Finanzen
Umsatzsteuer-Wirrwarr: Wenn die Milch im Kaffee über den Steuersatz entscheidet

Sieben oder 19 Prozent? Mit logischem Denken lässt sich der Dschungel des deutschen Umsatzsteuerrechts nicht durchdringen, sagt Steuerberaterin Marion Fetzer. Nur ein Beispiel von vielen: die unterschiedliche Besteuerung von Kaffeegetränken. Eine Kolumne über den Irrsinn und die Kuriositäten des Steuerrechts.

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Das Umsatzsteuerrecht umfasst bekanntermaßen deutlich mehr Aspekte als die bloße Unterscheidung zwischen 7 Prozent und 19 Prozent. Dabei wäre das bereits ausreichend. Um sich im Wirrwarr der Steuersatzregelungen des § 12 UStG auszukennen, ist logisches Denken oftmals fehl am Platz. Vielmehr ist das Zuhilfeziehen erläuternder Kommentarliteratur oder eines Sachverständigen anzuraten.

Denn häufig sind die Grenzen fließend und die Anwendbarkeit von 7 Prozent oder 19 Prozent von nicht nachvollziehbaren oder schlüssigen Voraussetzungen abhängig. Getrieben von sozialpolitischer Motivation will der Gesetzgeber durch die ermäßigte Besteuerung bestimmte Bürger- oder Berufsgruppen finanziell entlasten oder subventionieren. So weit – so gut. Doch leider haben Gesetzgeber und Finanzverwaltung im Laufe der Zeit ein immer mehr in sich widersprüchliches und undurchsichtiges System erschaffen.

Rollstuhl wird begünstigt – Treppenlift aber nicht

Durch die Subventionierung über den Steuersatz soll beispielsweise im Bereich der medizinischen Versorgung die finanzielle Belastung der Sozialkassen und der Patienten begrenzt werden. So werden medizinische Produkte wie Hörgeräte, Bandagen, Prothesen, künstliche Gelenke, Krücken und Implantate grundsätzlich ermäßigt besteuert. Systematisch wiederum nicht nachvollziehbar ist, dass Medikamente nach wie vor mit 19 Prozent besteuert werden. Es bleibt auch im Unklaren, warum ein Krankenrollstuhl begünstigt besteuert wird, ein Treppenlift aber nicht.

Aus den genannten Gründen sind beispielsweise auch die meisten Lebensmittel des täglichen Verzehrs begünstigt – für Feinschmeckerprodukte wie Kaviar, Hummer und Austern gilt dies jedoch nicht. Bis dahin sind die Ausnahmen nachvollziehbar. Allerdings stellt sich dann die Frage, warum der Trüffel, der aus Sicht eines „Durchschnittsverbrauchers“ wohl kein alltägliches Lebensmittel ist, ermäßigt besteuert wird. Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass die Begünstigung des Trüffels nur soweit reicht, wie er nicht mit Essig zubereitet ist.

Vor Schwierigkeiten wird man im täglichen Leben auch bei der Abgrenzung von Lieferungen von Lebensmitteln und Dienstleistungen gestellt. Werden Lebensmittel lediglich geliefert, fallen grundsätzlich nur 7 Prozent Umsatzsteuer an, kommt jedoch noch eine zusätzliche menschliche Dienstleistung hinzu, wird mit 19 Prozent besteuert, da dieser aus Sicht der Finanzverwaltung mehr Wert beizumessen ist.

Keine Klarheit durch Leitfaden

Die Finanzverwaltung hat im vergangenen Jahr einen 11-seitigen Leitfaden erlassen, in dem verschiedene Abgrenzungsfälle näher erläutert werden. Dies führte aber nicht immer zum gewünschten Ergebnis und der Anwendung des richtigen Steuersatzes. So dachten viele Kiosk- oder Tankstellenbetreiber, dass die Grundsätze des Leitfadens für alle Lebensmittel gelten – und verwendeten einerseits für die Zubereitung von Kaffee und andererseits für den Verkauf von Kaffee zum Mitnehmen (sog. „coffee-to-go“) unterschiedliche Steuersätze.

