Selbstoptimierungswahn
„Niemand ist jemals gut genug“

Mehr schaffen in weniger Zeit. Mehr Geld verdienen. Mehr Sport treiben. Selbstoptimierung ist für manchen zum Wahn geworden. Doch macht all die Arbeit an sich selbst wirklich glücklich?

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Selbstoptimierungswahn
Mehr Sport als guter Vorsatz? Oft scheitert man bei dem Versuch, sich selbst zu optimieren - und die Hanteln landen im Keller.
© napri / photocase.de

Schrittzähler messen, ob wir genug laufen. Zeitmanagement-Ratgeber erklären uns, wie wir unseren Tag effizient nutzen. Selbsthilfebücher und Coaches wollen uns zu einer besseren Version unserer selbst verhelfen – aber nur, wenn wir konstant an uns arbeiten. Hauptsache schneller, höher, weiter, erfolgreicher.

„Pfeif drauf! Schluss mit dem Selbstoptimierungswahn“, sagt Svend Brinkmann, Professor für Psychologie an der dänischen Universität Aalborg. Brinkmann hält all die Arbeit an sich selbst nicht nur für übertrieben, sondern auch für gesundheitsschädlich. Mit einem Anti-Selbsthilfebuch setzt er dem Trend einen Plan entgegen, wie man sich aus dem Hamsterrad der Selbstoptimierung befreit. Damit landete er einen Platz-Eins-Bestseller in Dänemark. Ein Gespräch über Sinn und Unsinn der Selbstoptimierung.

impulse: Herr Brinkmann, haben Sie selbst jemals versucht, sich selbst zu optimieren?

Sven Brinkmann: Ich habe ein paar Techniken ausprobiert. Achtsamkeit zum Beispiel. Das ist in den letzten Jahren wahnsinnig beliebt geworden. Und es ist schön, ich habe nichts dagegen, dass Leute achtsam sind. Aber warum muss es eine Technik sein? Warum kann man seine Unternehmen nicht so gestalten, dass Mitarbeiter auch einfach mal aus dem Fenster starren dürfen, ohne dass es gleich eine Achtsamkeitsübung ist?

Solche Techniken helfen vielen Menschen.

Klar, einige Techniken können helfen. Aber es wird problematisch, wenn man dazu gedrängt wird. Es wäre klüger, an anderer Stelle anzusetzen: Statt Mitarbeitern Achtsamkeitsübungen beizubringen, um es in einem stressigen Arbeitsumfeld auszuhalten, sollte man das stressige Umfeld vermeiden.

Was ist Ihre Erfahrung als Psychologe: Kann zu viel Selbstoptimierung unglücklich oder krank machen?

Zur Person
Svend Brinkmann ist dänischer Philosoph und Profossor für Psychologie an der Universität Aalborg. In seinem Buch „Pfeif drauf! Schluss mit dem Selbstoptimierungswahn“ beschreibt er in sieben Schritten, wie Leser dem Selbstoptimierungstrend widerstehen können. Das Buch ist im Droemer Knaur Verlag erschienen.

Wenn Menschen einen Psychologen konsultieren, einen Life-Coach buchen, ein Selbsthilfebuch lesen oder Selbstoptimierungskurse belegen, dann hilft das natürlich einigen eine Zeit lang. Das würde niemand abstreiten.

Aber?

Die Idee hinter der Selbstoptimierung ist, dass es im Leben vor allem darum gehen soll, dass man sich konstant weiterentwickelt und ständig versucht, sich zu verbessern. Diese Idee erzeugt viel Leid, denn sie hat einen Nebeneffekt: Niemand ist jemals gut genug. Wir können nicht sagen: Jetzt reicht es, jetzt bin ich ein guter Mensch.

Und dieser Nebeneffekt kann krank machen?

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In westlichen Ländern haben viele Menschen Depressionen, Angstzustände und Krankheiten, die auf Stress zurückzuführen sind – obwohl wir hier einigermaßen sicher und wohlhabend leben. Ich glaube, das liegt zumindest zum Teil an der vorherrschenden Mentalität, dass man nie gut genug ist.

Dieser Mentalität wollen Sie mit Ihrem Buch entgegentreten.

Genau. Ich forsche seit Jahren zum Thema Selbstoptimierung und habe viele Selbsthilfebücher für eine dänische Zeitung rezensiert. Normale Selbsthilfebücher sollen den Lesern helfen, sich weiterzuentwickeln, glücklicher zu werden, gesünder zu leben, erfolgreicher zu werden. In meinem Buch geht es darum, sich nicht weiterzuentwickeln.

Aber ist es nicht grundsätzlich gut, wenn beispielsweise ein Unternehmer sagt: Ich möchte ein besserer Chef werden und dafür ein Buch lesen, einen Coach buchen, einen Kurs belegen?

