Vom Angestellten zum Unternehmer
Wie Gründer ihren Ex-Chefs Konkurrenz machen

Mach's gut, Chef! Wenn Angestellte sich selbstständig machen, werden sie zur Konkurrenz für den ehemaligen Arbeitgeber. Das hat Vor- und Nachteile.

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Zuerst Erfahrung sammeln und sie dann umsetzen: Statistisch war jeder zweite Gründer vorher angestellt.
Zuerst Erfahrung sammeln und sie dann umsetzen: Statistisch war jeder zweite Gründer vorher angestellt.
© Goodluz - Fotolia.com

Bis zum letzten Tag hielten sie dicht. Kein Kollege durfte erfahren, was sie vorhatten. Holger Bohne war damals Vertriebsleiter beim Uhrenhersteller Junghans, Jeroen Opdam arbeitete als Key Account Manager für Citizen. Ihr geheimer Plan: Sie wollten ihren Arbeitgebern Konkurrenz machen und selbst eine Uhrenmarke gründen.

„Unsere Kollegen haben immer wieder nachgefragt, wo wir künftig arbeiten werden“, erinnert sich Bohne an die Zeit, in der seine Kündigung bereits offiziell war. Er habe dann gemurmelt, dass er nicht darüber sprechen könne. „Besonders hartnäckigen Kollegen bin ich aus dem Weg gegangen.“ Denn eines war klar: Ihre Chefs würden kaum goutieren, dass sich zwei erfolgreiche Uhrenverkäufer als Wettbewerber selbstständig machten.

Seit über fünf Jahren ist Haemmer Germany nun auf dem Markt. Mit ungewöhnlich großen Herrenuhren starteten die Gründer, inzwischen produzieren sie in China mehrere Kollektionen. Die ehemaligen Arbeitgeber Junghans und Citizen wollen die Konkurrenz aus den eigenen Reihen nicht kommentieren.

Jeder zweite Jungunternehmer war zuvor angestellt

Dass Gründer ihren früheren Chefs Kunden streitig machen, ist nicht selten. Jeder zweite Jungunternehmer war zuvor angestellt, zeigt der KfW-Gründungsmonitor 2015. Und die meisten Selbstständigen bleiben ihrer Branche treu. Schließlich kennen sie dort die Bedürfnisse der Kunden und haben sich ein Netzwerk aufgebaut. Oft kam die Geschäftsidee sogar bei der Arbeit.

Unkompliziert ist der Seitenwechsel jedoch nicht. Immer wieder kommt es zu Prozessen, weil Daten oder Technologien geklaut werden – unbedarft oder in hinterlistiger Absicht. Grundsätzlich gilt: Wenn Gründer noch während ihrer Anstellung die Geheimrezepte des früheren Arbeitgebers nutzen, Produktionsverfahren oder Techniken kopieren, womöglich sogar dessen Kunden ansprechen, wird es problematisch: „Bis zum allerletzten Tag ihres Arbeitsvertrags unterliegen Angestellte der Vertraulichkeitspflicht“, sagt Unternehmensberater Gerhard Bach.

Das bedeutet: Finger weg von Kunden, Kooperationspartnern und Lieferanten – das gilt auch für die Zeit, in er Angestellte freigestellt sind oder Resturlaub nehmen. „Kunden gehören dem Unternehmen, auch wenn man sie selbst akquiriert hat“, erklärt Christian Wieneke-Spohler, Partner der Kanzlei Martens & Vogler. Auch Know-how aus dem früheren Job dürfen Gründer für ihr eigenes Geschäft nur nutzen, wenn es öffentlich zugänglich ist.

Ehemalige Angestellte und Ex-Chef vor Gericht

Viele Gründer hätten das Arbeitsrecht nicht im Blick, sagt Wieneke-Spohler. „Sie berichten Kunden ihres Arbeitgebers von ihren Plänen, verteilen beim Termin der alten Firma ihre neuen Visitenkarten.“ Oder sie nennen den Namen ihres Start-ups in der Abschieds-E-Mail. Das liegt nahe, kann aber zu einer Klage führen, wenn ein Kunde deshalb seinen Auftragnehmer verlässt. Der kann dann von seinem ehemaligen Mitarbeiter den entgangenen Gewinn zurückfordern. „Die Höhe hängt vom konkret eingetretenen Schaden ab. Nach oben gibt es keine Deckelung“, warnt Wieneke-Spohler.