Dem hat die OFD Frankfurt/Main nun mit einer aktuellen Verfügung (S 7222 A – 7 – St 16) einen Riegel vorgeschoben und klargestellt, dass in Fällen des zubereiteten Kaffees eine Unterscheidung zwischen begünstigter Lieferung und nicht begünstigter Dienstleistung nicht möglich ist, da stets der normale Steuersatz angewendet werden muss. Insoweit erübrigt sich bei Kaffee zukünftig also die obligatorische Frage nach dem „to go“.

Milchmischgetränke als eine Ausnahme von vielen

Ausnahmen gibt es wiederum – wie auch nicht anders zu erwarten – bei sogenannten Milchmischgetränken. Es handelt sich dabei um Getränke mit einem Milchanteil von 75 Prozent und mehr, die nur mit 7 Prozent besteuert werden. Klassisches Beispiel ist der Latte Macchiato. Kioskbetreibern, Bäckereien oder der Systemgastronomie ist zukünftig zu empfehlen, den Cappuccino oder Milchkaffee zu mindestens drei Vierteln mit Milch aufzuschäumen, um somit in den Genuss der 7 Prozent zu kommen. Die Unterscheidung beim Milchmischgetränk gilt aber auch nur dann, wenn der Kaffee mit Milch „to go“ ist. Beim Vor-Ort-Verzehr sind ohnehin 19 Prozent USt zu erheben. Kauft man hingegen den Kaffee nicht trinkfertig, sondern gemahlen oder als Bohnen, dann fallen nur 7 Prozent Umsatzsteuer an.

Sieht man sich die Regelungen genauer an, so kristallisiert sich also heraus, dass Gleiches nicht gleich behandelt wird. Der aus Art. 3 GG hervorgegangene Grundsatz der Besteuerungsgleichheit gleicher Sachverhalte wird durch den Gesetzgeber, sei es aus nachvollziehbaren sozialpolitischen Gründen oder schlicht auf Druck der Lobbyisten hin, bei der Anwendung des Steuersatzes ausgehebelt. So leuchtet nicht ganz ein, warum beispielsweise Islandmoos (Cladonia silvatica) begünstigt ist, nicht aber Isländisches Moos (Cetravia islandica).

Für den Otto-Normalverbraucher stellt sich, soweit er überhaupt schon einmal davon gehört hat, berechtigterweise die Frage, was denn der Unterschied zwischen beiden Moosarten sei, der eine unterschiedliche Besteuerung rechtfertige. Die Unterscheidung verschließt sich jeglicher Logik. Vielleicht kann ein Florist den Unterschied erklären. Ein Florist sollte zudem beachten, dass aus einem begünstigten frischen Adventskranz schnell ein weniger lukrativer Adventskranz wird, wenn er getrocknet ist (19 Prozent). Am Rande erwähnt sei, dass das Befeuchten mit Wasser das weder verhindern noch rückgängig machen kann.

Manchmal ergibt 19 Prozent plus 19 Prozent auch 7 Prozent

Weitere ähnliche Beispiele sind die Besteuerung von Kartoffeln (7 Prozent) im Vergleich zu Süßkartoffeln (19 Prozent) oder die in Anlage 2 des UStG abschließend aufgezählten lebenden Tiere (bestimmte Zucht-, Nutz-, Schlacht- oder Haustiere – 7 Prozent) und Katzen und Hunde (beide 19 Prozent).

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Mathematisch darf man an die Sache dabei nicht herangehen, denn manchmal ergibt 19 Prozent plus 19 Prozent auch 7 Prozent. Kreuzt man beispielsweise ein Reit- oder Sportpferd (19 Prozent) und einen lebenden (reinrassigen) Hausesel (19 Prozent), dann erhält man je nach Mutter-Vater-Konstellation der Tiere ein steuerlich begünstigtes Maultier oder Maulesel. Nur am Rande sei erwähnt, dass ein gealtertes Reitpferd, welches nur noch für den Verzehr geeignet ist, noch kurz vor seinem Ableben wieder in die Begünstigung rutscht. Dem Tier wird das wohl relativ gleichgültig sein.

Das sind nur einige verwirrende Beispiele für die Undurchschaubarkeit und Paradoxität des Steuersatzsystems. Logisches Herangehen ist hierbei fehl am Platz. Vielmehr sollte jeder Gegenstand und jede Dienstleistung auf die Anwendbarkeit des richtigen Steuersatzes geprüft und z.B. insbesondere darauf geachtet werden, in welchen Zustand sich die Waren befinden.