Grundsätzlich ja. Was Chefs sich aber fragen sollten: Was heißt es, sich zu verbessern? Geht es dabei nur darum, seine Angestellten soweit wie möglich weiterzuentwickeln? Oder geht es auch darum zu erkennen, dass es Grenzen gibt? Limits, wie weit ein Mensch sich persönlich und beruflich weiterentwickeln kann. Die Erkenntnis, dass jeder solch ein Limit hat, findet man in Coaching-Büchern sehr selten. Es geht immer darum, sein ganzes Potenzial auszuschöpfen.

Was würden Sie einem Unternehmer empfehlen, der ein besserer Chef, ein erfolgreicherer Unternehmer werden möchte?

Ich würde ihm empfehlen, Romane zu lesen, Fiktion. Paradoxerweise ist Fiktion oft näher an der Realität ist als Selbsthilfebücher. Das Leben ist sehr komplex – und das stellen Romane ehrlicher dar als Sachbücher, die Schritt für Schritt erklären, wie man ein Ziel erreichen kann.

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Sie sagten gerade, dass Sie viele Selbsthilfebücher rezensiert haben. Was waren die merkwürdigsten?

Es gibt diesen berühmten amerikanischen Autor und Coach Tony Robbins. Er wiederholt in seinen Büchern und Seminaren ständig Mantren: „Erfolg ist, das zu tun, was du willst, wann du es willst, mit wem auch immer …“ Seine Erfolgsformel ist meiner Meinung nach sehr gefährlich.

Warum?

Er lässt alle ethischen und moralischen Bedenken außen vor. Sein Gedanke ist: Wenn ich es will, dann ist es gut. Und wenn ich es tue, bin ich erfolgreich. Um das an einem extremen Beispiel zu verdeutlichen: Der norwegische Terrorist und Massenmörder Anders Breivik hatte seine Tat lange geplant, er wollte das, er war motiviert. Und er hat es geschafft. Und das soll Erfolg sein? Natürlich ist es für die Menschheit kein Erfolg, wenn jemand getötet wird, es ist grausam.

Aber nach Robbins‘ Verständnis wäre das ein Erfolg?

Natürlich würde Tony Robbins niemals sagen, dass Breivik erfolgreich war, er würde ihn sicher verurteilen. Aber seine Lehre ist für mich ein Symbol für das, was falsch läuft. In der gesamten Selbsthilfeindustrie beschäftigt man sich nicht mit den Grenzen. Wir sollten uns nicht fragen: „Wie kann ich das erreichen, was ich will?“ Sondern zunächst: „Das, was ich erreichen möchte – ist das so wertvoll, dass ich es auch tun sollte? Ist es moralisch vertretbar? Ist es anständig?“

Ist der Selbstoptimierungswahn, den Sie feststellen, ein Phänomen unserer Zeit?

Nein, schon in den Fünfzigerjahren hat Norman Vincent Peale das wahrscheinlich meistverkaufte Selbsthilfebuch überhaupt geschrieben: „Die Kraft des positiven Denkens.“ Interessanterweise hat es Donald Trump dazu inspiriert, an sich selbst zu glauben. Peales Botschaft war: Du kannst erreichen, was immer du willst. Du musst nur positiv denken, deinen Möglichkeiten gegenüber positiv eingestellt sein. Dann schaffst du es auch.

Sie empfehlen in Ihrem Buch, nicht positiv zu denken, sondern negativ. Warum?

Der Fokus auf Positives macht mich skeptisch. Besonders im Arbeitsleben gibt es die Tendenz, Mitarbeitern zu sagen: „Begreif die Sache nicht als Problem, sondern als Herausforderung.“ Ich finde es wichtig zu akzeptieren, dass wir Probleme haben. Negativer zu denken hilft Menschen, kritischer zu sein und über ihre Probleme zu sprechen.