Der Grat zwischen Recht und Unrecht ist schmal. So verklagte eine Steuerberaterin ihre ehemalige Angestellte vor dem Landgericht Köln auf rund 520.000 Euro, nachdem diese sich selbstständig gemacht und 80 Prozent der Mandanten mitgenommen hatte. Die Klage wurde abgewiesen: Die verlassene Chefin konnte nicht beweisen, dass ihre ehemalige Mitarbeiterin Kunden gezielt angesprochen hatte. Und niemand könne von einer Gründerin verlangen, Mandanten wegzuschicken, die von sich aus zu ihr kämen, urteilten die Richter.

Im Fall eines Industrieunternehmens entschied das Gericht anders. Der angestellte Geschäftsführer kündigte gemeinsam mit dem Vertriebs- und Werksleiter. Sie gründeten eine Konkurrenzfirma und riefen kurz nach der Trennung ehemalige Kunden an, die sie persönlich kannten, und machten Werbung. Anschließend schickten sie noch eine Werbe-Mail. Die Richter entschieden: Anrufen ist erlaubt, E-Mails gehen zu weit. Dafür bräuchten die Gründer nicht nur die Einwilligung ihres ehemaligen Chefs, sondern auch die der potenziellen Kunden.

Arbeitgeber in der Beweispflicht

Ärgerlich für viele Arbeitgeber: Sie müssen bei einer Klage belegen, dass zum Beispiel Kundendaten aus ihrer eigenen Firma stammen und nicht aus öffentlichen Verzeichnissen. Ein solcher Nachweis sei schwierig, sagt Jurist Wieneke-Spohler. Gründer sollten sich aber besser nicht darauf verlassen, dass sie ungeschoren davonkämen.

Die Uhrenunternehmer Bohne und Opdam achteten selbst darauf, keine Betriebsgeheimnisse ihrer alten Arbeitgeber zu verletzen. Junghans ist zum Beispiel bekannt für innovative Funkuhren. „An solche Entwicklungen geht man nicht ran“, sagt Bohne. „Wir haben keinen Gedanken daran verschwendet, eine ähnliche Technik in unseren Uhren zu nutzen.“ Lohnfertiger für die Uhrenproduktion hätten sie zwar aus dem alten Job gekannt, aber sie hätten dieselben Informationen auch über viele andere – öffentlich zugängliche – Wege herausbekommen. Deswegen sei es kein Problem gewesen, asiatische Hersteller anzusprechen, die auch mit Citizen und Junghans zusammenarbeiten.

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Heikel: Kontaktanbahnung mit Handelspartnern

Heikler war die Kontaktanbahnung mit Handelspartnern. Die Gründer hielten zunächst Abstand. Als sie sich erstmals auf der Uhrenmesse Inhorgenta präsentierten, waren sie lange raus aus ihrem alten Job. Die Händler seien überrascht auf sie zugekommen, sagt Bohne, hätten sich nach den ersten Fragen und Bedenken aber schnell auf Haemmer eingelassen, eben weil sie die Gründer schon kannten.

Anders ging Ralf Kaudel vor. Er spielte von Anfang an mit offenen Karten. Als Anlageberater hatte er bei verschiedenen Banken Karriere gemacht, verwaltete das Vermögen seiner Kunden teilweise schon seit Jahren. In der Branche gilt es als normal, dass Vermögensverwalter Kunden mitnehmen, wenn sie den Arbeitgeber wechseln. So war klar: Wenn Kaudel sich als Finanzberater selbstständig machte, würden ihm etliche Kunden folgen.

Mit seinem Chef schloss er einen Kompromiss: Kaudel durfte seinen Kunden mitteilen, dass er eine eigene Firma gründet, und für diese werben. Im Gegenzug übernahm ein Kollege ein Dreivierteljahr lang Kaudels Mandate. So hatte die Privatbank, die ihn bis dahin beschäftigt hatte, eine Chance, dass Kunden beim Nachfolger blieben. Im Januar 2011 startete Kaudel schließlich mit seinem Ein-Mann-Büro. Sieben von 20 Kunden folgten ihm nach.

Gründer-Starthilfe vom Chef

Experte Gerhard Bach rät: Wer ein gutes Verhältnis zu seinen Chefs hat, sollte ehrlich sein. Rückblickend findet auch Corinna Powalla, sie hätte mutiger auf ihre Vorgesetzten zugehen sollen. Sie bastelte mit ihren Kollegen an einem Warenwirtschaftssystem beim Berliner Online-Optiker Mister Spex, als ihr die Idee für einen eigenen Web-Shop kam: Immer wieder hatten ihr Freundinnen erzählt, dass sie für ihre modisch unsicheren oder allzu bequemen Partner Kleidung kauften, die die Männer dann zu Hause anprobierten.

