehörige dieses Typus kurz vor einem Burn-out oder einer Depression. Sie fühlen sich absolut überfordert, extrem unter Druck und verzweifelt – und an ihrer psychischen wie physischen Belastungsgrenze. „Äußerlich erkennen lässt sich das an der sogenannten Anhedonie der Fatalisten: der Unfähigkeit, Freude zu fühlen. Auch ist ihnen oft die Fähigkeit verloren gegangen, sich auf Schönes zu freuen und Genuss an ihrer eigentlichen Tätigkeit zu empfinden“, sagt Wirtschaftspsychologe Hamm.
Wie du mit diesem Typ umgehen solltest: Bei Fatalisten geht es Hamm zufolge erst einmal nicht darum, zu überlegen, wie sie sich bestmöglich fürs Büro begeistern lassen. „Führungskräfte müssen zunächst lernen, diesen Typus zu erkennen. Also hinter vermeintlichen ‚Null Bock‘-Symptomen oder einem vermuteten Blaumach-Verhalten galoppierenden Fatalismus wahrzunehmen“, sagt der Experte. Entscheidend sei dafür eine innere Haltung des Respekts: Nur damit könnten Führungskräfte überhaupt anerkennen, dass es natürliche Grenzen individueller Belastbarkeit gibt.
„Anschließend gilt es, sich in ‚Predictive Maintenance‘ zu üben. Angestellte also quasi vorausschauend instand zu halten, bevor sie kaputtgehen“, erklärt Hamm.
Mögliche Maßnahmen:
- Körperlichkeit und Bewegung fördern, etwa über Betriebssport und Bewegungspausen. Hamm: Bewegung ist das einfachste und billigste Antidepressivum.
- Den Genuss fördern, indem Führungskräfte positive sensorische Eindrücke am Arbeitsplatz schaffen, etwa über eine Kaffeeküche, Ruheräume, gesunde Snacks.
- Potenzielle Fatalisten aktivieren, ihnen als Führungskraft also vermitteln, ihre Erschöpfung wahrzunehmen – und dann gemeinsam Auswege aus der Resignation zu suchen.
- Schon den Einsatz wertschätzen, den ein Teammitglied zeigt – und nicht nur Erfolge.
Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie und Autor des Buches „Kettensprenger“ (Vahlen Verlag, 2025). Darin erklärt er auf Basis der aktuellen Forschung, wieso die Homeoffice-Diskussion keine Ortsdebatte ist, sondern ein Ringen um gute Zusammenarbeit, Selbstwirksamkeit, Freiheit und Sinn in der Arbeit.