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Das ist in den letzten Jahren wahnsinnig beliebt geworden. Und es ist schön, ich habe nichts dagegen, dass Leute achtsam sind. Aber warum muss es eine Technik sein? Warum kann man seine Unternehmen nicht so gestalten, dass Mitarbeiter auch einfach mal aus dem Fenster starren dürfen, ohne dass es gleich eine Achtsamkeitsübung ist? Solche Techniken helfen vielen Menschen. Klar, einige Techniken können helfen. Aber es wird problematisch, wenn man dazu gedrängt wird. Es wäre klüger, an anderer Stelle anzusetzen: Statt Mitarbeitern Achtsamkeitsübungen beizubringen, um es in einem stressigen Arbeitsumfeld auszuhalten, sollte man das stressige Umfeld vermeiden. Was ist Ihre Erfahrung als Psychologe: Kann zu viel Selbstoptimierung unglücklich oder krank machen? Wenn Menschen einen Psychologen konsultieren, einen Life-Coach buchen, ein Selbsthilfebuch lesen oder Selbstoptimierungskurse belegen, dann hilft das natürlich einigen eine Zeit lang. Das würde niemand abstreiten. Aber? Die Idee hinter der Selbstoptimierung ist, dass es im Leben vor allem darum gehen soll, dass man sich konstant weiterentwickelt und ständig versucht, sich zu verbessern. Diese Idee erzeugt viel Leid, denn sie hat einen Nebeneffekt: Niemand ist jemals gut genug. Wir können nicht sagen: Jetzt reicht es, jetzt bin ich ein guter Mensch. Und dieser Nebeneffekt kann krank machen? In westlichen Ländern haben viele Menschen Depressionen, Angstzustände und Krankheiten, die auf Stress zurückzuführen sind – obwohl wir hier einigermaßen sicher und wohlhabend leben. Ich glaube, das liegt zumindest zum Teil an der vorherrschenden Mentalität, dass man nie gut genug ist. Dieser Mentalität wollen Sie mit Ihrem Buch entgegentreten. Genau. Ich forsche seit Jahren zum Thema Selbstoptimierung und habe viele Selbsthilfebücher für eine dänische Zeitung rezensiert. Normale Selbsthilfebücher sollen den Lesern helfen, sich weiterzuentwickeln, glücklicher zu werden, gesünder zu leben, erfolgreicher zu werden. In meinem Buch geht es darum, sich nicht weiterzuentwickeln. Aber ist es nicht grundsätzlich gut, wenn beispielsweise ein Unternehmer sagt: Ich möchte ein besserer Chef werden und dafür ein Buch lesen, einen Coach buchen, einen Kurs belegen? Grundsätzlich ja. Was Chefs sich aber fragen sollten: Was heißt es, sich zu verbessern? Geht es dabei nur darum, seine Angestellten soweit wie möglich weiterzuentwickeln? Oder geht es auch darum zu erkennen, dass es Grenzen gibt? Limits, wie weit ein Mensch sich persönlich und beruflich weiterentwickeln kann. Die Erkenntnis, dass jeder solch ein Limit hat, findet man in Coaching-Büchern sehr selten. Es geht immer darum, sein ganzes Potenzial auszuschöpfen. Was würden Sie einem Unternehmer empfehlen, der ein besserer Chef, ein erfolgreicherer Unternehmer werden möchte? Ich würde ihm empfehlen, Romane zu lesen, Fiktion. Paradoxerweise ist Fiktion oft näher an der Realität ist als Selbsthilfebücher. Das Leben ist sehr komplex – und das stellen Romane ehrlicher dar als Sachbücher, die Schritt für Schritt erklären, wie man ein Ziel erreichen kann. Sie sagten gerade, dass Sie viele Selbsthilfebücher rezensiert haben. Was waren die merkwürdigsten? Es gibt diesen berühmten amerikanischen Autor und Coach Tony Robbins. Er wiederholt in seinen Büchern und Seminaren ständig Mantren: „Erfolg ist, das zu tun, was du willst, wann du es willst, mit wem auch immer …“ Seine Erfolgsformel ist meiner Meinung nach sehr gefährlich. Warum? Er lässt alle ethischen und moralischen Bedenken außen vor. Sein Gedanke ist: Wenn ich es will, dann ist es gut. Und wenn ich es tue, bin ich erfolgreich. Um das an einem extremen Beispiel zu verdeutlichen: Der norwegische Terrorist und Massenmörder Anders Breivik hatte seine Tat lange geplant, er wollte das, er war motiviert. Und er hat es geschafft. Und das soll Erfolg sein? Natürlich ist es für die Menschheit kein Erfolg, wenn jemand getötet wird, es ist grausam. Aber nach Robbins' Verständnis wäre das ein Erfolg? Natürlich würde Tony Robbins niemals sagen, dass Breivik erfolgreich war, er würde ihn sicher verurteilen. Aber seine Lehre ist für mich ein Symbol für das, was falsch läuft. In der gesamten Selbsthilfeindustrie beschäftigt man sich nicht mit den Grenzen. Wir sollten uns nicht fragen: „Wie kann ich das erreichen, was ich will?“ Sondern zunächst: „Das, was ich erreichen möchte – ist das so wertvoll, dass ich es auch tun sollte? Ist es moralisch vertretbar? Ist es anständig?“ Ist der Selbstoptimierungswahn, den Sie feststellen, ein Phänomen unserer Zeit? Nein, schon in den Fünfzigerjahren hat Norman Vincent Peale das wahrscheinlich meistverkaufte Selbsthilfebuch überhaupt geschrieben: „Die Kraft des positiven Denkens.“ Interessanterweise hat es Donald Trump dazu inspiriert, an sich selbst zu glauben. Peales Botschaft war: Du kannst erreichen, was immer du willst. Du musst nur positiv denken, deinen Möglichkeiten gegenüber positiv eingestellt sein. Dann schaffst du es auch. Sie empfehlen in Ihrem Buch, nicht positiv zu denken, sondern negativ. Warum? Der Fokus auf Positives macht mich skeptisch. Besonders im Arbeitsleben gibt es die Tendenz, Mitarbeitern zu sagen: „Begreif die Sache nicht als Problem, sondern als Herausforderung.“ Ich finde es wichtig zu akzeptieren, dass wir Probleme haben. Negativer zu denken hilft Menschen, kritischer zu sein und über ihre Probleme zu sprechen.