„Auch mein eigener Freund machte das gern so“, sagt Powalla. Warum also nicht einen Web-Shop einrichten, dachte sie, in dem Männer Kleidergröße, bevorzugte Marken und ihren üblichen Stil angeben können? Dann könnten Modeberaterinnen ihnen ein Paket mit kompletten Outfits aus Hose, T-Shirt, Hemd und Pullover zusammenstellen, die perfekt aufeinander abgestimmt sind.

Das Problem: Auch Brillenhändler Mister Spex arbeitete damals schon an einem System, bei dem Kunden Stilempfehlungen erhalten. Zudem hatte Powalla alles über technische Strukturen, Arbeitsabläufe, Logistik und Marketing im Online-Handel bei Mister Spex gelernt. „Ich weiß, dass dieses Wissen die Basis für meinen Start in die Selbstständigkeit war.“

Wenn der Chef den Jungunternehmer unterstützt

Wegen ihrer Unsicherheit arbeitete die Gründerin im Verborgenen, nach Feierabend und am Wochenende. Ihre Chefs weihte sie erst ein, als sie startklar war. Die Reaktion fiel ganz anders aus als erwartet. „Meine Arbeitgeber waren begeistert und haben meine Idee gefördert“, sagt Powalla. „Wir haben dann noch häufig zusammengesessen und gemeinsam am Konzept gefeilt.“ Leider war da schon fast alles entschieden. „Viele Fragen“, sagt Powalla, „hätte ich schneller und besser beantworten können, wenn ich früher gefragt hätte.“

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Mister-Spex-Geschäftsführer Dirk Graber sieht Modomoto nicht als Konkurrenz. „Als die Kollegin sich selbstständig machte, waren wir mit diesen Stilberatungssystemen noch nicht so weit“, sagt er. „Jetzt macht sie das erst einmal, und das mit Erfolg – das ist doch prima.“

Graber hat schon häufiger junge Angestellte beim Start in die Selbstständigkeit unterstützt. Neidlos lobt er, dass Powalla inzwischen 64 Mitarbeiter beschäftigt und 20.000 Kunden in Österreich und Deutschland zählt. Würde sich einer seiner Mitarbeiter mit einem Online-Brillenhandel selbstständig machen, wäre aber auch Graber nicht mehr so entspannt. In den Arbeitsverträgen der Mister-Spex-Führungskräfte gibt es eine Klausel, die es Managern verbietet, nach dem Ausscheiden ein Konkurrenzunternehmen aufzuziehen.

Angestellte dürfen internes Firmenwissen nicht für eine eigene Gründung nutzen. Entscheidend ist dabei die Frage, ob Kontakte und andere Daten öffentlich zugänglich sind.