 

Fetzer_Marion_200

Marion Fetzer ist Steuerberaterin und Partnerin der Beratungsgesellschaft Baker Tilly Roelfs in München.

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Das Umsatzsteuerrecht umfasst bekanntermaßen deutlich mehr Aspekte als die bloße Unterscheidung zwischen 7 Prozent und 19 Prozent. Dabei wäre das bereits ausreichend. Um sich im Wirrwarr der Steuersatzregelungen des § 12 UStG auszukennen, ist logisches Denken oftmals fehl am Platz. Vielmehr ist das Zuhilfeziehen erläuternder Kommentarliteratur oder eines Sachverständigen anzuraten. Denn häufig sind die Grenzen fließend und die Anwendbarkeit von 7 Prozent oder 19 Prozent von nicht nachvollziehbaren oder schlüssigen Voraussetzungen abhängig. Getrieben von sozialpolitischer Motivation will der Gesetzgeber durch die ermäßigte Besteuerung bestimmte Bürger- oder Berufsgruppen finanziell entlasten oder subventionieren. So weit – so gut. Doch leider haben Gesetzgeber und Finanzverwaltung im Laufe der Zeit ein immer mehr in sich widersprüchliches und undurchsichtiges System erschaffen. Rollstuhl wird begünstigt - Treppenlift aber nicht Durch die Subventionierung über den Steuersatz soll beispielsweise im Bereich der medizinischen Versorgung die finanzielle Belastung der Sozialkassen und der Patienten begrenzt werden. So werden medizinische Produkte wie Hörgeräte, Bandagen, Prothesen, künstliche Gelenke, Krücken und Implantate grundsätzlich ermäßigt besteuert. Systematisch wiederum nicht nachvollziehbar ist, dass Medikamente nach wie vor mit 19 Prozent besteuert werden. Es bleibt auch im Unklaren, warum ein Krankenrollstuhl begünstigt besteuert wird, ein Treppenlift aber nicht. Aus den genannten Gründen sind beispielsweise auch die meisten Lebensmittel des täglichen Verzehrs begünstigt - für Feinschmeckerprodukte wie Kaviar, Hummer und Austern gilt dies jedoch nicht. Bis dahin sind die Ausnahmen nachvollziehbar. Allerdings stellt sich dann die Frage, warum der Trüffel, der aus Sicht eines „Durchschnittsverbrauchers“ wohl kein alltägliches Lebensmittel ist, ermäßigt besteuert wird. Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass die Begünstigung des Trüffels nur soweit reicht, wie er nicht mit Essig zubereitet ist. Vor Schwierigkeiten wird man im täglichen Leben auch bei der Abgrenzung von Lieferungen von Lebensmitteln und Dienstleistungen gestellt. Werden Lebensmittel lediglich geliefert, fallen grundsätzlich nur 7 Prozent Umsatzsteuer an, kommt jedoch noch eine zusätzliche menschliche Dienstleistung hinzu, wird mit 19 Prozent besteuert, da dieser aus Sicht der Finanzverwaltung mehr Wert beizumessen ist. Keine Klarheit durch Leitfaden Die Finanzverwaltung hat im vergangenen Jahr einen 11-seitigen Leitfaden erlassen, in dem verschiedene Abgrenzungsfälle näher erläutert werden. Dies führte aber nicht immer zum gewünschten Ergebnis und der Anwendung des richtigen Steuersatzes. So dachten viele Kiosk- oder Tankstellenbetreiber, dass die Grundsätze des Leitfadens für alle Lebensmittel gelten - und verwendeten einerseits für die Zubereitung von Kaffee und andererseits für den Verkauf von Kaffee zum Mitnehmen (sog. „coffee-to-go“) unterschiedliche Steuersätze. Dem hat die OFD Frankfurt/Main nun mit einer aktuellen Verfügung (S 7222 A – 7 – St 16) einen Riegel vorgeschoben und klargestellt, dass in Fällen des zubereiteten Kaffees eine Unterscheidung zwischen begünstigter Lieferung und nicht begünstigter Dienstleistung nicht möglich ist, da stets der normale Steuersatz angewendet werden