Bis zum letzten Tag hielten sie dicht. Kein Kollege durfte erfahren, was sie vorhatten. Holger Bohne war damals Vertriebsleiter beim Uhrenhersteller Junghans, Jeroen Opdam arbeitete als Key Account Manager für Citizen. Ihr geheimer Plan: Sie wollten ihren Arbeitgebern Konkurrenz machen und selbst eine Uhrenmarke gründen. „Unsere Kollegen haben immer wieder nachgefragt, wo wir künftig arbeiten werden“, erinnert sich Bohne an die Zeit, in der seine Kündigung bereits offiziell war. Er habe dann gemurmelt, dass er nicht darüber sprechen könne. „Besonders hartnäckigen Kollegen bin ich aus dem Weg gegangen.“ Denn eines war klar: Ihre Chefs würden kaum goutieren, dass sich zwei erfolgreiche Uhrenverkäufer als Wettbewerber selbstständig machten. Seit über fünf Jahren ist Haemmer Germany nun auf dem Markt. Mit ungewöhnlich großen Herrenuhren starteten die Gründer, inzwischen produzieren sie in China mehrere Kollektionen. Die ehemaligen Arbeitgeber Junghans und Citizen wollen die Konkurrenz aus den eigenen Reihen nicht kommentieren. Jeder zweite Jungunternehmer war zuvor angestellt Dass Gründer ihren früheren Chefs Kunden streitig machen, ist nicht selten. Jeder zweite Jungunternehmer war zuvor angestellt, zeigt der KfW-Gründungsmonitor 2015. Und die meisten Selbstständigen bleiben ihrer Branche treu. Schließlich kennen sie dort die Bedürfnisse der Kunden und haben sich ein Netzwerk aufgebaut. Oft kam die Geschäftsidee sogar bei der Arbeit. Unkompliziert ist der Seitenwechsel jedoch nicht. Immer wieder kommt es zu Prozessen, weil Daten oder Technologien geklaut werden – unbedarft oder in hinterlistiger Absicht. Grundsätzlich gilt: Wenn Gründer noch während ihrer Anstellung die Geheimrezepte des früheren Arbeitgebers nutzen, Produktionsverfahren oder Techniken kopieren, womöglich sogar dessen Kunden ansprechen, wird es problematisch: „Bis zum allerletzten Tag ihres Arbeitsvertrags unterliegen Angestellte der Vertraulichkeitspflicht“, sagt Unternehmensberater Gerhard Bach. Das bedeutet: Finger weg von Kunden, Kooperationspartnern und Lieferanten – das gilt auch für die Zeit, in er Angestellte freigestellt sind oder Resturlaub nehmen. „Kunden gehören dem Unternehmen, auch wenn man sie selbst akquiriert hat“, erklärt Christian Wieneke-Spohler, Partner der Kanzlei Martens & Vogler. Auch Know-how aus dem früheren Job dürfen Gründer für ihr eigenes Geschäft nur nutzen, wenn es öffentlich zugänglich ist. Ehemalige Angestellte und Ex-Chef vor Gericht Viele Gründer hätten das Arbeitsrecht nicht im Blick, sagt Wieneke-Spohler. „Sie berichten Kunden ihres Arbeitgebers von ihren Plänen, verteilen beim Termin der alten Firma ihre neuen Visitenkarten.“ Oder sie nennen den Namen ihres Start-ups in der Abschieds-E-Mail. Das liegt nahe, kann aber zu einer Klage führen, wenn ein Kunde deshalb seinen Auftragnehmer verlässt. Der kann dann von seinem ehemaligen Mitarbeiter den entgangenen Gewinn zurückfordern. „Die Höhe hängt vom konkret eingetretenen Schaden ab. Nach oben gibt es keine Deckelung“, warnt Wieneke-Spohler. Der Grat zwischen Recht und Unrecht ist schmal. So verklagte eine Steuerberaterin ihre ehemalige Angestellte vor dem Landgericht Köln auf rund 520.000 Euro, nachdem diese sich selbstständig gemacht und 80 Prozent der Mandanten mitgenommen hatte. Die Klage wurde abgewiesen: Die verlassene Chefin konnte nicht beweisen, dass ihre ehemalige Mitarbeiterin Kunden gezielt angesprochen hatte. Und niemand könne von einer Gründerin verlangen, Mandanten wegzuschicken, die von sich aus zu ihr kämen, urteilten die Richter. Im Fall eines Industrieunternehmens entschied das Gericht anders. Der angestellte Geschäftsführer kündigte gemeinsam mit dem Vertriebs- und Werksleiter. Sie gründeten eine Konkurrenzfirma und riefen kurz nach der Trennung ehemalige Kunden an, die sie persönlich kannten, und machten Werbung. Anschließend schickten sie noch eine Werbe-Mail. Die Richter entschieden: Anrufen ist erlaubt, E-Mails gehen zu weit. Dafür bräuchten die Gründer nicht nur die Einwilligung ihres ehemaligen Chefs, sondern auch die der potenziellen Kunden. Arbeitgeber in der Beweispflicht Ärgerlich für viele Arbeitgeber: Sie müssen bei einer Klage belegen, dass zum Beispiel Kundendaten aus ihrer eigenen Firma stammen und nicht aus öffentlichen Verzeichnissen. Ein solcher Nachweis sei schwierig, sagt Jurist Wieneke-Spohler. Gründer sollten sich aber besser nicht darauf verlassen, dass sie ungeschoren davonkämen. Die Uhrenunternehmer Bohne und Opdam achteten selbst darauf, keine Betriebsgeheimnisse ihrer alten Arbeitgeber zu verletzen. Junghans ist zum Beispiel bekannt für innovative Funkuhren. „An solche Entwicklungen geht man nicht ran“, sagt Bohne. „Wir haben keinen Gedanken daran verschwendet, eine ähnliche Technik in unseren Uhren zu nutzen.“ Lohnfertiger für die Uhrenproduktion hätten sie zwar aus dem alten Job gekannt, aber sie hätten dieselben Informationen auch über viele andere – öffentlich zugängliche – Wege herausbekommen. Deswegen sei es kein Problem gewesen, asiatische Hersteller anzusprechen, die auch mit Citizen und Junghans zusammenarbeiten. Heikel: Kontaktanbahnung mit Handelspartnern Heikler war die Kontaktanbahnung mit Handelspartnern. Die Gründer hielten zunächst Abstand. Als sie sich erstmals auf der Uhrenmesse Inhorgenta präsentierten, waren sie lange raus aus ihrem alten Job. Die Händler seien überrascht auf sie zugekommen, sagt Bohne, hätten sich nach den ersten Fragen und Bedenken aber schnell auf Haemmer eingelassen, eben weil sie die Gründer schon kannten. Anders ging Ralf Kaudel vor. Er spielte von Anfang an mit offenen Karten. Als Anlageberater hatte er bei verschiedenen Banken Karriere gemacht, verwaltete das Vermögen seiner Kunden teilweise schon seit Jahren. In der Branche gilt es als normal, dass Vermögensverwalter Kunden mitnehmen, wenn sie den Arbeitgeber wechseln. So war klar: Wenn Kaudel sich als Finanzberater selbstständig machte, würden ihm etliche Kunden folgen. Mit seinem Chef schloss er einen Kompromiss: Kaudel durfte seinen Kunden mitteilen, dass er eine eigene Firma gründet, und für diese werben. Im Gegenzug übernahm ein Kollege ein Dreivierteljahr lang Kaudels Mandate. So hatte die Privatbank, die ihn bis dahin beschäftigt hatte, eine Chance, dass Kunden beim Nachfolger blieben. Im Januar 2011 startete Kaudel schließlich mit seinem Ein-Mann-Büro. Sieben von 20 Kunden folgten ihm nach. Gründer-Starthilfe vom Chef Experte Gerhard Bach rät: Wer ein gutes Verhältnis zu seinen Chefs hat, sollte ehrlich sein. Rückblickend findet auch Corinna Powalla, sie hätte mutiger auf ihre Vorgesetzten zugehen sollen. Sie bastelte mit ihren Kollegen an einem Warenwirtschaftssystem beim Berliner Online-Optiker Mister Spex, als ihr die Idee für einen eigenen Web-Shop kam: Immer wieder hatten ihr Freundinnen erzählt, dass sie für ihre modisch unsicheren oder allzu bequemen Partner Kleidung kauften, die die Männer dann zu Hause anprobierten. „Auch mein eigener Freund machte das gern so“, sagt Powalla. Warum also nicht einen Web-Shop einrichten, dachte sie, in dem Männer Kleidergröße, bevorzugte Marken und ihren üblichen Stil angeben können? Dann könnten Modeberaterinnen ihnen ein Paket mit kompletten Outfits aus Hose, T-Shirt, Hemd und Pullover zusammenstellen, die perfekt aufeinander abgestimmt sind. Das Problem: Auch Brillenhändler Mister Spex arbeitete damals schon an einem System, bei dem Kunden Stilempfehlungen erhalten. Zudem hatte Powalla alles über technische Strukturen, Arbeitsabläufe, Logistik und Marketing im Online-Handel bei Mister Spex gelernt. „Ich weiß, dass dieses Wissen die Basis für meinen Start in die Selbstständigkeit war.“ Wenn der Chef den Jungunternehmer unterstützt Wegen ihrer Unsicherheit arbeitete die Gründerin im Verborgenen, nach Feierabend und am Wochenende. Ihre Chefs weihte sie erst ein, als sie startklar war. Die Reaktion fiel ganz anders aus als erwartet. „Meine Arbeitgeber waren begeistert und haben meine Idee gefördert“, sagt Powalla. „Wir haben dann noch häufig zusammengesessen und gemeinsam am Konzept gefeilt.“ Leider war da schon fast alles entschieden. „Viele Fragen“, sagt Powalla, „hätte ich schneller und besser beantworten können, wenn ich früher gefragt hätte.“ Mister-Spex-Geschäftsführer Dirk Graber sieht Modomoto nicht als Konkurrenz. „Als die Kollegin sich selbstständig machte, waren wir mit diesen Stilberatungssystemen noch nicht so weit“, sagt er. „Jetzt macht sie das erst einmal, und das mit Erfolg – das ist doch prima.“ Graber hat schon häufiger junge Angestellte beim Start in die Selbstständigkeit unterstützt. Neidlos lobt er, dass Powalla inzwischen 64 Mitarbeiter beschäftigt und 20.000 Kunden in Österreich und Deutschland zählt. Würde sich einer seiner Mitarbeiter mit einem Online-Brillenhandel selbstständig machen, wäre aber auch Graber nicht mehr so entspannt. In den Arbeitsverträgen der Mister-Spex-Führungskräfte gibt es eine Klausel, die es Managern verbietet, nach dem Ausscheiden ein Konkurrenzunternehmen aufzuziehen. Angestellte dürfen internes Firmenwissen nicht für eine eigene Gründung nutzen. Entscheidend ist dabei die Frage, ob Kontakte und andere Daten öffentlich zugänglich sind.
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