muss. Insoweit erübrigt sich bei Kaffee zukünftig also die obligatorische Frage nach dem „to go“. Milchmischgetränke als eine Ausnahme von vielen Ausnahmen gibt es wiederum – wie auch nicht anders zu erwarten – bei sogenannten Milchmischgetränken. Es handelt sich dabei um Getränke mit einem Milchanteil von 75 Prozent und mehr, die nur mit 7 Prozent besteuert werden. Klassisches Beispiel ist der Latte Macchiato. Kioskbetreibern, Bäckereien oder der Systemgastronomie ist zukünftig zu empfehlen, den Cappuccino oder Milchkaffee zu mindestens drei Vierteln mit Milch aufzuschäumen, um somit in den Genuss der 7 Prozent zu kommen. Die Unterscheidung beim Milchmischgetränk gilt aber auch nur dann, wenn der Kaffee mit Milch „to go“ ist. Beim Vor-Ort-Verzehr sind ohnehin 19 Prozent USt zu erheben. Kauft man hingegen den Kaffee nicht trinkfertig, sondern gemahlen oder als Bohnen, dann fallen nur 7 Prozent Umsatzsteuer an. Sieht man sich die Regelungen genauer an, so kristallisiert sich also heraus, dass Gleiches nicht gleich behandelt wird. Der aus Art. 3 GG hervorgegangene Grundsatz der Besteuerungsgleichheit gleicher Sachverhalte wird durch den Gesetzgeber, sei es aus nachvollziehbaren sozialpolitischen Gründen oder schlicht auf Druck der Lobbyisten hin, bei der Anwendung des Steuersatzes ausgehebelt. So leuchtet nicht ganz ein, warum beispielsweise Islandmoos (Cladonia silvatica) begünstigt ist, nicht aber Isländisches Moos (Cetravia islandica). Für den Otto-Normalverbraucher stellt sich, soweit er überhaupt schon einmal davon gehört hat, berechtigterweise die Frage, was denn der Unterschied zwischen beiden Moosarten sei, der eine unterschiedliche Besteuerung rechtfertige. Die Unterscheidung verschließt sich jeglicher Logik. Vielleicht kann ein Florist den Unterschied erklären. Ein Florist sollte zudem beachten, dass aus einem begünstigten frischen Adventskranz schnell ein weniger lukrativer Adventskranz wird, wenn er getrocknet ist (19 Prozent). Am Rande erwähnt sei, dass das Befeuchten mit Wasser das weder verhindern noch rückgängig machen kann. Manchmal ergibt 19 Prozent plus 19 Prozent auch 7 Prozent Weitere ähnliche Beispiele sind die Besteuerung von Kartoffeln (7 Prozent) im Vergleich zu Süßkartoffeln (19 Prozent) oder die in Anlage 2 des UStG abschließend aufgezählten lebenden Tiere (bestimmte Zucht-, Nutz-, Schlacht- oder Haustiere – 7 Prozent) und Katzen und Hunde (beide 19 Prozent). Mathematisch darf man an die Sache dabei nicht herangehen, denn manchmal ergibt 19 Prozent plus 19 Prozent auch 7 Prozent. Kreuzt man beispielsweise ein Reit- oder Sportpferd (19 Prozent) und einen lebenden (reinrassigen) Hausesel (19 Prozent), dann erhält man je nach Mutter-Vater-Konstellation der Tiere ein steuerlich begünstigtes Maultier oder Maulesel. Nur am Rande sei erwähnt, dass ein gealtertes Reitpferd, welches nur noch für den Verzehr geeignet ist, noch kurz vor seinem Ableben wieder in die Begünstigung rutscht. Dem Tier wird das wohl relativ gleichgültig sein. Das sind nur einige verwirrende Beispiele für die Undurchschaubarkeit und Paradoxität des Steuersatzsystems. Logisches Herangehen ist hierbei fehl am Platz. Vielmehr sollte jeder Gegenstand und jede Dienstleistung auf die Anwendbarkeit des richtigen Steuersatzes geprüft und z.B. insbesondere darauf geachtet werden, in welchen Zustand sich die Waren befinden.   Marion Fetzer ist Steuerberaterin und Partnerin der Beratungsgesellschaft Baker Tilly Roelfs in München.
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